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VIII ZR 270/22

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES VIII ZR 270/22 Nachschlagewerk: ja BGHZ:

nein BGHR:

ja JNEU:

nein URTEIL in dem Rechtsstreit BGB § 574 Abs. 1 Satz 1 a) Der erforderliche hinreichend substantiierte Sachvortrag des Mieters zu einer gesundheitlichen Härte im Sinne von § 574 Abs. 1 Satz 1 BGB kann insbesondere - muss aber nicht stets - durch Vorlage eines (ausführlichen) fachärztlichen Attests untermauert werden (Bestätigung von Senatsurteil vom 22. Mai 2019 - VIII ZR 167/17, NZM 2019, 527 Rn. 38; Senatsbeschluss vom 13. Dezember 2022 - VIII ZR 96/22, NZM 2023, 210 Rn. 21).

b) Vielmehr kann im Einzelfall auch eine (ausführliche) Stellungnahme eines - bezogen auf das geltend gemachte Beschwerdebild - medizinisch qualifizierten Behandlers geeignet sein, den Sachvortrag des Mieters zu untermauern, auch wenn diese nicht von einem Facharzt erstellt worden ist. Dabei kommt es auf die konkreten Umstände, insbesondere den konkreten Inhalt des (ausführlichen) Attests an.

BGH, Urteil vom 16. April 2025 - VIII ZR 270/22 - LG Berlin AG Neukölln ECLI:DE:BGH:2025:160425UVIIIZR270.22.0 Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 16. April 2025 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Bünger, den Richter Kosziol sowie die Richterinnen Dr. Liebert, Wiegand und Dr. Böhm für Recht erkannt:

Auf die Revision der Beklagten wird der Beschluss des Landgerichts Berlin - Zivilkammer 65 - vom 12. Oktober 2022 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Härteregelung nach §§ 574 ff. BGB betroffen ist.

Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen Tatbestand:

Der Beklagte zu 1 ist seit Dezember 2006 Mieter einer Wohnung der Klägerin in Berlin. Die Beklagte zu 2 ist seine Untermieterin. Am 30. April 2020 erklärte die Klägerin die Kündigung des Mietverhältnisses wegen Eigenbedarfs zum 31. Januar 2021.

Der Beklagte zu 1 widersprach der Kündigung unter Vorlage einer "Stellungnahme über Psychotherapie" seines - sich als Psychoanalytiker bezeichnenden - Behandlers vom 20. November 2020. In der Stellungnahme, in deren Briefkopf die Tätigkeitsfelder des Behandlers unter anderem als "Psychoanalyse" und "Psychotherapie (HPG)" bezeichnet sind, heißt es im Wesentlichen, seit Mitte Oktober 2020 fänden regelmäßig einmal wöchentlich psychotherapeutische Sitzungen mit dem Patienten (dem Beklagten zu 1) statt. Er leide an einer akuten Depression und emotionaler Instabilität verbunden mit Existenzängsten, die ihn zeitweise arbeitsunfähig machten. Ein Umzug führe mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer deutlichen Verschlechterung des Krankheitsbildes.

Das Amtsgericht hat der auf Räumung und Herausgabe der Wohnung gerichteten Klage stattgegeben. Es hat - was in den Rechtsmittelinstanzen nicht im Streit steht - Eigenbedarf der Klägerin an der Wohnung festgestellt. Einen Anspruch des Beklagten zu 1 auf Fortsetzung des Mietverhältnisses nach Maßgabe des § 574 BGB hat das Amtsgericht verneint. Dazu hat es im Wesentlichen ausgeführt, es sei nicht dargetan, in welchem Umfang und mit welchen Folgen sich die behauptete - und vom Amtsgericht unterstellte - schwere Depression des Beklagten zu 1 durch einen Umzug verschlechtere.

Das Landgericht hat auf die Berufung der Beklagten in einem Hinweisbeschluss nach § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO im Wesentlichen ausgeführt, eine dem Beklagten zu 1 im Falle des Wohnungswechsels drohende schwerwiegende Gesundheitsgefahr sei nicht hinreichend konkret dargelegt. Der Mieter genüge seiner Darlegungs- beziehungsweise Substantiierungslast dann, wenn er unter Vorlage eines (ausführlichen) fachärztlichen Attests geltend mache, ihm sei ein Umzug wegen einer schweren Erkrankung nicht zuzumuten. Hier fehle es bereits an der Vorlage eines fachärztlichen Attests. Die Beklagten hätten lediglich eine Stellungnahme eingereicht, welche nicht von einem (Fach-)Arzt, sondern von einem "Psychoanalytiker" erstellt worden sei. Mangels hinreichend konkreten Vortrags zu der behaupteten Verschlechterung des gesundheitlichen Zustands des Beklagten zu 1 im Falle eines Wohnungswechsels sei dem Beweisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens daher nicht nachzugehen.

Die Beklagten haben daraufhin eine "Stellungnahme über Psychotherapie" des Behandlers des Beklagten zu 1 zu den Gerichtsakten gereicht. Dort heißt es unter anderem, für den Beklagten zu 1 seien Suizidgedanken der einzige Ausweg in den regelmäßigen Episoden seiner manischen Depression. Die Behandlung stehe am Beginn eines langen Gesundungsprozesses. Ein Verlust seines Lebensmittelpunkts könne mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Verzweiflungstat führen, die gegebenenfalls in einem Suizid enden könne.

Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Landgericht die Berufung zurückgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgen die Beklagten ihr Klageabweisungsbegehren weiter.

Entscheidungsgründe: 7 Die Revision hat Erfolg.

I. 8 Das Berufungsgericht hat - unter Bezugnahme auf seinen Hinweisbeschluss - zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ergänzend ausgeführt: 9 Aus dem pauschalen erstinstanzlichen Vortrag, der Beklagte zu 1 leide an einer akuten Depression, ergebe sich nicht, dass er nicht umziehen könne. Die erstinstanzlich eingereichte Stellungnahme des den Beklagten zu 1 behandelnden "Psychoanalytikers" sei weder ein fachärztliches Attest noch sei sie - unabhängig von dessen beruflicher Qualifikation - hinreichend aussagekräftig. Der zweitinstanzlich - gestützt auf die weitere Stellungnahme des "Psychoanalytikers" - gehaltene Vortrag, für den Beklagten zu 1 seien Suizidgedanken in seinen regelmäßigen Episoden manischer Depression der einzige Ausweg aus seinem Leid, sei nach Maßgabe der §§ 530, 296 Abs. 1 ZPO als verspätet zurückzuweisen.

II.

Diese Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann der Klägerin ein Anspruch auf Räumung und Herausgabe der von dem Beklagten zu 1 gemieteten und von beiden Beklagten genutzten Wohnung (§ 546 Abs. 1, 2, § 985 BGB) nicht zuerkannt und ein Anspruch des Beklagten zu 1 auf Fortsetzung des Mietverhältnisses gemäß §§ 574, 574a BGB nicht verneint werden. Die Revision beanstandet mit Recht, dass die Annahme des Berufungsgerichts, der Beklagte zu 1 habe die Fortsetzung des wegen Eigenbedarfs gekündigten Mietverhältnisses nicht verlangen können, weil ein Härtegrund im Sinne des § 574 Abs. 1 BGB in der Person des Beklagten zu 1 bereits mangels Vorlage eines fachärztlichen Attests nicht substantiiert dargelegt sei, von Rechtsfehlern beeinflusst ist.

1. In den Rechtsmittelinstanzen ist nicht im Streit, dass die von der Klägerin am 30. April 2020 ausgesprochene Kündigung des Mietverhältnisses wegen Eigenbedarfs begründet war und gemäß § 573 Abs. 2 Nr. 2, § 573c BGB das Vertragsverhältnis mit Ablauf des 31. Januar 2021 beendet hat.

2. Nach § 574 Abs. 1 Satz 1 BGB kann der Mieter der Kündigung des Vermieters widersprechen und von ihm die Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangen, wenn die Beendigung des Mietverhältnisses für den Mieter, seine Familie oder einen anderen Angehörigen seines Haushalts eine Härte bedeuten würde, die auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen ist. Das Berufungsgericht durfte das Vorliegen einer solchen Härte nicht verneinen, ohne das - auf die beiden Stellungnahmen des Behandlers des Beklagten zu 1 vom 20. November 2020 und vom 14. September 2022 gestützte - Vorbringen zu den gesundheitlichen Auswirkungen eines erzwungenen Umzugs auf das Beschwerdebild des Beklagten zu 1 einer Gesamtwürdigung zu unterziehen. Das Berufungsgericht hat den dahingehenden Sachvortrag des Beklagten zu 1 zu Unrecht schon deshalb als unbeachtlich angesehen, weil es sich bei den Ausführungen des Behandlers des Beklagten zu 1 nicht um (fach-)ärztliche Atteste handelt (dazu nachfolgend unter a). Zudem durfte das Berufungsgericht den - auf die ergänzende Stellungnahme vom 14. September 2022 gestützten - zweitinstanzlichen Sachvortrag zur Verschlechterung des Beschwerdebildes des Beklagten zu 1 durch einen erzwungenen Umzug nicht gemäß §§ 530, 296 Abs. 1 ZPO als verspätet zurückweisen (dazu nachfolgend unter b).

a) Die Annahme des Berufungsgerichts, dass der Mieter, der sich auf einen Härtegrund im Sinne von § 574 Abs. 1 BGB beruft, hinreichend substantiierten Sachvortrag nur dann halte, wenn er diesen durch Vorlage eines (ausführlichen) fachärztlichen Attests untermauert, findet in der Rechtsprechung des Senats keine Stütze.

aa) Macht der Mieter für den Fall eines erzwungenen Wohnungswechsels durch hinreichend substantiierten Prozessvortrag ihm drohende schwerwiegende Gesundheitsgefahren geltend, haben sich die Tatsacheninstanzen nach der ständigen Rechtsprechung des Senats - beim Fehlen eigener Sachkunde regelmäßig mittels sachverständiger Hilfe ein genaues und nicht nur an der Oberfläche haftendes Bild davon zu verschaffen, welche gesundheitlichen Folgen im Einzelnen mit einem Umzug verbunden sind, insbesondere welchen Schweregrad zu erwartende Gesundheitsbeeinträchtigungen voraussichtlich erreichen werden und mit welcher Wahrscheinlichkeit dies eintreten kann. Diese Verpflichtung zu besonders sorgfältiger Nachprüfung des Parteivorbringens bei schwerwiegenden Eingriffen in das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit folgt nicht zuletzt aus der grundrechtlichen Verbürgung in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG (siehe Senatsurteile vom 22. Mai 2019 - VIII ZR 180/18, BGHZ 222, 133 Rn. 41, und VIII ZR 167/17, NJW-RR 2019, 972 Rn. 37; vom 10. April 2024 - VIII ZR 114/22, NZM 2024, 469 Rn. 23; Senatsbeschlüsse vom 26. Mai 2020 - VIII ZR 64/19, NJW-RR 2020, 1019 Rn. 18; vom 30. August 2022 - VIII ZR 429/21, NZM 2022, 831 Rn. 16; vom 13. Dezember 2022 - VIII ZR 96/22, NZM 2023, 210 Rn. 19).

bb) Nach der Rechtsprechung des Senats genügt der Mieter als medizinischer Laie seiner Darlegungs- beziehungsweise Substantiierungslast (auf jeden Fall dann), wenn er unter Vorlage eines (ausführlichen) fachärztlichen Attests geltend macht, ihm sei ein Umzug wegen einer schweren Erkrankung nicht zuzumuten. Der Senat hat dazu ausgeführt, vom Mieter als medizinischen Laien sei über die Vorlage eines solchen (ausführlichen) fachärztlichen Attests hinaus nicht zu verlangen, noch weitere - meist nur durch einen Gutachter zu liefernde - Angaben zu den gesundheitlichen Folgen, insbesondere zu deren Schwere und zu der Ernsthaftigkeit zu befürchtender gesundheitlicher Nachteile zu tätigen (Senatsurteile vom 22. Mai 2019 - VIII ZR 180/18, aaO Rn. 48 [unter Hinweis auf BVerfG, NJW-RR 1993, 463, 464]; vom 28. Mai 2021 - VIII ZR 6/19, NZM 2021, 597 Rn. 28; Senatsbeschluss vom 13. Dezember 2022 - VIII ZR 96/22, aaO Rn. 21). Daraus folgt, dass höhere Anforderungen als die Vorlage eines entsprechenden Attests - auf dessen Grundlage im Falle des Bestreitens regelmäßig die Einholung eines Sachverständigengutachtens zu der Art, dem Umfang und den konkreten Auswirkungen der beschriebenen Erkrankung auf die Lebensführung des betroffenen Mieters im Allgemeinen und im Falle des Verlusts der vertrauten Umgebung erforderlich ist (Senatsurteile vom 22. Mai 2019 - VIII ZR 180/18, BGHZ 222, 133 Rn. 44 mwN; vom 3. Februar 2021 - VIII ZR 68/19, NZM 2021, 361 Rn. 44 mwN; vom 28. April 2021 - VIII ZR 6/19, NZM 2021, 597 Rn. 23) nicht zu stellen sind.

cc) Entgegen der Annahme des Berufungsgerichts hat der Senat damit jedoch nicht zum Ausdruck gebracht, dass für die Erfüllung der Substantiierungspflicht des Mieters stets die Vorlage eines fachärztlichen Attests erforderlich ist.

(1) Dazu bestand auch kein Anlass, weil ein solches in den vom Senat entschiedenen Fällen in den Tatsacheninstanzen vom Mieter bereits vorgelegt worden war (siehe Senatsurteile vom 22. Mai 2019 - VIII ZR 180/18, aaO Rn. 31, 33, 35, 40, 43 f., 48 [Facharzt für Neurologie und Psychiatrie], und VIII ZR 167/17, NZM 2019, 527 Rn. 34, 40 [Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie]; vom 28. April 2021 - VIII ZR 6/19, NZM 2021, 597 Rn. 9, 28 [Facharzt für Nervenheilkunde]; Senatsbeschlüsse vom 26. Mai 2020 - VIII ZR 64/19, juris Rn. 3 [Facharzt für Innere Medizin sowie Facharzt für Neurologie]; vom 13. Dezember 2022 - VIII ZR 96/22, juris Rn. 6 [Facharzt für Allgemeinmedizin, psychosomatische Medizin und Psychotherapie, siehe auch Rn. 22]; siehe auch BVerfG, NJW-RR 1993, 463 [Internist]).

Andere Senatsentscheidungen hatten die Anforderungen an die Substantiierungspflicht des Mieters bereits nicht zum Gegenstand, etwa weil in den Tatsacheninstanzen - aufgrund des von den Vorinstanzen als substantiiert angesehenen Vortrags des Mieters - Sachverständigengutachten schon erstattet worden waren (siehe etwa Senatsurteil vom 3. Februar 2021 - VIII ZR 68/19, NZM 2021, 361 Rn. 36 [neurologisch-psychiatrisches Sachverständigengutachten]; Senatsbeschluss vom 30. August 2022 - VIII ZR 429/21, NZM 2022, 831 Rn. 18 [Sachverständigengutachten eines Facharztes für Neurologie und Psychiatrie]).

(2) Der Senat hat zudem verdeutlicht, dass der erforderliche hinreichend substantiierte Vortrag des Mieters, ihm, seiner Familie oder einem anderen Angehörigen seines Haushalts sei ein Umzug wegen einer von ihm näher bezeichneten schweren Erkrankung nicht zuzumuten, "insbesondere" durch Vorlage eines (ausführlichen) fachärztlichen Attests "untermauert" werden kann (vgl. Senatsurteil vom 22. Mai 2019 - VIII ZR 167/17, NZM 2019, 527 Rn. 38; Senatsbeschluss vom 13. Dezember 2022 - VIII ZR 96/22, NZM 2023, 210 Rn. 21). Daran ist festzuhalten, weil ein solches Attest die fachliche Qualifikation der Diagnose in besonderer Weise gewährleistet. Anhand der beiden vorgenannten Senatsentscheidungen wird deutlich, dass der Senat eine hinreichende Substantiierung jedoch nicht generell von der Vorlage eines solchen Attests abhängig gemacht hat.

dd) Nach dieser Maßgabe kann im Einzelfall auch eine (ausführliche) Stellungnahme eines - bezogen auf das geltend gemachte Beschwerdebild - medizinisch qualifizierten Behandlers geeignet sein, den Sachvortrag des Mieters zu untermauern, auch wenn diese nicht von einem Facharzt erstellt worden ist. Dabei kommt es auf die konkreten Umstände, insbesondere den konkreten Inhalt des (ausführlichen) Attests an.

ee) Mit den vorbezeichneten Grundsätzen des Senats werden nicht etwa überhöhte, sondern vielmehr sachgerechte Anforderungen an die Substantiierungspflicht des Mieters gestellt. Denn hierbei ist zum einen zu berücksichtigen, dass der Mieter sich mit dem Härteeinwand nach § 574 Abs. 1 BGB gegen einen an sich bestehenden Räumungsanspruch aufgrund wirksamer Kündigung des Mietverhältnisses wendet. Zum anderen kann von dem Mieter in einem solchen Fall - ungeachtet des Schutzes durch Art. 2 Abs. 2 GG - jedes zumutbare Bemühen um eine Verringerung des Gesundheitsrisikos verlangt werden (vgl. nur Senatsurteile vom 22. Mai 2019 - VIII ZR 180/18, BGHZ 222, 133 Rn. 45; vom 26. Oktober 2022 - VIII ZR 390/21, NZM 2023, 35 Rn. 28; vom 10. April 2024 - VIII ZR 114/22, NZM 2024, 469 Rn. 38, siehe auch BVerfG, NZM 2024, 104 Rn. 20 [zu § 765a ZPO]). Ist der Mieter daher ohnehin gehalten, medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen, ist ihm auch die Einholung eines entsprechenden Attests ohne weiteres zumutbar.

ff) Nach diesen Grundsätzen durfte das Berufungsgericht von einer inhaltlichen Würdigung der beiden zur Unterstützung des Sachvortrags des Beklagten zu 1 vorgelegten "Stellungnahmen zur Psychotherapie" nicht deshalb absehen, weil es sich nicht um fachärztliche Atteste handelt. Feststellungen dahingehend, dass der Inhalt der vorbezeichneten Stellungnahmen medizinisch nicht qualifiziert sein könnte, hat das Berufungsgericht nicht getroffen. Zwar hat das Berufungsgericht nicht festgestellt, auf welcher Grundlage der sich als "Psychoanalytiker" bezeichnende - Behandler des Beklagten zu 1 Leistungen der Psychoanalyse erbringt. Der Briefkopf des Behandlers deutet jedoch - was auch die Revisionserwiderung nicht in Zweifel zieht - darauf hin, dass er jedenfalls zulässigerweise Leistungen der Psychotherapie auf der Grundlage des Heilpraktikergesetzes (HPG) anbietet.

b) Das Berufungsgericht hat außerdem zu Unrecht den - auf die ergänzende Stellungnahme des Behandlers des Beklagten zu 1 vom 14. September 2022 gestützten - zweitinstanzlichen Sachvortrag der Beklagten zur Verschlechterung des Beschwerdebildes des Beklagten zu 1 durch einen erzwungenen Umzug gemäß §§ 530, 296 Abs. 1 ZPO als verspätet zurückgewiesen und es deshalb unterlassen, eine Gesamtwürdigung des Vortrags der Beklagten anhand des Inhalts sowohl der Stellungnahme des Behandlers vom 20. November 2020 als auch derjenigen vom 14. September 2022 vorzunehmen.

Dabei kann auf sich beruhen, ob - wofür entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts vieles spricht - bereits die erste "Stellungnahme zur Psychotherapie" für sich gesehen ausreichend war, den Sachvortrag zu einer Verschlechterung des Gesundheitszustands des Beklagten zu 1 durch einen erzwungenen Umzug zu substantiieren, und somit durch den diesbezüglichen zweitinstanzlichen Vortrag der Beklagten in zulässiger Weise ein bereits schlüssiges Vorbringen aus erster Instanz durch weitere Tatsachenbehauptungen lediglich zusätzlich konkretisiert, verdeutlicht oder erläutert worden ist (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 8. Juni 2004 - VI ZR 199/03, BGHZ 159, 245, 251; vom 21. Dezember 2011 - VIII ZR 166/11, NJW-RR 2012, 341 Rn. 15; Beschlüsse vom 23. August 2016 - VIII ZR 178/15, NJW-RR 2017, 72 Rn. 20; vom 26. Mai 2020 - VIII ZR 64/19, NZM 2020, 607 Rn. 26; jeweils mwN).

Unabhängig davon hat das Berufungsgericht bereits die Voraussetzungen der Bestimmungen der §§ 530, 296 Abs. 1 ZPO nicht festgestellt. Diese sind auch nicht ersichtlich.

III.

Nach alledem kann das Urteil des Berufungsgerichts in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang keinen Bestand haben; es ist daher insoweit aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Die nicht zur Endentscheidung reife Sache ist im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO), damit dieses die aufgrund der gebotenen Gesamtwürdigung des Sachvortrags der Beklagten erforderlichen Feststellungen treffen kann.

Dr. Bünger Wiegand Kosziol Dr. Liebert Dr. Böhm Vorinstanzen: AG Neukölln, Entscheidung vom 26.01.2022 - 9 C 45/21 LG Berlin, Entscheidung vom 12.10.2022 - 65 S 47/22 - Verkündet am: 16. April 2025 Reiter, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

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9 574 BGB
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4 530 ZPO
2 573 BGB
2 2 GG
1 2 BGB
1 546 BGB
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