VIa ZR 1571/22
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES VIa ZR 1571/22 URTEIL in dem Rechtsstreit ECLI:DE:BGH:2025:180325UVIAZR1571.22.0 Der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 18. März 2025 durch die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. C. Fischer als Vorsitzende, die Richterinnen Möhring, Dr. Vogt-Beheim, die Richter Messing und Dr. F. Schmidt für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 24. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 18. Oktober 2022 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 16. November 2022 aufgehoben, soweit die Berufung betreffend eine deliktische Schädigung der Klägerin durch das Inverkehrbringen des erworbenen Fahrzeugs zurückgewiesen worden ist. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Der Streitwert für die Revision wird auf bis 30.000 € festgesetzt.
Von Rechts wegen Tatbestand: 1 Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. 2 Sie kaufte im Dezember 2013 von der Beklagten einen von dieser hergestellten gebrauchten Mercedes-Benz A 200 CDI, der mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgerüstet ist. In dem Fahrzeug wird die Abgasrückführung temperaturabhängig gesteuert und unter Einsatz eines sogenannten Thermofensters bei Unterschreiten einer Schwellentemperatur reduziert. Zudem verfügt das Fahrzeug über eine Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung (KSR), bei der nach der Behauptung der Klägerin ein "Timer" zum Einsatz kommt.
Das Landgericht hat die Beklagte unter Abweisung der weitergehenden Klage zum Ersatz des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung von 5.808,85 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs sowie zur Zahlung vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten nebst Zinsen verurteilt. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht die Klage insgesamt abgewiesen. Die Revision hat es zur Klärung der "rechtlichen Anforderungen, die an ein Schutzgesetz im Sinn von § 823 Abs. 2 BGB zu stellen" seien, "speziell für den Fall" der EG-FGV zugelassen. Die Klägerin verfolgt mit ihrer zuletzt auf die deliktischen Ansprüche beschränkten Revision die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat in dem zuletzt von der Klägerin verfolgten Umfang Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für den noch anhängigen Teil der Revision von Interesse - im Wesentlichen wie folgt begründet:
Die Beklagte hafte nicht gemäß §§ 826, 31 BGB. Die Klägerin habe die Voraussetzungen einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung - das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung unterstellt - nicht schlüssig behauptet. Es fehle an berücksichtigungsfähigem, auf tatsächliche Anhaltspunkte gestütztem Vortrag zu einem vorsätzlichen Verhalten von Repräsentanten der Beklagten. Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV oder Vorschriften der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 oder der Durchführungsverordnung (EG) Nr. 692/2008 scheitere bereits daran, dass es sich bei diesen Normen nicht um Schutzgesetze handele.
II.
Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
1. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB mangels vorsätzlichen (und sittenwidrigen) Verhaltens der für sie handelnden Repräsentanten verneint hat (vgl. BGH, Urteil vom 25. September 2023 - VIa ZR 1277/22, juris Rn. 8; Urteil vom 16. Oktober 2023 - VIa ZR 1139/22, juris Rn. 8). Die von der Revision erhobenen Verfahrensrügen hat der Senat geprüft und für nicht durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird gemäß § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.
2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27 sowie Rn. 73 bis 79). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass der Klägerin nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20, NJW 2024, 361 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder der Klägerin Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
Das angefochtene Urteil ist im tenorierten Umfang aufzuheben, § 562 Abs. 1 ZPO, weil es sich insoweit nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil diese nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird die Klägerin Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu der - bislang lediglich unterstellten - Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.
C. Fischer Messing Möhring Vogt-Beheim F. Schmidt Vorinstanzen: LG Stuttgart, Entscheidung vom 25.02.2022 - 29 O 385/21 OLG Stuttgart, Entscheidung vom 18.10.2022 - 24 U 950/22 - Verkündet am: 18. März 2025 Wendt, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle