7 Ni 2/16 (EP)
BUNDESPATENTGERICHT Ni 2/16 (EP) (Aktenzeichen)
IM NAMEN DES VOLKES URTEIL Verkündet am
13. Juli 2017 …
In der Patentnichtigkeitssache …
BPatG 253 08.05 betreffend das europäische Patent 0 798 168 (DE 597 02 480)
hat der 7. Senat (Juristischer Beschwerdesenat und Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 13. Juli 2017 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Rauch, der Richter Dipl.-Ing. Hildebrandt und Dipl.-Ing. Küest, der Richterin Dr. Schnurr und des Richters Dipl.-Ing. Dr. Großmann für Recht erkannt:
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand Die vorliegende Klage richtet sich gegen den inländischen Teil des in deutscher Sprache erteilten und mittlerweile durch Zeitablauf erloschenen europäischen Patents 0 798 168, das auf eine Anmeldung vom 13. März 1997 zurückgeht. Das Streitpatent, das die Priorität des deutschen Gebrauchsmusters 29605896 U vom 29. März 1996 in Anspruch nimmt, wird beim Deutschen Patent- und Markenamt unter dem Aktenzeichen 597 02 480 geführt. Es ist bezeichnet mit „SeitenaufprallSchutzeinrichtung für Fahrzeuginsassen“ und wurde in dem früheren Nichtigkeitsverfahrens 7 Ni 62/14 (EP) durch das rechtskräftig gewordene Senatsurteil vom 2. Oktober 2014 in geänderter Fassung aufrechterhalten. In der nunmehr geltenden Fassung umfasst das Streitpatent in seiner für Deutschland gültigen Version Ansprüche, wobei die Ansprüche 2 bis 24 unmittelbar bzw. mittelbar auf Anspruch 1 rückbezogen sind.
Patentanspruch 1 hat in seiner erteilten, durch das genannte Senatsurteil nicht geänderten Fassung folgenden Wortlaut:
1. Seitenaufprall-Schutzeinrichtung für Fahrzeuginsassen, mit einem Kopf-Gassack (10), dadurch gekennzeichnet, dass sich der langgestreckte, für einen Front- und einen Heckinsassen vorgesehene, Kopf-Gassack (10) in aufgeblasenem Zustand von einem Bereich seitlich eines Frontinsassen bis in einen Bereich seitlich eines Heckinsassen erstreckt und in gefaltetem Zustand in einem Montageschlauch (22) angeordnet ist.
Wegen des Wortlauts der Unteransprüche wird auf das Senatsurteil vom 2. Oktober 2014 (veröffentlicht in der Rechtsprechungs-Datenbank des Bundespatentgerichts auf dessen Homepage http://juris.bundespatentgericht.de) verwiesen.
Die Klägerin legt als Anlagen K1 und K3 zwei zwischen den Parteien abgeschlossene Lizenzvereinbarungen mit Nichtangriffsklauseln vom 17. September 2012 bzw. vom 5. Dezember 2013 vor, die jedoch nach ihrer Meinung die Erhebung der vorliegenden Klage nicht hindern. Von der Beklagten, die ihrerseits mit Schriftsatz vom 21. September 2015 beim Landgericht M… eine Verletzungsklage eingereicht hat (Anlage K2), wird die Zulässigkeit der Nichtigkeitsklage nicht bestritten.
Die Klägerin macht den Nichtigkeitsgrund der mangelnden Patentfähigkeit geltend (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 Buchst. a), Art. 54, 56 EPÜ). Sie bezieht sich hierfür auf folgende Publikationen:
K15 Offenlegungsschrift DE 196 47 679 A1 K16 Patentanmeldung GB 2 293 355 A K17 Patentanmeldung JP 47-27580 mit englischer Übersetzung K17a K18 deutsche Offenlegungsschrift 15 55 142 K19 Offenlegungsschrift DE 43 04 919 A1 K20 Artikel „Weißwurst-Connection“ aus der Zeitung „mot“,
Ausgabe 22, 1994, Seiten 112 bis 116 K21 Offenlegungsschrift DE 43 07 175 A1 K22 Offenlegungsschrift DE 43 04 152 A1 Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei durch die (nachveröffentlichte) Schrift K15 neuheitsschädlich vorweggenommen und dem Fachmann durch die Schriften K16, K17, K18 und K22 nahegelegt gewesen.
Ferner beruft sich die Klägerin darauf, dass dieser Gegenstand durch die (im Jahre 2009 mit der Klägerin verschmolzene) Firma H… GmbH (nachfolgend: H…) offenkundig vorbenutzt worden sei, und zwar im Zusammenhang mit Entwicklungen von Seitenairbags, einerseits für die M… AG (gemäß Anlagenkonvolut K13a bis K13k), andererseits für die V… AG (gemäß Anlagenkonvolut K14a bis K14h).
H… habe spätestens im Sommer 1995 damit begonnen, in Zusammenarbeit mit der Firma H… bzw. H… GmbH (nachfolgend: H1…) Seitenairbags u. a. für die M… AG (nachfolgend: M…) zuentwickeln. Am 19. Oktober 1995 hätten H… und H1… anlässlich eines Besuchs bei M… in S… ihre Ideen und Entwicklungen präsentiert. Im Besuchsbericht (Anlage K13b) heißt es unter Punkt 8: „Im W203 wird von M… zumindest im Vorfeld eine Kederairbagausstattung für vorne und hinten vorgesehen“. Weitere Abstimmungstreffen habe es am 6. und 10. November 1995 gegeben, wobei die Planung weiterhin auf einen einheitlichen Airbag sowohl für den Bereich des Vorder- als auch des Rücksitzes gerichtet gewesen sei (vgl. Anlagen K13c bis K13e).
Im November 1995 sei die vorgesehene technische Lösung eines durchgängigen, sowohl den Bereich des Vorder- als auch des Rücksitzes schützenden Seitenairbags als Kopfschutz für die Passagiere in der von M… auf Grundlage der von H… entwickelten technischen Lösung erstellten technischen Zeichnung K13g fixiert worden. Aus deren Figuren gingen alle Merkmale des Anspruchs 1 des Streitpatents hervor. Die Zeichnung selbst sei undatiert, es finde sich auf ihr aber das Faxdatum 21. November 1995.
Nachfolgend seien die Airbags wiederholt gegenüber MB präsentiert und getestet worden, etwa am 8. Dezember 1995 in Oberpfaffenhofen. Letztlich hätten jedoch auf Grund ihrer nicht ausreichenden Expertise auf diesem sicherheitsrelevanten Gebiet nicht H… und H1…, sondern die hiesige Beklagte als langjähriger und etablierter Zulieferer den Zuschlag erhalten (vgl. Anlagen K13h, K13i). Im Frühjahr 1996 habe M… forciert, dass H… und H1… mit der Beklagten zusammenarbeiten und ihr Details über ihre Entwicklung preisgeben sollten.
Im Frühjahr 1996 habe M… einen „Konzeptwettbewerb Rückhaltesysteme BR 203“ für die Komponenten „Sidebag für zusätzlichen Kopfschutz“ durchgeführt und dabei mehrere Firmen angeschrieben, darunter H1… (Anlage K13K). In dem Anschreiben vom 20. Februar 1996 heißt es zwar auf Seite 2: „Sämtliche Informationen, die Sie mit dieser Anfrage erhalten, sind vertraulich zu behandeln“. Da es sich jedoch um einen Wettbewerb gehandelt habe, seien naturgemäß verschiedene Zulieferer angeschrieben worden, darunter auch die Beklagte. Nach der Lebenserfahrung habe die berechtigte Erwartung bestanden, dass die Informationen gerade nicht geheim blieben und Dritte hiervon Kenntnis nehmen könnten. Ferner sei es im weiteren Verlauf der Tätigkeit bei M… zu einem Vertrauensbruch gekommen, da M… noch im Vorfeld der Präsentation eine Kooperation zwischen H…
und der Rechtsvorgängerin der Beklagten gefordert und sich schließlich auch für deren Konzept entschieden habe; auch dies spreche für die Öffentlichkeit der Information. Als wesentliches Dokument sei ein Lastenheft beigefügt gewesen, wobei gemäß Abschnitt 1.1 drei verschiedene Airbagsysteme angeboten werden sollten, darunter ein Sidebagmodul für zusätzlichen Kopfschutz. Hierzu heißt es unter Abschnitt 4.1:
„Lieferzustand Funktionsfähiges Gesamtmodul zum nicht sichtbaren Einbau im Bereich des Dachrahmen-Seitenteils, bestehend aus
• Gehäuse/Verpackung/Abdeckung • Gasgenerator • Luftsack • Adapterteile Anmerkung: Der aufgeblasene Kopfschutz soll den gesamten möglichen Kontaktbereich abdecken; also A-Säule, B-Säule mit Gurthöhenversteller, Dachrahmen bis einschließlich C-Säule.“
Die Schlussanmerkung sei vor dem Hintergrund der vorangegangenen Besprechung vom 10. November 1995 (Anlage K13e) zu sehen; die dort ausgesprochene Empfehlung sei maßgeblich in das Lastenheft mit eingeflossen.
Was die Arbeiten für die V… AG (nachfolgend: V…) betrifft, so sei es im Anschluss an verschiedene Treffen und Präsentationen von H… und H1… bei VW (vgl. Anlagen K14a bis K14d) am 15. Januar 1996 bei dem VW-Zulieferer Autoliv zu einer Kick-off-Präsentation für das Projekt „Kederbag für VW“ gekommen. Die Kooperation mit Autoliv sei von V… vorgegeben worden, wobei H… und H1… immer noch für die Entwicklung involviert gewesen seien. In der Kick-offPräsentation (Anlage K14f) seien verschiedene Kopf-Airbagsysteme miteinander verglichen worden, darunter das System „IC“ (= inflatable curtain), wozu auch der Seitenkopfairbag von H…/H1… zähle (im Unterschied zum System IST = inflatable tubular structure). Aus der Präsentation K14f seien die Merkmale M0 bis M4 des Anspruchs 1 bekannt. Eine weitere Präsentation habe am 30. Januar 1996 im Hause A… stattgefunden, wobei dort auch Mitarbeiter der weiteren ZulieferFirma A… Ltd. dabei gewesen seien.
Im März 1996 sei die vorgesehene technische Lösung eines durchgängigen, sowohl den Bereich des Vorder- als auch des Rücksitzes schützenden Seitenairbags in der technischen Zeichnung K14h, in der unten rechts das Datum 7. März 1996 eingetragen sei, fixiert worden. Aus dieser Zeichnung gingen sämtliche Anspruchsmerkmale hervor.
Die beiden Vorbenutzungen seien für den Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents neuheitsschädlich, zumindest sei dieser Gegenstand dem Fachmann durch das Dokument K13k (dort insbesondere Punkt 4.1) in Zusammenschau mit K16 nahegelegt gewesen.
Zum Nachweis der beiden behaupteten Vorbenutzungen bietet die Klägerin Beweis an durch den früheren HS-Geschäftsführer S… als Zeugen.
Auch die Merkmale der Unteransprüche sind nach Meinung der Klägerin durch den Stand der Technik vorweggenommen bzw. nahegelegt.
Die Klägerin beantragt das europäische Patent 0 798 168 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland in vollem Umfang für nichtig zu erklären.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen hilfsweise die Klage abzuweisen, soweit sie sich gegen die Patentansprüche in der Fassung der in nämlicher Reihenfolge gestellten Hilfsanträge 1, 1a, 1b, 2, 2a, 2b, 3, 3a, 3b richtet (Hilfsanträge 1 und 3 gemäß Schriftsatz vom 17. Februar 2017, Bl. 178 ff., 190 ff. d. A., die übrigen Hilfsanträge gemäß Schriftsatz vom 23. Juni 2017, Bl. 273 ff. d. A.).
Die Beklagte widerspricht dem Vortrag der Klägerin in allen Punkten. Nach ihrer Meinung ist Anspruch 1 zumindest in einer der mit Hilfsanträgen verteidigten Fassungen bestandsfähig, und mit ihm die auf ihn rückbezogenen Unteransprüche.
Die Entgegenhaltung K15 hält die Beklagte im Hinblick auf den Gegenstand des Anspruchs 1 für nicht neuheitsschädlich. Dieser Gegenstand beruhe auch auf erfinderischer Tätigkeit.
Zu den von der Klägerin geltend gemachten Vorbenutzungen trägt die Beklagte vor, der von H… entwickelte und zum Patent angemeldete sog. Kederbag (Anlage K13a) sei bereits im europäischen Einspruchsverfahren diskutiert worden. Es handele sich dabei um einen Airbag lediglich für einen einzelnen Insassen; es sei nicht möglich, ihn als überlangen Gassack von der A- bis zur C-Säule im Fahrzeug zu verbauen. Auf Grund seiner Unterbringung in einem Spezialgehäuse, welches am Blechfalz des Türrahmens geklemmt werde, decke der aufgeblasene Gassack nur den Türrahmenbereich ab, und er könne wegen seiner Befestigung am Blechfalz auch nur in dessen Bereich angeordnet sein. Dies werde durch die Unterlagen K13b bis K13K untermauert. Für die MB-Fahrzeuge W210 (E-Klasse) und W203 (C-Klasse) sei von Anfang an auf zwei getrennte Gassäcke (Kederbags) für vorne und hinten gesetzt worden. Diese sollten lediglich durch einen gemeinsamen Gasgenerator aufgeblasen werden.
Die MB-Zeichnung K13g habe mit den vorhergehenden Konzeptionen (Anlagen K13a bis K13e) nichts zu tun. Es sei unklar, wann diese Zeichnung, an wen und unter welchen Umständen weitergeleitet worden sei. Auch ihr Inhalt sei nicht klar und eindeutig. Es dürfte sich nicht um die Darstellung eines Kederairbags handeln, sondern einer Airbagvorrichtung mit Schusskanal. Im Übrigen sei der FaxVersand kein Nachweis für eine offenkundige Vorbenutzung. Dem später entstandenen Besprechungsprotokoll K13i sei zu entnehmen, dass M… getrennte, belegungsgesteuerte Systeme für Front- und Fond-Passagiere angestrebt habe, d. h. der Airbag sollte nur dort ausgelöst werden, wo Passagiere auch tatsächlich sitzen.
Das Dokument K13k sei eindeutig vertraulich zu behandeln gewesen. Außerdem habe der dort ausgeschriebene Airbag keinesfalls sämtliche Anspruchsmerkmale aufgewiesen.
Insgesamt habe die Entwicklungszusammenarbeit von H… und H1… mit M… unter Geheimhaltung gestanden. Im Automobilbau werde von Zulieferern und erst recht von Entwicklungspartnern strengste Geheimhaltung verlangt. Dies habe auch bei der Entwicklung von neuen Insassenschutzvorrichtungen in den 1990er Jahren gegolten, als es einen Wettlauf um neue Airbag-Systeme gegeben habe. M… habe sich als Vorreiter der Sicherheitstechnik ausgegeben (neben V1…); diesen Vorsprung könne ein Hersteller nur halten, wenn er über Innovationen „nichts herausposaune“. Umgekehrt habe auch ein Geheimhaltungsinteresse bei H… und bei H1… bestanden. Sich bei M… als „undichter“ neuer Kooperationspartner zu präsentieren, hätte bereits das Ende jeglicher Zusammenarbeit bedeutet.
Auch bzgl. der Vorbenutzung „V…“ bestreitet die Beklagte die Offenkundigkeit der vorgelegten Dokumente und stellt ebenso darauf ab, dass diese keinen durchgehenden, zwei Meter langen Gassack für die vorderen und die hinteren Insassen beträfen; insbesondere seien weder im Dokument K14g noch in der CADZeichnung K14h solche Gassäcke dargestellt.
Der Senat hat den Parteien mit Schreiben vom 10. März 2017 einen frühen gerichtlichen Hinweis gemäß § 83 Abs. 1 PatG zukommen lassen.
Wegen des Vorbringens der Parteien im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze und das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.
Entscheidungsgründe Die Klage ist zulässig, jedoch unbegründet, weil der geltend gemachte Nichtigkeitsgrund der mangelnden Patentfähigkeit (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 Buchst. a), Art. 54, 56 EPÜ) nicht vorliegt.
I.
1. Die Klage ist zulässig ungeachtet des Umstands, dass das Streitpatent seit dem 13. März 2017 wegen Ablaufs seiner Höchstlaufzeit (§ 16 PatG) erloschen ist. Da die Klägerin wegen Patentverletzung in Anspruch genommen wird, hat sie ein schutzwürdiges Interesse an der rückwirkenden Beseitigung des Streitpatents (vgl. Benkard/Hall/Nobbe, PatG, 11. Aufl., § 81 Rn. 32 m. w. N.).
2. Der Zulässigkeit der Klage steht ebenso nicht entgegen, dass die Parteien vor dem Prioritätstag zusammengearbeitet und miteinander zwei Lizenzverträge abgeschlossen haben. Zwar enthalten diese Lizenzverträge u. a. die Verpflichtung, Patente des jeweils anderen Vertragspartners vier Jahre lang nicht mit einer Nichtigkeitsklage anzugreifen (siehe Anlage K1, Punkt 9, bzw. K3, Punkt 10). Bei den beiden Lizenzverträgen geht es jedoch nicht um Patente für Erfindungen auf dem Gebiet der Seitenaufprall-Schutzeinrichtungen, sondern der Sicherheitsgurte bzw. der Knieschutz-Gassäcke (K1, Punkt 1.1, nennt die Patente DE 199 27 731 C2 - Gurtstraffer; DE 100 29 061 C2 - Rückhaltevorrichtung für ein KFZ mit einem Sicherheitsgurt und einem Gurtstraffer; DE 10 2004 054 078.0 Verfahren zum Blockieren einer Wickelwelle eines Sicherheitsgurtes; EP 1 651 478 B1 - Steuerung eines dem elektrischen Motor eines Sitzgurtaufrollers zugeführten Stroms; K3, Punkt 1.1, nennt die Patente EP 0 952 043 B1 Knieschutzeinrichtung für Fahrzeuginsassen; US 6,155,595 - Knee protection device for vehicle occupants; JP 4146962 B 2 - keine Übersetzung verfügbar, jedoch ermittelbar über die Familienrecherche in DEPATISnet zu EP 0 952 043 B1 (https://depatisnet.dpma.de/DepatisNet/de). Die Nichtangriffsabreden erfassen somit nicht das vorliegende, auf einem anderen technischen Gebiet angesiedelte Streitpatent.
Hinzu kommt, dass die Nichtangriffsverpflichtungen, selbst wenn sie das vorliegende Streitpatent erfassen würden, gemäß Art. 101 Abs. 1 AEUV wegen ihrer den Wettbewerb beschränkenden Wirkung unwirksam wären; eine Freistellung gemäß Art. 101 Abs. 3 AEUV kommt gemäß Art. 5 Abs. 1 Buchst. b) VO (EU) Nr. 316/2014 nicht in Betracht (vgl. Benkard/Rogge/Kober-Dehm, a. a. O., § 22 Rn. 42).
II.
1. Die vorliegende Erfindung betrifft nach ihrer Beschreibung in der Streitpatentschrift EP 0 798 168 B1 (Absätze [0001] bis [0005]) eine Seitenaufprall-Schutzeinrichtung für Fahrzeuginsassen mit einem Kopf-Gassack. Als Ausgangspunkt für die Erfindung wird die internationale Anmeldung WO 94/19215 genannt. Der dort beschriebene Kopf-Gassack ist schlauchförmig ausgebildet (sog. „BMW-Weißwurst“) und an seinen seitlichen Enden an der A- und an der B-Säule befestigt. Dieser Gassack ist nur zum Schutz des Frontpassagiers vorgesehen. Daneben nennt die Beschreibung u. a. zwei nachveröffentlichte Schriften (WO 97/35748 und WO 96/26087) zu Kopfschutzsystemen mit einem langgestreckten Gassack, der sich jeweils seitlich eines Frontinsassen bis seitlich eines Heckinsassen erstrecke und nach Art eines Vorhangs bzw. einer Luftmatratze ausgestaltet sei.
Aufgabe der Erfindung soll es der Streitpatentschrift zufolge sein, eine einfache Seitenaufprall-Schutzeinrichtung zu schaffen, die im aufgeblasenen Zustand stabil im Fahrzeug gehaltert sei, bei der der Gassack und möglichst auch der Gasgenerator auf einfache Weise im Fahrzeug untergebracht werden können und die mög- lichst auch noch bei einem Fahrzeugüberschlag Schutz bieten könne (Streitpatentschrift Absatz [0006]).
2. Diese Aufgabe soll erfindungsgemäß durch eine Seitenaufprall-Schutzeinrichtung gemäß Anspruch 1 gelöst werden. Die Merkmale dieses Anspruchs können wie folgt gegliedert werden:
M0 Seitenaufprall-Schutzeinrichtung für Fahrzeuginsassen mit M1 einem Kopf-Gassack; M2 der Kopf-Gassack ist langgestreckt; M3 der Kopf-Gassack ist für einen Front- und einen Heckinsassen vorgesehen; M4 der Kopf-Gassack erstreckt sich in aufgeblasenem Zustand von einem Bereich seitlich eines Frontinsassen bis in einen Bereich seitlich eines Heckinsassen; M5 der Kopf-Gassack ist in gefaltetem Zustand in einem Montageschlauch angeordnet.
3. Zuständiger Durchschnittsfachmann, auf dessen Wissen und Können es insbesondere für die Auslegung der Merkmale des Streitpatents und für die Interpretation des Standes der Technik ankommt, ist im vorliegenden Fall ein Dipl.-Ingenieur (FH) der Fachrichtung Maschinenbau, mit Spezialkenntnissen in der Entwicklung, Konstruktion und Fertigung von Schutzeinrichtung für Fahrzeuginsassen.
4. Dieser Fachmann geht bei der Auslegung der Merkmale des Anspruchs 1 von folgendem Verständnis aus:
a) Die Seitenaufprall-Schutzeinrichtung umfasst einen Kopf-Gassack, der gemäß Merkmal M2 langgestreckt und gemäß Merkmal M3 zugleich für einen Frontund einen Heckinsassen vorgesehen ist. Dies bedeutet, dass ein und derselbe Gassack bei einem Seitenaufprall zugleich den Front- als auch den Heckinsassen am Kopf schützen soll. Bei dem Merkmal M3 handelt es sich um eine Zweckangabe, d. h. der geschützte Gegenstand muss so ausgebildet sein, dass er für den im Patentanspruch angegebenen Zweck verwendbar ist (BGH GRUR 2009, 837, 838 [15] - Bauschalungsstütze). Demnach genügt es nicht, wenn sich der KopfGassack entsprechend Merkmal M4 in aufgeblasenem Zustand von einem Bereich seitlich eines Frontinsassen bis in einen Bereich seitlich eines Heckinsassen erstreckt. Hinzukommen muss, dass diese Erstreckung mit einer ausreichenden Schutzwirkung für den Kopf sowohl des Front- und als auch des Heckinsassen verbunden ist.
b) Über die Lage des Kopf-Gassackes ist in Anspruch 1 lediglich ausgesagt, dass er sich in aufgeblasenem Zustand von einem Bereich seitlich eines Frontinsassen bis in einen Bereich seitlich eines Heckinsassen erstreckt (Merkmal 4). Hingegen trifft Anspruch 1 keine Festlegung bezüglich der Anordnung des KopfGassacks vor der Gasbefüllung. In den Ausführungsbeispielen gemäß Figuren 1 und 2 wird der Kopf-Gassack entweder unter eine Fahrzeug-Innenverkleidung längs der A-Säule, des Dachrahmens und der C-Säule (Streitpatentschrift Spalte 3, Zeilen 48 bis 51) oder - bei nachträglichem Einbau - an der Außenseite der Verkleidung (Streitpatentschrift Spalte 3, Zeile 56, bis Spalte 4, Zeile 3) montiert. Im Patentanspruch 1 sind derartige Festlegungen jedoch nicht enthalten. Ebenso enthält Anspruch 1 keine Festlegung im Hinblick auf die Befestigung des Kopf-Gassackes (vgl. hierzu Streitpatentschrift Spalte 2, Zeilen 49 f. und Patentansprüche 2, 5, 10, 14, 16, 22, 23 in der geltenden Fassung des Senatsurteils vom 2. Oktober 2014).
c) Gemäß Merkmal 5 ist der Kopf-Gassack in gefaltetem Zustand in einem Montageschlauch angeordnet. Dieses Merkmal betrifft den Kopf-Gassack vor einer etwaigen Gas-Befüllung, bei der er aus der schlitzartigen Austrittsöffnung 34 des Montageschlauchs herausgleitet (Spalte 4 Zeilen 10 bis 21). Die Anordnung in einem Montageschlauch soll der einfacheren Montage des Kopf-Gassacks dienen (Streitpatentschrift Spalte 2, Zeile 45), wodurch ein Beitrag zur Lösung der Teilaufgabe, den Gassack auf einfache Weise im Fahrzeug unterzubringen, geleistet wird. Hierfür ist erforderlich, dass der in seiner Querrichtung gefaltete KopfGassack bereits während des Montagevorgangs von dem Montageschlauch umfasst ist. Dabei muss der Montageschlauch eine gewisse Festigkeit aufweisen, um den Kopf-Gassack bei der Montage und im eingebauten Zustand so zusammenzuhalten, dass dessen Querfaltung nicht bereits vor der Gasbefüllung verloren geht.
d) Der Montageschlauch kann direkt am Fahrzeug befestigt werden (Streitpatentschrift Absatz 2, Zeilen 47 bis 49). Zwingend notwendig ist dies nach dem Wortlaut des Anspruchs 1 jedoch nicht (vgl. dagegen Anspruch 2 in der geltenden Fassung), weshalb dem Montageschlauch eine Befestigungsfunktion begrifflich nicht immanent ist.
e) Bei dem Montageschlauch handelt es sich um ein längliches und flexibles Gebilde (in Übereinstimmung mit dem allgemeinen Verständnis des Begriffs „Schlauch“, vgl. etwa www.wikipedia.de, „Schlauch“, Stand Juli 2017: „Ein Schlauch ist ein flexibler länglicher Hohlkörper mit zumeist rundem Querschnitt im Unterschied zum unflexiblen Rohr“; Brockhaus, Enzyklopädie, 21. Aufl. 2006, Band 24, Seite 295: „biegsames Rohr aus Gewebe, Gummi, Kunststoff oder Metall …“). Flexibilität heißt nicht, dass der Schlauch insgesamt aus flexiblem Material gemacht sein muss (dies betrifft lediglich Patentanspruch 4 in der geltenden Fassung). Der Schlauch kann auch aus mehreren für sich gesehen unflexiblen Gliedern bestehen, wenn diese sich nicht in einer starren, sondern in einer flexiblen Anordnung zueinander befinden.
Für ein hiervon abweichendes Verständnis des Begriffs „Schlauch“ bietet die Streitpatentschrift keine Anhaltspunkte. Insbesondere ergibt sich dies - entgegen den Darlegungen der Klägerin in der mündlichen Verhandlung - nicht aus den Ausführungen in der Streitpatentschrift Spalte 4, Zeilen 15 bis 18, wonach der Montageschlauch aus flexiblem Material, vorzugsweise aus weichem Kunststoff, gefertigt ist und eine ovale, runde oder beliebige andere Querschnittsform aufweist. Diese Bemerkungen beziehen sich auf das in Figur 1 dargestellte, hinsicht- lich der Materialangabe dem Unteranspruch 4 entsprechende Ausführungsbeispiel. Für den Fachmann ist auch selbstverständlich, dass ein Schlauch eine andere als runde Querschnittsform aufweisen kann, insbesondere wenn er nicht lediglich zum Durchleiten einer Flüssigkeit, sondern zum Schutz eines in ihm eingebrachten Gegenstands, der seinerseits keinen runden Querschnitt aufweist, dienen soll.
Gleiches gilt für die Ausführungen in Absatz [0014] der Streitpatentschrift, welcher bestimmt, dass der Montageschlauch „vorzugsweise aus flexiblem Material hergestellt ist“. Dieser Absatz betrifft eine spezielle Ausführungsform des Streitpatents als nachträglich einbaubare Einheit, welche an die Kontur des Fahrzeugs angepasst werden kann. Er bietet keine Anhaltspunkte für eine Auslegung, nach welcher jedes den Gassack umgebende Gehäuse zugleich einen Montageschlauch im Sinne des Streitpatents darstellt.
III.
Der Gegenstand des erteilten (und durch das Senatsurteil vom 2. Oktober 2014 aufrecht erhaltenen) Patentanspruchs 1 erweist sich gegenüber den Angriffen der Klägerin als patentfähig.
1. Der Patentgegenstand war am Prioritätstag durch die nachveröffentlichte (und deshalb gemäß § 3 Abs. 2, § 4 Satz 2 PatG nur unter dem Gesichtspunkt der Neuheit zu berücksichtigende) deutsche Offenlegungsschrift 196 47 679 A1 (K15) nicht vorweggenommen.
Zwar zeigt K15 (wie insbesondere der dortigen Figur 7 zu entnehmen ist) die Merkmale M0 bis M4, nämlich einen langgestreckten Kopf-Gassack als Seitenaufprall-Schutzeinrichtung für sowohl einen Front- als auch einen Heckinsassen, der sich in aufgeblasenem Zustand von einem Bereich seitlich eines Frontinsassen bis in einen Bereich seitlich eines Heckinsassen erstreckt.
Jedoch ist das Merkmal M5, wonach der Kopf-Gassack in gefaltetem Zustand in einem Montageschlauch angeordnet ist, dieser Schrift nicht zu entnehmen. Der dort in Figur 4 gezeigte Gassackkörper ist nicht in einem Montageschlauch, sondern in einem starren Gehäuse 30 untergebracht, bestehend aus einem Basisteil 30B und einem Deckel 30A, der um einen Scharnierabschnitt 30C beim Entfalten des Gassacks 20 aufschwenkt (vgl. Spalte 3, Zeilen 39 ff.).
Entsprechend dem allgemeinen, auch hier zugrunde zu legenden Verständnis, wonach es sich bei einem Schlauch um ein flexibles Gebilde handelt (s. o. II.4.e), wird der Fachmann das Gehäuse 30 nicht als Montageschlauch ansehen. Dies gilt unabhängig davon, ob das Gehäuse diejenige Aufgabe erfüllt, die nach der Streitpatentschrift einem Montageschlauch zukommt (s. o. II.4.d). Die an sich gebotene funktionale Betrachtung darf bei räumlich-körperlich definierten Merkmalen nicht dazu führen, dass deren Inhalt auf die bloße Funktion reduziert und das Merkmal in einem Sinne interpretiert wird, der mit der räumlich-körperlichen Ausgestaltung, wie sie dem Merkmal eigen ist, nicht mehr in Übereinstimmung steht (Schulte/Rinken/Kühnen, PatG, 9. Aufl., § 14 Rn. 31 m. w. N.).
Auf Grund des fehlenden Merkmals 5 ist die Druckschrift NK15 daher nicht neuheitsschädlich für den Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents.
2. Die Neuheit des durch den geltenden Anspruch 1 geschützten Gegenstands wird auch durch die von der Klägerin angeführten Vorbenutzungshandlungen nicht in Frage gestellt, wobei es auf die Offenkundigkeit dieser Handlungen nicht ankommt. Aus diesem Grund brauchte der Senat den von der Klägerin angebotenen Zeugenbeweis nicht zu erheben.
Was die Entwicklung eines Kopfschutz-Gassacks für Mercedes-Benz angeht, so enthalten die hierzu vorgelegten Anlagen K13b, K13c, K13e, K13f, K13h, K13i, K13j - Kopien von Protokollen, internen Mitteilungen oder sonstigem Schriftverkehr der beteiligten Firmen, die sich allesamt auf den so genannten Kederbag beziehen - keine Angaben bezüglich der Merkmale M4 und M5 des Anspruchsgegen- standes. Dies gilt auch für die Anlage 13d, eine Skizze, die, wie in Anlage K 13b, S. 2 unter Ziffer 8, beschrieben, einen mittig an der B-Säule angeordneten Gasgenerator mit einem T-förmigen Anschlussstück zeigt, das auf der linken Seite einen Airbag mit dem Gasgenerator verbindet und die Möglichkeit bietet, auf der rechten Seite ebenfalls einen Airbag anzuschließen. Ebenso lässt die Zeichnung K13g, die eine im Längsschnitt dargestellte Dachrahmenverkleidung zeigt, nicht erkennen, ob der dort dargestellte Airbag über die B-Säule durchgeführt ist bzw. ob er von der A-Säule bis zur C-Säule reicht.
Aus der Anlage K13k, die sich auf einen „Konzeptwettbewerb Rückhaltesysteme BR 203“ der M… AG bezieht, geht ein Montageschlauch i. S. d. Merkmals M5 unstrittig nicht hervor.
Die Anlagen K14a, K14b, K14c, K14d, K14e, K14f (Kopien von Protokollen, internen Mitteilungen und Schriftverkehr der beteiligten Firmen), mit denen eine offenkundige Vorbenutzung im Zusammenhang mit Entwicklungsarbeiten für die V… AG belegt werden soll, beziehen sich ebenfalls auf den so genannten Kederbag und machen - ebenso wie die Schrift K14h - keine Angaben bezüglich der Merkmale M4 und M5 des Anspruchsgegenstandes. Auch die Anlagen K14g und K14h lassen keine Erstreckung des Gassacks von der A-Säule bis zur CSäule bzw. seitlich vom Kopf eines Frontinsassen bis seitlich vom Kopfes eines Heckinsassen erkennen.
IV.
Auch die für die Annahme der Patentfähigkeit erforderliche Erfindungshöhe des Gegenstands von Anspruch 1 wird durch den von der Klägerin insoweit geltend gemachten Stand der Technik nicht in Frage gestellt.
1. In der Patentanmeldung GB 2 293 355 A (K16), insbesondere in den Figuren 12 und 13, ist u. a. eine Seitenaufprall-Schutzeinrichtung mit einem KopfGassack 8 dargestellt. Dieser Gassack erstreckt sich seitlich eines Frontinsassen und ist in gefaltetem Zustand in einem dort als Stofftasche 5 (fabric pocket) bezeichneten Montageschlauch angeordnet (K16, Seite 17, Zeile 25). Die Merkmale M0 bis M2 und M5 gehen somit aus dieser Druckschrift hervor. K16 zeigt jedoch keinen Gassack, der sich i. S. d. Merkmale M3 und M4 im aufgeblasenen Zustand vom Bereich seitlich eines Frontinsassen bis in einen Bereich seitlich eines Heckinsassen erstreckt und beiden Insassen einen Kopfschutz bietet.
Wird der Fachmann ausgehend von K16 vor die Aufgabe gestellt, einen Kopfschutz für mindestens zwei Insassen zu bewerkstelligen, so wird er durch diese Druckschrift nicht angeregt, zur Lösung dieser Aufgabe den dort offenbarten Gassack bis in den Heckbereich zu erstrecken. Zwar enthält die Druckschrift Hinweise auf mögliche Kosteneinsparungen und auf eine flexible Verwendung des Airbags zur Optimierung der Sicherheit (K16, Seite 5, Zeilen 3 bis 5). An anderen Stellen ist davon die Rede, dass ein größerer Airbag (vgl. hierzu etwa K16, Seite 16, Zeilen 1 bis 12) durch zwei Gasgeneratoren aufgeblasen werden könne (K16, Seite 9, Zeilen 11 f.) und dass in bekannten Systemen vorgeschlagen worden sei, bei Seitenkollisionen Fahrzeuginsassen durch einen Airbag zu schützen, der zwischen dem Oberkörper des Insassen und der Fahrzeuginnenwand Wirkung entfaltet (K16, Seite 1, Zeilen 11 bis 13). Figur 9c zeigt eine alternative Form des Gassacks mit einer Ausdehnung 28 zum Schutz des Kopfes (vgl. K16, Seite 16, Zeilen 9 bis 10: „extension 28 for head protection“). Alle diese Bemerkungen vermitteln dem Fachmann jedoch keine Anregung dazu, den in K16 offenbarten und dort durchgehend für jeweils nur eine Person vorgesehenen Airbag so zu verändern, dass er gleichzeitig zwei Personen, nämlich einen Front- und einen Heckinsassen schützen kann. Es wird dem Fachmann im Gegenteil vermittelt, dass auch ein größerer Airbag lediglich für einen Frontsitz-Passagier vorgesehen ist (K16, Seite 9, Zeile 14).
Der Darstellung in K16, Figur 13, ist zu entnehmen, dass sich der aufgeblasene Kopfschutz-Gassack am Dachholm von einer Stelle 35 etwa oberhalb des Knies des Frontinsassen bis zu einer Stelle kurz hinter der B-Säule erstreckt und dabei zwischen diesen Anbringungspunkten sichelförmig verläuft. Der Kopf des Insas- sen befindet sich dabei etwa in dem Bereich, in dem der sichelförmige Gassack seine größte Dicke (i. S. der vertikalen Ausdehnung) aufweist. Auf diese Weise soll für den Insassen der optimale Schutz erreicht werden (K16, Seite 17, Zeilen 19 bis 21). Würde man die hintere Befestigung des Gassacks nach hinten, etwa in den Bereich der C-Säule, verschieben, dann würde der Bereich, in dem der Gassack seine größte Dicke aufweist, etwas hinter der B-Säule zu liegen kommen, während sich die Köpfe des Front- und des Heckpassagiers sich dort befinden würden, wo sich die Sichelform des Gassacks zu den Enden hin verjüngt. Der Fachmann erkennt ohne weiteres, dass auf diese Weise kein optimaler Kopfschutz für die Insassen zu erreichen wäre. Auch aus diesem Grund würde er von einer derartigen Verlängerung des Gassacks absehen und stattdessen eher daran denken, zum Schutz des Heckpassagiers einen separaten Gassack entsprechend dem in K16, Figuren 12, 13 gezeigten vorzusehen.
Für dessen Befestigung an der Dachkante des Fahrzeugs ist im Übrigen noch ausreichend Platz vorhanden, ungeachtet des Umstands, dass sich bei der Ausgestaltung gemäß Figuren 12, 13 die hintere Befestigung des im Frontbereich installierten Gassacks hinter der B-Säule befindet.
2. Ausgehend von K16 war dem Fachmann der Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents auch in Zusammenschau mit der japanischen Patentanmeldung 47-27580 (K17) oder mit der deutschen Offenlegungsschrift 1 555 142 (K18) nicht nahegelegt. Auch wenn aus diesen Schriften der Grundgedanke, mehrere Fahrzeuginsassen durch ein Gassacksystem zu schützen, hervorgehen mag, so konnte dies den Fachmann nicht veranlassen, den aus K16 bekannten Kopfschutz-Gassack i. S. d. Merkmale 3 und 4 des Streitpatents weiterzuentwickeln.
a) Die Entgegenhaltung K17 zeigt keinen durch einen Gasgenerator aufzublasenden Gassack, sondern verfolgt mit der dort gezeigten Schutzeinrichtung eine im Vergleich zum Streitgegenstand andere technische Lösung, um Fahrzeuginsassen bei einem Aufprall rundum zu schützen. Gemäß Figur 1 ist im Himmel 2 des Fahrzeugs ein Sackkörper 3 untergebracht. Im Falle eines Aufpralls expan- diert der Sackkörper 3 sofort und hängt vom Himmel 2, um Insassen 6 in einhüllender Weise zu bedecken (vgl. K17a, Seite 4 oben). Hinweise auf die Merkmale M3 und M4 des geltenden Patentanspruchs 1 lassen sich der Entgegenhaltung K17 mithin schon wegen der andersartigen Anordnung des Sackkörpers 3 nicht entnehmen.
b) Die Schrift K18 bezieht sich nach ihrem Anspruch 1 zwar auf eine Einrichtung zur Erhöhung der Sicherheit der Insassen von Fahrzeugen; die Fahrzeuge dort sind aber mit pneumatisch wirksamen Polsterungen ausgestattet, die vorwiegend aus hinter den Köpfen der Fahrzeuginsassen angeordneten, aufblasbaren und der Kopfform angepassten kleinen Luftsack-Schutzelementen bestehen. Die Luftsack-Schutzelemente sind an der Karosserie und/oder an den verlängerten Gerüsten der Sitzlehen 2 befestigt. Auch dieser Entgegenhaltung lassen sich schon wegen der Anordnung von kleinen Luftsack-Schutzelementen keine Hinweise auf die Merkmale M3 und M4 des geltenden Patentanspruchs 1 entnehmen.
3. Auch die deutsche Offenlegungsschrift 43 04 152 A1 (K22) konnte den Fachmann nicht zum Gegenstand des Anspruchs 1 führen. Sie betrifft eine Schutzvorrichtung für einen Fahrzeuginsassen (K 22, Spalte 3, Zeile 17), die eine Fensteröffnung des Fahrzeugs mit Hilfe mehrerer Airbags überdeckt. Ausgehend von den aus K18 bekannten Luftsack-Schutzelementen macht es sich K22 zur Aufgabe, eine Schutzvorrichtung zu schaffen, die hinsichtlich ihrer Schutzwirkung bei einem seitlichen Unfall optimiert ist (K22, Spalte 1, Zeilen 23 bis 26). Hierzu sollen verschiedene Airbags zusammenwirken, u. a. ein zwischen der Türaußenwand und dem Fensterschacht angeordneter, sich im aufgeblasenen Zustand zwischen dem Insassen und dem Fensterbereich befindlicher Türairbag 20 und ein oberhalb des Fensters und des Kopfes des Insassen befindlicher Airbag 25, dessen Hauptaufgabe in einem Schutz des Kopfes des Fahrzeuginsassen vor einem harten Aufprall auf das Dach besteht (K 22, Spalte 5, Zeilen 39 bis 42). In der Unfallphase ist zwischen den beiden Airbags zunächst eine begrenzt querfeste (z. B. klettverschlussartige, siehe Patentanspruch 2) Verbindung vorhanden, wodurch ein z. B. vor Glassplittern schützender aufgeblasener Seitenvorhang bzw. eine Seitenwand für den oberen Bereich des Fahrzeuginsassen gebildet wird (K22, Spalte 3, Zeilen 5 bis 11, Spalte 4, Zeile 45).
Aus K22 ergibt sich kein Hinweis darauf, dass einer der Airbags 20 bzw. 25 sowohl für den Front- als auch für den Heckinsassen vorgesehen ist. Vielmehr ist durchgehend nur von einem Fenster bzw. von einer Fensteröffnung die Rede (siehe etwa Patentanspruch 1 und Beschreibung Spalte 1, Zeilen 33 f., 35, 36, 38, 39, 44, 61; Spalte 2, Zeilen 7, 25, 53; Spalte 3, Zeilen 9, 12, 22, 23, 31, 43). Der Fachmann, der um die Problematik großvolumiger Systeme weiß, wird auch nicht zur Ausdehnung eines Airbags über den Bereich von mehr als einem Fenster angeregt, im Gegenteil wird ihm der umgekehrte Hinweis gegeben, dass zur Beschleunigung des Aufblasens ein an sich größerer Airbag durch mehrere kleinere Airbags ersetzt werden kann (K22, Spalte 3, Zeilen 25 bis 28 und Zeilen 55 bis 57).
Wenn es an anderer Stelle heißt, dass bei entsprechender Dimensionierung der Airbags diese sich auch an angrenzenden Fahrzeugsäulen (A-, B- und C-Säule) abstützen könnten (K22, Spalte 3, Zeilen 14 bis 17), so wird dies der Fachmann nicht so verstehen, dass sich ein und derselbe Airbag an allen drei genannten Säulen abstützen kann, vielmehr dass ein Airbag für den Frontinsassen sich an der A- und an der B-Säule, und dass ein Airbag für den Heckinsassen sich an der B- und an der C-Säule abstützen kann.
Aus diesem Grund konnte der Fachmann durch die Kombination der Schriften 16 und 22, die beide keinen Kopfschutz-Gassack für gleichzeitig zwei Insassen zeigen, nicht zum Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents gelangen. Dies gilt unabhängig davon, welche der beiden Entgegenhaltungen zum Ausgangspunkt der Überlegungen gemacht wird.
4. Auch durch das als K13k vorgelegte Lastenheft für einen M…Konzeptwettbewerb war der Fachmann am Prioritätstag in Zusammenschau mit der Entgegenhaltung K16 - entgegen den Darlegungen der Klägerin in der mündli- chen Verhandlung - nicht zu einer Seitenaufprall-Schutzeinrichtung mit der in Patentanspruch 1 enthaltenen Merkmalskombination angeregt. Dies gilt unabhängig von der seitens der Beklagten bestrittenen Offenkundigkeit des Lastenheftes. Insbesondere sind aus Punkt 4.1 des Lastenheftes die Merkmale M3 und M4 nicht zu erkennen. Aus der dortigen Anmerkung, wonach der aufgeblasene Kopfschutz den gesamten möglichen Kontaktbereich abdecken soll, also A-Säule, B-Säule mit Gurthöhenversteller, Dachrahmen bis einschließlich C-Säule, ist lediglich der Umfang des angestrebten Insassenschutzes zu entnehmen, nicht jedoch, auf welche Weise dieser Schutz zu bewerkstelligen sein soll. Die Entwicklung entsprechender Lösungen wurde gerade von den Teilnehmern am Konzeptwettbewerb gefordert.
Ebenso ergibt sich aus der den zusätzlichen Kopfschutz betreffenden Volumenangabe unter Punkt 4.2 (20 Liter) kein Hinweis darauf, dass der Luftsack zugleich den Front- und den Heckinsassen schützen soll, insbesondere im Vergleich zu dem für den unter der Türabdeckung einzubauenden Luftsack (16 Liter, siehe Lastenheft Punkt 3.2) oder mit dem Volumen des in K16 zum Schutz eines einzelnen Insassen vorgesehenen Kopf-Gassacks (15 Liter, vgl. K16, Seite 17, Zeile 24).
V.
Somit hat Patentanspruch 1 Bestand. Die Unteransprüche 2 bis 24 (in der geltenden Fassung des Streitpatents) betreffen zweckmäßige, nicht triviale Ausgestaltungen der Anordnung nach Anspruch 1. Sie sind schon wegen ihres Rückbezugs auf Anspruch 1 patentfähig, unabhängig davon, ob ihre zusätzlichen Merkmale ihrerseits neu sind und ob sie auf erfinderischer Tätigkeit beruhen.
Die Klage war daher insgesamt abzuweisen, weshalb auf die Hilfsanträge der Beklagten nicht eingegangen zu werden braucht.
VI.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 Satz 2 PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 ZPO.
VII. Rechtsmittelbelehrung Gegen dieses Urteil ist das Rechtsmittel der Berufung gegeben.
Die Berufungsschrift muss von einer in der Bundesrepublik Deutschland zugelassenen Rechtsanwältin oder Patentanwältin oder von einem in der Bundesrepublik Deutschland zugelassenen Rechtsanwalt oder Patentanwalt unterzeichnet und innerhalb eines Monats beim Bundesgerichtshof, Herrenstraße 45a, 76133 Karlsruhe eingereicht werden.
Die Berufungsfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit dem Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung. Die Berufungsfrist kann nicht verlängert werden.
Die Berufungsschrift muss die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet wird, sowie die Erklärung enthalten, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde. Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden.
Rauch Hildebrandt Küest Dr. Schnurr Dr. Großmann Pr