Paragraphen in 17 W (pat) 25/16
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BUNDESPATENTGERICHT W (pat) 25/16 Verkündet am 15. März 2018
…
BESCHLUSS In der Beschwerdesache betreffend die Patentanmeldung 10 2005 007 642.4 - 53 …
hat der 17. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 15. März 2018 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dipl.-Phys. Dr. Morawek, der Richter Dipl.-Ing. Baumgardt und Dipl.-Ing. Hoffmann sowie der Richterin Akintche ECLI:DE:BPatG:2018:150318B17Wpat25.16.0 beschlossen:
Auf die Beschwerde der Anmelderin wird der Beschluss des Deutschen Patent- und Markenamts vom 19. Februar 2016 aufgehoben.
Das Patent wird mit folgenden Unterlagen erteilt:
- Patentansprüche 1 bis 11 und - Beschreibung Seiten 1, 2, 2a, 2b, 3 bis 9,
jeweils wie in der mündlichen Verhandlung überreicht, und - 6 Blatt Zeichnungen mit Figuren 1 bis 9, jeweils vom Anmeldetag.
Gründe I.
Die vorliegende Patentanmeldung wurde am 19. Februar 2005 beim Deutschen Patent- und Markenamt eingereicht. Sie trägt die Bezeichnung
„Eingabevorrichtung für ein Kraftfahrzeug mit einem Touchscreen“.
Die Anmeldung wurde durch Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse G 06 F des Deutschen Patent- und Markenamts in der Anhörung vom 19. Februar 2016 mit der Begründung zurückgewiesen, dass der Gegenstand des Patentanspruchs 1 weder in der Fassung des damals geltenden Hauptantrags noch in der Fassung der Hilfsanträge 1 bis 4 patentfähig sei, (sinngemäß) weil er gegenüber der Druckschrift D1 (s. u.) auf keiner erfinderischen Tätigkeit beruhe; die jeweils darüber hinausgehenden Merkmale beträfen gestalterische Überlegungen im Bereich des Designs grafischer Nutzeroberflächen, welche nicht als technische Mittel zur Lösung eines technischen Problems angesehen werden und deshalb keine erfinderische Tätigkeit begründen könnten.
Gegen diesen Beschluss ist die Beschwerde der Anmelderin gerichtet.
Sie trägt vor, der Fachmann könne hier nicht irgendein Anwendungsprogrammierer für Multitouchscreen-Benutzeroberflächen sein, sondern müsse aus dem Bereich der Kraftfahrzeugtechnik kommen. Besonders sei auch der Anmeldungszeitpunkt zu berücksichtigen, der mehr als zwei Jahre vor der Vorstellung des AppleiPhone liege (welches das erste im Konsumentenmarkt auftretende Gerät mit Mehrfachberührfähigkeit gewesen sei). Rückschauend erschienen viele Anmeldungen, die vor dieser Markteinführung des iPhones getätigt wurden, als naheliegend, da die darin beschriebenen Merkmale aus heutiger Sicht als banal eingestuft würden und eine solche Bedienungsweise auch für den Nichtfachmann heute als die „einzig“ mögliche und sinnvolle Bedienung einer mit einem Touchscreen versehenen Vorrichtung erscheine.
Als nächstliegenden Stand der Technik sehe die Prüfungsstelle wohl die Druckschrift D4 (s. u.) an, welche zumindest die einzige der in der Argumentation bezüglich des Hauptantrags herangezogenen Druckschriften sei, die einen Verweis auf ein Kraftfahrzeug enthalte. Ein Touchscreen sei dort jedoch nicht so offenbart, dass ein verständiger Fachmann veranlasst gewesen wäre, sich um die konkrete Ausgestaltung einer Touchscreen-Benutzeroberfläche zu kümmern. Zwar sei die Druckschrift grundsätzlich mit der Erfassung von Nutzereingaben und der Auslösung von Funktionen befasst, jedoch in keiner Weise mit Problemen einer haptischen Bedienung. Insofern erscheine es abwegig, diese Druckschrift als Ausgangspunkt der Überlegung hinsichtlich der erfinderischen Tätigkeit zu wählen. Die zweite aus Sicht der Prüfungsstelle wesentliche Druckschrift D1 beschäftige sich nicht mit der Funktionseingabe oder Funktionsauslösung in Kraftfahrzeugen; außerdem stellten dort Zeigerelemente die Grundlage einer Bedienung dar, was für das Arbeiten auf Touchscreens in Kraftfahrzeugen völlig unüblich und technisch nicht sinnvoll sei.
Auch die Aussage der Prüfungsstelle, eine konkrete Ausgestaltung eines Berührmusters beruhe ausschließlich auf gestalterischen Überlegungen, sei völlig abwegig und rechtsfehlerhaft, da von der konkreten Ausgestaltung und Erfassung der Signale sowie deren Verarbeitung, so wie es beansprucht ist, ein abweichender technischer Effekt des Verfahrens bzw. der Vorrichtung bedingt sei.
Die Ausführungsform der Druckschrift D1 führe zu einem abweichenden funktionellen Verhalten gegenüber dem in der Anmeldung beanspruchten Verfahren. Daher halte die Anmelderin die Argumentation im Zurückweisungsbeschluss für nicht haltbar und rechtsfehlerhaft. Die Kombination der Druckschriften D1 und D4, sofern der Fachmann sie überhaupt vornehmen würde, sei nicht geeignet, um die beanspruchten Gegenstände nahezulegen. Auch die weiteren im Verfahren zitierten Druckschriften seien nicht geeignet, die in der Argumentationskette bestehenden Lücken zu füllen oder zu ersetzen.
Die Anmelderin stellt den Antrag,
den angegriffenen Beschluss aufzuheben und das nachgesuchte Patent mit folgenden Unterlagen zu erteilen:
Patentansprüche 1 bis 11 und Beschreibung Seiten 1, 2, 2a, 2b, 3 bis 9, jeweils wie in der mündlichen Verhandlung überreicht, und 6 Blatt Zeichnungen mit Figuren 1 bis 9, jeweils vom Anmeldetag.
Das geltende Patentbegehren (hier mit einer zusätzlichen Merkmalsgliederung für den Patentanspruch 1) lautet:
(M1) 1. Verfahren zum Betrieb einer Eingabevorrichtung (2) für ein Kraftfahrzeug (1)
(M2) mit einem Display (22) zur variablen Darstellung von Informationen und Bildern,
(M3) mit einem über dem Display (22) angeordneten Touchscreen (20) zur Eingabe von Befehlen durch Berühren einer Bedienfläche (21) des Touchscreens (20) und
(M4) mit einer Auswertung (12) zur derartigen Bestimmung der Position (80) einer Berührung der Bedienfläche (21),
(M5) dass zumindest zwei gleichzeitig erfolgende Berührungen der Bedienfläche (21) an unterschiedlichen Positionen (80, 81) als solche erkennbar sind,
(M6) wobei mittels des Displays (22) zumindest ein Bedienelement (51) dargestellt wird, und
(M7) wobei eine dem Bedienelement (51) zugeordnete erste Funktion des Kraftfahrzeuges (1) oder der Eingabevorrichtung (2) aufgerufen oder ausgeführt wird,
(M8) wenn die Bedienfläche (21) an einer ersten Position (80) im Bereich des Bedienelementes (51) nicht jedoch gleichzeitig an einer um mehr als einen Abstandsgrenzwert von der ersten Position (80) entfernten zweiten Position (81) berührt wird.
2. Verfahren nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass eine zweite Funktion des Kraftfahrzeuges (1) oder der Eingabevorrichtung (2) aufgerufen oder ausgeführt wird, wenn die Bedienfläche (21) an den zwei unterschiedlichen, um mehr als den Abstandsgrenzwert voneinander entfernten Positionen (80, 81) berührt wird.
3. Verfahren nach Anspruch 2, dadurch gekennzeichnet, dass die zweite Funktion des Kraftfahrzeuges (1) oder der Eingabevorrichtung (2) nicht dem zumindest einen Bedienelement (51) zugeordnet ist, in dessen Bereich die erste Position (80) der zwei gleichzeitig erfolgenden Berührungen der Bedienfläche (21) erkannt wird.
4. Verfahren nach Anspruch 2 oder 3, dadurch gekennzeichnet, dass die zweite Funktion des Kraftfahrzeuges (1) oder der Eingabevorrichtung (2) nur aufgerufen oder ausgeführt wird, wenn die Bedienfläche (21) an den zwei unterschiedlichen, um mehr als den Abstandsgrenzwert voneinander entfernten Positionen (80, 81) berührt wird und die Berührungen länger als eine Sekunde dauern.
5. Kraftfahrzeug (1) mit einer Eingabevorrichtung (2), die ein Display (22) zur variablen Darstellung eines Bedienelementes (51), einen über dem Display (22) angeordneten Touchscreen (20) zur Eingabe von Befehlen durch Berühren einer Bedienfläche (21) des Touchscreens (20) und eine Auswertung (12) zur derartigen Bestimmung der Position (80) einer Berührung der Bedienfläche (21) umfasst, dass zumindest zwei gleichzeitig erfolgende Berührungen der Bedienfläche (21) an unterschiedlichen Positionen (80, 81) als solche erkennbar sind, wobei das Kraftfahrzeug (1) eine Steuerung (11) zum Aufruf oder zur Ausführung einer dem Bedienelement (51) zugeordneten ersten Funktion des Kraftfahrzeuges (1) oder der Eingabevorrichtung (2) bei einer Berührung der Bedienfläche (21) an einer ersten Position (80) im Bereich des Bedienelementes (51) nicht jedoch gleichzeitig an einer um mehr als einen Abstandsgrenzwert von der ersten Position (80) entfernten zweiten Position (81) umfasst.
6. Kraftfahrzeug (1) nach Anspruch 5, dadurch gekennzeichnet, dass bei einer Berührung der Bedienfläche (21) an den zwei unterschiedlichen, um mehr als den Abstandsgrenzwert voneinander entfernten Positionen (80, 81) mittels der Steuerung (11) eine zweite Funktion des Kraftfahrzeuges (1) oder der Eingabevorrichtung (2) aufrufbar oder ausführbar ist.
7. Kraftfahrzeug (1) nach Anspruch 6, dadurch gekennzeichnet, dass die zweite Funktion des Kraftfahrzeuges (1) oder der Eingabevorrichtung (2) nicht dem zumindest einen Bedienelement (51) zugeordnet ist, in dessen Bereich die erste Position (80) der zwei gleichzeitig erfolgenden Berührungen der Bedienfläche (21) erkannt wird.
8. Kraftfahrzeug (1) nach Anspruch 6 oder 7, dadurch gekennzeichnet, dass die zweite Funktion des Kraftfahrzeuges (1) oder der Eingabevorrichtung (2) nur aufgerufen oder ausgeführt wird, wenn die Bedienfläche (21) an den zwei unterschiedlichen, um mehr als den Abstandsgrenzwert voneinander entfernten Positionen (80, 81) berührt wird und die Berührungen länger als eine Sekunde dauern.
9. Kraftfahrzeug (1) nach einem der Ansprüche 5 oder 8, dadurch gekennzeichnet, dass die Bedienfläche (21) eine harte Fläche ist.
10. Kraftfahrzeug (1) nach einem der Ansprüche 5 bis 9, dadurch gekennzeichnet, dass der Touchscreen (20) ein kapazitiver Touchscreen ist.
11. Kraftfahrzeug (1) nach einem der Ansprüche 6 bis 10, dadurch gekennzeichnet, dass die zweite Funktion die Bereitstellung einer Spracheingabe mittels eines Mikrofons (14) umfasst.
Dem Patentbegehren soll die Aufgabe zugrunde liegen, eine Eingabevorrichtung mit einem Touchscreen zu verbessern (siehe geltende Beschreibung Seite 2b Absatz 1). Es sei wünschenswert, eine besonders gut für Kraftfahrzeuge geeignete Eingabevorrichtung zu schaffen.
II.
Die Beschwerde wurde rechtzeitig eingelegt und ist auch sonst zulässig. Sie hat auch Erfolg, da das geltende Patentbegehren durch den bekannt gewordenen Stand der Technik nicht vorweggenommen oder nahegelegt ist und die übrigen Kriterien für eine Patenterteilung ebenfalls erfüllt sind (PatG §§ 1 bis 5, § 34).
1. Die vorliegende Patentanmeldung betrifft ein bestimmtes Eingabeverfahren für einen berührungsempfindlichen Bildschirm (Touchscreen) in einem Kraftfahrzeug, beansprucht als „Verfahren zum Betrieb einer Eingabevorrichtung für ein Kraftfahrzeug“ (Hauptanspruch – Merkmal (M1)) bzw. „Kraftfahrzeug mit einer Eingabevorrichtung“ (nebengeordneter Anspruch 5). Bei derartigen Touchscreens werden typischerweise Bedien-Elemente auf dem Display dargestellt, denen Gerätefunktionen (des Fahrzeugs oder einer seiner Baugruppen, oder auch der Eingabevorrichtung) zugeordnet sind, die durch Berühren des Bedienfeldes im Darstellungsbereich des jeweiligen Bedien-Elementes, in Analogie zum Drücken einer Bedien-Taste, aktiviert werden können (Merkmale (M2), (M3), (M4), (M6), (M7), teilw. (M8) – siehe z. B. Offenlegungsschrift Absatz [0033] und Figur 3 / 4).
Gegenüber üblichen Touchscreens liegt eine erste Besonderheit zunächst darin, dass „zwei gleichzeitig erfolgende Berührungen der Bedienfläche an unterschiedlichen Positionen“ als zwei Berührungen (Doppel-Berührung) erkannt werden können, einschließlich der jeweiligen Berührpositionen (Merkmal (M5), siehe Absatz [0031] Satz 3) – oder ggf. auch mehr als zwei gleichzeitige Berührungen.
Das Merkmal (M8) zielt nun darauf, in welcher Weise eine erkannte Doppel-Berührung interpretiert werden soll bzw. unter welchen Bedingungen eine „erste Funktion“ (Gerätefunktion) ausgelöst werden soll: Die übliche Funktionsauslösung bei Berührung eines Bedienfeldes soll nur dann erfolgen, wenn nicht gleichzeitig eine zweite Berührung erkannt wird an einer Position, die „um mehr als einen Abstandsgrenzwert von der ersten Position“ entfernt ist.
D. h. das Merkmal (M8) stellt im Grunde eine Melange aus verschiedenen Maßnahmen dar: Wenn nur eine einzelne Berührung im Bereich eines BedienElementes erkannt wird, soll die zugeordnete Funktion ausgelöst werden. Wenn aber gleichzeitig eine zweite Berührung erkannt wird, ist zu prüfen, in welchem Abstand von der ersten Berührposition sie erfolgt: ist der Abstand klein genug („nicht … um mehr als einen Abstandsgrenzwert entfernt“), wird die Doppelberührung wie eine „einfache“ Berührung des Bedienfeldes behandelt, d. h. die zugeordnete Funktion wird ebenfalls ausgeführt; ist der Abstand hingegen zu groß („um mehr als einen Abstandsgrenzwert von der ersten Position entfernt“), wird auf „Zwei-Finger-Berührung“ erkannt, und die dem Bedienfeld zugeordnete Funktion wird nicht ausgelöst. Dieser Prüfungs-Ablauf ist insbesondere in Abs. [0035] / [0036] und Figur 5 dargestellt. Der erkannten „Zwei-Finger-Berührung“ kann eine spezielle andere Fahrzeug- oder Eingabe-Funktion zugeordnet sein (siehe Abs. [0037]: Schritt 74 „Bereitstellung einer Spracheingabe“).
Der auf ein „Kraftfahrzeug mit einer Eingabevorrichtung“ gerichtete Nebenanspruch 5 betrifft i. W. eine „Steuerung (11)“ zum Aufruf oder zur Ausführung von Funktionen in derselben Weise, wie sie der Hauptanspruch beschreibt.
Die Anmeldung erläutert nicht, warum bei einer zunächst erkannten Doppel-Berührung die beschriebene Abstandsprüfung vorgenommen wird. Hierzu hat die Anmelderin vorgetragen, dass dies zur Erkennung unbeabsichtigter Doppel-Berührungen vorgesehen sei: Insbesondere in einem Kraftfahrzeug bestehe bei der Bedienung während der Fahrt die Gefahr, dass der berührende Finger, z. B. aufgrund einer Erschütterung des Fahrzeugs, „verrutsche“ und der Touchscreen eine Doppel-Berührung anzeige, obwohl der Bediener nur ein angezeigtes Bedienfeld habe betätigen wollen. Dies könne eben daran erkannt werden, dass die beiden erfassten Berühr-Positionen recht nahe beieinanderlägen. Für diesen Fall nehme die beanspruchte Erfindung eine Interpretation der Doppel-Berührung als die eigentlich gewollte Einfach-Berührung vor.
Als Fachmann, der mit der Aufgabe betraut wird, eine Eingabevorrichtung mit einem Touchscreen insbesondere für die Verwendung in einem Kraftfahrzeug zu verbessern, sieht der Senat einen Fachmann aus dem Bereich der Kraftfahrzeugtechnik an, welcher angesichts des doch recht speziellen Fachgebiets einen Fachmann für Touchscreen-Eingabegeräte und -verfahren hinzuzieht (vgl. BGH GRUR 2012, 482 – Pfeffersäckchen: „… deren Fachkenntnisse sich in einem Team ergänzen“).
2. Das geltende Patentbegehren ist zulässig. Die geltenden Patentansprüche und die Beschreibung gehen nicht über die ursprüngliche Offenbarung hinaus. Auch andere formale Mängel liegen nicht vor.
2.1 Die geltenden Patentansprüche 1, 2, 5, 6, 9, 10 und 11 entsprechen den ursprünglichen Patentansprüchen 1 bis 7, wobei lediglich im Anspruch 2 und im Anspruch 6 gegenüber den ursprünglichen Ansprüchen 2 und 4 die Formulierung „an zwei unterschiedlichen“ zur Klarstellung in „an den zwei unterschiedlichen“ geändert wurde. Dies begegnet keinen Bedenken.
Die neu formulierten Ansprüche 3 / 4 und 7 / 8 können sich auf die Offenbarung gemäß Absatz [0010] und Absatz [0037] der Offenlegungsschrift stützen.
2.2 Die Patentansprüche sind geeignet, klar und deutlich anzugeben, was durch sie unter Schutz gestellt werden soll. An der Ausführbarkeit der beanspruchten Lehre bestehen keine Zweifel.
2.3 Die Beschreibung wurde in zulässiger Weise an die geltenden Ansprüche angepasst, unter Berücksichtigung des entgegengehaltenen Standes der Technik (s. u. Abschnitt 4.).
3. Entgegen der Argumentation im Zurückweisungsbeschluss sind im vorliegenden Fall sämtliche Merkmale des Patentanspruchs 1 (wie auch des nebengeordneten Patentanspruchs 5) bei der Prüfung auf erfinderische Tätigkeit zu berücksichtigen.
3.1 Zu Recht ist allerdings die Prüfungsstelle davon ausgegangen, dass rein „gestalterische Überlegungen im Bereich des Designs grafischer Nutzeroberflächen“ (solange sie nicht auf technischen Erkenntnissen beruhen) nicht als Mittel zur Lösung eines technischen Problems angesehen und deshalb bei der Prüfung auf erfinderische Tätigkeit nicht berücksichtigt werden können (vgl. BGH GRUR 2011, 125 – Wiedergabe topografischer Informationen, u. a.).
3.2 Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor. Die im Zurückweisungsbeschluss als „gestalterische Überlegung“ beurteilte Maßnahme gemäß Merkmal (M8), nahe beieinanderliegende Doppel-Berührungen von weiter auseinanderliegenden zu unterscheiden, hat nichts mit dem Design der Benutzeroberfläche zu tun. Sie dient vielmehr dazu, die Interpretation erkannter Berührungen an die Situation im Kraftfahrzeug anzupassen und insbesondere solche Doppel-Berührungen zu erkennen, die auf „verrutschte“ Einzel-Berührungen zurückzuführen sind (s. o. Abschnitt 1. vorletzter Absatz). Dies stellt grundsätzlich ein technisches Problem dar, das durch die Bestimmung des Abstands der Berührpunkte gemäß Merkmal (M8) gelöst wird.
Daher darf das Merkmal (M8) bei der Prüfung auf erfinderische Tätigkeit nicht ausgeschlossen werden.
4. Der Gegenstand des geltenden Patentanspruchs 1 ist durch den bekannt gewordenen Stand der Technik weder vorweggenommen noch nahegelegt.
4.1 Folgende Druckschriften wurden im Laufe des Verfahrens entgegengehalten:
D1 DE 199 01 481 A1 D2 DE 197 53 742 A1 D3 US 2005 / 24 342 A1 D4 DE 198 39 354 A1 D5 SEARS, Andrew et al.: A New Era for High Precision Touchscreens. In: Advances in human computer interaction, Vol. 3, Ablex Publ. Corp., Norwood, NJ, 1992, S. 1–33 D6 US 5 896 126 A D7 US 2003 / 48 260 A1 D8 WO 03 / 54 680 A2 Die (bereits in der Anmeldung Abs. [0007] angeführte) Druckschrift D1 betrifft ein Verfahren zur Bedienung von bildschirmgesteuerten Prozessen industrieller Großanlagen, z. B. zum Auslösen von Prozessbefehlen von einer Leitwarte für ein Kraftwerk (siehe Spalte 1 Zeile 3 ff., Spalte 3 Zeile 31 bis 35). Die Bedienung kann mittels eines berührungsempfindlichen Bildschirms erfolgen (Spalte 1 Zeile 20). Es können mehrere Positionssignale z. B. von den Fingerspitzen einer menschlichen Hand erzeugt werden (Spalte 2 Zeile 54 bis 58). Allerdings arbeitet D1 mit der Bewegung von „Zeigeelementen“ (Figur: 18A, 18B), wobei zunächst eine Aktivierung eines Befehlsfeldes (Aktionsfeldes) durch Bewegen des Zeigeelementes auf dieses hin und in einem zweiten Schritt eine Befehlsauslösung durch ein Betätigungssignal z. B. durch höheren Druck auf das Feld erfolgen soll (siehe Spalte 4 Zeile 48 bis Spalte 5 Zeile 2). Eine Unterscheidung bei der Befehlsauslösung abhängig davon, ob ein, zwei oder noch mehr Finger gleichzeitig aufliegen, lässt sich aus D1 nicht herauslesen – insbesondere nicht die Fall-Unterscheidung des Merkmals (M8). Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob ein Durchschnittsfachmann diese Druckschrift zur Verbesserung der Eingabe in Kraftfahrzeugen herangezogen hätte, obwohl sich die D1 nicht mit Kraftfahrzeugen befasst und ihre Problemstellung deutlich eine andere ist.
Die Druckschrift D2 beschreibt die Verwendung von „einfachen“ berührungsempfindlichen Bildschirmen in Kraftfahrzeugen. Eine Erkennung mehrerer gleichzeitig erfolgender Berührungen lässt sich der D2 nicht entnehmen.
Die Druckschrift D3 zeigt ebenfalls die Anwendung eines berührungsempfindlichen Bildschirms im Kraftfahrzeug, wobei die Figuren 6 und 7 der D3 mit den Figuren 3 und 4 der Anmeldung übereinstimmen. Jedoch lässt sich eine Erkennung mehrerer gleichzeitig erfolgender Berührungen auch hier nicht entnehmen.
D4 beschreibt ein Fahrzeugkommunikationssystem, das mit geringem Aufwand erweitert und an neue Aufgaben und Applikationen angepasst werden kann (siehe Abs. [0007], [0009], [0012], [0014] u. a.). Rein beispielhaft ist ein Touchscreen als eine von vielen möglichen Eingabeeinheiten angegeben (siehe Spalte 4 Zeile 58). Der Anmelderin ist zuzustimmen, dass sich diese D4 kaum als Ausgangspunkt für eine Weiterentwicklung von einem Touchscreen als Benutzerschnittstelle in einem Kraftfahrzeug eignen dürfte. Insbesondere ist der D4 aber auch keine Anregung entnehmbar, wie eine erkannte gleichzeitige Berührung von zwei unterschiedlichen Positionen auf einem Touchscreen interpretiert werden sollte.
Die Druckschrift D5 ist ein wissenschaftlicher Artikel aus dem Jahr 1992. Sie befasst sich mit dem Einsatz von Touchscreens als Eingabegeräte, geht jedoch dabei aus von einer „einfachen“ Berührungserkennung (siehe insbesondere Seite 12 bis 15); „Multitouch Touchscreens“ sind auf Seite 26 lediglich als Objekt weiterer Forschung beschrieben, ohne dass irgendeine Lehre gegeben würde, wie mit zwei gleichzeitig erfassten Berührpositionen umgegangen werden sollte. Die Prüfungsstelle nimmt Bezug auf Seite 24, letzter Absatz vor dem neuen Abschnitt „Workstation Design“ („The problem of false lift-offs and land-ons …“). Dort ist zu entnehmen, dass besondere Vorsorge getroffen werden sollte bezüglich einer fehlerhaften Berührungserkennung, z. B. durch eine geforderte Minimaldauer einer Berührung, oder durch Berücksichtigen von Verrutschen („… to account for the sliding that may occur“). Wie genau man das machen könnte, und welche Maßnahmen hierfür bei Verwendung eines „Multitouch Touchscreens“ ergriffen werden könnten, dazu liefert die D5 allerdings keine Hinweise.
Aus der Druckschrift D6 war es bekannt, bei einem Touchscreen zur Menü-Eingabe („drop-down menu“) die Anzahl der erkannten Finger zu zählen, um abhängig davon, d. h. abhängig von der Anzahl erkannter Berührpositionen, unterschiedliche Funktionen auszulösen (siehe insbesondere Figur 6 und Spalte 4 Zeile 13 ff., das Ausführungsbeispiel gemäß Figur 3 oder Figur 4, i. V. m. Spalte 3 Zeile 39 bis 41). Hierbei wurde auch schon vorgeschlagen, eine bestimmte Mindestzeit abzu- warten, bevor die Anzahl der Finger als „erkannt“ gilt (Figur 6 Block 615 / 620 „Wait X Seconds“). Über eine besondere Behandlung nah beieinander liegender Doppel-Berührungen i. S. d. Merkmals (M8) findet sich jedoch nichts.
Die Druckschrift D7 beschreibt Eingaben mittels eines Sensors wie z. B. eines Touchscreens (Abs. [0046]), wobei die einzelnen Finger des Nutzers unterschieden werden und den Fingern unterschiedliche Funktionen zugeordnet sind, so dass der benutzte Finger die ausgewählte Funktion bestimmt (Figur 2). Die beschriebene Weiterentwicklung eines Touchscreens kann beispielsweise auch bei einem Instrumentenbrett in Fahrzeugen eingesetzt werden (Abs. [0071]).
Die D8 beschreibt Möglichkeiten, die sich für die Eingabe mittels berührungsempfindlicher Flächen wie z. B. Touchscreens ergeben, wenn mehrere Fingerpositionen gleichzeitig erkannt werden können (siehe insbes. Seite 2 / 3 Unterpunkt (b); Seite 4 Absatz 1; Seite 9 Mitte). So können zwei gleichzeitig gedrückte Finger als Zoom-Funktion interpretiert werden (Seite 9 Mitte, Unterpunkt b), wobei aber eine Mindestdauer von 0,3 Sekunden und ein Mindestabstand von 6 mm eingehalten sein müssen. Drei gleichzeitig erkannte Finger können als Wechsel zur nächsten Menü-Ebene interpretiert werden (Seite 9 Mitte, Unterpunkt c). Als Anwendungsbeispiel werden auch Fahrzeug-Bildschirme genannt (Seite 9 viertletzte Zeile).
4.2 Mit diesem Stand der Technik lässt sich ein Naheliegen der Lehre des geltenden Patentanspruchs 1 nicht begründen.
Zwar waren Touchscreens mit einer Erkennung von Mehrfach-Berührungen bereits vor dem Anmeldetag der vorliegenden Anmeldung bekannt (siehe z. B. die Druckschrift D6) und wurden auch schon für die Anwendung in Fahrzeugen beschrieben (siehe Druckschrift D8). Generell war es bekannt, dass der Entwickler Fehlbedienungen im Auge haben müsse, wie z. B. auch unbeabsichtigtes Verrutschen des Fingers („… to account for the sliding that may occur“ – siehe Druckschrift D5).
Keiner der genannten Druckschriften sind jedoch Anregungen zu entnehmen, wie solche unbeabsichtigten Fehlbedienungen erkannt werden könnten, und wie damit umgegangen werden sollte. Insbesondere lässt sich nirgendwo die Lehre ableiten, im Falle einer erkannten Doppel-Berührung den Abstand der zwei Berührpunkte zu untersuchen und, falls dieser klein genug ist, die Doppel-Berührung wie eine einfache Berührung zu interpretieren.
Genau das ist aber die Lehre des wesentlichen Teils von Merkmal (M8), die nach alledem nicht nahelag und damit die Patentfähigkeit des geltenden Patentanspruchs 1 trägt.
5. Der Nebenanspruch 5 ist auf eine entsprechende Lehre gerichtet („… bei einer Berührung der Bedienfläche (21) an einer ersten Position (80) im Bereich des Bedienelementes (51) nicht jedoch gleichzeitig an einer um mehr als einen Abstandsgrenzwert von der ersten Position (80) entfernten zweiten Position (81)“) und daher gleichfalls gewährbar.
Die Unteransprüche können durch ihre Rückbeziehung auf den Anspruch 1 bzw. Anspruch 5 nicht anders beurteilt werden. Nach der von der Anmelderin durchgeführten Anpassung der Beschreibung liegen für eine Patenterteilung geeignete Unterlagen vor.
Rechtsmittelbelehrung Gegen diesen Beschluss steht den am Beschwerdeverfahren Beteiligten das Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde zu. Da der Senat die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen hat, ist sie nur statthaft, wenn gerügt wird, dass
1. das beschließende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war, 2. bei dem Beschluss ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen oder wegen Besorgnis der Befangenheit mit Erfolg abgelehnt war, 3. einem Beteiligten das rechtliche Gehör versagt war, 4. ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten war, sofern er nicht der Führung des Verfahrens ausdrücklich oder stillschweigend zugestimmt hat, 5. der Beschluss aufgrund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden sind, oder 6. der Beschluss nicht mit Gründen versehen ist.
Die Rechtsbeschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses beim Bundesgerichtshof, Herrenstr. 45 a, 76133 Karlsruhe, durch einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt als Bevollmächtigten schriftlich einzulegen.
Dr. Morawek Baumgardt Hoffmann Akintche Fa
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