III ZB 23/19
BUNDESGERICHTSHOF III ZB 23/19 BESCHLUSS vom 5. Dezember 2019 in dem Rechtsstreit ECLI:DE:BGH:2019:051219BIIIZB23.19.0 Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 5. Dezember 2019 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Herrmann, die Richterinnen Dr. Liebert, Dr. Arend und Dr. Böttcher sowie den Richter Dr. Kessen beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Beklagten wird der Beschluss des Landgerichts Halle vom 18. Februar 2019 - 1 S 12/19 - aufgehoben.
Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens trägt der Kläger, wobei Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens übersteigt 500 € nicht.
Gründe:
I.
Im August 2009 wurde dem Beklagten ein vom Kläger erwirkter Vollstreckungsbescheid über eine Hauptforderung von 139,22 € unter der Anschrift Brühl 3 in Merseburg durch Einlegung in den Briefkasten zugestellt. Im Oktober erhob der Beklagte Einspruch gegen den Vollstreckungsbescheid mit der Begründung, dieser sei ihm nicht wirksam zugestellt worden. Hierzu legte er eine Meldebescheinigung vor, nach der er zum Zustellungszeitpunkt bereits verzogen war. Mit Schriftsatz vom 14. Dezember 2018 machte der Kläger geltend, dass der Zustellungsmangel geheilt worden sei, da der Vollstreckungsbescheid im November 2011 dem zur Entgegennahme von Zustellungen bevollmächtigten Schuldnerberater des Beklagten übermittelt worden sei. Hierauf verwarf das Amtsgericht mit Urteil vom 20. Dezember 2018 den Einspruch als unzulässig, da er nicht rechtzeitig eingelegt worden sei. Das Urteil wurde dem Beklagten am 7. Januar 2019 zugestellt.
Am 16. Januar 2019 erhob der Beklagte "Anhörungsrüge gemäß § 321a ZPO" und "hilfsweise Gegenvorstellung" und beanstandete, keine Gelegenheit zur Stellungnahme zu dem Schriftsatz vom 14. Dezember 2018 erhalten zu haben. Hierauf legte das Amtsgericht die Akten dem Landgericht vor. Dieses wies den Beklagten darauf hin, dass sein Rechtsbehelf als - mangels Einlegung durch einen Rechtsanwalt unzulässige - Berufung auszulegen sei. Daraufhin teilte der Beklagte mit, dass er bewusst Anhörungsrüge erhoben habe, da eine Berufung wegen Nichterreichens der Berufungssumme nicht eröffnet sei.
Mit Beschluss vom 18. Februar 2019 hat das Landgericht den von ihm gleichwohl als Berufung ausgelegten Rechtsbehelf als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es unter anderem ausgeführt, dass nach § 514 Abs. 2 Satz 2 ZPO ein zweites Versäumnisurteil unabhängig von der Erreichung der Berufungssumme mit der Berufung anfechtbar sei. Um ein solches handele es sich nach §§ 700 Abs. 1 und 6, 345 ZPO bei dem den Einspruch gegen den Vollstreckungsbescheid verwerfenden Urteil. Eine nach § 321a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO subsidiäre Anhörungsrüge sei daher nicht eröffnet.
Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Beklagten.
II.
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1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO ohne Rücksicht auf den Beschwerdewert (vgl. Senat, Beschluss vom 8. September 2011 - III ZR 259/10, NJOZ 2012, 1415 Rn. 5) statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie ist auch im Übrigen zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO).
2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Der angefochtene Beschluss verletzt den Beklagten in seinem verfassungsrechtlich garantierten und aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz und ein faires Verfahren.
Das Berufungsgericht hat den Rechtsbehelf des Beklagten unzutreffend als Berufung ausgelegt und über diese entschieden. Tatsächlich hat der Beklagte keine Berufung eingelegt, sondern eine statthafte Anhörungsrüge erhoben, über die das Amtsgericht unter Fortführung des erstinstanzlichen Verfahrens hätte befinden müssen. Diese Rechtsschutzmöglichkeit ist ihm durch den angefochtenen Beschluss abgeschnitten worden.
Im vorliegenden Fall war eine Berufung nicht eröffnet, weil der Wert des Beschwerdegegenstandes 600 € nicht übersteigt (§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO), so dass dem Beklagten - worauf er zu Recht hingewiesen hat - nur die Anhörungsrüge als Rechtsbehelf verblieb. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts greift § 514 Abs. 2 Satz 2 ZPO nicht ein. Denn das Urteil vom 20. Dezember 2018 ist kein zweites Versäumnisurteil nach §§ 700 Abs. 1 und 6, 345 ZPO, das aufgrund erneuter Säumnis des Beklagten in einem gemäß § 341a ZPO auf seinen Einspruch anberaumten Termin ergangen wäre, sondern ein Urteil nach § 700 Abs. 1, § 341 Abs. 1 und 2 ZPO, dem keine mündliche Verhandlung vorausgegangen ist, in der der Beklagte hätte säumig sein können. Gegen eine solche Entscheidung ist die Berufung nur zulässig, wenn die Berufungssumme erreicht ist (vgl. Senat, Beschluss vom 8. September 2011, aaO Rn. 6).
Der angefochtene Beschluss, der zwar wirkungslos ist, soweit damit eine vom Beklagten nicht eingelegte Berufung als unzulässig verworfen worden ist, aber eine ihm nachteilige Kostenentscheidung gemäß § 97 Abs. 1 ZPO trifft, ist mithin aufzuheben (vgl. BGH, Urteil vom 17. April 1996 - VIII ZR 108/95, NJW 1996, 1969, 1970 zur Aufhebung von wirkungslosen Urteilen). Von der Erhebung von Gerichtskosten für das Rechtsbeschwerdeverfahren, zu dem es bei richtiger Sachbehandlung nicht gekommen wäre, sieht der Senat gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 GKG ab. Das Landgericht hat die Akten an das Amtsgericht zur Entscheidung über die Anhörungsrüge zurückzuleiten.
Herrmann Liebert Arend Böttcher Kessen Vorinstanzen: AG Merseburg, Entscheidung vom 20.12.2018 - 10 C 159/18 (X) LG Halle, Entscheidung vom 18.02.2019 - 1 S 12/19 -