19 W (pat) 101/17
BUNDESPATENTGERICHT W (pat) 101/17 Verkündet am 6. Juni 2018
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BESCHLUSS In der Beschwerdesache betreffend das Patent 10 2008 039 867 …
ECLI:DE:BPatG:2018:060618B19Wpat101.17.0 hat der 19. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 6. Juni 2018 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dipl.-Ing. Kleinschmidt, der Richterin Kirschneck sowie der Richter Dipl.-Phys. Dipl.-Wirtsch.-Phys. Arnoldi und Dr.-Ing. Kapels beschlossen:
Die Beschwerde der Patentinhaberin wird zurückgewiesen.
Gründe I.
Auf die am 27. August 2008 beim Deutschen Patent- und Markenamt eingereichte Patentanmeldung ist mit Beschluss vom 14. Juli 2015 das Patent 10 2008 039 867 mit der Bezeichnung „Massedurchflussmessgerät“ erteilt worden. Die Veröffentlichung der Patenterteilung ist am 10. September 2015 erfolgt.
Gegen das Patent hat die Einsprechende mit Schriftsatz vom 18. Mai 2016, eingegangen beim Deutschen Patent- und Markenamt per Fax am selben Tag, Einspruch erhoben und beantragt, das Patent in vollem Umfang zu widerrufen. Sie hat geltend gemacht, der Gegenstand des erteilten Patents sei nach den §§1 bis 5 PatG nicht patentfähig und das Patent offenbare die Erfindung nicht so deutlich und vollständig, dass ein Fachmann sie ausführen könne (§ 21 Abs. 1 Nummer 1, 2 PatG).
Zum Stand der Technik hat die Einsprechende auf die folgenden Druckschriften Bezug genommen:
D1 WO 96/08697 A2, D2 WO 02/052230 A1, D3 WO 2006/010687 A1.
In der mündlichen Anhörung vor der Patentabteilung 1.52 des Deutschen Patentund Markenamts am 20. September 2017 führte die Patentabteilung die Druckschriften D4 JP H06-42992 A D4üe englische Übersetzung der D4, vom japanischen Patentamt im Internet zur Verfügung gestellte Maschinenübersetzung in das Verfahren ein.
Mit dem am Ende der Anhörung vom 20. September 2017 verkündeten Beschluss hat die Patentabteilung 1.52 des Deutschen Patent- und Markenamts das Patent widerrufen.
Die Patentabteilung begründete ihren Beschluss im Wesentlichen damit, dass die Verteidigung des Streitpatents in der nach Hauptantrag und Hilfsantrag vorgesehenen Fassungen unzulässig sei. Der Gegenstand von Anspruch 1 gehe in diesen Fassungen über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Unterlagen hinaus. Insbesondere sei das darin aufgenommene Merkmal, nach dem die verschiedenen Paare von Messrohren unabhängig voneinander in verschiedenen Eigenformen angeregt werden und die Schwingungen der Eigenformen separat ausgewertet werden, ohne dass sich die angeregten Schwingungen gegenseitig überlagern, in der Anmeldung nicht als zur Erfindung gehörend offenbart (§ 21 Abs. 1 Nr. 4 PatG).
Die Patentabteilung hat den Widerruf des Patents, soweit es verteidigt wurde, auf das Vorliegen des Widerrufsgrunds aus § 21 Abs. 1 Nr. 4 PatG gestützt.
Die sonst von der Einsprechenden geltend gemachten Sachverhalte (fehlende Ausführbarkeit der Gegenstands des erteilten Patents; Nichtberuhen des Gegenstands des Anspruchs 1 nach Haupt- und Hilfsantrag auf einer erfinderischen Tätigkeit) ließ die Patentabteilung vor dem Hintergrund der fehlenden Zulässigkeit des Anspruchs 1 nach Haupt- und Hilfsantrag dahinstehen.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Patentinhaberin vom 2. November 2017.
In der mündlichen Verhandlung am 6. Juni 2018 überreichte der Vertreter der Einsprechenden noch die Druckschrift D5 DE 695 33 747 T2.
Der Vertreter der Patentinhaberin beantragt,
den Beschluss der Patentabteilung 1.52 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 20. September 2017 aufzuheben und das Patent 10 2008 039 867 aufgrund folgender Unterlagen beschränkt aufrechtzuerhalten:
Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag vom 20. September 2017, Patentansprüche 2 bis 7 wie erteilt,
hilfsweise,
Patentansprüche 1, 3 und 6 gemäß Hilfsantrag vom 20. September 2017, Patentansprüche 2, 4, 5 und 7 wie erteilt,
Beschreibung und Zeichnungen zu Haupt- und Hilfsantrag jeweils wie erteilt.
Der Vertreter der Einsprechenden beantragt,
die Beschwerde der Patentinhaberin zurückzuweisen.
Der Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag vom 20. September 2017 lautet:
Massedurchflussmessgerät, das nach dem Coriolis-Prinzip arbeitet, mit zu Schwingungen anregbaren, von einem Medium durchströmbaren Messrohren (2a, 2b, 2c, 2d), Schwingungserzeugern zur Anregung der Schwingungen der Messrohre (2a, 2b, 2c, 2d) und Schwingungsaufnehmern zur Erfassung der angeregten Schwingungen der Messrohre (2a, 2b, 2c, 2d), wobei mehr als drei Messrohre (2a, 2b, 2c, 2d) vorgesehen sind, insbesondere eine gerade Anzahl von Messrohren (2a, 2b, 2c, 2d) vorgesehen ist, wobei die Messrohre (2a, 2b, 2c, 2d) ein- und auslaufseitig in Anschlussstücken (5a, 5b) auseinander bzw. zusammenlaufen, dadurch gekennzeichnet, dass die Messrohre (2a, 2b, 2c, 2d) paarweise einander zugeordnet sind und jedes Paar mit separaten Schwingungserzeugern und mit separaten Schwingungsaufnehmern ausgestattet ist, so dass verschiedene Paare von Messrohren unabhängig voneinander angeregt und ausgewertet werden, wobei die verschiedenen Paare von Messrohren unabhängig voneinander in verschiedenen Eigenformen angeregt werden und die Schwingungen der Eigenformen separat ausgewertet werden, ohne dass sich die angeregten Schwingungen gegenseitig überlagern.
Der Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag vom 20. September 2017 lautet:
Massedurchflussmessgerät, das nach dem Coriolis-Prinzip arbeitet, mit zu Schwingungen anregbaren, von einem Medium durchströmbaren Messrohren (2a, 2b, 2c, 2d), Schwingungserzeugern zur Anregung der Schwingungen der Messrohre (2a, 2b, 2c, 2d) und Schwingungsaufnehmern zur Erfassung der angeregten Schwingungen der Messrohre (2a, 2b, 2c, 2d), wobei mehr als drei Messrohre (2a, 2b, 2c, 2d) vorgesehen sind, insbesondere eine gerade Anzahl von Messrohren (2a, 2b, 2c, 2d) vorgesehen ist, wobei die Messrohre (2a, 2b, 2c, 2d) ein- und auslaufseitig in Anschlussstücken (5a, 5b) auseinander bzw. zusammenlaufen, dadurch gekennzeichnet, dass die Messrohre (2a, 2b, 2c, 2d) paarweise einander zugeordnet sind und jedes Paar mit separaten Schwingungserzeugern und mit separaten Schwingungsaufnehmern ausgestattet ist, so dass verschiedene Paare von Messrohren unabhängig voneinander anregbar und auswertbar sind, wobei die verschiedenen Paare von Messrohren unabhängig voneinander in verschiedenen Eigenformen angeregt werden und die Schwingungen der Eigenformen separat ausgewertet werden, ohne dass sich die angeregten Schwingungen gegenseitig überlagern.
Wegen der weiteren Einzelheiten, insbesondere zum Einspruchsverfahren vor der Patentabteilung sowie zum Wortlaut der jeweils abhängigen Patentansprüche 2 bis 7 wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II.
1. Die Beschwerde der Patentinhaberin ist statthaft und auch sonst zulässig, aber nicht begründet. Die Patentabteilung hat das angegriffene Patent im Ergebnis zu Recht widerrufen.
2. Das Patent betrifft ein Massedurchflussmessgerät, das nach dem CoriolisPrinzip arbeitet, mit wenigstens einem zu Schwingungen anregbaren, von einem Medium durchströmbaren Messrohr, wenigstens einem Schwingungserzeuger zur Anregung der Schwingungen des Messrohrs und wenigstens einem Schwingungsaufnehmer zur Erfassung der angeregten Schwingungen des Messrohrs, wobei mehr als zwei Messrohre vorgesehen sind, insbesondere eine gerade Anzahl von Messrohren vorgesehen ist, wobei die Messrohre ein- und auslaufseitig in Anschlussstücken auseinander bzw. zusammenlaufen (Patentschrift, Absatz 0001).
Nach dem Coriolis-Prinzip arbeitende Massedurchflussmessgeräte seien grundsätzlich seit vielen Jahren bekannt, sie erlaubten die Bestimmung des Massedurchsatzes des durch das Messrohr strömenden Mediums mit hoher Genauigkeit. Zur Ermittlung des Massedurchsatzes werde das Coriolis-Messrohr mit einem Schwingungserzeuger oder auch mit mehreren Schwingungserzeugern zu Schwingungen – insbesondere mit der Eigenfrequenz einer bestimmten Eigenform einer Schwingung – angeregt und die tatsächlich resultierenden Schwingungen würden mit Schwingungsaufnehmern erfasst und ausgewertet. Die Auswertung bestehe beispielsweise darin, dass die Phasenverschiebung zwischen den von zwei Schwingungsaufnehmern jeweils erfassten Schwingungen ermittelt werde, wobei diese Phasenverschiebung ein direktes Maß für den Massedurchsatz sei. Es seien Coriolis-Massedurchflussmessgeräte bekannt, die ein einziges Messrohr aufwiesen wie auch solche, die genau zwei Messrohre aufwiesen, wobei die Messrohre entweder im Wesentlichen gerade erstreckt oder gekrümmt seien. Massedurchflussmessgeräte mit zwei Messrohren wiesen den Vorteil auf, dass
– eine gegensinnige Anregung der benachbart angeordneten Messrohre vorausgesetzt – der Schwerpunkt des zu Schwingungen angeregten Systems insgesamt erhalten bleibe und das Massedurchflussmessgerät damit nach außen hin mechanisch neutral sei (Absatz 0002).
Die Messrohre der Massedurchflussmessgeräte hätten in Abhängigkeit von der Menge der zu transportierenden Massen ganz unterschiedliche Nennweiten mit unterschiedlichen Wandstärken. Die Messrohre müssten insgesamt so ausgelegt werden, dass sie den erforderlichen Drücken und auftretenden mechanischen Spannungen standhalten könnten, dass sie mit vertretbarem Energieaufwand zu gut erfassbaren Schwingungen anregbar seien, die Eigenfrequenzen des durchströmten Messrohrs in einem gewünschten Bereich lägen und die Messrohre dem Massestrom keinen ungebührlichen Widerstand entgegensetzten. Um größere Masseströme erfassen zu können, könnten nicht einfach die Nennweiten der Messrohre eines bekannten Massedurchflussmessgeräts vergrößert werden, da dadurch automatisch das Schwingverhalten der Messrohre verändert werde. Daher ginge eine Vergrößerung der Nennweite von Messrohren häufig mit einer Verlängerung der Messrohre und damit mit einer Vergrößerung der Abmessungen der gesamten Massedurchflussmessgeräte einher (Absatz 0003).
Aufgabe des Streitpatents sei es, solche Massedurchflussmessgeräte, die nach dem Coriolis-Prinzip arbeiten, anzugeben, die geeignet seien, einen großen Massedurchsatz bei kompakten Abmessungen des Massedurchflussmessgeräts und eine Anregung von Schwingungen bei vergleichsweise geringen Energien zu ermöglichen (Absatz 0010).
2.1 Als Fachmann legt der Senat seiner Entscheidung vor diesem Hintergrund einen Diplom-Ingenieur der Elektrotechnik oder einen Diplom-Physiker, der mit der Entwicklung und dem Betrieb von Durchflussmessgeräten nach dem CoriolisMessprinzip befasst und vertraut ist, zu Grunde.
2.2 Die gestellte Aufgabe soll durch den Gegenstand des Patentanspruchs 1 gemäß Hauptantrag vom 20. September 2017 gelöst werden, der sich wie folgt gliedern lässt:
M1 Massedurchflussmessgerät, das nach dem Coriolis-Prinzip arbeitet, mit zu Schwingungen anregbaren, von einem Medium durchströmbaren Messrohren (2a, 2b, 2c, 2d), Schwingungserzeugern zur Anregung der Schwingungen der Messrohre (2a, 2b, 2c, 2d) und Schwingungsaufnehmern zur Erfassung der angeregten Schwingungen der Messrohre (2a, 2b, 2c, 2d),
M2 wobei mehr als drei Messrohre (2a, 2b, 2c, 2d) vorgesehen sind, insbesondere eine gerade Anzahl von Messrohren (2a, 2b, 2c, 2d) vorgesehen ist,
M3 wobei die Messrohre (2a, 2b, 2c, 2d) ein- und auslaufseitig in Anschlussstücken (5a, 5b) auseinander bzw. zusammenlaufen, dadurch gekennzeichnet, dass M4 die Messrohre (2a, 2b, 2c, 2d) paarweise einander zugeordnet sind und M5 jedes Paar mit separaten Schwingungserzeugern und mit separaten Schwingungsaufnehmern ausgestattet ist, so dass verschiedene Paare von Messrohren unabhängig voneinander angeregt und ausgewertet werden,
M6.1 wobei die verschiedenen Paare von Messrohren unabhängig voneinander in verschiedenen Eigenformen angeregt werden und die Schwingungen der Eigenformen separat ausgewertet werden,
M6.2 ohne dass sich die angeregten Schwingungen gegenseitig überlagern.
Gegenüber dem Hauptantrag ist im Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag das Merkmal M5 wie folgt geändert (Änderungen durch Unter- oder Durchstreichung hervorgehoben):
M5_i jedes Paar mit separaten Schwingungserzeugern und mit separaten Schwingungsaufnehmern ausgestattet ist, so dass verschiedene Paare von Messrohren unabhängig voneinander angeregt und ausgewertet werden anregbar und auswertbar sind.
2.3 Seiner Entscheidung legt der Senat folgendes Verständnis des Fachmanns zugrunde:
Gemäß Merkmal M1 weist ein Massedurchflussmessgerät mehrere Messrohre auf. Die Messrohre werden von einem Medium durchströmt, dessen Durchfluss zu messen ist. Hierzu werden die Messrohre mittels Schwingungserzeugern in Schwingungen versetzt. Die resultierenden Schwingungen der Messrohre werden mit mehreren Schwingungsaufnehmern erfasst. Durch das Vorsehen mehrerer Messrohre kann eine Vergrößerung des Strömungsquerschnitts und damit eine für größere Masseströme geeignete Ausgestaltung eines Coriolis-Messgeräts erzielt werden (Streitpatent, Absatz 0012).
Das Merkmal M2 definiert, dass das Massedurchflussmessgerät mehr als drei, folglich mindestens vier Messrohre aufweist. Dabei kann es sich um eine gerade oder ungerade Anzahl handeln.
Dem Merkmal M3 entnimmt der Fachmann, dass ein- und auslaufseitig der Messrohre Anschlussstücke vorgesehen sind, in denen die Messrohre auseinander bzw. zusammenlaufen. Gemäß Absatz 0014 der Patentschrift dienen Flansche der Anschlussstücke dazu, die Messrohre insgesamt an ein Rohrleitungssystem anzuschließen.
Gemäß Merkmal M4 sind die Messrohre paarweise einander zugeordnet. Jedes Messrohrpaar ist dabei mit separaten Schwingungserzeugern und -aufnehmern ausgestattet und soll so eine voneinander unabhängige Anregung und Auswertung verschiedener Messrohrpaare ermöglichen (Merkmale M5, M5_i). Ein Messrohrpaar ist somit dadurch definiert, dass es eigene Schwingungserzeuger und -aufnehmer aufweist.
Die im Anspruch 1 genannten Messrohre können nach der Anweisung im Unteranspruch 3 auch Messrohrgruppen zugeordnet sein, insbesondere zwei Messrohrgruppen, wobei die Messrohre einer Messrohrgruppe mechanisch miteinander gekoppelt sind, insbesondere die Messrohrgruppen paarweise einander zugeordnet sind und jedes Paar mit separaten Schwingungserzeugern und separaten Schwingungsaufnehmern ausgestattet ist.
Die Messrohrpaare werden gemäß Merkmal M6.1 unabhängig voneinander in verschiedenen Eigenformen angeregt. Unter Eigenformen versteht der Fachmann die Eigenschwingungsformen bzw. Eigenmoden eines schwingenden Systems. Bei einer Anregung in verschiedenen Eigenformen kommen grundsätzlich beliebige unterschiedliche Eigenformen, beispielsweise die Grund- und die erste Oberschwingung, in Betracht. Die Auswertung der Schwingungen der Eigenformen der einzelnen Messrohrpaare erfolgt für jedes Messrohrpaar separat.
Merkmal M6.2 fordert, dass die Anregung und Auswertung derartig erfolgen soll, dass sich die angeregten Schwingungen nicht gegenseitig überlagern. Nach den Ausführungen des Vertreters der Patentinhaberin verstünde der Fachmann die Formulierung „ohne dass sich die angeregten Schwingungen gegenseitig überlagern“ nicht als Problem, das zu verhindern sei, sondern nur als Wirkung der separaten Schwingungserzeuger und -aufnehmer, die eine voneinander unabhängige Auswertung ermöglichen würden. Die Messrohre seien zwar an den Anschlussstücken gekoppelt, jedoch sei die Kopplung an den Endbereichen in der Patentschrift nicht thematisiert.
Dieser Auffassung vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Eine Auslegung des Merkmals M6.2 als reine Wirkungsangabe wäre nur dann veranlasst, wenn allein die unabhängige Anregung und die separate Auswertung im Merkmal M6.1 die technischen Mittel wären, die bereits garantierten, dass sich die angeregten Schwingungen nicht überlagerten. Dieses ist jedoch nicht der Fall. Für den Fachmann ist selbstverständlich, dass die Schwingungen der Messrohre zu einer zyklischen mechanischen Belastung der Anschlussstücke führt, ein Teil der Schwingungsenergie an diese abgegeben wird und – aufgrund der festen mechanischen Verbindung – zu weiteren, mit dem Anschlussstück verbundenen Messrohren überkoppelt. In Übereinstimmung mit diesem allgemeinen Fachwissen des Fachmanns wird etwa in der Druckschrift D4 bzw. deren englischer Übersetzung D4üe ausgeführt, dass Messrohrschwingungen eines Coriolis-Durchflussmessers zu Zugspannungen führen, die Vibrationen in Anschlussstücken der Messrohre erzeugen (vgl. D4, Absatz 0007 und Fig. 6). Bei dem Merkmal M6.2 handelt es sich somit um ein funktionelles Merkmal, dass dem Fachmann die zusätzliche Anweisung gibt, das Massedurchflussmessgerät durch eigenständige technische Mittel so auszugestalten, dass eine üblicherweise vorhandene Überlagerung angeregter Schwingungen verhindert wird.
2.4 Die geltenden Patentansprüche sind zulässig. Anders als die Patentabteilung meint, gehen die Gegenstände der geltenden Patentansprüche nicht über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Anmeldeunterlagen hinaus (§ 21 Abs. 1 Nr. 4 PatG).
Die Patentabteilung führt in ihrer Begründung des angegriffenen Beschlusses vom 20. September 2017 bezüglich der Merkmale M6.1 und M6.2 aus, dass der Anmeldung nicht ohne Weiteres zu entnehmen sei, dass die verschiedenen Paare von Messrohren unabhängig voneinander in verschiedenen Eigenformen angeregt werden und die Schwingungen der Eigenformen separat ausgewertet werden, ohne dass sich die angeregten Schwingungen gegenseitig überlagern (vgl. Beschluss, Seite 5, erster Absatz). Der Absatz 0017 der Patentschrift beschreibe le- diglich, dass durch eine paarweise Zuordnung der Messrohre und Ausstattung jedes Paars mit separaten Schwingungserzeugern und Schwingungsaufnehmern das Massedurchflussmessgerät dazu geeignet sei, eine Anregung bzw. Auswertung durchzuführen, woraus jedoch nicht hervorgehe, dass es erfindungswesentlich sei, das beanspruchte Messgerät derartig zu betreiben. Durch welche Mittel oder Vorrichtungsmerkmale eine solche Anregung bzw. Auswertung in dem Massedurchflussmessgerät erzielt werde, sei in der gesamten Patentanmeldung nicht offenbart (vgl. Beschluss, Seite 5, zweiter Absatz).
Diesbezüglich ist festzustellen, dass im zweiten Absatz der Seite 4 der ursprünglichen Beschreibung wörtlich offenbart ist, dass
„die Meßrohre oder auch Meßrohrgruppen paarweise einander zugeordnet sind und jedes Paar mit separaten Schwingungserzeugern und/oder mit separaten Schwingungsaufnehmern ausgestattet ist. Dadurch ist es möglich, zwei verschiedene Paare von Meßrohren oder Meßrohrgruppen unabhängig voneinander anzuregen und auszuwerten, insbesondere unabhängig voneinander in verschiedenen Eigenformen anzuregen und die Schwingungen der Eigenformen separat auszuwerten, ohne daß sich die angeregten Schwingungen gegenseitig überlagern.“
Diesem Absatz entnimmt der Fachmann unmittelbar und eindeutig, dass es durch die entsprechende Zuordnung und Ausstattung möglich sein soll, die verschiedenen Paare von Messrohren unabhängig voneinander anzuregen und auszuwerten. Insofern ist es für den Fachmann selbstverständlich, diese Möglichkeit zu nutzen und das Gerät auch entsprechend zu betreiben.
Somit sind die Änderungen im Anspruch 1 des Haupt- und des Hilfsantrags zulässig. Auch die jeweiligen Ansprüche 2 bis 7 des Haupt- und des Hilfsantrags gehen in zulässiger Weise auf die am Anmeldetag eingereichten Unterlagen zurück.
3. Die Erfindung ist jedoch nicht so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen kann (§ 21 Abs. 1 Nr. 2 PatG).
Eine Erfindung ist ausführbar offenbart, wenn der Fachmann ohne erfinderisches Zutun und ohne unzumutbare Schwierigkeiten in der Lage ist, die Lehre des Patentanspruchs auf Grund der Gesamtoffenbarung der Patentschrift in Verbindung mit dem allgemeinen Fachwissen am Anmelde- oder Prioritätstag praktisch so zu verwirklichen, dass der angestrebte Erfolg erreicht wird (BGH, Urteil vom 4. Oktober 1979 – X ZR 3/76, GRUR 1980, 166, 168 – Doppelachsaggregat; BGH, Urteil vom 11. Mai 2010 – X ZR 51/06, GRUR 2010, 901 – Polymerisierbare Zementmischung).
Diese Voraussetzungen sind jedoch hier nicht gegeben.
3.1 Insbesondere ist für den Fachmann nicht nachvollziehbar, wie – gemäß Merkmal M6.2 – die Anregung und Auswertung erfolgen kann, ohne dass sich die angeregten Schwingungen gegenseitig überlagern.
Gemäß dem Merkmal M3 ist vorgesehen, dass die Messrohre ein- und auslaufseitig in Anschlussstücken auseinander bzw. zusammenlaufen. Für den Fachmann ist dabei nicht ersichtlich, wie bei einer festen mechanischen Kopplung der Messrohre mittels der Anschlussstücke eine Übertragung bzw. ein Übersprechen der angeregten Schwingungen zwischen den Messrohren verhindert werden kann.
Das Argument der Patentinhaberin, wonach der Fachmann die Anschlussstücke so massiv ausgestalten würde, dass die Biegemomente gegenüber den Anregungen vernachlässigbar seien, kann den vorliegenden Offenbarungsmangel nicht heilen. Zum einen soll gemäß Absatz 0010 des Streitpatents ein Massedurchflussmessgerät mit kompakten Abmessungen geschaffen werden, dem ein hoher Materialeinsatz in den Anschlussstücken widersprechen würde und zum anderen verhindern auch massive Anschlussstücke nicht das Übertragen von Schwingungsenergie.
Auch die Ausführungen in der Beschwerdebegründung vom 28. Mai 2018, wonach es für den Fachmann unmissverständlich sei, dass er bei mechanisch gekoppelten Messrohren, also bei Messrohrgruppen, insgesamt vier Messrohrgruppen bräuchte, damit die erfindungsgemäße Lehre umgesetzt werden könne, also jeweils zwei Paare von Messrohrgruppen gebildet werden könnten, die dann unabhängig voneinander angeregt und ausgewertet werden könnten, wenn jedes dieser Paare aus Messrohrgruppen einen separaten Schwingungsanreger und separate Schwingungsaufnehmer aufweise, konnten zu keinem anderen Ergebnis führen. Denn auch bei vier Messrohrgruppen würden die Messrohre – gemäß Merkmal M3 – ein- und auslaufseitig in Anschlussstücken auseinander bzw. zusammenlaufen, so dass es auch in dieser Anordnung zu einem Übersprechen käme.
Da auch in der Beschreibung und den Figuren keine über die im Anspruch 1 hinausgehenden Angaben gemacht werden, ist letztlich nicht feststellbar, durch welche konkreten technischen Maßnahmen der Fachmann das patentgemäße Merkmal M6.2 verwirklichen soll. Eine Nacharbeitung ist demnach nicht möglich.
3.2 Ferner erhält der Fachmann durch die gesamten Unterlagen keinen Hinweis, wie eine ungerade Anzahl von Messrohren (Merkmal M2) paarweise einander zugeordnet (Merkmal M4), sowie paarweise angeregt und ausgewertet werden kann (Merkmale M5 und M6.1). Somit weiß der Fachmann auch diesbezüglich nicht, was die Patentinhaberin erfunden hat und ist daher nicht in der Lage, den Gegenstand des Anspruchs auszuführen.
3.3 Die aufgezeigten Lücken in der Offenbarung der Erfindung bestehen gleichermaßen bei dem Gegenstand des Patentanspruchs 1 gemäß Hilfsantrag, der ebenfalls die Merkmale M2, M4, M6.1 und M6.2 umfasst, so dass auf die diesbezüglichen Ausführungen zum Hauptantrag Bezug genommen wird.
4. Unter diesen Umständen bedurfte es keiner Entscheidung, ob der von der Einsprechenden außerdem geltend gemachte Widerrufsgrund der fehlenden Patentfähigkeit (§ 21 Abs. 1 Nr. 1 PatG) vorliegt.
Die Beschwerde der Patentinhaberin war zurückzuweisen.
Rechtsmittelbelehrung Gegen diesen Beschluss steht den an dem Beschwerdeverfahren Beteiligten das Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde zu (§ 99 Abs. 2, § 100 Abs. 1, § 101 Abs. 1 PatG).
Nachdem der Beschwerdesenat in dem Beschluss die Einlegung der Rechtsbeschwerde nicht zugelassen hat, ist die Rechtsbeschwerde nur statthaft, wenn einer der nachfolgenden Verfahrensmängel durch substanziierten Vortrag gerügt wird (§ 100 Abs. 3 PatG):
1. Das beschließende Gericht war nicht vorschriftsmäßig besetzt. 2. Bei dem Beschluss hat ein Richter mitgewirkt, der von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen oder wegen Besorgnis der Befangenheit mit Erfolg abgelehnt war. 3. Einem Beteiligten war das rechtliche Gehör versagt. 4. Ein Beteiligter war im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten, sofern er nicht der Führung des Verfahrens ausdrücklich oder stillschweigend zugestimmt hat. 5. Der Beschluss ist aufgrund einer mündlichen Verhandlung ergangen, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden sind. 6. Der Beschluss ist nicht mit Gründen versehen.
Die Rechtsbeschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses beim Bundesgerichtshof, Herrenstraße 45a, 76133 Karlsruhe, schriftlich einzulegen (§ 102 Abs. 1 PatG).
Die Rechtsbeschwerde kann auch als elektronisches Dokument, das mit einer qualifizierten oder fortgeschrittenen elektronischen Signatur zu versehen ist, durch Übertragung in die elektronische Poststelle des Bundesgerichtshofes eingelegt werden (§ 125a Abs. 3 Nr. 1 PatG i. V. m. § 1, § 2 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, Abs. 2a, Anlage (zu § 1) Nr. 6 der Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr beim Bundesgerichtshof und Bundespatentgericht (BGH/BPatGERVV)). Die elektronische Poststelle ist über die auf der Internetseite des Bundesgerichtshofes www.bundesgerichtshof.de/erv.html bezeichneten Kommunikationswege erreichbar (§ 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BGH/BPatGERVV). Dort sind auch die Einzelheiten zu den Betriebsvoraussetzungen bekanntgegeben (§ 3 BGH/BPatGERVV).
Die Rechtsbeschwerde muss durch einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt als Bevollmächtigten des Rechtsbeschwerdeführers eingelegt werden (§ 102 Abs. 5 Satz 1 PatG).
Kleinschmidt Kirschneck Arnoldi Dr. Kapels Ko