VIa ZR 1659/22
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES VIa ZR 1659/22 URTEIL in dem Rechtsstreit Verkündet am: 26. März 2024 Bachmann Justizfachangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle ECLI:DE:BGH:2024:260324UVIAZR1659.22.0
- 2- Der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 26. März 2024 durch die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. C. Fischer als Vorsitzende, die Richterin Dr. Krüger, den Richter Dr. Götz, die Richterin Dr. Vogt-Beheim und den Richter Dr. Katzenstein für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 5a. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 28. November 2022 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als der Berufungsantrag auf Zahlung (Hauptforderung in Höhe von 39.545,80 € nebst Zinsen) und die Berufungsanträge auf Feststellung und Freistellung zurückgewiesen worden sind. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen Tatbestand: 1 Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug in Anspruch. 2 Er erwarb am 20. Februar 2020 einen von der Beklagten hergestellten gebrauchten BMW X3 xDrive 20d, der mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor der Baureihe B47 (Schadstoffklasse Euro 6) ausgerüstet ist. 3 Das Landgericht hat die auf Zahlung von Schadensersatz nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs, Feststellung des Annahmeverzugs sowie Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten gerichtete Klage
- 3- abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit der vom Senat insoweit zugelassenen Revision verfolgt er seine Berufungsanträge weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision des Klägers hat Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
Dem Kläger stehe ein Anspruch aus den §§ 826, 31 BGB nicht zu. Ein Thermofenster könne als solches nicht die Sittenwidrigkeit begründen. Weder sei vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass die Beklagte das Kraftfahrt-Bundesamt durch unzutreffende Angaben über ein Thermofenster getäuscht habe. Auch in Bezug auf die weiteren behaupteten Abschalteinrichtungen seien Umstände im Sinne einer sittenwidrigen Schädigung nicht erkennbar. Der Kläger habe keine Umstände substantiiert dargetan, die auf unzulässige Abschalteinrichtungen in diesem Sinne schließen ließen.
Einem Anspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV stehe entgegen, dass der Kläger ein Verschulden der Beklagten nicht dargetan habe.
II.
Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren teilweise nicht stand.
1. Zwar begegnen die vom Kläger insbesondere unter dem Gesichtspunkt des rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG angegriffenen Erwägungen, auf die das Berufungsgericht die Verneinung eines Schadensersatzanspruchs gemäß §§ 826, 31 BGB gestützt hat, mit Rücksicht auf die höchstrichterlich geklärten Maßstäbe für Einrichtungen der Emissionskontrolle ohne Prüfstandsbezug einerseits (vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 19. Januar 2021 - VI ZR 433/19, NJW 2021, 921 Rn. 16 ff. und vom 9. März 2021 - VI ZR 889/20, NJW 2021, 1814 Rn. 26 ff.) und für die an den
- 4- Klägervortrag zu stellenden Anforderungen andererseits (vgl. etwa BGH, Urteil vom 13. Juli 2021 - VI ZR 128/20, VersR 2021, 1252 Rn. 20 ff.; Beschluss vom 4. Mai 2022 - VII ZR 733/21, juris Rn. 20 f.) keinen durchgreifenden Bedenken.
2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Urteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32). Ein Anspruch auf Ersatz des Differenzschadens wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung setzt dabei zwar ein Verschulden des Herstellers voraus. Dieses wird aber vermutet und muss vom Anspruchsteller folglich nicht dargelegt werden. Vielmehr muss sich der Hersteller entlasten (BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 59; Urteil vom 25. September 2023 - VIa ZR 1/23, NJW 2023, 3796 Rn. 13). Auch die weiteren, insofern geltenden Maßstäbe sind geklärt (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 58 ff. und Urteil vom 25. September 2023 - VIa ZR 1/23, NJW 2023, 3796 Rn. 13 f.). Feststellungen in diesem Sinn hat das Berufungsgericht nicht getroffen.
Das Berufungsgericht hat daher zwar im Ergebnis zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 - VII ZR 412/21, juris
- 5- Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
Die angefochtene Entscheidung ist demnach im beantragten Umfang aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil sie sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Das Berufungsgericht wird auf der Grundlage der mit Urteil des Senats vom 26. Juni 2023 in der Sache VIa ZR 335/21 aufgestellten Grundsätze die erforderlichen Feststellungen zu einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben, nachdem es dem Kläger Gelegenheit gegeben hat, den Differenzschaden zu berechnen und dazu vorzutragen.
C. Fischer Vogt-Beheim Krüger Katzenstein Götz Vorinstanzen: LG Chemnitz, Entscheidung vom 29.04.2022 - 2 O 1119/21 OLG Dresden, Entscheidung vom 28.11.2022 - 5a U 1055/22 -