3 StR 519/24
BUNDESGERICHTSHOF StR 519/24 BESCHLUSS vom 20. August 2025 in der Strafsache gegen wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen ECLI:DE:BGH:2025:200825B3STR519.24.0 Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 20. August 2025 gemäß § 349 Abs. 2 StPO einstimmig beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Halle vom 1. Juli 2024 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Gründe: 1 Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen zu einer Geldstrafe von 130 Tagessätzen zu je 130 € verurteilt. Der Angeklagte beanstandet mit seiner Revision die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
I. 2 Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen ist der Angeklagte seit dem Jahr 2014 Vorsitzender der Fraktion der „Alternative für Deutschland“ (AfD) im Thüringer Landtag, nachdem er zuvor von 1999 an als Geschichtslehrer an verschiedenen Gymnasien tätig war. In einem gesonderten Strafverfahren legte ihm die Staatsanwaltschaft mit Anklage vom 16. Mai 2023 zur Last, am 29. Mai 2021 in Merseburg auf einer Wahlveranstaltung eine Rede mit der Formel „Alles für unsere Heimat, alles für Sachsen-Anhalt, alles für Deutschland“
beendet und dadurch ein Kennzeichen einer ehemaligen nationalsozialistischen Organisation öffentlich verwendet zu haben. Ende November 2023 eröffnete das Oberlandesgericht Naumburg das Verfahren nach vorangehendem abweichendem Beschluss des Landgerichts Halle vor diesem.
In Kenntnis der Anklage und der folgenden Gerichtsentscheidungen nahm der Angeklagte am 12. Dezember 2023 als Redner an einer öffentlichen Veranstaltung der AfD in einer Gaststätte in Gera mit mindestens 200 Teilnehmern teil. Die Reden wurden durch Lautsprecher nach draußen übertragen und dort von wenigstens zwanzig weiteren Personen verfolgt. Die rund 40-minütige Rede des Angeklagten, die sich wesentlich mit Asyl- und Einwanderungspolitik befasste, wurde mit seinem Wissen gefilmt. Gegen Ende der Rede sagte er: „Kämpfen wir gemeinsam und holen uns den verdienten Sieg, lassen Sie uns das auseinanderdividieren. Es wird noch Störversuche geben, es wird noch die ein oder andere Intrige geben, ich stehe ja in einigen Monaten vor der großen Strafkammer des Landes Sachsen-Anhalt, weil ich mal einen Wahlkampfabschluss gemacht habe in einem rhetorischen Dreiklang: ‚Alles für unsere Heimat, alles für Sachsen-Anhalt, alles für... .‘“ Während er die letzten beiden Worte emotionsgeladen aussprach, machte er eine auffordernde Geste. Darauf riefen einige Personen, wie von ihm beabsichtigt, spontan gemeinsam „Deutschland“. Der Angeklagte wusste, dass es sich bei der Parole „Alles für Deutschland“ um eine solche der Sturmabteilung (SA) der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) handelte, und freute sich augenscheinlich, dass Teile des Publikums auf seine Veranlassung die Parole vervollständigt hatten. Ihm war gleichgültig, ob die Rufenden ebenfalls wussten, eine Parole der SA zu komplettieren. Ihren Kenntnisstand hat das Landgericht nicht feststellen können. Ein Video der Veranstaltung wurde später auf einer Internetplattform veröffentlicht. Das daraufhin eingeleitete und das vorangegangene Strafverfahren fanden wegen der Person des Angeklagten großes mediales Interesse.
Die Parole „Alles für Deutschland“ hatte sich die bis ins Jahr 1934 auf über vier Millionen Angehörige angewachsene SA, eine paramilitärische Kampforganisation der NSDAP, öffentlich und während der Zeit des Nationalsozialismus allgemein bekannt „als Geist“ zu eigen gemacht, um propagandistisch auf ihre politischen Ziele und die Zusammengehörigkeit ihrer Anhänger hinzuweisen. Zur SA-Uniform gehörte ein an einem Lederkoppel getragener SA-Dolch, in dessen Klinge die Losung der SA „Alles für Deutschland“ eingraviert war. Bei der Eröffnungsfeier des NSDAP-Parteitages 1934 in der Luitpoldhalle in Nürnberg standen die Worte in Großbuchstaben über dem Podium. In einem Zeitschriftennachruf auf einen verstorbenen SA-Stabschef wurde 1943 aus einer Gedenkrede der damalige Minister Goebbels zitiert: „Viktor Lutze hat das hohe und heilige Gesetz der SA ‚ A l l e s f ü r D e u t s c h l a n d ‘ bis zum letzten Atemzug erfüllt.“ Die SA nutzte propagandistisch zudem die Parole „Deutschland erwache“. Die Parole „Alles für Deutschland“ nahm auch unter Herrschaft des NS-Regimes keine dominierende Rolle ein. Es ist nicht ausgeschlossen, dass sie zuvor und in den ersten Nachkriegsjahren – ebenso wie später noch – anderweitig verwendet wurde, etwa durch die nationalliberale Bewegung im 19. Jahrhundert, die Sozialdemokratische Partei Deutschlands während der Weimarer Republik und die evangelische Kirche. In Publikationen zu Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen wird sie teils erwähnt, teils nicht. Die SA wurde in den Nürnberger Prozessen aufgrund ihrer weitgehenden Bedeutungslosigkeit nach dem RöhmPutsch 1934 nicht zur verbrecherischen Organisation erklärt.
II.
Die Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg.
1. Aus der Stellung des Angeklagten als Abgeordneter des Thüringer Landtags ergibt sich kein Prozesshindernis der Immunität nach § 152a StPO,
Art. 55 Abs. 2 Satz 1 ThürVerf, da der Rechtsausschuss des Thüringer Landtags der Einleitung des Ermittlungsverfahrens und der Anklageerhebung zugestimmt hat.
2. Der strafrechtlichen Ahndung steht zudem keine Indemnität nach Art. 55 Abs. 1 Satz 1 ThürVerf entgegen. Dies gilt unabhängig davon, ob man diese als ein besonderes Verfahrenshindernis oder einen persönlichen Schuldausschließungsgrund wertet und ob die landesverfassungsrechtliche Regelung des Art. 55 Abs. 1 Satz 1 ThürVerf die bundesgesetzlich in § 36 StGB normierte Abgeordnetenindemnität mit Blick auf Art. 31 GG erweitern kann; denn die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 55 Abs. 1 Satz 1 ThürVerf liegen nicht vor. Sie erfordern nach gefestigter Rechtsprechung einen inneren Bezug der Äußerung zur Arbeit im Parlament (s. dazu im Einzelnen BGH, Beschluss vom 20. August 2025 – 3 StR 484/24), der hier nicht gegeben ist.
Der Angeklagte hielt die Rede nicht in Ausübung seines Landtagsmandates. Ein Konnex zu seiner Parlamentsarbeit bestand nicht. Selbst wenn das Werben für eine gesetzliche Regelung außerhalb des unmittelbaren parlamentarischen Bereichs, wie etwa durch Interviews in den Medien, – zumindest in anderem Zusammenhang – noch als Teil der Mandatsausübung gefasst werden kann (vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. Dezember 2019 – 1 BvL 7/18, BVerfGE 152, 332 Rn. 12), führt dies hier zu keinem anderen Ergebnis. Bei der allgemein gehaltenen Rede ging es nicht um ein bestimmtes, vom Thüringer Landtag behandeltes Gesetzesvorhaben oder sonstige Inhalte mit Bezug zum Landtag, sondern allgemein um maßgeblich in Bundeskompetenz liegende Gesichtspunkte der Asylund Einwanderungspolitik (vgl. Art. 73 Abs. 1 Nr. 2 und 3, Art. 74 Abs. 1 Nr. 4 und 6 GG).
Da das Landgericht die Äußerungen des Angeklagten ebenfalls nicht als von Art. 55 Abs. 1 Satz 1 ThürVerf erfasst gesehen hat, liegt die von der Revision geltend gemachte Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) nicht vor. Das Landgericht hat eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Frage einer Derogation des Art. 55 ThürVerf bereits deshalb nicht gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 2 GG einholen können, weil es nach seiner Wertung darauf nicht angekommen ist (vgl. zum Erfordernis der Entscheidungserheblichkeit etwa BVerfG, Beschluss vom 4. Juli 2024 – 1 BvL 5/24, NJW 2024, 2827 Rn. 8 mwN).
3. Die von der Revision gerügte Zuständigkeit des Landgerichts Halle hat sowohl in sachlicher als auch in örtlicher Hinsicht bestanden (vgl. zur sachlichen Zuständigkeit näher BGH, Beschlüsse vom 20. August 2025 – 3 StR 484/24; vom 7. März 2012 – 1 StR 6/12, BGHSt 57, 165 Rn. 14). Der Gerichtsstand bei zusammenhängenden Strafsachen nach § 13 Abs. 1 StPO wird nicht erst durch deren Verbindung begründet und bleibt auch dann bestehen, wenn der Zusammenhang entfällt, nachdem unter Benutzung dieses Gerichtsstands Anklage erhoben und dementsprechend das Hauptverfahren eröffnet worden ist (s. BGH, Beschluss vom 20. Dezember 1961 – 2 ARs 158/61, BGHSt 16, 391, 393; Urteil vom 9. Juni 1993 – 3 StR 49/93, BGHR StPO § 344 Abs. 2 Satz 2 Zuständigkeit 1).
4. Die weiteren Verfahrensrügen haben, wie in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts näher dargelegt, ebenfalls keinen Erfolg.
5. Die auf die Sachrüge veranlasste umfassende materiellrechtliche Nachprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erbracht.
a) Die vom Landgericht getroffenen Feststellungen werden durch die Beweiswürdigung belegt. Dabei hat es zum äußeren Ablauf der Tat maßgeblich die von der Rede gefertigte Videoaufnahme herangezogen. Zur Nutzung der Parole durch die SA hat es insbesondere auf die aus Unterlagen entnommene Gravur des SA-Dolchs sowie den zitierten Nachruf abgestellt und daraus mögliche Schlüsse gezogen. Den subjektiven Tatbestand hat die Strafkammer unter anderem aus der Kenntnis des Angeklagten von dem früheren Strafverfahren und weiteren Äußerungen von ihm hergeleitet, ohne dass dies revisionsrechtlich zu beanstanden ist.
b) Die Feststellungen tragen den Schuldspruch wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen gemäß § 86a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 1, § 86 Abs. 1 Nr. 4 StGB.
aa) Bei der Parole „Alles für Deutschland“ handelt es sich um ein Kennzeichen einer ehemaligen nationalsozialistischen Organisation im Sinne der genannten Vorschriften (s. dazu im Einzelnen BGH, Beschluss vom 20. August 2025 – 3 StR 484/24).
bb) Der Angeklagte verwendete die Parole öffentlich in einer Versammlung, obschon er lediglich einen Teil davon selbst sprach. Wie die Strafkammer zutreffend ausgeführt hat, sind ihm Rufe, die auf seine Aufforderung die Formel ergänzten, wahlweise im Wege der Mittäterschaft (§ 25 Abs. 2 StGB) oder der mittelbaren Täterschaft (§ 25 Abs. 1 Alternative 2 StGB) zuzurechnen. Hatten die Rufenden Kenntnis, dass es sich um eine Parole der SA handelte, wirkten sie mit dem Angeklagten als Mittäter zusammen, da sie im Rahmen einer konkludenten Übereinkunft ihre Tatbeiträge so in die gemeinschaftliche Tat einfügten, dass sie als Teil der Handlung des Angeklagten und umgekehrt dessen Tun als Ergänzung des eigenen Anteils erschienen. Fehlte ihnen die Kenntnis, waren sie vorsatzlose Tatmittler des Angeklagten. Da das Landgericht aufgrund der Beweisaufnahme nicht hat aufklären können, inwieweit Kenntnis bestand, hat es die Zurechnung nach den Grundsätzen der Wahlfeststellung alternativ vornehmen dürfen (vgl. BGH, Urteil vom 16. Dezember 1969 – 1 StR 339/69, BGHSt 23, 203, 208; Beschluss vom 8. Mai 2017 – GSSt 1/17, BGHSt 62, 164; BVerfG, Beschluss vom 5. Juli 2019 – 2 BvR 167/18, NJW 2019, 2837). Voraussetzung einer Wahlfeststellung ist die Ausschöpfung aller Beweis-, nicht aller Ermittlungsmöglichkeiten.
cc) Es liegt keine Ausnahme vor, bei welcher der Schutzzweck der Norm nicht berührt wird oder die Handlung einem der sich aus § 86 Abs. 4, § 86a Abs. 3 StGB ergebenden Zwecke dient und daher der Tatbestand ausgeschlossen ist. Wie das Landgericht beanstandungsfrei näher dargelegt hat, war der Schutzzweck betroffen (vgl. auch BGH, Beschluss vom 20. August 2025 – 3 StR 484/24 mwN). Im Übrigen diente das Vorgehen des Angeklagten weder der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens noch ähnlichen Zwecken. Zwar kommt grundsätzlich in Betracht, dass im Rahmen von Mitteilungen über ein laufendes – eigenes oder fremdes – Strafverfahren die Wiedergabe eines Kennzeichens zulässig sein kann. Allerdings ist die Grenze zur Strafbarkeit überschritten, wenn die Information der Öffentlichkeit über Propagandamittel oder Kennzeichen nur ein Vorwand ist, um in Wahrheit eine propagandistische Wirkung zu erzielen (vgl. BGH, Urteil vom 9. April 1997 – 3 StR 387/96, BGHSt 43, 41, 45; s. auch LK/Steinsiek, StGB, 13. Aufl., § 86 Rn. 9: Privilegierung nur für Berichterstattung in sachlicher Form). Ähnliches gilt, soweit die Erörterung von strafrechtlichen Vorwürfen unter Gesichtspunkten einer Verteidigung als rechtmäßig angesehen wird (vgl. zu Verteidigererklärungen BGH, Urteile vom 6. April 2000 – 1 StR 502/99, BGHSt 46, 36, 45 f.; vom 10. April 2002 – 5 StR 485/01, BGHSt 47, 278, 282 f.).
Hieran gemessen scheidet eine Zulässigkeit der Äußerung gleichsam als Berichterstattung oder Verteidigung in eigener Sache aus. Nach dem Inhalt der Rede und dem näheren Ablauf liegt eine Information über das Strafverfahren fern, das lediglich als Aufhänger angesprochen, aber nicht weiter thematisiert wurde. Hinzu kommt, dass es dem Angeklagten darauf ankam, dass das Publikum die Parole auf seine gestikulierende Aufforderung vervollständigte, und er der Meinung war, die von der SA genutzte Parole wieder „sagbar“ und politisch nutzbar machen zu müssen. Überdies handelte es sich nicht um eine Äußerung innerhalb eines Strafverfahrens, sondern im Rahmen einer politischen Rede.
dd) Vor dem dargelegten Hintergrund stellt § 86a Abs. 1 StGB sowohl abstrakt als auch in seiner konkreten Anwendung eine zulässige Einschränkung der Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 GG, Art. 10 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 EMRK dar (vgl. allgemein BVerfG, Beschluss vom 23. März 2006 – 1 BvR 204/03, BVerfGK 7, 452; EGMR, Entscheidung vom 13. März 2018 – 35285/16, juris Rn. 54 ff.). Hierbei ist zu berücksichtigen, dass Gegenstand des strafrechtlichen Vorwurfs nicht der Inhalt einer Äußerung, sondern die Verwendung des Kennzeichens einer nationalsozialistischen Organisation als abstraktes Gefährdungsdelikt ist.
c) Der Rechtsfolgenausspruch lässt keinen Rechtsfehler erkennen.
6. Da die Voraussetzungen des § 349 Abs. 2 StPO vorliegen und die hier zu beurteilenden wesentlichen Rechtsfragen durch die Rechtsprechung bereits geklärt sind (vgl. BVerfG, Beschluss vom 30. September 2022 – 2 BvR 2222/21, NJW 2022, 3413), besteht – zumal unter den Gesichtspunkten der Verfahrensbeschleunigung und Prozessökonomie – kein Anlass für die Durchführung einer Revisionshauptverhandlung. Die von der Verteidigung angeregte Verbindung mit
- 10 dem gesonderten Verfahren 3 StR 484/24 ist trotz inhaltlicher Überschneidungen nicht sachdienlich, weil revisionsrechtlicher Prüfungsgegenstand die im jeweiligen Verfahren erhobenen und allein dieses betreffenden Beanstandungen sind.
Schäfer Anstötz Ri'inBGH Dr. Erbguth befindet sich im Urlaub und ist deshalb gehindert zu unterschreiben.
Schäfer Ri'inBGH Munk befindet sich im Urlaub und ist deshalb gehindert zu unterschreiben.
Kreicker Schäfer Vorinstanz: Landgericht Halle, 01.07.2024 - 5 KLs 8/24 802 Js 11001/24