20 W (pat) 64/08
BUNDESPATENTGERICHT W (pat) 64/08 Verkündet am 26. November 2012
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BESCHLUSS In der Beschwerdesache betreffend die Patentanmeldung 10 2006 058 369.8-35 …
hat der 20. Senat (Technischer Beschwerdesenat) auf die mündliche Verhandlung vom 26. November 2012 durch den Vorsitzenden Richter Dipl.-Phys. Dr. Mayer, die Richterin Kopacek sowie die Richter Dipl.-Ing. Gottstein und Dipl.-Ing. Univ. Musiol BPatG 154 05.11 beschlossen:
Auf die Beschwerde der Anmelderin wird der Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse H 04 R des Deutschen Patent- und Markenamts vom 25. Juni 2008 aufgehoben und die Sache an das Deutsche Patent- und Markenamt zurückverwiesen.
Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird angeordnet.
Gründe I.
Die Prüfungsstelle für IPC-Klasse H 04 R des Deutschen Patent- und Markenamts hat die Patentanmeldung mit der Bezeichnung „Elektroakustischer Wandler“ durch Beschluss vom 25. Juni 2008 zurückgewiesen und sich hierbei auf die Gründe des (einzigen) Prüfungsbescheides vom 19. November 2007 bezogen. In diesem Bescheid hat die Prüfungsstelle ausgeführt, die Gegenstände der unabhängigen Patentansprüche 1 und 7 seien aufgrund der Verwendung des Begriffes „Härte“ unklar; es sei zudem in Ansehung der Druckschrift DE 103 28 380 A1 (im folgenden D1 genannt) nicht ohne Weiteres ersichtlich, dass ein klar gestellter Patentanspruch 1 gewährbar wäre. Die diesbezüglichen Ausführungen der Prüfungsstelle zur Druckschrift D1 sollen wohl das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit verneinen, obwohl dies nicht explizit ausgeführt wird.
Ausweislich der Empfangsbestätigung wurde der Zurückweisungsbeschluss vom 25. Juni 2008 dem Vertreter der Anmelderin am 3. Juli 2008 zugestellt.
Neben der im Prüfungsverfahren vor dem Deutschen Patent- und Markenamt ermittelten Druckschrift D1 hat der Senat mit der Ladung vom 8. Oktober 2012 mitgeteilt, dass er möglicherweise auch folgende Druckschriften berücksichtigen wird:
D2 US 6 039 145 D3 US 2 502 853 D4 EP 0 508 596 A1 D5 US 1 872 583.
Weiter wurde vom Senat in der mündlichen Verhandlung vom 26. November 2012 das japanische Abstract D6 JP 52101022 A in das Verfahren eingeführt.
Mit ihrer Beschwerde verfolgt die Anmelderin ihre Anmeldung weiter. In der mündlichen Verhandlung vom 26. November 2012 hat sie einen neugefassten Patentanspruch 1 eingereicht und beantragt:
den Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse H 04 R des Deutschen Patent- und Markenamts vom 25. Juni 2008 aufzuheben und das nachgesuchte Patent auf der Grundlage folgender Unterlagen zu erteilen:
Patentansprüche: Patentanspruch 1, überreicht in der mündlichen Verhandlung am 26. November 2012 Beschreibung: noch anzupassende Beschreibung Zeichnungen: Figuren 1 und 2, beim DPMA eingegangen am 23. August 2007.
Darüber hinaus hat die Anmelderin die Rückzahlung der Beschwerdegebühr beantragt. Zur Begründung legte sie in der mündlichen Verhandlung ein Fristverlängerungsgesuch an das Deutsche Patent- und Markenamt vom 26. Mai 2008 und den Telefax-Sendebericht hierzu vom selben Tage jeweils im Original vor. Nach Ansicht der Beschwerdeführerin hätte der Zurückweisungsbeschluss vom 25. Juni 2008 nicht ergehen dürfen, weil die Zurückweisung der Anmeldung zu einem Zeitpunkt erfolgt sei, zu dem die Anmelderin aufgrund des genannten Fristverlängerungsgesuches hätte annehmen dürfen, dass noch die Möglichkeit zur Erwiderung auf den Erstbescheid vom 19. November 2007 bestehe.
Die Anmelderin hält den elektroakustischen Wandler nach den Merkmalen des geltenden Patentanspruchs 1 für patentfähig.
Der geltende Patentanspruch 1 lautet:
„1. Elektroakustischer Wandler, mit einer Membran (10), welche mindestens einen ersten und einen zweiten Bereich (20, 30) aufweist, wobei der erste Bereich eine Sicke (20) darstellt und der zweite Bereich eine Kalotte (30) darstellt, und wobei die Membran einteilig aus einem einzigen homogenen Material hergestellt ist, und wobei das Material der Membran im Bereich der Kalotte (30) nach der Herstellung der Membran zumindest teilweise gehärtet ist, sodass sich die Härte des Materials im ersten Bereich (20) von der Härte des Materials im zweiten Bereich (30) unterscheidet,
und wobei die Härtung des Materials der Membran durch Strahlvernetzung erfolgt." Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten verwiesen.
II.
Die Beschwerde ist zulässig. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung an das Deutsche Patent- und Markenamt, weil der in der mündlichen Verhandlung neu vorgelegte Patentanspruch vom Deutschen Patent- und Markenamt noch keiner Prüfung unterzogen wurde (§ 79 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 PatG). Aufgrund der Verletzung des Anspruchs der Anmelderin auf rechtliches Gehör war die Rückzahlung der Beschwerdegebühr anzuordnen (§ 80, Abs. 3 PatG).
1. Die Anmeldung betrifft einen elektroakustischen Wandler sowie eine Membran für einen elektroakustischen Wandler (vgl. ursprünglich eingereichte Unterlagen, Seite 1, 1. Abs.).
Gemäß der Anmeldung könnten Membranen für elektroakustische Wandler unterschiedliche Steifigkeiten aufweisen, wobei üblicherweise unterschiedliche Materialien mit unterschiedlichen Steifigkeiten zusammengefügt würden, um eine entsprechende Membran zu erhalten (vgl. ursprünglich eingereichte Unterlagen, Seite 1, 2. Abs.). Derartige Membranen erwiesen sich jedoch als nachteilbehaftet, da sowohl Eigenmoden als auch Resonanzen auftreten würden, zudem stelle das Zusammenfügen von unterschiedlichen Materialien eine teure Lösung sowie ein relativ aufwändiges Verfahren dar, um eine entsprechende Membran zu erhalten (vgl. ursprünglich eingereichte Unterlagen, Seite 1, 3. und 4. Abs.).
Von dieser Problemstellung ausgehend, stellt sich die Anmeldung die Aufgabe, einen elektroakustischen Wandler vorzusehen, welcher eine Membran mit einer variablen Festigkeit bzw. Nachgiebigkeit aufweist (vgl. ursprünglich eingereichte Unterlagen, Seite 2, 1. Abs.).
Wie auch die Anmelderin in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat, beruht die Anmeldung auf dem Gedanken, eine Membran aus einem homogenen Material herzustellen, welches lokal in seiner Härte verändert wird, um so Bereiche der Membran mit unterschiedlicher Steifigkeit zu schaffen. Somit könne aus einem einzigen Material eine Membran mit einer tiefen Resonanzfrequenz sowie einer sehr guten Höhenabstrahlung erhalten werden (vgl. ursprünglich eingereichte Unterlagen, Seite 2, 4. und 5. Abs.).
Der geltende Patentanspruch 1 kann wie folgt gegliedert werden (Merkmalsbezeichnung hinzugefügt):
M1 Elektroakustischer Wandler mit einer Membran (10). M2 Die Membran weist mindestens einen ersten und einen zweiten Bereich (20, 30) auf. M3 Der erste Bereich stellt eine Sicke (20) dar und der zweite Bereich stellt eine Kalotte (30) dar. M4 Die Membran ist einteilig aus einem einzigen homogenen Material hergestellt. M5 Das Material der Membran im Bereich der Kalotte (30) ist nach der Herstellung der Membran zumindest teilweise gehärtet, so dass M5a sich die Härte des Materials im ersten Bereich (20) von der Härte des Materials im zweiten Bereich (30) unterscheidet. M6 Die Härtung des Materials der Membran erfolgt durch Strahlvernetzung.
2. Der Patentanspruch 1 ist zulässig.
Die Merkmale des Patentanspruchs 1 sind in den ursprünglichen Anmeldeunterlagen als zur Erfindung gehörend offenbart. Diesbezüglich wird auf die ursprünglich eingereichten Patentansprüche 1 bis 3, sowie die ursprünglich eingereichte Beschreibung, dort insbesondere Seite 2, Zeilen 11 bis 16 sowie Seite 3, Zeilen 4 bis 10 verwiesen.
Der Anmeldegegenstand ist in der Fassung des einzigen geltenden Patentanspruchs auch so vollständig und deutlich offenbart, dass der zuständige Fachmann, ein Diplom-Ingenieur der Fertigungstechnik mit Erfahrungen auf dem Gebiet des Lautsprecherbaus und Wissen auf den Gebieten der Akustik und der Werkstofftechnik, ihn ausführen kann. Soweit die Prüfungsstelle sinngemäß bemängelt hat, dass die Erfindung nicht ausführbar sei, weil dem Fachmann im vorliegenden Zusammenhang die Bedeutung des Begriffes „Härte“ unklar sei, wird auf die ursprünglich eingereichten Unterlagen, Seite 3, erster Absatz, verwiesen, wo in Verbindung mit der Figur 2 klar beschrieben ist, dass der Kalottenbereich der Lautsprechermembran nach der Formgebung durch eine Strahlvernetzung gehärtet werden kann, wohingegen der Sickenbereich (welcher aus demselben Material einstückig geformt wurde) unbehandelt und somit weicher bleibt. Dem weiteren Einwand der Prüfungsstelle hinsichtlich der parallelen Verwendung der Begriffe „Abschnitt“ und „Bereich“ im ursprünglich eingereichten Patentspruch 1 ist die Anmelderin durch eine Umformulierung im geltenden Patentspruch 1 begegnet.
3. Der Gegenstand des geltenden Patentanspruchs 1 ist unzweifelhaft gewerblich anwendbar und gilt auch als neu, denn keine der im Verfahren befindlichen Schriften zeigt eine Härtung des Materials der Membran durch Strahlvernetzung (Merkmal M6).
4. Der Gegenstand des geltenden Patentanspruchs 1 ergibt sich für den Fachmann auch nicht in nahe liegender Weise aus dem für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit in Betracht zu ziehenden Stand der Technik.
Die Druckschrift D1 verhält sich in keiner Weise zu Fragen der Beeinflussung der Härte des Materials einer Lautsprechermembran.
Soweit sich die Druckschriften D2, D3, D4 und D5 mit dem Härten des Materials einer Lautsprechermembran überhaupt beschäftigen, geschieht dies im Wege der Kombination zweier Materialien, von denen eines (beispielsweise ein Harz) nachfolgend gehärtet wird und somit einem Materialverbund, also nicht aus einem einzigen homogenen Material, eine bestimmte Steifheit verliehen wird (vgl. D2, Patentanspruch 1; D3, Sp. 1, Z. 6 bis 24, D4, Sp. 2, Z. 21 bis 36 und D5, Seite 2, linke Spalte, Zeilen 35 bis 57).
Allein die Druckschrift D6 beschreibt das Härten eines Bereichs einer aus einem homogenen Material bestehenden Lautsprechermembran durch eine Beeinflussung des Kristallisationsgrades (vgl. abstract). Allerdings verhält sich die Druckschrift D6 in keiner Weise zu einer möglichen Realisierung, so dass der Fachmann auf die ihm (z. B. aus den oben genannten Druckschriften) bekannte thermische Behandlung des Membranmaterials zurückgreifen wird.
Keine der Druckschriften regt den Fachmann somit an, eine Härtung einer alleine aus einem homogenen Material gefertigten anspruchsgemäßen Membran durch Strahlvernetzung in Betracht zu ziehen. Eine Realisierung des Merkmals M6 war dem Fachmann somit nicht nahe gelegt.
5. Der Senat hat davon abgesehen, in der Sache selbst zu entscheiden. Wie aus der Akte ersichtlich ist, hat das Deutsche Patent- und Markenamt im Verfahren nach § 44 PatG für die Prüfung, ob der nunmehr gültige Anspruchsgegenstand die Patentierungsvoraussetzungen nach §§ 3 und 4 PatG erfüllt, insbesondere zu dem vorgenannten Merkmal M6, noch nicht recherchiert. Vorliegend kann nicht ausgeschlossen werden, dass möglicherweise ein Stand der Technik existiert, der einer Erteilung des angemeldeten Patents in dessen jetziger Fassung entgegensteht. Da eine sachgerechte Entscheidung nur aufgrund einer vollständigen Recherche des druckschriftlichen Standes der Technik zu allen Anspruchsmerkmalen ergehen kann, wofür in erster Linie die Prüfungsstellen des Deutschen Patent- und Markenamts mit ihrem Prüfstoff und den ihnen zur Verfügung stehenden Recherchemöglichkeiten in Datenbanken berufen sind, ist die Sache zur weiteren Prüfung und Entscheidung an das Deutsche Patent- und Markenamt zurückzuverweisen.
6. Der Beschluss der Prüfungsstelle vom 25. Juni 2008 erging unter Verletzung des Anspruchs der Anmelderin auf rechtliches Gehör. Durch Vorlage der Originale eines Fristverlängerungsgesuchs an das DPMA vom 26. Mai 2008 und des Telefax-Sendebericht hierzu vom selben Tag hat die Beschwerdeführerin hinreichend glaubhaft gemacht, dass sie dieses Fristverlängerungsgesuch - welches in der Amtsakte nicht aufzufinden ist – rechtzeitig an das DPMA übermittelt und somit wirksam eine Fristverlängerung bis zum 28. Juli 2008 beantragt hat. Da ausweislich der Amtsakte eine Zurückweisung des Fristverlängerungsantrages nicht stattgefunden hat, hätte die Zurückweisung nicht vor Ablauf der beantragten Frist erfolgen dürfen. Zum Zeitpunkt der Beschlussfassung (25. Juni 2008) durfte die Beschwerdeführerin daher zu Recht davon ausgehen, dass noch die Möglichkeit zur Erwiderung auf den Erstbescheid vom 19. November 2007 besteht. Mit dem Zu- rückweisungsbeschluss erfolgte somit eine Verletzung des Anspruchs der Anmelderin auf rechtliches Gehör. Dieser wesentliche Verfahrensmangel führt zur Rückzahlung der Beschwerdegebühr aufgrund von Billigkeitserwägungen (§ 80 Abs. 3 PatG). Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass bei einer ordnungsgemäßen Verfahrensführung die Anmelderin von einer Beschwerde abgesehen hätte.
Dr. Mayer Kopacek Gottstein Musiol Pü