KVB 61/23
BUNDESGERICHTSHOF KVB 61/23 BESCHLUSS vom 26. Mai 2025 in der Kartellverwaltungssache ECLI:DE:BGH:2025:260525BKVB61.23.0 Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs hat am 26. Mai 2025 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Roloff, die Richterinnen Dr. Picker, Dr. Vogt-Beheim und Dr. Holzinger sowie den Richter Dr. Kochendörfer beschlossen:
Die Anhörungsrüge gegen den Beschluss vom 18. März 2025 wird auf Kosten der Beschwerdeführerinnen zurückgewiesen.
Gründe:
I. Das Bundeskartellamt hat mit Beschluss vom 3. April 2023 gegenüber den Beschwerdeführerinnen festgestellt, dass der Beschwerdeführerin zu 1 einschließlich aller mit ihr nach § 36 Abs. 2 GWB verbundenen Unternehmen eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb im Sinn des § 19a Abs. 1 GWB zukommt. Im vorangegangenen Verwaltungsverfahren hatte das Bundeskartellamt durch Auskunftsbeschlüsse bei 184 App-Herausgebern, bei 27 Unternehmen, die Smartphones, Tablets oder Smartwatches herstellen oder vertreiben (im Folgenden: Hardwarehersteller) und bei den fünf in Deutschland führenden Mobilfunkunternehmen durch Übersendung von Fragebögen Informationen eingeholt. Die Antworten der Befragten hat das Bundeskartellamt zum Verwaltungsvorgang genommen und zudem Auswertungsvermerke erstellt, in denen es seine Ermittlungen und die Vorgehensweise bei der Auswertung beschrieben sowie die gestellten Fragen und erhaltenen Antworten anonymisiert und - insbesondere bei den Freitextantworten der App-Herausgeber und Hardwarehersteller - in aggregierter und randomisierter Form, also in zufälliger Reihenfolge, dargestellt hat. Den Beschwerdeführerinnen hat es Einsicht in diese Auswertungsvermerke gewährt; den weitergehenden Antrag auf Einsicht in die ausgefüllten Antwortbögen - gegebenenfalls nach vorheriger Anonymisierung hat es unter Hinweis auf den erforderlichen Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen der befragten Unternehmen abgelehnt.
Im Beschwerdeverfahren haben die Beschwerdeführerinnen erneut einen Antrag auf weitergehende Akteneinsicht, insbesondere in die - zwar anonymisierten, darüber hinaus aber nicht bearbeiteten - Antwortbögen gestellt. Diesen hat der Senat abgelehnt, nachdem das Bundeskartellamt der weitergehenden Akteneinsicht widersprochen hatte. Mit Beschluss vom 18. März 2025 (KVB 61/23, juris, im Folgenden: Senatsbeschluss) hat der Bundesgerichtshof die Beschwerde gegen den Beschluss des Bundeskartellamts vom 3. April zurückgewiesen. Dagegen wenden sich die Beschwerdeführerinnen mit der Anhörungsrüge.
II. Die gemäß § 69 Abs. 2 GWB zulässige Anhörungsrüge ist nicht begründet.
1. Eine Gehörsverletzung folgt nicht aus einer unzureichenden Gewährung von Akteneinsicht durch den Senat.
a) Die Beschwerdeführerinnen sehen ihren Anspruch auf rechtliches Gehör dadurch verletzt, dass der Senat ihnen ihr verfassungsrechtlich verbürgtes Akteneinsichtsrecht nicht hinreichend gewährt habe. Dadurch, dass ihnen nicht die vollständigen (anonymisierten) Antwortbögen der befragten App-Herausgeber, Hardwarehersteller und Mobilfunkunternehmen zugänglich gemacht worden und insbesondere infolge der Randomisierung der Freitextantworten inhaltliche Zusammenhänge von Antworten nicht mehr erkennbar seien, werde ihnen die Möglichkeit einer effektiven Verteidigung abgeschnitten, der das Recht auf Akteneinsicht diene. Der Senat habe die dem Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen der befragten Unternehmen dienenden Vorschriften der § 56 und § 70 GWB unverhältnismäßig zu ihren Lasten angewendet und insbesondere den Vortrag übergangen, dass eine effektive Würdigung der Antworten auf die Auskunftsersuchen im Hinblick auf den Kontext, die Kohärenz und die Widerspruchsfreiheit einzelner Antworten nur bei Zuordnung jeder einzelnen Antwort zu ein und demselben - wenn auch nicht konkret identifizierbaren - Unternehmen möglich sei.
b) Damit legen die Beschwerdeführerinnen eine Gehörsverletzung indes nicht dar.
aa) Der Senat hat seine Entscheidung nicht auf der Grundlage von Aktenbestandteilen getroffen, die den Beschwerdeführerinnen unbekannt waren und zu denen sie nicht Stellung nehmen konnten. Wie in Rn. 179 des Senatsbeschlusses ausgeführt, hat das Bundeskartellamt seinen Beschluss auf die von ihm erstellten Auswertungsvermerke gestützt, die den Beschwerdeführerinnen zur Kenntnis gegeben worden sind, und im Übrigen nach eigenen Angaben dem Umstand, dass eine bestimmte Auskunft von einem bestimmten, konkreten Unternehmen erteilt worden sei, keine besondere Bedeutung beigemessen. Es hat auch keine Informationen verwendet, die nur durch das Nachvollziehen jeder qualitativen Einzelantwort eines befragten Unternehmens im Kontext aller Antworten dieses Unternehmens zutage getreten wären. Auch der Senat hat seine Entscheidung allein auf Informationen aus den den Beschwerdeführerinnen offengelegten Aktenbestandteilen gegründet. Das ergibt sich bereits daraus, dass, wie im Senatsbeschluss dargelegt (vgl. dort Rn. 157 bis 175, 179), für den Senat keine Veranlassung für eine weitere Sachverhaltsermittlung bestand. Eine solche hätte beispielsweise in der - gerade nicht erfolgten - Verwertung der den Beschwerdeführerinnen nicht offengelegten Aktenbestandteile liegen können.
bb) Soweit die Beschwerdeführerinnen meinen, ihr verfassungsrechtlicher Anspruch auf rechtliches Gehör umfasse - ungeachtet der entgegenstehenden Geheimhaltungsinteressen der betroffenen Unternehmen, welche nach den Erläuterungen des Bundeskartellamts auch im Falle einer Einsicht in zwar anonymisierte, nicht aber randomisierte Antwortbögen verletzt würden - das Recht auf Einsicht auch in nicht verwendete Ermittlungsergebnisse, um daraus Rückschlüsse für ihr Verteidigungsvorbringen zu ziehen, zeigen sie eine Gehörsverletzung nicht auf. Wie der Bundesgerichtshof bereits entschieden hat, verletzt die Nichtgewährung von Akteneinsicht in Rohdaten, die einer den Verfahrensbeteiligten bekannten und vom Gericht verwerteten Auswertung zugrunde liegen, nicht den Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör, sondern betrifft die Sachverhaltsfeststellung durch das Beschwerdegericht (vgl. BGH, Beschluss vom 11. November 2008 - KVR 60/07, BGHZ 178, 285 Rn. 30 - E.ON/Stadtwerke Eschwege). Um solche Rohdaten handelt es sich auch bei den hier in Rede stehenden Fragebögen.
cc) Vor diesem Hintergrund liegt eine Gehörsverletzung durch den Senat entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerinnen auch nicht darin, dass er sie nicht auf die Notwendigkeit weiteren Vortrags dazu hingewiesen hat, bei welchen qualitativen Antworten die Identität des Antwortgebers Einfluss auf den vom Bundeskartellamt zugrunde gelegten Sachverhalt haben könnte. Die entsprechenden Ausführungen im Senatsbeschluss (Rn. 179) beziehen sich auf die vorgenannte und dort zitierte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur ordnungsgemäßen Sachverhaltsfeststellung sowie die dazu aufgestellten Grundsätze. Danach hat das Beschwerdegericht im Regelfall nicht von Amts wegen nachzuprüfen, ob die Daten zuverlässig ermittelt worden sind, sondern ist dies nur dann erforderlich, wenn der Vortrag der Beteiligten oder der Sachverhalt als solcher bei sorgfältiger Überlegung der sich aufdrängenden Möglichkeiten dazu Anlass gibt (BGHZ 178, 285 Rn. 32 - E.ON/Stadtwerke Eschwege). Der Senat hat das Vorbringen der Beschwerdeführerinnen auch nicht dahin unrichtig verstanden, dass es ihr Ziel sei, die Identität der betroffenen Unternehmen zu erfahren. Soweit er darauf hinweist (Rn. 179 aE) die Beschwerdeführerinnen hätten nicht dargelegt, bei welchen qualitativen Antworten von App-Entwicklern, Hardwareherstellern oder Mobilfunkunternehmen die Identität des Antwortgebers Einfluss auf den vom Bundeskartellamt zugrunde gelegten Sachverhalt haben könnte, ist damit ersichtlich die von den Beschwerdeführerinnen gewünschte Vorlage der anonymisierten Fragebögen ohne Randomisierungen gemeint. Auch in der Anhörungsrüge legen die Beschwerdeführerinnen nicht dar, was sie auf den vermissten Hinweis vorgetragen hätten und zeigen insbesondere nicht nachvollziehbar auf, dass sich aus den Antwortbögen ohne Randomisierung Schlüsse hätten ziehen lassen, die die vom Senat getroffenen Feststellungen (siehe dazu insbesondere Senatsbeschluss Rn. 1 bis 6, 33 bis 41, 48 bis 51, 53 bis 69, 72, 81 bis 91, 104 bis 112, 123 bis 135) hätten in Frage stellen oder Anlass für weitere Ermittlungen hätten bieten können.
2. Ohne Erfolg macht die Anhörungsrüge ferner geltend, der Senatsbeschluss verletze die Beschwerdeführerinnen dadurch in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör, dass ihr Antrag auf Durchführung eines Offenlegungsverfahrens nach § 70 Abs. 2 Satz 4 bis 6 GWB hinsichtlich der verwehrten weitergehenden Akteneinsicht unbeachtet geblieben und nicht näher in Erwägung gezogen worden sei. Wie sich aus dem Schreiben des Vorsitzenden vom 22. August 2023 ergibt, hat der Senat diesen Antrag zur Kenntnis genommen, seine Stattgabe aber davon abhängig gemacht, dass im Zeitpunkt der Sachentscheidung die gesetzlichen Voraussetzungen (§ 70 Abs. 2 Satz 4 bis 6 GWB) vorliegen, es also insbesondere für die Entscheidung auf die fraglichen geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen oder Beweismittel ankommt. Dies war indes - wie im Senatsbeschluss (Rn. 157 bis 175, 179) und vorstehend (Rn. 7) ausgeführt - nicht der Fall, sodass es weder einer weiteren Begründung bedurfte, warum kein Offenlegungsverfahren durchzuführen war, noch einer Erörterung der Frage, ob eine Offenlegung im Wege eines In-Camera-Verfahrens in Erwägung zu ziehen sei.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 71 Satz 2 GWB.
Roloff Picker Vogt-Beheim Holzinger Kochendörfer