• Suche
  • Impressum

caselaw.de²

  • caselaw.de²

  • Suche
  • Impressum

  • Suche
  • Filter
  • Ergebnis
  • Entscheidung
Entscheidung
Paragraphen
Original
Teilen

4 StR 168/25

BUNDESGERICHTSHOF StR 168/25 BESCHLUSS vom 20. Mai 2025 in der Strafsache gegen wegen schweren gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr u.a.

ECLI:DE:BGH:2025:200525B4STR168.25.0 Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 20. Mai 2025 gemäß § 46 Abs. 1, § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:

1. Dem Angeklagten wird auf seinen Antrag und auf seine Kosten Wiedereinsetzung in den Stand vor Ablauf der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts Hildesheim vom 12. Dezember 2024 gewährt.

2. Auf die Revision des Angeklagten wird das vorbezeichnete Urteil mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte verurteilt worden ist.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen schweren gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Tateinheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt und gegen ihn Maßregeln nach § 69, § 69a StGB angeordnet. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).

1. Der Wiedereinsetzungsantrag in den Stand vor Ablauf der Revisionsbegründungsfrist ist zulässig und begründet, § 45 StPO. Zwar kommt es auch in der vorliegenden Fallgestaltung des geltend gemachten und dem Angeklagten nicht zuzurechnenden Verteidigerverschuldens für die Fristversäumung (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Juli 2023 – 5 StR 145/23 Rn. 9 mwN; Beschluss vom 26. Januar 2017 – 1 StR 671/16 Rn. 5) zur Wahrung der Wochenfrist des § 45 Abs. 1 Satz 1 StPO zwischen Wegfall des Hindernisses und Antragseingang auf die Kenntnis des Angeklagten selbst an (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 29. August 2024 – 2 StR 382/24 Rn. 2; Beschluss vom 20. November 2019 – 4 StR 522/19 Rn. 3 mwN; Beschluss vom 26. Juni 2018 – 3 StR 197/18 Rn. 3 mwN). Jedoch ist der fehlende Vortrag ausnahmsweise unter den hier gegebenen Umständen unschädlich, weil weder die dargestellte Sachlage noch der Akteninhalt irgendeinen Anhalt dafür bieten, wie der Angeklagte vor seinem Verteidiger Kenntnis von der Fristversäumung erlangt haben könnte (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Februar 2025 – 4 StR 529/24 Rn. 4; Beschluss vom 1. August 2023 – 2 StR 124/23 Rn. 12 f.).

2. Die revisionsrechtliche Überprüfung des Urteils auf die allgemeine Sachrüge führt zur Aufhebung der Verurteilung.

a) Nach den Feststellungen des Landgerichts entschloss sich der Angeklagte, mit einem Pkw auf dem Parkplatzgelände eines Schnellrestaurants auf den 15 Meter entfernt stehenden und auf ihn aufmerksam gewordenen Zeugen A. zuzufahren, um sich für einen an ihm zuvor begangenen körperlichen Übergriff zu rächen. Hierzu fuhr er unter starker Beschleunigung ruckartig an und beschleunigte das Fahrzeug „stark“, während er auf sein anvisiertes und ihm zugewandtes Opfer zusteuerte, um eine Kollision mit diesem herbeizuführen. Dabei rechnete er mit der Möglichkeit, den Zeugen lebensgefährlich zu verletzen, und nahm dies billigend in Kauf. Aufgrund des „schnellen“ Erkennens der Absichten des Angeklagten gelang es dem Zeugen, „rasch“ zu reagieren und zur Seite in eine mit Steinen befüllte Einfassung zu springen. Das von dem Angeklagten gelenkte Fahrzeug passierte den Zeugen in einer Entfernung von weniger als einem Meter. Sodann vollzog der Angeklagte eine Schleife über leere Parkflächen und steuerte ein weiteres Mal auf den Zeugen zu. Dieser stellte sich hinter einen in der Einfassung stehenden Baum, sodass er sich in keiner für ihn lebensgefährlichen Position mehr befand. Der Angeklagte fuhr erneut am Zeugen vorbei, der daraufhin zur Verhinderung weiterer Anfahrversuche einen Backstein durch die hintere Seitenscheibe des Pkw warf. Anschließend wurde er von einer Mitarbeiterin in das Gebäude gezogen. Diese verriegelte die Eingangstür und rief die Polizei. Der Angeklagte informierte wegen des Steinwurfs ebenfalls die Polizei und blieb bis zu deren Eintreffen vor Ort.

b) Rechtlich nicht zu beanstanden ist, dass sich das Landgericht zur Frage eines strafbefreienden Rücktritts (§ 24 Abs. 1 StGB) vom Versuch der gefährlichen Körperverletzung nicht verhalten hat, weil der festgestellte und belegte Sachverhalt hierzu nicht drängte. Zwar hat die Strafkammer weder ausdrückliche Feststellungen zum Rücktrittshorizont des Angeklagten getroffen noch sonst aus den von ihr getroffenen Feststellungen Rückschlüsse auf das Vorstellungsbild des Angeklagten nach Abschluss der (letzten) Ausführungshandlung gezogen (vgl. nur BGH, Beschluss vom 19. Mai 1993 – GSSt 1/93, BGHSt 39, 221, 227). Jedoch gestattet die vorliegend festgestellte objektive Sachlage sichere Rückschlüsse auf die innere Einstellung des Angeklagten (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Februar 2025 – 4 StR 56/24 Rn. 5; Urteil vom 22. Oktober 2013 – 5 StR 229/13 Rn. 11, jew. mwN). Danach liegt ein fehlgeschlagener Versuch vor (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Januar 2020 – 4 StR 587/19 Rn. 5 mwN). Denn der Angeklagte war zweimal vergeblich auf sein angestrebtes Opfer zugefahren, das sich zunächst durch einen Sprung zur Seite und sodann hinter einem Baum vor einer Kollision schützen konnte, bis es endgültig durch eine Mitarbeiterin im Restaurantgebäude in Sicherheit gebracht wurde. Unter den gegebenen Umständen ist es fernliegend, dass der vor dem Schnellrestaurant bis zum Eintreffen der Polizei ausharrende Angeklagte das Misslingen seines Handelns nicht erkannt hat.

c) Jedoch belegen die Feststellungen – worauf der Generalbundesanwalt zutreffend hingewiesen hat – die für die Annahme einer vollendeten Tat nach § 315 b Abs. 1 Nr. 3 StGB vorausgesetzte Herbeiführung einer konkreten Gefahr für Leib oder Leben eines anderen Menschen oder eine fremde Sache von bedeutendem Wert nicht.

aa) Ein vollendeter gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr erfordert, dass die Tathandlung über die ihr innewohnende latente Gefährlichkeit hinaus in eine kritische Situation geführt hat, in der – was nach allgemeiner Lebenserfahrung auf Grund einer objektiv nachträglichen Prognose zu beurteilen ist – die Sicherheit einer bestimmten Person oder Sache so stark beeinträchtigt war, dass es im Sinne eines „Beinahe-Unfalls“ nur noch vom Zufall abhing, ob das Rechtsgut verletzt wurde oder nicht (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 20. März 2019 – 4 StR 517/18, NStZ 2020, 225, 226 mwN; Urteil vom 30. März 1995 – 4 StR 725/94, NJW

1995, 3131 zu § 315c StGB mwN). Für die Annahme einer konkreten Gefahr genügt es daher nicht, dass sich Menschen oder Sachen in enger räumlicher Nähe zum Täterfahrzeug befunden haben (vgl. BGH, Beschluss vom 20. März 2019 – 4 StR 517/18, NStZ 2020, 225, 226; Beschluss vom 3. November 2009 – 4 StR 373/09 Rn. 6). Umgekehrt wird die Annahme einer solchen Gefahr aber auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass ein Schaden ausgeblieben ist, weil sich der Gefährdete – etwa aufgrund überdurchschnittlich guter Reaktion – noch zu retten vermochte (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Februar 2021 – 4 StR 528/20, NStZ-RR 2021, 187, 188; Urteil vom 30. März 1995 – 4 StR 725/94, NJW 1995, 3131, jew. zu § 315c StGB; Fischer, StGB, 72. Aufl., § 315c Rn. 15a). Auch wenn an die insoweit zu treffenden Feststellungen und die zugrundeliegende Beweiswürdigung keine zu hohen Anforderungen gestellt werden dürfen und deshalb genaue Angaben zu Entfernungen, Geschwindigkeiten oder Bremsverzögerungen keine notwendige Bedingung für eine ausreichende Sachverhaltsbeschreibung sind (vgl. dazu BGH, Urteil vom 30. März 1995 – 4 StR 725/24, NJW 1995, 3131 f. mwN), muss sich aus den Darlegungen im Urteil aber gleichwohl hinreichend deutlich ergeben, dass es zu einer hochriskanten Situation gekommen ist. Dabei kann es von indizieller Bedeutung sein, dass zur Vermeidung eines Schadensfalls alle vorhandenen technischen Möglichkeiten der beteiligten Fahrzeuge ausgeschöpft (Vollbremsung) oder gefährliche, weil nicht mehr kontrollierbare, Ausweichmanöver vorgenommen werden mussten. Gleiches gilt, wenn massive Kontrollverluste eingetreten sind.

bb) Nach diesen Maßstäben genügen die Feststellungen des Landgerichts nicht den Anforderungen zur Darlegung einer konkreten Gefahr für die körperliche Integrität des Zeugen. Denn den Urteilsgründen lässt sich – auch in ihrem Gesamtzusammenhang – nicht entnehmen, dass es zu einer Gefahrenlage in dem dargestellten Sinn gekommen ist. Insbesondere durfte unter den hier gegebenen Umständen nicht offenbleiben, wie weit sich das Fahrzeug des Angeklagten auf der 15 Meter langen Zufahrt dem Zeugen angenähert hatte, als dieser zur Seite sprang. Denn der Zeuge war dem Fahrzeug des Angeklagten zugewandt und hatte bereits aufgrund des ruckartigen Anfahrens in seine Richtung die Absichten des Angeklagten erkannt. Danach reagierte er „rasch“ und sprang in die ihn schützende Einfassung. Dies lässt die Möglichkeit offen, dass der Zeuge noch rechtzeitig und ohne hohes Eigenrisiko auszuweichen vermochte. Der Umstand, dass der Angeklagte mit seinem Fahrzeug sodann in einer Entfernung von weniger als einem Meter an dem nunmehr – zumindest relativ – gesicherten Zeugen vorbeifuhr, belegt unter diesen Umständen die Annahme eines Beinahe-Unfalls nicht.

d) Dies führt zur Aufhebung der Verurteilung, die sich auch auf die für sich genommen rechtsfehlerfreie Verurteilung wegen der tateinheitlich begangenen versuchten gefährlichen Körperverletzung erstreckt. Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung. Es erscheint auch nicht ausgeschlossen, dass das neue Tatgericht die für die Annahme einer konkreten Gefahr erforderlichen Feststellungen noch treffen kann. Sollte sich der Tatrichter vom Eintritt einer konkreten Gefahr im Sinne des § 315b Abs. 1 StGB nicht überzeugen können, käme eine Strafbarkeit wegen versuchten gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr nach Abs. 2 der Vorschrift in Betracht.

Quentin Tschakert Maatsch Gödicke Marks Vorinstanz: Landgericht Hildesheim, 12.12.2024 - 12 Ks 17 Js 20498/24 (10/24)

Wir stellen das Dokument etwas schmaler dar, um die Lesbarkeit zu erhöhen.

Bitte nutzen Sie nur das Original für den Druck des Dokuments.

Werbung

Urheber dieses Dokuments ist der Bundesgerichtshof. Nach § 5 UrhG geniessen Entscheidungen und Gesetze keinen urheberrechtlichen Schutz. Auflagen des Gerichts können aber die kommerzielle Verwertung einschränken. In Anlehnung an Creative Commons Lizenzen ist die Nutzung mit einer CC BY-NC-SA 3.0 DE Lizenz vergleichbar. Bitte beachten Sie, dass diese Entscheidung urheberrechtlich geschützte Abbildungen enthalten kann. Vor einer Nutzung - über die reine Wiedergabe der Entscheidung hinaus - sind in solchen Fällen entsprechende Nutzungsrechte bei den jeweiligen Rechteinhabern einzuholen.

▲ Anfang

Paragraphen in 4 StR 168/25

Sortiert nach der Häufigkeit
Häufigkeit Paragraph
4 315 StGB
2 69 StGB
2 45 StPO
2 349 StPO
1 24 StGB
1 46 StPO

Die aufgeführten Paragraphen wurden durch eine ausgeklügelte Software ermittelt.

Bitte haben Sie dafür Verständnis, dass dabei auch falsche Kombinationen aus Paragraph und Gesetz ermittelt werden können.

Sollte ein Gesetz in Gänze übersehen worden sein, dann teilen Sie uns diesen Umstand bitte mit.

Sortiert nach dem Alphabet
Häufigkeit Paragraph
1 24 StGB
2 69 StGB
4 315 StGB
2 45 StPO
1 46 StPO
2 349 StPO

Original von 4 StR 168/25

Der nachfolgende Link führt Sie zum originalen Dokument. Aufgrund der technischen Natur des Internets ist es möglich, dass der Link zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr gültig ist. Bitte haben Sie dafür Verständnis, dass wir nicht alle Links einer ständigen Prüfung unterziehen können.

Öffnen

Bitte nutzen Sie möglichst das Original für den Druck des Dokuments.

Teilen von 4 StR 168/25

Wenn Sie in einer E-Mail auf diese Entscheidung hinweisen möchten, dann können Sie diese komfortabel erstellen lassen, wenn Ihr Mail-Programm diese Option unterstützt. Alternativ können Sie den nachfolgenden Link in Ihre E-Mails und Webseiten einbauen:

Bitte nutzen Sie den Link in sozialen Netzwerken wie Facebook oder Google+.

Das ist ein wirksames Mittel um mehr Menschen auf unsere Dienste aufmerksam zu machen.

Eine Dienstleistung von caselaw.de | Diese Datensammlung unterliegt der Creative Commons Lizenz CC BY-NC-SA 3.0 DE | Impressum