StB 21/22
BUNDESGERICHTSHOF StB 21/22 BESCHLUSS vom 1. Juni 2022 in dem Strafverfahren gegen wegen Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat u.a. hier: Haftbeschwerde ECLI:DE:BGH:2022:010622BSTB21.22.0 Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Angeklagten am 1. Juni 2022 gemäß § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 1 StPO beschlossen:
1. Die Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 28. April 2022 wird verworfen.
2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Gründe:
I.
Der Angeklagte befand sich in dieser Sache in der Zeit vom 27. April 2017 bis 29. November 2017 in Untersuchungshaft. Seit dem 13. Februar 2022 ist er erneut inhaftiert, zunächst aufgrund des Haftbefehls des Vorsitzenden des mit dem Hauptverfahren befassten Staatsschutzsenats des Oberlandesgerichts vom 12. Februar 2022, sodann aufgrund des Haftbefehls dieses Senats vom 14. Februar 2022.
Gegenstand des gegenwärtig vollzogenen Haftbefehls ist der Vorwurf, der Angeklagte habe ab November 2015 eine schwere staatsgefährdende Gewalttat, nämlich eine Straftat gegen das Leben in den Fällen des § 211 StGB oder des § 212 StGB oder gegen die persönliche Freiheit in den Fällen des § 239a StGB oder des § 239b StGB, die nach den Umständen bestimmt und geeignet gewesen sei, den Bestand oder die Sicherheit eines Staates oder einer internationalen Organisation zu beeinträchtigen, vorbereitet, indem er sich Waffen beschafft und diese verwahrt habe, und dabei durch dieselbe Handlung eine halbautomatische Kurzwaffe zum Verschießen von Patronenmunition besessen und geführt sowie zwei weitere Waffen besessen, ohne Genehmigung nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz die tatsächliche Gewalt über Kriegswaffen im Sinne von § 1 Abs. 1 KrWaffKG ausgeübt, sei ohne die erforderliche Erlaubnis entgegen § 27 SprengG mit explosionsgefährlichen Stoffen im Sinne von § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 4 SprengG umgegangen und habe fremde bewegliche Sachen einem anderen in der Absicht weggenommen, sie sich rechtswidrig zuzueignen, sowie in zwei weiteren Fällen einen Betrug begangen, strafbar gemäß § 89a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2, § 242 Abs. 1, § 263 Abs. 1, § 52 Abs. 1, § 53 StGB, § 52 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b, Abs. 3 Nr. 2 Buchst. a und b, § 1 Abs. 2 bis 4, § 2 Abs. 2 WaffG, Anlage 1 Abschnitt 1 Unterabschnitt 1 Nr. 1.1, 2.2, 2.5, Unterabschnitt 3 Nr. 1.1, 1.2, 1.4.1 zum WaffG in Verbindung mit Anlage 2 Abschnitt 2 Unterabschnitt 1 Satz 1 zum WaffG, § 22a Abs. 1 Nr. 6 Buchst. a KrWaffKG in Verbindung mit Nr. 50 der Anlage zu § 1 Abs. 1 KrWaffKG, § 40 Abs. 1 Nr. 3, § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 4 in der bis zum 30. Juni 2017 geltenden Fassung, § 27 SprengG.
Der Generalbundesanwalt hat am 1. Dezember 2017 Anklage erhoben. Nach Eröffnung des Hauptverfahrens dauert die Hauptverhandlung seit dem 20. Mai 2021 an. Bis zum 13. Mai 2022 ist an 33 Tagen verhandelt worden.
Auf den Haftprüfungsantrag des Angeklagten vom 8. April 2022 hat das Oberlandesgericht mit Beschluss vom 28. April 2022 die Haftfortdauer angeordnet. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Beschwerde. Er macht - unter Bezugnahme auf seinen Haftprüfungsantrag - insbesondere geltend, es bestehe kein dringender Tatverdacht hinsichtlich der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat, es lägen keine Haftgründe vor und der weitere Vollzug der Untersuchungshaft sei unverhältnismäßig.
Mit Beschluss vom 13. Mai 2022 hat das Oberlandesgericht der Beschwerde nicht abgeholfen.
II.
Die nach § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 1 StPO statthafte und auch im Übrigen zulässige (§ 306 Abs. 1 StPO) Beschwerde bleibt in der Sache ohne Erfolg.
1. Der Angeklagte ist der ihm im Haftbefehl vom 12. Februar 2022 in der Fassung des Beschlusses des Oberlandesgerichts vom 14. Februar 2022 und dessen Haftfortdauerbeschlusses vom 28. April 2022 angelasteten Taten dringend verdächtig.
a) Im Sinne eines solchen Verdachts ist von folgendem Sachverhalt auszugehen:
aa) Der Angeklagte, ein Oberleutnant der Bundeswehr, ließ sich im Jahr in der Bundesrepublik unter der fiktiven Identität "
" bzw.
" " als syrischer Flüchtling registrieren. Das Asylverfahren führte im Dezember 2016 zur Anerkennung des subsidiären Schutzstatus. Der Legende entsprechend beantragte der Angeklagte zunächst Geld- und Sachleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, später nach dem Sozialgesetzbuch II,
obwohl er wusste, dass er keinen Anspruch darauf hatte. Irrtumsbedingt wurden ihm die beantragten Leistungen gewährt. Die an ihn ausgezahlten Geldbeträge erstattete er inzwischen vollständig.
bb) Der Angeklagte war am 22. Januar 2017 im Besitz einer mit sieben Patronen geladenen halbautomatischen Selbstladepistole des Herstellers Manufacture d'Armes des Pyrénées Françaises (M.A.P.F.), Modell Rr, Kaliber 7,65 mm Browning, die er in einer Toilettenanlage im Flughafen W.
versteckte. Daneben besaß er von April 2016 bis zum 26. April 2017 ein Gewehr der Marke Heckler & Koch G 3 sowie spätestens ab Mitte 2016 ein halbautomatisches Selbstladegewehr, Kaliber 22 long rifle, des Herstellers Landmann-Preetz und eine Pistole FN Browning, Kaliber 7,65 mm. Des Weiteren verschaffte er sich aus den Beständen der Bundeswehr 51 Sprengkörper (eine Übungsgranate,
neun Nebelhandgranaten, 20 Knallsätze für Nebelhandgranaten, eine Rauchgranate und 20 Sprengkörper "Schiedsrichterwurfkörper"), 1.051 Schuss Munition,
eine Anzündschnur, ein Oberteil einer Übungshandgranate mit eingebautem Knallsatz, drei Patronengurte und einen Gurtkasten für Maschinengewehre sowie ein Magazin für das Gewehr G 3.
Beim Erlangen und Besitzen der Schusswaffen war er fest entschlossen, eine schwere staatsgefährdende Gewalttat zu begehen. Er wollte aufgrund seiner völkisch-nationalistischen, antisemitischen und von Fremdenhass geprägten Gesinnung hochrangige Politiker und Personen des öffentlichen Lebens, die sich durch ihr "flüchtlingsfreundliches" Engagement auszeichneten, angreifen und töten. Zu seinen Opfern sollten unter anderem eine bekannte Politikerin sowie eine Journalistin und Stiftungsgründerin zählen.
b) Der dringende Tatverdacht ergibt sich aus den vom Oberlandesgericht in der Hauptverhandlung gewonnenen Erkenntnissen.
aa) Die Beurteilung des dringenden Tatverdachts, die das erkennende Gericht während laufender Hauptverhandlung vornimmt, unterliegt im Haftbeschwerdeverfahren nur in eingeschränktem Umfang der Nachprüfung durch das Beschwerdegericht (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 21. September 2020 - StB 28/20, juris Rn. 16 f.; vom 12. Januar 2022 - StB 40/21, juris Rn. 10,
jeweils mwN). Allein das Gericht, vor dem die Beweisaufnahme stattfindet, ist in der Lage, deren Ergebnisse aus eigener Anschauung festzustellen und zu würdigen sowie auf dieser Grundlage zu bewerten, ob der dringende Tatverdacht nach dem erreichten Verfahrensstand noch fortbesteht oder dies nicht der Fall ist. Das Beschwerdegericht hat demgegenüber keine eigenen unmittelbaren Erkenntnisse über den Verlauf der Beweisaufnahme. Allerdings muss das Beschwerdegericht in die Lage versetzt werden, seine Entscheidung über das Rechtsmittel des Angeklagten auf einer hinreichend tragfähigen tatsächlichen Grundlage zu treffen, damit den erhöhten Anforderungen, die nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts an die Begründungstiefe von Haftfortdauerentscheidungen zu stellen sind (s. etwa Beschluss vom 17. Januar 2013 - 2 BvR 2098/12, StV 2013, 640 Rn. 42 ff.), ausreichend Rechnung getragen werden kann. Daraus folgt indes nicht, dass das Tatgericht alle bislang erhobenen Beweise in der von ihm zu treffenden Entscheidung einer umfassenden Darstellung und Würdigung unterziehen muss. Die abschließende Bewertung der Beweise und ihre entsprechende Darlegung sind den Urteilsgründen vorbehalten. Das Haftbeschwerdeverfahren führt insoweit nicht zu einem über die Nachprüfung des dringenden Tatverdachts hinausgehenden Zwischenverfahren, in dem sich das Tatgericht zu Inhalt und Ergebnis aller Beweiserhebungen erklären müsste; es genügt, wenn das erkennende Gericht darlegt, auf welche in der Hauptverhandlung erhobenen Beweise es den dringenden Tatverdacht stützt. Deren Bewertung bedarf es regelmäßig nicht (vgl. BGH, Beschlüsse vom 5. Februar 2015 - StB 1/15, BGHR StPO § 304 Abs. 4 Haftbefehl 3 Rn. 5; vom 21. April 2016 - StB 5/16, NStZ-RR 2016, 217 mwN; vom 29. September 2016 - StB 30/16, NJW 2017, 341 Rn. 7; vom 21. September 2020 - StB 28/20, juris Rn. 16). Das Beschwerdegericht prüft die Ausführungen in der Haftentscheidung zu den Erkenntnissen der Hauptverhandlung auf ihre Nachvollziehbarkeit und Plausibilität (vgl. BGH, Beschlüsse vom 2. September 2003 - StB 11/03, BGHR StPO
§ 117 Begründung 1; vom 26. Mai 2020 - StB 15/20, juris Rn. 12). Es beanstandet die Annahme des dringenden Tatverdachts, soweit die Würdigung des Erstgerichts offensichtliche Mängel aufweist, welche die Beurteilung der Verdachtslage als unvertretbar erscheinen lassen (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2003 - StB 21/03, BGHR StPO § 112 Tatverdacht 3; ferner BGH, Beschlüsse vom 21. April 2016 - StB 5/16, juris Rn. 12 [insoweit in NStZ-RR 2016, 217 nicht abgedruckt]; vom 12. Januar 2022 - StB 40/21, juris Rn. 10).
bb) Diesen Anforderungen genügen die Ausführungen des Oberlandesgerichts zur Beweislage in der angefochtenen Haftentscheidung und dem Nichtabhilfebeschluss, auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird. Die Inhalte der erhobenen Beweise, die für seine Überzeugungsbildung maßgebend gewesen sind, hat es konkret dargelegt. In seinen Entscheidungen hat es sich mit den wesentlichen Beweismitteln eingehend auseinandergesetzt und dabei sowohl die Einlassung des Angeklagten als auch das Verteidigervorbringen im Haftprüfungsantrag sowie in der Beschwerdeschrift in den Blick genommen.
Insbesondere hat das Oberlandesgericht die von dem Angeklagten verfasste Masterarbeit, eine Vielzahl von ihm erstellter Aufzeichnungen, Sprachmemos sowie Äußerungen gegenüber Zeugen ausgewertet und hieraus nachvollziehbare Schlüsse auf eine völkisch-nationalistische, antisemitische und von Fremdenhass geprägte Gesinnung des Angeklagten gezogen. Daneben hat es die Grundlagen für seine vorläufige Wertung aufgezeigt, dass der Angeklagte plante, gewalttätig gegen namentlich benannte Politiker und Personen des öffentlichen Lebens vorzugehen. Hierfür hat es vor allem weitere von ihm gefertigte Notizen und Tonaufnahmen herangezogen und die für seine Überzeugungsbildung maßgebenden Inhalte wiedergegeben. Ergänzend hat es Beweiserkenntnisse dazu berücksichtigt, dass der Angeklagte die Arbeitsstätte eines der potentiellen Opfer aufsuchte, in zeitlichem Zusammenhang hierzu Schießübungen durchführte und Zubehör für seine Waffen beschaffte. Den dringenden Tatverdacht bezüglich der Vorwürfe des Betruges sowie des Besitzes verschiedener Waffen und unter das Sprengstoffgesetz fallender Gegenstände hat es auf die geständige Einlassung des Angeklagten gestützt.
Soweit sich der Beschwerdeführer gegen das vorläufige Beweisergebnis des Staatschutzsenats wendet, ersetzt er lediglich dessen Bewertung durch seine eigene, zeigt jedoch keinen offensichtlichen Fehler in der gerichtlichen Würdigung auf, der es unvertretbar erscheinen lässt, den Tatverdacht gegen ihn im gegenwärtigen Verfahrensstand als dringend zu erachten.
2. Es besteht jedenfalls der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO). Es kann deshalb dahinstehen, ob daneben auch der im Haftbefehl zusätzlich angenommene Haftgrund der Verdunkelungsgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 3 StPO) gegeben ist.
a) Der Haftgrund der Fluchtgefahr liegt vor, weil es die Würdigung sämtlicher Umstände wahrscheinlicher macht, dass sich der Angeklagte dem Verfahren entziehen, als dass er sich ihm zur Verfügung halten werde.
Die insbesondere für eine Verurteilung wegen Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat zu erwartende Sanktion ist - auch unter Berücksichtigung der anzurechnenden, unter Heranziehung der im Jahr 2017 bereits erlittenen siebenmonatigen Freiheitsentziehung nunmehr nahezu elf Monate andauernden Untersuchungshaft (zur sog. Nettostraferwartung s. BGH, Beschluss vom 2. November 2016 - StB 35/16, juris Rn. 9 mwN) - so hoch, dass sie geeignet ist, einen großen Fluchtanreiz auszuüben. Daneben fallen vor allem die Sprachkenntnisse des Angeklagten, seine Kontakte nach Frankreich und gefestigte familiäre Beziehungen nach Großbritannien ins Gewicht. Seine familiären und sozialen Verbindungen innerhalb der Bundesrepublik sind hingegen nicht geeignet, dem erheblichen Fluchtanreiz entgegenzuwirken. Die Verlobte des Angeklagten geht keiner geregelten Arbeitstätigkeit nach. Ein Untertauchen, gegebenenfalls mit den drei nicht schulpflichtigen Kindern, erscheint deshalb möglich. Im Fall einer Verurteilung ist zudem mit der Beendigung des Dienstverhältnisses bei der Bundeswehr zu rechnen, was den Verlust der finanziellen Lebensgrundlage des Angeklagten und seiner Familie im Inland zur Folge hätte.
Der Annahme von Fluchtgefahr steht nicht entgegen, dass sich der Angeklagte bisher an jedem Tag der Hauptverhandlung gestellt hat und in der Vergangenheit nach seiner ersten Inhaftierung mehrfach im Ausland, insbesondere in Frankreich und Großbritannien, war. Denn im Zeitraum vor seiner Inhaftierung hat er nicht davon ausgehen müssen, dass eine Verurteilung wegen Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat ernsthaft im Raum steht. Das Oberlandesgericht hat zunächst in seinem Beschluss vom 7. Juni 2018 seine damalige Rechtsauffassung dargelegt, dass die Ermittlungsergebnisse keinen hinreichenden Verdacht einer solchen Tat begründet hätten. Auch unter Berücksichtigung der von der Verteidigung vorgetragenen Gespräche über die Möglichkeit eines derartigen Schuldspruchs bestand für den Angeklagten mangels anderweitiger Hinweise des Staatsschutzsenats kein Grund für die Annahme, er werde insoweit verurteilt. Spätestens nach seiner Festnahme aufgrund des Haftbefehls vom 12. Februar 2022 ist für ihn jedoch hinreichend deutlich geworden, dass das Oberlandesgericht an seiner im Zwischenverfahren vertretenen Auffassung nicht mehr festhält. Diesem Umstand kommt umso mehr Gewicht zu, als sich ein Ende der Hauptverhandlung abzeichnet. Deshalb spricht gegen die Annahme von Fluchtgefahr auch nicht, dass der Angeklagte zwischen seiner Freilassung nach der vorläufigen Festnahme am 11. Februar 2022 und der erneuten Inhaftierung am 13. Februar 2022 nicht untergetaucht ist, sondern zunächst für die Folgewoche einen Termin bei einer Rechtsanwältin vereinbart hat. Es liegt vielmehr nahe, dass er sich bei günstiger Gelegenheit der verbleibenden Verhandlung und der Strafvollstreckung entziehen könnte.
Schließlich ist der Angeklagte mit konspirativen Verhaltensweisen vertraut, die einem Leben im Untergrund dienlich wären. Zum einen ist er erprobt in der Errichtung und längerfristigen Aufrechterhaltung einer Scheinidentität. Zum anderen verfügte er bereits in der Vergangenheit über eine Vielzahl unter verschiedenen Alias-Personalien eröffneter E-Mail-Konten und registrierter Mobilfunknummern. Soweit sich der Angeklagte dahin eingelassen hat, er habe diese für einen Katastrophenfall eingerichtet, vermag dies aus den nachvollziehbaren Gründen des Nichtabhilfebeschlusses (s. dort S. 20) nicht zu überzeugen. Zum Zeitpunkt seiner Festnahme am 11. Februar 2022 besaß der Angeklagte erneut 24 Mobiltelefone, 50 Prepaid-Karten und mehr als 50 weitere SIM-Karten.
b) Eine Außervollzugsetzung des Haftbefehls (§ 116 Abs. 1 StPO) ist nicht erfolgversprechend. Unter den gegebenen Umständen kann der Zweck der Untersuchungshaft nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen erreicht werden.
3. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und der im Fall einer Verurteilung zu erwartenden Strafe (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO). Das Verfahren ist seit der erneuten Inhaftierung des Angeklagten mit der in Haftsachen gebotenen Zügigkeit geführt worden. Das Vorbringen der Verteidigung, dass die Verhandlung seither nicht durchschnittlich an zwei Tagen pro Woche durchgeführt worden sei, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Zum einen ist bei der Festnahme des Angeklagten und der anschließenden Durchsuchung eine Vielzahl von Gegenständen, insbesondere eine Fülle von schriftlichen Unterlagen und Datenträgern, darunter vier Computer, vier Speicherkarten, zwei USB-Sticks, 24 Mobiltelefone, 50 Prepaid-Karten und mehr als 50 weitere SIM-Karten, sichergestellt worden, deren Inhalt auf Relevanz für das Verfahren hat überprüft werden müssen. Das mit der Auswertung beauftragte Bundeskriminalamt hat die Angelegenheit mit erheblichem Personalaufwand priorisiert behandelt und am 5. Mai 2022 den letzten von mehr als 60 Auswertevermerken vorgelegt. Ab dem 24. Februar 2022 sind die relevanten Ermittlungsergebnisse in die Hauptverhandlung durch Vernehmung von Zeugen, Verlesen und Inaugenscheinnahme eingeführt worden. Über Vermerke im Umfang von 120 Seiten hat das Oberlandesgericht im Wege des Selbstleseverfahrens Beweis erhoben.
Zum anderen hat das Prozessverhalten der Verteidigung zur Folge gehabt, dass das Beweisprogramm nicht wie beabsichtigt hat durchgeführt werden können. Dies hat bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Haftfortdauer unabhängig von einer Bewertung des Verhaltens als nicht sachdienlich Berücksichtigung zu finden (s. BGH, Beschlüsse vom 22. September 2016 - StB 29/16, NStZ-RR 2017, 18, 19; vom 3. Mai 2019 - AK 15/19 u.a., NJW 2019, 2249 Rn. 36, 38; vom 21. September 2020 - StB 28/20, juris Rn. 49). Insoweit ist insbesondere Folgendes von Bedeutung:
Am 20. Januar 2022 hat der Vorsitzende mitgeteilt, das von Amts wegen beabsichtigte Beweisprogramm sei erledigt. Die von der Verteidigung angekündigten 15 Beweisanträge sind nicht in der hierfür gesetzten Frist bis 3. Februar 2022 gestellt worden. Auch nach Gewährung einer Fristverlängerung hat die Verteidigung zunächst nur wenige Anträge angebracht, weshalb in Ermangelung eines Beweisprogramms Termine haben aufgehoben werden müssen. Sie hat jeweils um mehr Zeit gebeten, um die Anträge mit dem nunmehr inhaftierten Angeklagten zu besprechen. Der konkrete Verlauf der Hauptverhandlung beruht daher zumindest auch auf dem Prozessverhalten der Verteidiger des Angeklagten.
Hinzu kommt, dass ein Hauptverhandlungstag aufgrund der Erkrankung eines Senatsmitglieds hat aufgehoben werden müssen. Zudem hat das Verfahren wegen der positiven Testung des Angeklagten auf das Corona-Virus nicht in dem vom Vorsitzenden mitgeteilten Zeitraum abgeschlossen werden können. Die Urteilsverkündung war für den Fall, dass keine weiteren Beweisanträge in einer bis 16. Mai 2022 gestellten Frist eingehen, für den 30. Mai 2022 geplant. Derzeit ist ein Abschluss des Verfahrens am 13. Juni 2022 anvisiert.
Schäfer Berg Erbguth