Paragraphen in 7 W (pat) 13/09
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BUNDESPATENTGERICHT W (pat) 13/09 Verkündet am 14. Dezember 2012
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BESCHLUSS In der Beschwerdesache betreffend das Patent 10 2004 023 932 …
BPatG 154 05.11
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hat der 7. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 14. Dezember 2012 durch den Vorsitzenden Richter Dipl.-Ing. Univ. Höppler und die Richter Schwarz, Dipl-Phys. Dipl.-Wirt.Phys. Maile und Dipl.-Phys. Dr. rer. nat. Schwengelbeck beschlossen:
Der Beschluss der Patentabteilung 1.51 des Deutschen Patentund Markenamtes vom 19. September 2007 wird aufgehoben und wie folgt abgeändert: Das Patent 10 2004 023 932 wird widerrufen.
Gründe I.
Das am 12. Mai 2004 beim Deutschen Patent- und Markenamt angemeldete Patent 10 2004 023 932 mit der Bezeichnung
„Rückblickspiegel für Fahrzeuge ist am 2. November 2005 durch die Prüfungsstelle für Klasse B60R des Deutschen Patent- und Markenamts erteilt worden. Veröffentlichungstag der Patenterteilung ist der 6. April 2006.
Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung lautet (Merkmalsgliederung seitens des Senats hinzugefügt):
M1 „Blendarmer Rückblickspiegel mit M2 nichtvariablen optischen Eigenschaften für Fahrzeuge,
dadurch gekennzeichnet, dass M3 das Verhältnis der Reflexionswerte bei dunkeladaptiertem Auge zu den Reflexionswerten bei helladaptiertem Auge, jeweils für die Lichtarten A und C, höchstens 97 % beträgt und M4 der Farbwiedergabeindex Ra nach DIN EN 410 mindestens 75 beträgt.“
Gegen die Patenterteilung hat die Einsprechende mit am 5. Juli 2006 beim Deutschen Patent- und Markenamt eingegangenem Schreiben Einspruch eingelegt.
Als Einspruchsgründe machte die Einsprechende geltend:
- unzulässige Erweiterung gemäß §21 (I) Nr. 4 PatG, - mangelnde Ausführbarkeit gemäß §21 (I) Nr. 2 PatG sowie - fehlende Patentfähigkeit gemäß §21(I) Nr. 1 iVm §§ 1-5 PatG Zum letztgenannten Punkt wurde im Einspruchsverfahren unter anderem der von der Anmelderin selbst genannte Stand der Technik nach Druckschrift D1 WO 02/41049 A2 berücksichtigt.
Zudem benennt die Einsprechende die ÖNORM EN 12150-1 als weiteren Stand der Technik.
Die Patentinhaberin tritt im Einspruchsverfahren dem Vorbringen vollumfänglich entgegen und verteidigt ihr Patent mit den erteilten Ansprüchen 1 bis 12. Die erteilten Ansprüchen seien ursprünglich offenbart; deren technische Lehre sei ausführbar. Zudem sei der Patentgegenstand patentfähig.
Mit Beschluss vom 13./19. September 2007 hat die zuständige Patentabteilung das Streitpatent in vollem Umfang aufrecht erhalten.
Gegen diesen Beschluss hat die Einsprechende mit Schreiben vom 6. November 2007 - beim Deutschen Patent- und Markenamt am 8. November 2007 fristgerecht eingegangen - Beschwerde eingelegt. Sie bekräftigt ihr Vorbringen aus dem Einspruchsverfahren und führt aus, dass das Streitpatent keine ausführbare Lehre enthalte; darüber hinaus sei die unter Schutz gestellte Vorrichtung nicht patentfähig. Von daher sei der Beschluss aufzuheben und das Patent zu widerrufen.
Zudem beantragt die Beschwerdeführerin aufgrund der im Einspruchsverfahren angeblich nicht berücksichtigten ÖNORM EN 12150-1 in ihrer Beschwerdebegründung die Rückzahlung der Beschwerdegebühr.
In der mündlichen Verhandlung vom 14. Dezember 2012 stellt die Einsprechende und Beschwerdeführerin den Antrag,
den Beschluss der Patentabteilung 1.51 des Deutschen Patentund Markenamtes vom 19. September 2007 aufzuheben und das Patent 10 2004 023 932 zu widerrufen.
Die Patentinhaberin und Beschwerdegegnerin stellt den Antrag,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Der Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr wurde in der mündlichen Verhandlung durch die Beschwerdeführerin nicht weiter verfolgt.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt, wegen dem Wortlaut der Ansprüche 2 bis 12 wird auf das Streitpatent verwiesen.
II.
Die zulässige Beschwerde hat in der Sache Erfolg. Denn nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung erweist sich der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 als nicht patentfähig. Die Frage der Zulässigkeit der erteilten, geltenden Ansprüche bzw. die Frage der Ausführbarkeit der technischen Lehre des Anspruchs 1 kann somit dahinstehen (vgl. BGH, BlPMZ, 1998, S. 282, Leitsatz - „Polymermasse“; BGH, GRUR 1991, 120, 121 li Sp Abs.3 - „Elastische Bandage“).
a) Die Zulässigkeit des Einspruchs ist auch im Beschwerdeverfahren von Amts wegen zu überprüfen (vgl. BGH BlPMZ 1972, 173, Leitsatz b) – „Sortiergerät“). Der vorliegende Einspruch ist zulässig, denn die Einsprechende hat innerhalb der Einspruchsfrist alle geltend gemachten Widerrufsgrund hinreichend substantiiert, so dass der Patentinhaber bzw. das Patenamt eigene Schlussfolgerungen aus dem Vortrag ziehen kann, ohne hierzu weitergehende eigene Nachforschungen anstellen zu müssen. Im Übrigen ist die Zulässigkeit des Einspruchs von der Patentinhaberin auch nicht in Abrede gestellt worden.
b) Das Streitpatent betrifft einen blendarmen Rückblickspiegel mit nichtvariablen optischen Eigenschaften für Fahrzeuge. Typische Rückblickspiegel für Fahrzeuge basieren auf hochreflektierenden Materialien wie Silber und Aluminium. Obwohl hohe Reflexionswerte bei Tag erwünscht sind, können sie jedoch bei Nacht zu Störungen des Fahrers durch Scheinwerferlicht nachfolgender Fahrzeuge führen (vgl. Streitpatent, Abs. [0001] bis Abs. [0003]).
In Anbetracht bekannter Fahrzeugrückspiegel stellt sich das Streitpatent die Aufgabe, einen Rückspiegel mit deutlicher Verringerung der Blendwirkung durch nachfolgende Fahrzeuge (mit unterschiedlichen Scheinwerferaufbauten), insbesondere bei Dunkelheit, und einem Farbwiedergabeindex Ra mindestens in der Größenordnung wie der der bekannten Blautonspiegel (Ra = 74) bereitzustellen (vgl. Streitpatent, Abs. [0013]). In anderen Worten, die farbliche Wiedergabe der reflektierten Gegenstände soll näher am Original sein, wie bei den bekannten „blaustichigen“ Rückspiegeln.
Diese Aufgabe soll laut Streitpatent dadurch gelöst, dass die Reflexionsschicht ein spektrales Reflexionsverhalten aufweist, welches bei Nachtfahrten gegenüber der Betrachtung mit helladaptierten Auge eine relative Abnahme der Reflexionswerte bei den Lichtarten A und C um mindestens 3% zeigt. Der Farbwiedergabeindex beträgt dabei mindestens 75 (vgl. Streitpatent, Abs. [0014]).
Die im kennzeichnenden Teil des Anspruchs 1 angegebenen Merkmale M3 und M4 sind dabei als Wirkungsangaben formuliert. Diese bedingen laut Streitpatent bzw. nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung Folgendes:
Durch das Merkmal M4 wird eine Farbverschiebung bzw. eine Verschiebung der Farbwiedergabe von aus dem Stand der Technik bekannten blaustichigen Rückblickspiegeln erzielt. Dabei werden – ausgehend von herkömmlichen Rückblickspiegeln, die überwiegend Licht aus dem kürzerwelligen blauen Wellenlängenbereich reflektieren – beim Gegenstand des Streitpatents vermehrt langwelligere Lichtkomponenten beigefügt bzw. reflektiert, welches die Lichtarten A und C aufweisen. Somit wird durch die beanspruchte technische Lehre der durch den Spiegel reflektierte Wellenlängenbereich (Δλ) verbreitert bzw. ergänzt.
Das Merkmal M3 stellt sicher, dass beim „Nachtsehen“ (skotopisches Sehen) ein geringerer Anteil der für die Sehempfindlichkeit relevanten Wellenlängen – beispielsweise beschrieben in Fig. 2 des Streitpatents – reflektiert wird als beim „Tagsehen“ (photopisches Sehen). Diese Wirkung ergibt sich aus dem über die Wellenlänge ansteigenden Verlauf der entsprechenden Reflexionskurven (Streitpatent, Fig. 7 bis 10), was wiederum – aufgrund eines höheren Anteils (roter) langwelliger Lichtkomponenten zu einem, im Vergleich zum Stand der Technik (TEREF-Spiegel, vgl. Fig. 3), weniger blaustichigem Bild führt.
c) Die Vorrichtung des Anspruchs 1 beruht auf keiner erfinderischen Tätigkeit des Fachmanns. Dieser ist vorliegend als ein mit der Entwicklung von optischen Spiegeln vertrauter, berufserfahrener Diplom-Physiker mit langjähriger Erfahrung auf dem Gebiet der optischen Beschichtungstechnik zu definieren.
Denn bereits aus der in den ursprünglichen Unterlagen von der Anmelderin bzw. Patentinhaberin selbst genannten Druckschrift D1 ist ein blendarmer Rückblickspiegel mit nichtvariablen optischen Eigenschaften für Fahrzeuge bekannt (D1,
S 1, erster Abs. / Merkmale M1 und M2) und somit der Oberbegriff des geltenden Anspruchs 1 bekannt.
Mit Verweis auf die in der Patentschrift explizit genannten Figuren 5, 7 und 10 der Druckschrift D1 (vgl. Fig. 5 der Streitpatentschrift) sind dabei Reflexionsverläufe für Spiegel bekannt, welche – zumindest teilweise - im Wellenlängenbereich von 500 bis 550 nm einen ansteigenden Verlauf aufweisen, d.h. mit ansteigender Wellenlängen stärker reflektieren. Unter Berücksichtigung der dem Fachmann bekannten Lichtadaption des Auges bei Hell- / Dunkelsehen, wie dies in Fig. 2 der Patentschrift (Abs. [0024]) beschrieben ist (photopisches und skotopisches Sehen, welches berücksichtigt, dass das menschliche Auge zunächst nur in einem engen Bereich hochempfindlich ist), ist ein solcher, aus der D1 bekannter Reflexionsverlauf gleichbedeutend mit der Wirkung, dass das Verhältnis der von einem Betrachter wahrgenommenen Reflexionswerte bei dunkeladaptiertem Auge zu den von ihm wahrgenommenen Reflexionswerten bei helladaptiertem Auge, jeweils für die Lichtarten A und C, deren spektralen Anteile in Fig. 1 des Streitpatents definiert sind, kleiner 100 % ist (Abschwächung der wahrgenommenen Reflexion bei Dunkelsehen). Hierbei ergibt sich aus dem jeweiligen Kurvenverlauf (beispielsweise in Fig. 7 der D1 dargestellt) für den Fachmann eindeutig entnehmbar ein Verhältnis von höchstens 97 %, was durch eine entsprechende Messung der Patentinhaberin, auch bei Unterstellen einer toleranzbehafteten Messprobe, bestätigt ist (vgl. Streitpatentschrift, S. 4/11, Tabelle 1, vorletzte Zeile, M*=73%). Somit ergibt sich die im Merkmal M3 beanspruchte Wirkung - für den Fachmann ersichtlich – direkt aus der Lehre der Druckschrift D1, hier der Fig. 7 zugehörigen Spiegelschichtsstruktur.
Hinsichtlich dem noch fehlenden Merkmal M4 kann dahinstehen, ob die Bezugnahme auf eine - möglicherweise während der Patentlaufzeit veränderliche - DIN Norm überhaupt zulässig, denn das entsprechende Merkmal beruht nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit des Fachmanns. Mit Angabe eines Mindeswerts für den Farbwiedergabeindex Ra wird ein Verschieben des wiedergegebenen Bilds weg von bekannten reflexionsarmen, blaustichigen Spiegeln des Stands der Technik gefordert. Dabei reflektieren bereits die in der D1 offenbarten Spiegel langwellige Lichtanteile (vgl. Fig. 7). Ob sich bei diesen Spiegeln ein Farbwiedergabeindex von mindestens 75 nach DIN EN 410 einstellt bleibt jedoch in der entsprechenden Offenbarung der D1 offen, wird aber von der Patentinhaberin bestritten (vgl. Streitpatentschrift, S. 4/11, Tabelle 1, vorletzte Zeile, Ra=65). Diese Frage kann jedoch dahinstehen, denn in der D1 ist die Problematik „blaustichiger“ Spiegel angesprochen, sowie die entsprechende Lösung, nämlich die Verbreiterung des rückgestreuten Spektrums (Δλ) als Ansatz bereits beschrieben (vgl. D1, S.7, erster Abs. le Satz, „In fact, the greater Δλ is the more the driver manages to perceive the colours of the objects without chromatic distortions that can alter his understanding of nature of the objects themselves.“). Sollte sich mit den in der D1 offenbarten konkreten Schichtstrukturen der gewünschte Farbwidergabeindex noch nicht automatisch einstellen, so wird der Fachmann, ausgehend von der offenbarten Schichtstruktur, durch kleine Veränderungen der jeweiligen Schichtdicken diese in entsprechenden Versuchsreihen hinsichtlich der Parameter „Farbwiedergabeindex“ und „Reflexionsverlauf“ optimieren und damit in nicht erfinderischer Weise zu der im Merkmal M4 beanspruchten Wirkung gelangen. Das dies mit den in Druckschriftz D1 angegebenen Schichtsystemen möglich ist, geht aus dem in Fig. 10 beschriebenen Ausführungsbeispiel hervor (vgl. Streitpatentschrift, S. 4/11, Tabelle 1, letzte Zeile, Ra=78). Eine darüber hinausgehende technische Lehre zur Bestimmung optimierter Schichtstrukturen – ohne konkrete Einschränkung des beanspruchten Gegenstands auf die in Tabelle 1 genannten Schichtstrukturen - ist im Übrigen auch der Streitpatentschrift nicht zu entnehmen (vgl. insbesondere Abs. [0036] für die dort angegebenen Schichtsystemalternativen).
In diesem Zusammenhang vermögen auch die Ausführungen des in der mündlichen Verhandling anwesenden Mit-Erfinders nicht zu überzeugen, mit welchen er ausführt, dass – ausgehend von einem „idealen Spiegel“ mit einem Farbwiedergabeindex RA = 100 – eine Erhöhung der Blau- bzw. Rotanteile des reflektierten Lichts zu einer Verbreiterung von Δλ führt, was wiederum die farbliche Darstellung des entsprechenden Gegenstands negativ beeinflusst. Denn die vorliegende technische Lehre geht gerade nicht von einem „idealen Spiegel“ (RA = 100), sondern von einem blaustichigen Spiegel mit einen Farbwiedergabeindex RA von maximal 74, aus, welcher hinsichtlich der farblichen Widergabe zu verbessern ist, so dass sich diese von der Patentinhaberin vorgetragenen Überlegung hinsichtlich eines vom Farbwiedergabeindex her „idealen“ Spiegels gerade nicht im Wortlaut des Anspruchs 1 wiederspiegeln.
Somit beruht der mit Anspruch 1 beanspruchte Spiegel nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit des Fachmanns; Anspruch 1 ist von daher nicht patentfähig.
d) Mit dem nicht patentfähigen Anspruch 1 sind auch die auf diesen rückbezogenen Ansprüche 2 bis 12 nicht rechtsbeständig, da auf diese erkennbar kein eigenständiges Patentbegehren gerichtet war (vgl. BGH, GRUR 2007, 862 Leitsatz – Informationsübermittlungsverfahren II).
e) Bei vorliegender Sachlage war der Beschwerde der Einsprechenden stattzugeben und das Patent zu widerrufen.
Höppler Schwarz Maile Dr. Schwengelbeck Hu
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