XIII ZB 21/23
BUNDESGERICHTSHOF XIII ZB 21/23 BESCHLUSS vom 14. Januar 2025 in der Abschiebungshaftsache ECLI:DE:BGH:2025:140125BXIIIZB21.23.0 Der XIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 14. Januar 2025 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kirchhoff, die Richterinnen Dr. Roloff, Dr. Picker, und Dr. Holzinger sowie den Richter Dr. Kochendörfer beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss der 6. Zivilkammer des Landgerichts Landshut vom 2. März 2023 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.
Gründe:
I. Der Betroffene, ein irakischer Staatsangehöriger, reiste im März 2009 nach Deutschland ein. Die ihm zunächst zuerkannte Flüchtlingseigenschaft wurde wegen schwerwiegender Straftaten widerrufen. Am 25. November 2021 erging eine Ausreiseaufforderung mit Abschiebungsandrohung, die bestandskräftig wurde. Nach der Festnahme des Betroffenen hat das Amtsgericht am 30. November 2022 Abschiebungshaft bis zum 28. Dezember 2022 angeordnet. Das Landgericht hat nach Ablauf des Haftzeitraums die noch auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haft gerichtete Beschwerde zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde.
II. Die zulässige Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.
Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung unter anderem ausgeführt, ein Verstoß gegen das faire Verfahren liege nicht vor. Aus den Angaben des Betroffenen ergebe sich, dass er zur Anhörung keinen Anwalt hinzuziehen wollte.
Dies hält der rechtlichen Nachprüfung stand, soweit die Rechtsbeschwerde eine Verletzung des Grundsatzes des fairen Verfahrens rügt. Es ist allerdings nicht auszuschließen, dass das Beschwerdegericht seiner Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts nicht genügt und dadurch seine Aufklärungspflicht gemäß § 26 FamFG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1, Art 104 Abs. 1 GG verletzt hat.
a) Das Amtsgericht hat nicht gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens verstoßen.
aa) Der Grundsatz des fairen Verfahrens garantiert jedem Betroffenen das Recht, sich in einem Freiheitsentziehungsverfahren von einem Bevollmächtigten seiner Wahl vertreten zu lassen und diesen zu der Anhörung hinzuzuziehen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 10. Juli 2014 - V ZB 32/14, InfAuslR 2014, 442 Rn. 8; vom 12. November 2019 - XIII ZB 34/19, juris Rn. 7; vom 6. Oktober 2020 - XIII ZB 21/19, juris Rn. 14). Erfährt oder weiß das Gericht, dass der Betroffene einen Rechtsanwalt hat, muss es dafür Sorge tragen, dass dieser von dem Termin in Kenntnis gesetzt und ihm die Teilnahme an der Anhörung ermöglicht wird; gegebenenfalls ist unter einstweiliger Anordnung einer nur kurzen Haft nach § 427 FamFG ein neuer Termin zu bestimmen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 25. Oktober 2018 - V ZB 69/18, InfAuslR 2019, 152 Rn. 5; vom 7. April 2020 - XIII ZB 84/19, juris Rn. 9, 10; vom 15. Dezember 2020 - XIII ZB 28/20, juris Rn. 16). Vereitelt das Gericht durch seine Verfahrensgestaltung eine Teilnahme des Bevollmächtigten an der Anhörung, führt dies ohne Weiteres zur Rechtswidrigkeit der Haft; es kommt in diesem Fall nicht darauf an, ob die Anordnung der Haft auf diesem Fehler beruht (vgl. BGH, Beschlüsse vom 6. April 2017 - V ZB 59/16, InfAuslR 2017, 292 Rn. 7; vom 12. November 2019 - XIII ZB 34/19, juris Rn. 7).
bb) Diesen Anforderungen hat die Verfahrensweise des Amtsgerichts entsprochen. Es hat den Betroffenen ausweislich des Protokolls belehrt, dass er sich "in jeder Lage des Verfahrens eines rechtlichen Beistands bedienen kann und dass es ihm freisteht, sich zu der ihm zur Last gelegten Tat zu äußern oder dazu nicht auszusagen". Daraufhin hat der Betroffene erklärt, er habe momentan noch keinen Anwalt, werde aber versuchen, über seine Familie einen Anwalt zu bekommen. Das Gericht hat ihn sodann unter Übergabe des erforderlichen Formulars auf die Möglichkeit der Verfahrenskostenhilfe hingewiesen. Der Betroffene hat dazu angegeben, er stelle momentan noch keinen Antrag auf Verfahrenskostenhilfe. Aus dem Ablauf der Anhörung und insbesondere aus der Angabe, es solle noch kein Antrag auf Verfahrenskostenhilfe gestellt werden, ergab sich im Zusammenhang mit der eindeutigen Belehrung ("in jeder Lage des Verfahrens") klar, dass der Betroffene zu der Anhörung keinen Anwalt hinzuziehen wollte, sondern sich lediglich die Möglichkeit vorbehielt, später einen Anwalt zu beauftragen. Eine weitere Aufklärung des Willens des Betroffenen durch das Amtsgericht war daher nicht erforderlich. Es lag kein Fall vor, bei dem im Zusammenhang mit einer nicht erfolgten oder unvollständigen Belehrung unklar geblieben war, ob der Betroffene einen Anwalt zur Anhörung hinzuziehen wollte (vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 26. Januar 2021 - XIII ZB 14/20, juris Rn. 16; vom 22. Februar 2022 - XIII ZB 74/20, InfAuslR 2022, 331 Rn. 14; vom 22. März 2022 - XIII ZB 1/21, juris Rn. 11; vom 25. April 2022 - XIII ZB 34/21, juris Rn. 6 f.; vom 28. Februar 2023 - XIII ZB 70/21, Asylmagazin 2023, 275 Rn. 12 f.).
b) Zu Recht rügt die Rechtsbeschwerde aber, dass eine Aufklärungspflichtverletzung des Beschwerdegerichts in Betracht kommt (§ 26 FamFG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1, Art. 104 Abs. 1 GG; vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 2020 - 2 BvR 2345/16, NVwZ-RR 2020, 801, 803 Rn. 47 bis 55). Das Beschwerdegericht hat unter Angabe von Blattzahlen Bescheide des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 24. August 2020 und 11. Mai 2022 sowie ein Urteil vom 31. Januar 2022 in Bezug genommen, die sich in der Ausländerakte des Betroffenen nicht finden; unerwähnt bleiben dagegen die Bescheide vom 18. Juni 2021 und vom 25. November 2021, auf deren Grundlage sowohl nach den Feststellungen des Amtsgerichts als auch nach den Angaben der Rechtsbeschwerde die Abschiebung betrieben wurde. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass das Beschwerdegericht - obwohl ihm ausweislich der Akten die Ausländerakte des Betroffenen vorlag - bei seiner Entscheidung die Ausländerakte einer anderen Person herangezogen hat.
Es bedarf indes gemäß § 74 Abs. 2 FamFG keiner Aufhebung des angefochtenen Beschlusses, weil auszuschließen ist, dass das Beschwerdegericht, wäre ihm der Verfahrensfehler nicht unterlaufen, zu einem anderen Ergebnis hätte gelangen können (vgl. Obermann in BeckOK FamFG, Stand 1. Dezember 2024, § 74 Rn. 35; Göbel in Sternal, FamFG, 21. Aufl., § 26 Rn. 77, § 74 Rn. 58 f.; Frank in Musielak/Borth/Frank, FamFG, 7. Aufl., § 74 Rn. 3). Das macht auch die Rechtsbeschwerde nicht geltend. Sie sieht - wie ausgeführt - ebenso wie das Amtsgericht die Grundlage für die Abschiebung in den bestandskräftigen Bescheiden vom 18. Juni 2021 und vom 25. November 2021. Soweit sie meint, der Fehler des Beschwerdegerichts belaste die Entscheidung über den Entzug der persönlichen Freiheit des Betroffenen mit dem Makel der Rechtswidrigkeit, greift das nicht durch. Das Amtsgericht, dem die Ausländerakte des Betroffenen vorgelegen hat, ist bei der Haftanordnung unangefochten von der zutreffenden Sachverhaltsgrundlage ausgegangen. Der offensichtliche und für das Ergebnis der Entscheidung auch nach Ansicht der Rechtsbeschwerde folgenlose Fehler des Beschwerdegerichts betrifft ausschließlich das die Feststellung der Rechtswidrigkeit der bereits erledigten Haft betreffende Beschwerdeverfahren. Die Anforderungen in Bezug auf die tatsächliche Grundlage der richterlichen Entscheidung bei der Haftanordnung sind indes eingehalten worden. Die Haft ist vom Amtsgericht daher rechtmäßig angeordnet und nicht bemakelt. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der von der Rechtsbeschwerde in Bezug genommenen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Mai 2020 (NVwZ-RR 2020, 801, 803 Rn. 51, 54). Dieser lag eine Fallgestaltung zugrunde, in der die Ausländerakte weder vom Amtsgericht noch vom Landgericht beigezogen worden war. Dass auch ein wegen der Beiziehung der Ausländerakte durch das Amtsgericht folgenloser Fehler des Beschwerdegerichts bei der Benennung der maßgeblichen Bescheide die Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung in Frage stellt, lässt sich ihr nicht entnehmen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG.
Kirchhoff Holzinger Roloff Picker Kochendörfer Vorinstanzen: AG Erding, Entscheidung vom 30.11.2022 - 309 XIV 354/22 (B) LG Landshut, Entscheidung vom 02.03.2023 - 64 T 246/23 -