Paragraphen in X ZR 56/22
Sortiert nach der Häufigkeit
Häufigkeit | Paragraph | |
---|---|---|
12 | 651 | BGB |
1 | 128 | ZPO |
1 | 563 | ZPO |
Sortiert nach dem Alphabet
Häufigkeit | Paragraph | |
---|---|---|
12 | 651 | BGB |
1 | 128 | ZPO |
1 | 563 | ZPO |
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES X ZR 56/22 URTEIL in dem Rechtsstreit Verkündet am: 28. Januar 2025 Wieseler Justizobersekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle ECLI:DE:BGH:2025:280125UXZR56.22.0 Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat im schriftlichen Verfahren nach § 128 Abs. 2 ZPO mit Schriftsatzfrist bis 2. Januar 2025 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Bacher, die Richter Hoffmann und Dr. Deichfuß und die Richterinnen Dr. Marx und Dr. von Pückler für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil der 24. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 28. April 2022 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen Tatbestand:
Der Kläger beansprucht die Rückzahlung des Reisepreises für zwei Reisen.
Der Kläger buchte bei der Beklagten eine Busreise "Riviera & Meer 2020", die vom 7. bis 13. März 2020 stattfinden sollte. Den Reisepreis in Höhe von 634 Euro hat er vollständig bezahlt.
Ferner buchte der Kläger eine Reise "Lago di Garda & Verona", die vom 28. September bis 1. Oktober 2020 stattfinden sollte. Hierfür leistete er eine Anzahlung in Höhe von 266,40 Euro.
Am 6. März 2020 erklärte der Kläger telefonisch den Rücktritt von der ersten Reise aus gesundheitlichen Gründen. Am Tag darauf trat er von der zweiten Reise aus persönlichen Gründen zurück. Mit E-Mail vom 24. März 2020 teilte er mit, die Reisen allein infolge des Corona-Virus storniert zu haben.
Die erste Reise wurde am ersten Reisetag abgebrochen. Die zweite Reise wurde nicht durchgeführt. Die Beklagte erstattete dem Kläger für die erste Reise 115,60 Euro und für die zweite Reise 57,60 Euro.
Das Amtsgericht hat die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung von 727,20 Euro nebst Zinsen und Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten verurteilt. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage. Der Kläger tritt dem Rechtsmittel entgegen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Revision ist begründet und führt zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
Der Kläger könne die Rückzahlung des noch nicht zurückerstatteten Anteils des Reisepreises und der Anzahlung verlangen. Die Beklagte könne nicht mit einem Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung aufrechnen, da die Voraussetzungen des § 651h Abs. 3 BGB bezüglich beider Reisen erfüllt seien.
Die Corona-Pandemie habe im Frühjahr 2020 zu einer nahezu weltweiten Abschottung und zur Annullierung internationaler Flüge geführt und stelle einen unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umstand im Sinne von § 651h Abs. 3 BGB dar.
Der Kläger schulde gemäß § 651h Abs. 3 BGB keine Entschädigungsleistung. Dies gelte unabhängig davon, ob im Zeitpunkt seiner Rücktrittserklärung nach einer ex-ante-Betrachtung bereits hinreichende Anhaltspunkte bestanden hätten, dass die vom Reiseveranstalter geplante Reise infolge der Corona-Pandemie nicht stattfinden kann. Eine ex-ante-Betrachtung sei jedenfalls dann nicht maßgeblich, wenn der Reiseveranstalter die Reise vor deren Beginn selbst aufgrund eines unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umstandes abgesagt habe. Der im Streitfall erfolgte Abbruch der ersten Reise sei einer kompletten Nichtdurchführung gleichzusetzen.
Inwieweit § 651h Abs. 3 BGB ein Berufen des Reisenden auf die CoronaPandemie als unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umstand erfordere, bedürfe im Streitfall keiner Entscheidung, da der Rücktritt des Klägers vorliegend auf der Corona-Pandemie beruht habe. Eine Rücktrittserklärung aus gesundheitlichen bzw. persönlichen Gründen sei unter Berücksichtigung der E-Mail des Klägers vom 24. März 2020 dahingehend auszulegen, dass der Rücktritt infolge des Corona-Virus erfolgt sei. Dies sei auch dadurch nahegelegt, dass der Rücktritt zu einem Zeitpunkt erklärt worden sei, als in den Medien ausführlich über den Beginn der exponentiellen Ausbreitung berichtet worden sei.
II. Dies hält der revisionsrechtlichen Überprüfung in einem entscheidenden Punkt nicht stand.
1. Die Beklagte hat gemäß § 651h Abs. 1 Satz 2 BGB ihre Ansprüche auf den Reisepreis verloren, weil der Kläger nach § 651h Abs. 1 Satz 1 BGB wirksam von den beiden Pauschalreiseverträgen zurückgetreten ist. Damit ist die Beklagte zur Erstattung der erbrachten Zahlungen verpflichtet.
2. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann ein Entschädigungsanspruch aus § 651h Abs. 1 Satz 3 BGB, den die Beklagte den Ansprüchen des Klägers entgegenhalten könnte, nicht ausgeschlossen werden.
a) Zu Recht hat das Berufungsgericht allerdings angenommen, dass die Covid-19-Pandemie in den vorgesehenen Reisezeiträumen einen unvermeidbaren und außergewöhnlichen Umstand im Sinne von § 651h Abs. 3 Satz 2 BGB darstellt.
Wie der Senat bereits mehrfach entschieden hat, ist es in der Regel nicht zu beanstanden, dass ein Tatrichter die Covid-19-Pandemie als Umstand wertet, der grundsätzlich geeignet ist, die Durchführung der Pauschalreise erheblich zu beeinträchtigen (vgl. BGH, Urteil vom 28. März 2023 - X ZR 78/22, NJW-RR 2023, 828 = RRa 2023, 118 Rn. 21; Urteil vom 14. November 2023 - X ZR 115/22, NJW-RR 2024, 193 Rn. 18; Urteil vom 23. Januar 2024 - X ZR 4/23, NJW-RR 2024, 466 Rn. 17; Urteil vom 23. April 2024 - X ZR 58/23 Rn. 21). Dies steht in Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (vgl. EuGH, Urteil vom 8. Juni 2023 - C-407/21, RRa 2023, 183 Rn. 45 - UFC; Urteil vom 29. Februar 2024 - C-584/22, RRa 2024, 62 Rn. 48
- Kiwi Tours) und gilt auch für die im Streitfall maßgeblichen Reisezeiträume im März bzw. September/Oktober 2020.
b) Entgegen der Auffassung der Revision steht der Beklagten auch nicht schon deshalb ein Entschädigungsanspruch zu, weil sich der Kläger bei der Abgabe der Rücktrittserklärung nicht ausdrücklich auf außergewöhnliche Umstände berufen hat.
aa) Nach § 651h Abs. 3 Satz 1 BGB hängt der Ausschluss des Entschädigungsanspruchs allein davon ab, dass unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände auftreten, die die Durchführung der Reise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigen.
Ein zusätzliches Erfordernis, dass der Reisende seine Rücktrittserklärung ausdrücklich oder konkludent auf solche Umstände stützt, sieht die Vorschrift nicht vor.
bb) Nach § 651h Abs. 3 Satz 2 BGB hängt die Beurteilung, ob Umstände unvermeidbar und außergewöhnlich sind, unter anderem davon ab, dass sie nicht der Kontrolle der Partei unterliegen, die sich hierauf beruft.
Auch diese Vorschrift knüpft nicht daran an, dass sich eine Partei bereits im Zeitpunkt des Rücktritts auf solche Umstände beruft.
cc) Aus der Richtlinie (EU) 2015/2302 ergibt sich nichts anderes.
Wie der Senat bereits entschieden hat, hängt die in Art. 12 Abs. 2 vorgesehene Rechtsfolge - der Wegfall des Anspruchs auf Zahlung einer Rücktrittsgebühr - nicht davon ab, auf welche Gründe der Reisende den Rücktritt gestützt hat. Maßgeblich ist allein, ob tatsächlich Umstände vorliegen, die die Durchführung der Reise erheblich beeinträchtigen (BGH, Beschluss vom 2. August 2022 - X ZR 53/21, MDR 2022, 1334 = RRa 2022, 278 Rn. 43).
c) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts darf eine erhebliche Beeinträchtigung im Streitfall jedoch nicht schon deshalb bejaht werden, weil die Reisen nach der Rücktrittserklärung abgesagt bzw. nicht durchgeführt worden sind.
Nach der auf Vorlage des Senats ergangenen Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie (EU) 2015/2302 dahin auszulegen, dass für die Feststellung, ob unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände aufgetreten sind, die im Sinne dieser Bestimmung die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigen, nur die Situation zu berücksichtigen ist, die zu dem Zeitpunkt bestand, zu dem der Reisende vom Reisevertrag zurückgetreten ist (EuGH, Urteil vom 29. Februar 2024 - C-584/22, RRa 2024, 62 Rn. 28 ff. - Kiwi Tours).
III. Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO).
Das Berufungsgericht hat sich - von seinem rechtlichen Standpunkt aus folgerichtig - nicht mit der zum Rücktrittszeitpunkt getroffenen Prognoseentscheidung des Amtsgerichts auseinandergesetzt und keine Feststellungen dazu getroffen, inwieweit bereits zum Zeitpunkt des Rücktritts des Klägers konkrete Umstände absehbar waren, die eine erhebliche Wahrscheinlichkeit einer erheblichen Beeinträchtigung der jeweiligen Reise nach § 651h Abs. 3 Satz 1 BGB begründen.
Die Sache ist deshalb an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit dieses die erforderlichen Feststellungen treffen kann.
Hierbei wird das Berufungsgericht insbesondere auch zu berücksichtigen haben, dass eine im Zeitpunkt des Rücktritts begründete Ungewissheit über die weitere Entwicklung ein starkes Indiz dafür bilden kann, dass die Durchführung der Reise schon aus damaliger Sicht nicht zumutbar war. Hierbei sind gegebenenfalls auch individuelle Gesundheitsrisiken zu berücksichtigen, denen die Reisenden bei Durchführung der Reise ausgesetzt wären (BGH, Urteil vom 30. August 2022 - X ZR 66/21, NJW 2022, 3707 = RRa 2022, 283 Rn. 62 ff.; Urteil vom 23. Januar 2024 - X ZR 4/23, NJW-RR 2024, 466 Rn. 31 ff.). Wie der Senat bereits entschieden hat, ist dem Reisenden auch nicht ohne weiteres zuzumuten, mit einer Entscheidung über den Rücktritt bis kurz vor Reisebeginn zuzuwarten (BGH, Urteil vom 15. Oktober 2024 - X ZR 79/22, MDR 2024, 1570 Rn. 43 ff.).
Entgegen der Auffassung der Revision wird es nicht des Vortrags zwingend belastbarer Tatsachen bedürfen, aufgrund derer im Rücktrittszeitpunkt am Bestimmungsort der Reise mit einer höheren Ansteckungsgefahr als am Heimatort zu rechnen war. Wie der Senat bereits entschieden hat, ist § 651h Abs. 3 BGB auch dann anwendbar, wenn dieselben oder vergleichbare Beeinträchtigungen im vorgesehenen Reisezeitraum auch am Heimatort des Reisenden vorliegen (BGH, Beschluss vom 30. August 2022 - X ZR 3/22 Rn. 22).
Bacher Marx Hoffmann von Pückler Deichfuß Vorinstanzen: AG Frankfurt am Main, Entscheidung vom 27.06.2021 - 380 C 324/20 (14) LG Frankfurt am Main, Entscheidung vom 28.04.2022 - 2-24 S 132/21 -
Urheber dieses Dokuments ist der Bundesgerichtshof. Nach § 5 UrhG geniessen Entscheidungen und Gesetze keinen urheberrechtlichen Schutz. Auflagen des Gerichts können aber die kommerzielle Verwertung einschränken. In Anlehnung an Creative Commons Lizenzen ist die Nutzung mit einer CC BY-NC-SA 3.0 DE Lizenz vergleichbar. Bitte beachten Sie, dass diese Entscheidung urheberrechtlich geschützte Abbildungen enthalten kann. Vor einer Nutzung - über die reine Wiedergabe der Entscheidung hinaus - sind in solchen Fällen entsprechende Nutzungsrechte bei den jeweiligen Rechteinhabern einzuholen.
Häufigkeit | Paragraph | |
---|---|---|
12 | 651 | BGB |
1 | 128 | ZPO |
1 | 563 | ZPO |
Häufigkeit | Paragraph | |
---|---|---|
12 | 651 | BGB |
1 | 128 | ZPO |
1 | 563 | ZPO |
Der nachfolgende Link führt Sie zum originalen Dokument. Aufgrund der technischen Natur des Internets ist es möglich, dass der Link zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr gültig ist. Bitte haben Sie dafür Verständnis, dass wir nicht alle Links einer ständigen Prüfung unterziehen können.
Öffnen