X ZB 5/19
BUNDESGERICHTSHOF X ZB 5/19 BESCHLUSS vom 13. Juli 2020 in dem Rechtsbeschwerdeverfahren ECLI:DE:BGH:2020:130720BXZB5.19.0 Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 13. Juli 2020 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Bacher, die Richter Dr. Grabinski, Hoffmann und Dr. Deichfuß sowie die Richterin Dr. Rombach beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 20. Senats (Technischen Beschwerdesenats) des Bundespatentgerichts vom 15. Oktober 2018 wird zurückgewiesen.
Gründe:
I. Die Rechtsbeschwerde richtet sich gegen den Widerruf des deutschen Patents 10 2008 003 697 (Streitpatents).
Die Rechtsbeschwerdeführerin ist Inhaberin des am 9. Januar 2008 angemeldeten Streitpatents. Dieses umfasst sieben Ansprüche, von denen Patentanspruch 1 wie folgt lautet (Gliederungszeichen sind nicht Teil des Wortlauts):
M1 Verfahren zum Betrieb eines Aggregates aus einer Anzeigevorrichtung (1, 2) und einer Kassieranlage (3) zur Verwendung in insbesondere Einzelhandelsgeschäften, wobei M2 - die Anzeigevorrichtung (1, 2) mit wenigstens einem variierbaren Anzeigefeld (1) und zusätzlich einer Sprachausgabeeinheit (2) ausgerüstet ist, wobei ferner M3 - die Kassieranlage (3) im Zuge ihrer Aktivierung/Deaktivierung unmittelbar ein Signal an die Anzeigevorrichtung (1, 2) sendet, um den Status der Kassieranlage (3) optisch und akustisch wiederzugeben, und wobei M4 - mittels einer Bedieneinheit (9) wahlweise eine oder mehrere weitere Kassieranlagen (3) und zugeordnete Anzeigevorrichtungen (1, 2) zugeschaltet werden, um M5 - den jeweils aktuellen oder zukünftigen Status der Kassieranlage (3) - unabhängig von deren Aktivierung/Deaktivierung optisch anzuzeigen und akustisch auszugeben.
Ein Dritter hat gegen das Streitpatent Einspruch erhoben. Nach Rücknahme des Einspruchs ist das Verfahren von Amts wegen fortgesetzt worden (§ 61 Abs. 1 Satz 2 PatG). Das Patentamt hat das Streitpatent widerrufen.
Die Beschwerde der Patentinhaberin ist erfolglos geblieben. Mit ihrer nicht zugelassenen Rechtsbeschwerde rügt die Patentinhaberin, der Beschluss des Patentgerichts beruhe auf einer Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör und sei nicht mit Gründen versehen.
II. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft, weil die nicht an eine Zulassung gebundenen Rechtsbeschwerdegründe des § 100 Abs. 3 Nr. 3 und Nr. 6 PatG geltend gemacht werden, und auch im Übrigen zulässig. Sie hat in der Sache aber keinen Erfolg.
1. Das Patentgericht hat angenommen, der Gegenstand des Patentanspruchs 1 beruhe nicht auf erfinderischer Tätigkeit.
Aus der japanischen Patentanmeldung Shō 59-200374 (E12) sei eine Kassieranlage nebst Anzeigevorrichtung bekannt, die den jeweiligen Status wiedergeben könne. Wenn die Anlage in den Registriermodus geschaltet werde, werde die oben sichtbare Lampe automatisch eingeschaltet. Dies entspreche dem Merkmal 1 sowie den Merkmalen 2 und 3 jeweils teilweise. Weiterhin werde mit einem Schlüssel in den Status "Pause" geschaltet und eine Leuchte am Ende des Kassentischs eingeschaltet. Damit würden der aktuelle ("register") und der zukünftige Status ("pause") entsprechend einem Teil des Merkmals 5 wiedergegeben. E12 unterscheide sich von der Lehre des Streitpatents dadurch, dass der Status nicht akustisch wiedergegeben und nicht mehrere Kassieranlagen zugeschaltet werden könnten.
Diese Unterscheidungsmerkmale seien dem Fachmann durch eine Kombination der E12 mit der Übersetzung der europäischen Patentschrift 289 253 (DE 38 53 443; E6) und der europäischen Patentanmeldung 1 115 100 (E4) nahegelegt gewesen.
E6 lehre den Fachmann, bei einem Betrieb von mehreren Kassieranlagen sei es nachteilig, diese einzeln ein- und ausschalten zu müssen. Die Entgegenhaltung rege dazu an, von einer Haupteinrichtung aus Einzelkassensystemen mittels einer netzwerktechnischen Verbindung zu schalten. Gleiches gelte für die mit den Kassieranlagen verbundenen Anzeigeeinrichtungen.
Dem Fachmann sei ferner bekannt gewesen, dass Mitarbeiter im Einzelhandel üblicherweise eine in Kürze eintretende Öffnung oder Schließung einer Kasse verbal ankündigten. Um die Kassenkraft bei ihrer Arbeit zu entlasten, sei es für den Fachmann naheliegend gewesen, eine akustische Wiedergabe des Status entsprechend dem Merkmal 3 mittels eines Lautsprechers vorzusehen, wie es auch in E4 gezeigt sei.
2. Diese Beurteilung hält den Angriffen der Rechtsbeschwerde stand.
a) Die Rechtsbeschwerde rügt, das Patentgericht habe Vortrag der Patentinhaberin nicht berücksichtigt, demzufolge E12 mit der Anzeige "pause" nur auf einen aktuellen und nicht auf einen zukünftigen Status hinweise. Das Streitpatent kritisiere gerade, dass im Stand der Technik keine unmittelbar bevorstehenden Änderungen signalisiert werden könnten. Hierauf und auf den sich daraus ergebenden Unterschied zwischen dem Verfahren gemäß E12 sowie dem Merkmal 5 habe die Patentinhaberin hingewiesen.
Diese Rüge ist unbegründet.
Dabei kann dahingestellt bleiben, ob sich die oben wiedergegebene Argumentation aus dem von der Rechtsbeschwerde aufgezeigten Vorbringen der Patentinhaberin hinreichend deutlich ergibt und ob das Patentgericht diese Argumentation bei seiner inhaltlich davon abweichenden Entscheidung in der gebotenen Weise berücksichtigt hat. Aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung ergibt sich jedenfalls hinreichend deutlich, dass dieser Gesichtspunkt nach der Auffassung des Patentgerichts nicht entscheidungserheblich war.
Die Verletzung des Anspruchs auf Wahrung rechtlichen Gehörs setzt voraus, dass die beanstandete Entscheidung auf dem behaupteten Mangel beruht oder beruhen kann, es also nicht ausgeschlossen werden kann, dass die ordnungsgemäße Gewährung rechtlichen Gehörs zu einer der Partei günstigeren Entscheidung geführt hätte (BGH, Beschluss vom 8. September 2009 - X ZB 35/08, GRUR 2009, 1192 Rn. 21 - Polyolefinfolie; Beschluss vom 14. März 2006 - X ZB 28/04, Rn. 8).
Im Streitfall ist das Patentgericht zwar bei der Beurteilung des Offenbarungsgehalts von E12 davon ausgegangen, die Anzeige "pause" gebe einen künftigen Status wieder. Aus den oben wiedergegebenen Erwägungen zur erfinderischen Tätigkeit im Hinblick auf Merkmal 3 geht aber hervor, dass es den Gegenstand des Streitpatents unabhängig davon als durch den Stand der Technik nahegelegt angesehen hat, weil der Fachmann Anlass gehabt habe, die Kassenkräfte auch von der Ansage unmittelbar bevorstehender Ereignisse zu entlasten. Diese Erwägung vermag die angefochtene Entscheidung auch dann zu tragen, wenn die Anzeige "pause" nicht als Anzeige eines künftigen Status im Sinne des Streitpatents anzusehen ist. Folglich ist dieser Aspekt ausgehend von dem insoweit maßgeblichen Rechtsstandpunkt des Patentgerichts nicht entscheidungserheblich.
b) Die Rechtsbeschwerde rügt, das Patentgericht habe angenommen, dass E12 das Zuschalten einer weiteren Kassieranlage offenbare, und habe hierbei entgegenstehenden Vortrag der Patentinhaberin übergangen.
Diese Rüge ist ebenfalls unbegründet.
Das Patentgericht ist davon ausgegangen, dass E12 ein optionales Zuschalten mehrerer Kassieranlagen nicht offenbart. Dem Wortlaut dieser Ausführungen könnte zwar entnommen werden, dass das Patentgericht die Möglichkeit zum Zuschalten einer einzelnen Kassieranlage als offenbart angesehen hat. Aus dem Zusammenhang ergibt sich jedoch, dass es die Möglichkeit zum Zuschalten anderer Kassieranlagen insgesamt als nicht in E12 offenbart angesehen hat.
Unabhängig davon ergibt sich aus den Erwägungen des Patentgerichts zur erfinderischen Tätigkeit im Zusammenhang mit E6, dass die Frage, ob E12 das Zuschalten einer einzelnen Anlage offenbart, vom Standpunkt des Patentgerichts aus nicht entscheidungserheblich war.
c) Die Rechtsbeschwerde rügt, das Patentgericht habe Vortrag der Patentinhaberin übergangen, wonach E6 sich nur mit dem Problem des Einund Ausschaltens einer Kassieranlage befasse, nicht aber mit der Steuerung von Anzeigevorrichtungen, und wonach es an einem Anlass gefehlt habe, ausgehend von dem in E12 gezeigten Stand der Technik eine Fernsteuerung für eine optische und akustische Signalisierung vorzusehen.
Diese Rüge ist ebenfalls unbegründet.
Der Anspruch auf rechtliches Gehör gibt jedem Verfahrensbeteiligten das Recht, sich zu dem der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt zu äußern und dem Gericht seine Auffassung zu den erheblichen Rechtsfragen darzulegen. Das Gericht ist verpflichtet, das tatsächliche und rechtliche Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und auf seine sachlich-rechtliche und verfahrensrechtliche Entscheidungserheblichkeit zu prüfen (BGH, Beschluss vom 28. November 2012 - X ZB 6/11, GRUR 2013, 318 Rn. 9 - Sorbitol). Art. 103 Abs. 1 GG ist verletzt, wenn im Einzelfall deutlich wird, dass Vorbringen überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist. Dabei ist grundsätzlich davon auszugehen, dass das Gericht das von ihm entgegengenommene Parteivorbringen zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat, ohne dass es verpflichtet wäre, sich in den Gründen seiner Entscheidung mit jedem Vorbringen ausdrücklich zu befassen. Geht das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags einer Partei zu einer Frage, die für das Verfahren von besonderer Bedeutung ist, nicht ein, so lässt dies auf eine Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert war (BGH, Beschluss vom 27. Juni 2007 X ZB 6/05, BGHZ 173, 47 Rn. 31 - Informationsübermittlungsverfahren II; Beschluss vom 24. Juli 2007 - X ZB 17/05, GRUR 2007, 996 Rn. 11 Angussvorrichtung für Spritzgießwerkzeuge).
Bei Anlegung dieses Maßstabs kann der angefochtenen Entscheidung nicht entnommen werden, dass das Patentgericht den aufgezeigten Vortrag übergangen hat.
Der angefochtenen Entscheidung ist zu entnehmen, dass E6 auch aus Sicht des Patentgerichts lediglich ein Ein- und Ausschalten anderer Kassen offenbart. Die daran anknüpfende Erwägung, daraus habe sich die Anregung ergeben, auch die Anzeigevorrichtungen anderer Kassiersysteme zu steuern, ist zwar äußerst knapp begründet, obwohl es sich insoweit um einen zentralen Streitpunkt handelt. Dennoch lässt die angefochtene Entscheidung keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür erkennen, dass das Patentgericht die Argumentation der Patentinhaberin außer Acht gelassen hat. Dass es sich dieser Argumentation inhaltlich nicht angeschlossen hat, begründet keinen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG.
d) Die Rechtsbeschwerde rügt, das Patentgericht habe Vortrag der Patentinhaberin nicht gewürdigt, demzufolge nach der Lehre des Streitpatents im Gegensatz zur E6 - jede Kassieranlage andere Kassieranlagen nebst den daran angeschlossenen Anzeigevorrichtungen fernsteuern könne, mithin die Fernsteuerung wechselseitig möglich sei.
Diese Rüge ist ebenfalls unbegründet.
Dabei kann wiederum dahingestellt bleiben, ob sich die geltend gemachte Argumentation aus dem aufgezeigten Vorbringen der Patentinhaberin ergibt. Das Patentgericht musste sich mit dieser Frage jedenfalls deshalb nicht befassen, weil das Streitpatent eine wechselseitige Steuerung zwar zulässt, in Patentanspruch 1 aber nicht zwingend vorgibt.
e) Die Rechtsbeschwerde rügt, die angefochtene Entscheidung verletze Art. 103 Abs. 1 GG und sei zudem nicht mit Gründen versehen, soweit sie davon ausgehe, der Fachmann habe ausgehend von E12 Anlass zu einer Fernsteuerung anderer Kassieranlagen und zu einer akustischen Signalisierung gehabt.
Diese Rügen sind ebenfalls unbegründet.
Das Patentgericht hat eine entsprechende Veranlassung bejaht, weil sich aus E6 ergebe, dass es nachteilig sei, wenn jedes Kassiersystem einzeln einund ausgeschaltet werden müsse, und weil bereits E12 das Ziel verfolge, die Kassenkraft zu entlasten. Daraus ist hinreichend deutlich zu entnehmen, dass sich das Patentgericht mit der abweichenden Argumentation der Patentinhaberin befasst hat und aus welchen Gründen es zu einer abweichenden Beurteilung gelangt ist. Ob diese Beurteilung inhaltlich zutrifft, ist für die Entscheidung über eine nicht zugelassene Rechtsbeschwerde nicht erheblich.
III. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst (vgl. § 109 Abs. 1 Satz 1 PatG, § 22 Abs. 1 GKG).
IV. Eine mündliche Verhandlung erachtet der Senat für nicht erforderlich (§ 107 Abs. 1 PatG).
Bacher Deichfuß Grabinski Rombach Hoffmann Vorinstanz: Bundespatentgericht, Entscheidung vom 15.10.2018 - 20 W(pat) 16/16 -