VIa ZR 1222/22
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES VIa ZR 1222/22 URTEIL in dem Rechtsstreit ECLI:DE:BGH:2025:040325UVIAZR1222.22.0 Der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 4. März 2025 durch die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. C. Fischer als Vorsitzende, die Richterinnen Möhring und Dr. Vogt-Beheim sowie die Richter Dr. Katzenstein und Dr. Ostwaldt für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird der Beschluss des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 20. Juli 2022 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung - mit Ausnahme der mit dem Berufungsantrag zu 2 auch begehrten Freistellung von Zinsen auf die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten - zurückgewiesen worden ist. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf bis 35.000 € festgesetzt.
Von Rechts wegen Tatbestand: 1 Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. Er erwarb im Juni 2016 von einem Dritten einen von der Beklagten hergestellten gebrauchten Mercedes-Benz GLK 220 CDI 4Matic, der mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgerüstet ist.
Der Kläger, dessen Klage in den Vorinstanzen erfolglos geblieben ist, hat zuletzt beantragt, die Beklagte zur Erstattung des Kaufpreises nebst Zinsen abzüglich einer Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs zu verurteilen (Berufungsantrag zu 1). Ferner hat er die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen (Berufungsantrag zu 2) begehrt. Mit der vom Senat im tenorierten Umfang zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Schlussanträge aus der Berufungsinstanz insoweit weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision des Klägers hat Erfolg.
A.
Die Berufung des Klägers war, was der Senat als Prozessfortsetzungsbedingung von Amts wegen zu überprüfen hat (vgl. BGH, Urteil vom 19. November 2020 - I ZR 110/19, IHR 2023, 85 Rn. 12; Urteil vom 7. November 2022 - VIa ZR 737/21, juris Rn. 6; Urteil vom 25. April 2023 - VIII ZR 184/21, juris Rn. 11), entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung zulässig. Insbesondere genügte die Berufungsbegründung den Mindestanforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 ZPO. Auf den nicht näher ausgeführten Hinweis auf eine Tatbestandswirkung der Typgenehmigung hat das Landgericht seine Entscheidung nicht mit der gebotenen Klarheit tragend gestützt (vgl. BGH, Beschluss vom 30. Januar 2013 - III ZB 49/12, NJW-RR 2013, 509 Rn. 13).
B.
I.
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - im Wesentlichen wie folgt begründet:
Ein Anspruch des Klägers aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV scheide aus, weil die Vorschriften nicht den Schutz vor der Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit bezweckten. Auch ein Anspruch aus § 826 BGB sei vorliegend nicht gegeben. Die vom Kläger behaupteten Abschalteinrichtungen in Gestalt des Thermofensters sowie der KühlmittelSolltemperatur-Regelung verhielten sich unter vergleichbaren Bedingungen im realen Straßenverkehr nicht anders als in der Prüfsituation selbst. Es könne mithin dahingestellt bleiben, ob es sich bei den Einrichtungen um unzulässige Abschalteinrichtungen handele, weil der Einbau einer europarechtlich unzulässigen Abschalteinrichtung für sich genommen noch kein objektiv sittenwidriges Verhalten des Fahrzeugherstellers begründe, wenn sich das Emissionskontrollsystem - wie vorliegend - auf dem Prüfstand und unter vergleichbaren Bedingungen im wirklichen Verkehr grundsätzlich gleich verhalte. Weder hinsichtlich des Thermofensters noch hinsichtlich der Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung könne ein vorsätzliches Handeln angenommen werden.
II.
Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
1. Allerdings begegnet es keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus § 826 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.
2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Beschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 ff.).
Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 ff.). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 ff.; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20, NJW 2024, 361 Rn. 21 ff. und III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
Der angefochtene Beschluss ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil er sich insoweit nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil diese nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO). Sie ist daher insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu der - bisher lediglich unterstellten - Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.
C. Fischer Katzenstein Möhring Vogt-Beheim Ostwaldt Vorinstanzen: LG Regensburg, Entscheidung vom 21.09.2021 - 41 O 385/21 OLG Nürnberg, Entscheidung vom 20.07.2022 - 5 U 3879/21 - Verkündet am: 4. März 2025 Wendt, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle