7 W (pat) 324/09
BUNDESPATENTGERICHT W (pat) 324/09 Verkündet am 14. November 2012
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BESCHLUSS In der Einspruchssache betreffend das Patent 10 2004 009 013 …
BPatG 154 05.11
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hat der 7. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 14. November 2012 durch den Vorsitzenden Richter Dipl.-Ing. Univ. Höppler und die Richter Schwarz, Dipl.-Phys. Dipl.-Wirt.Phys. Maile und Dipl.-Phys. Dr. rer. nat. Schwengelbeck beschlossen:
Das Patent 10 2004 009 013 wird widerrufen.
Gründe I.
Das am 25. Februar2004 angemeldete Patent 10 2004 009 013 mit der Bezeichnung
„Seitenaufprall-Rückhaltevorrichtung“ wurde durch Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse B60R des Deutschen Patent- und Markenamtes vom 25. Juli 2005 erteilt.
Der Patentanspruch 1 lautet in der erteilten Fassung:
„1. Seitenaufprall-Rückhaltevorrichtung zum Schutz eines auf einem Fahrzeugsitz (10) sitzenden Insassen (20a; 20b) in einem Kraftfahrzeug, mit einem Gassack (14), der sich zwischen einer Seitenstruktur (12) des Fahrzeugs und dem Insassen (20a; 20b) entfaltet, dadurch gekennzeichnet, daß der Gassack (14) eine Abströmöffnung (24) aufweist, die in einem dem Insassen (20a; 20b) zugewandten Bereich des Gassacks (14) angeordnet ist, wobei die vertikale Position der Abströmöffnung (24) so gewählt ist, daß sie vom Oberkörper eines kleinen Insassen (20a) nicht abgedeckt wird.“
Wegen der erteilten Unteransprüche 2 bis 8, die direkt oder indirekt auf den Patentanspruch 1 rückbezogen sind, wird auf die Patentschrift verwiesen.
Gegen die am 16. März 2006 veröffentlichte Patenterteilung hat die zwischenzeitlich mit der jetzigen Einsprechenden verschmolzene frühere T… … AG Einspruch erhoben und beantragt, das Patent gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 1 PatG wegen fehlender Patentfähigkeit zu widerrufen, da der Gegenstand des Patents insbesondere nicht neu sei.
Zur Stützung ihres Vorbringens hinsichtlich des Widerrufsgrunds der fehlenden Patentfähigkeit hat die Einsprechende u.a. auf die Druckschrift EP 1 044 855 B1 (E1)
verwiesen.
Die Patentinhaberin hat ihr Patent in der mündlichen Verhandlung vom 14. November 2012 mit geänderten Patentansprüchen nach Hauptantrag gemäß Anlage zum Schriftsatz vom 5. Juni 2007 sowie nach vier Hilfsanträgen gemäß Anlagen zum Schriftsatz vom 12. Oktober 2012 verteidigt. Sie führt hierzu aus, dass die Erfindung nach den jeweiligen Anspruchsfassungen zulässig und patentfähig sei.
Die Einsprechende macht in der mündlichen Verhandlung geltend, dass die verteidigten geänderten Vorrichtungsansprüche hinsichtlich der verwendeten Begriffe „kleinen Insassen“ und „großen Insassen“ unklar seien. Weiterhin macht die Einsprechende geltend, dass die jeweiligen verteidigten Gegenstände nach Hauptantrag sowie nach den vier Hilfsanträgen nicht neu seien, zumindest aber nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen.
Die Einsprechende stellt den Antrag das Patent 10 2004 009 013 zu widerrufen.
Die Patentinhaberin stellt den Antrag das Patent 10 2004 009 013 mit den folgenden Unterlagen beschränkt aufrechtzuerhalten:
- Hauptantrag Patentansprüche 1 bis 7 laut Anlage zum Schriftsatz vom 5. Juni 2007 (Bl. 42 f. GA)
1. Hilfsantrag Patentansprüche 1 bis 6 laut der mit „Hilfsantrag 1“ überschriebenen Anlage zum Schriftsatz vom 12. Oktober 2012 (Bl. 84 GA)
2. Hilfsantrag Patentansprüche 1 bis 6 laut der mit „Hilfsantrag 2“ überschriebenen Anlage zum Schriftsatz vom 12. Oktober 2012 (Bl. 85 GA)
3. Hilfsantrag Patentansprüche 1 bis 5 laut der mit „Hilfsantrag 3“ überschriebenen Anlage zum Schriftsatz vom 12. Oktober 2012 (Bl. 86 GA)
4. Hilfsantrag Patentansprüche 1 bis 4 laut der mit „Hilfsantrag 4“ überschriebenen Anlage zum Schriftsatz vom 12. Oktober 2012 (Bl. 87 GA)
- ggfs. anzupassende Beschreibung laut Patentschrift mit der Maßgabe, dass zwischen die Absätze [0003] und [0004] der als Anlage zum Schriftsatz vom 5. Juni 2007 beigefügte Absatz [0003a] eingefügt wird
- Zeichnungen laut Patentschrift.
Anspruch 1 nach Hauptantrag lautet (Änderungen gegenüber dem erteilten Anspruch 1 unterstrichen):
M1 „1. Seitenaufprall-Rückhaltevorrichtung zum Schutz eines auf einem Fahrzeugsitz (10) sitzenden Insassen (20a, 20b) in einem Kraftfahrzeug,
M2 mit einem Gassack (14), der sich aus dem Fahrzeugsitz (10) heraus zwischen einer Seitenstruktur (12) des Fahrzeugs und dem Insassen (20a; 20b) entfaltet,
dadurch gekennzeichnet,
M3 daß der Gassack (14) eine Abströmöffnung (24) aufweist, die in einem dem Insassen (20a; 20b) zugewandten Bereich des Gassacks (14) angeordnet ist,
M4 wobei die vertikale Position der Abströmöffnung (24) so gewählt ist, daß sie vom Oberkörper eines kleinen Insassen (20a) nicht abgedeckt wird.“
Anspruch 1 nach Hilfsantrag 1 weist die Merkmale M1 bis M4 des Anspruchs 1 nach Hauptantrag auf unter Hinzufügung weiterer Merkmale M4*, M5 und M6 (Merkmalsgliederung seitens des Senats hinzugefügt):
M4* „ …, aber von einem großen Insassen (20b) verdeckt wird,
M5 daß der Gassack (14) eine weitere Abströmöffnung (22) aufweist, die in einem dem Insassen (20a, 20b) nicht zugewandten Bereich des unteren Abschnitts (18) des Gassacks (14) angeordnet ist, und M6 daß mittels der Abströmöffnungen (22, 24) durch das Abströmen von Gas der Gassackinnendruck in Abhängigkeit von der Größe des Insassen (20a, 20b) gesteuert wird.“
Anspruch 1 nach Hilfsantrag 2 weist die Merkmale des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag 1 auf unter Hinzufügung des folgenden Merkmals:
M7 „ …, wobei aus der weiteren Abströmöffnung (22) unabhängig von der Größe des Insassen (20a, 20b) immer Gas abströmen kann.“
Anspruch 1 nach Hilfsantrag 3 weist die Merkmale des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag 1 auf unter Hinzufügung des Merkmals M7* „ …, und daß die Abströmöffnung (24) in einem Bereich (26) liegt, der sich bezogen auf das Hüftgelenk (27) des Insassen (20a; 20b) zwischen einer Höhe (h1) von 400 mm und einer Höhe (h2) von 550 mm erstreckt.“
Anspruch 1 nach Hilfsantrag 4 weist die Merkmale des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag 1 auf unter Hinzufügung des folgenden Merkmals:
M7** „ …, und daß an der Abströmöffnung (24) eine Einrichtung zum Ablenken des abströmenden Gases vorgesehen ist, die ein auf der Außenseite des Gassacks (14) über der Abströmöffnung (24) angeordnetes Gewebestück (28) umfaßt.“
Wegen dem nebengeordneten Anspruch 2 nach Hauptantrag und der jeweils geltenden Unteransprüche nach Hauptantrag sowie nach den vier Hilfsanträgen sowie wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II.
A. Der Senat ist für die Entscheidung im vorliegenden Einspruchsverfahren auch nach der - mit Wirkung vom 1. Juli 2006 erfolgten - Aufhebung der Übergangsvorschriften des § 147 Abs. 3 PatG auf Grund des Grundsatzes der „perpetuatio fori" gemäß § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO analog i. V. m. § 99 Abs. 1 PatG zuständig (vgl. BGH GRUR 2009, 184, 185 - Ventilsteuerung; GRUR 2007, 862 f. - Informationsübermittlungsverfahren II).
B. Der Einspruch ist zulässig. Dem steht auch die Verschmelzung der ursprünglichen Einsprechenden auf die jetzige Einsprechende nach § 1 Abs. 1 Nr. 1, §§ 2, 3, 4 ff., 20 UmwG nicht entgegen, da die Verschmelzung durch Aufnahme nicht dem § 265 ZPO unterliegt, sondern analog §§ 239, 250 ZPO zu behandeln ist (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 29. Aufl., § 239 Rn. 6 und § 265 Rn 5a). Der zulässige Einspruch hat auch in der Sache Erfolg. Das Patent ist nach § 21 Abs. 1 Nr. 1 PatG i.V.m. §§ 1 und 4 PatG zu widerrufen, weil die jeweiligen Gegenstände der geltenden Ansprüche 1 nach Hauptantrag bzw. den Hilfsanträgen 1 bis 4 unter Berücksichtigung der Druckschrift E1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit des zuständigen Fachmanns beruhen. Dieser ist vorliegend als ein Maschinenbauingenieur mit Fachhochschulabschluss und mehrjähriger Erfahrung auf dem Gebiet der Entwicklung von Airbags zu definieren. Die Frage der Zulässigkeit, der Klarheit und Ausführbarkeit und die Frage der Neuheit der jeweiligen Anspruchsgegenstände kann damit dahinstehen (vgl. BGH, GRUR 1991, 120, 121 li. Sp. Abs. 3 - Elastische Bandage).
1. Das Streitpatent betrifft eine Seitenaufprall-Rückhaltevorrichtung zum Schutz eines auf einem Fahrzeugsitz sitzenden Insassen in einem Kraftfahrzeug, mit einem Gassack, der sich zwischen einer Seitenstruktur des Fahrzeugs und dem Insassen entfaltet (Patentschrift, Abs. [0001]).
Dem Streitpatent liegt die Aufgabe zugrunde, eine Seitenaufprallrückhaltevorrichtung mit einem Gassack zu schaffen, der sich an den Körperbau des Insassen anpasst (Patentschrift, Abs. [0004]).
Hierbei ist bei der erteilten Vorrichtung wie auch bei den im Einspruchsverfahren verteidigten Vorrichtungen wesentlich, dass der Gassack im dem Insassen zugewandten Bereich eine Abströmöffnung aufweist, deren vertikale Position so gewählt ist, dass sie vom Oberkörper eines kleinen Insassen nicht abgedeckt wird.
Nicht in den jeweiligen Ansprüchen 1 gefordert ist in diesem Zusammenhang, dass der Gassack ausschließlich diese eine Öffnung aufweist, so dass auch Vorrichtungen mit einer Mehrzahl von Öffnungen, von denen (zumindest) eine nicht durch den Oberkörper eines kleinen Insassen (wohl aber durch den eines großen Insassen) abgedeckt wird, unter den beanspruchten Gegenstand sowohl nach Haupt- als auch nach den Hilfsanträgen 1 bis 4 fallen.
2. Die jeweiligen Gegenstände der geltenden Ansprüche 1 nach Haupt- bzw. den Hilfsanträgen 1 bis 4 beruhen unter Berücksichtigung des Stands der Technik nach Druckschrift E1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit des Fachmanns.
a) Zum Hauptantrag Die Vorrichtung gemäß Anspruch 1 nach Hilfsantrag 1 ist von der Vorrichtung des allgemeiner gefassten Anspruchs 1 nach Hauptantrag umfasst (vgl. die Merkmale M1 bis M6 des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag 1 mit den Merkmalen M1 bis M4 des Anspruchs 1 nach Hauptantrag). Nachdem, wie nachfolgend dargelegt, die Vorrichtung gemäß Anspruch 1 nach Hilfsantrag 1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht, ist auch die Vorrichtung des inhaltlich weiter gefassten Anspruchs 1 nach Hauptantrag nicht patentfähig.
b) Zum Hilfsantrag 1 Der Gegenstand des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag 1 beruht unter Berücksichtigung der Druckschrift E1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Die Druckschrift E1 offenbart eine Seitenaufprall-Rückhaltevorrichtung (side air bag device) zum Schutz eines auf einem Fahrzeugsitz sitzenden Insassen (vehicle occupant) in einem Kraftfahrzeug, wobei die Seitenaufprall-Rückhaltevorrichtung einen Gassack bzw. Airbag aufweist, der im Fahrzeugsitz untergebracht ist (air bag body accommodated in a seat) und sich aus dem Fahrzeugsitz heraus zwischen einer Seitenstruktur (vehicle-interior side portion of the side door) und dem Insassen entfaltet (E1: Abs. [0039], letzter Satz, i.V.m. Abs. [0001] und [0009] / Merkmale M1 und M2).
Dabei lehrt die Druckschrift E1 zunächst in allgemeiner Form ohne Bezugnahme auf die in Abs. [0039] aufgeführte Seitenaufprall-Rückhaltevorrichtung, dass die Sicherheit von einem kleinen Fahrzeuginsassen (small-built vehicle occupant) im Falle der Auslösung eines Gassacks erhöht werden kann, indem Öffnungen (vent holes) in einem dem Insassen zugewandten Bereich eines inneren Gassacks bzw. Gassackkörpers (inner air bag body) ausgebildet werden (E1: Abs. [0009] i.V.m. Abs. [0010] und [0011]). Entgegen der Auffassung der Patentinhaberin stellen diese aus der E1 bekannten Öffnungen bzw. „vent holes“ nicht nur „Überströmöffnungen“ sondern auch Abströmöffnungen im Sinne des Streitpatents dar, da diese Öffnungen das Abströmen von Gas aus dem Gassack / Gassackkörper ermöglichen (E1: Abs. [0009], Sp. 2, Z. 53-58: […] a region of the inner air bag body through which gas is allowed to pass), damit sich die von dem Gassack ausgeübte Auflagekraft (reaction force) resp. der Gassack an den Körperbau des Insassen anpasst (E1: Abs. [0009], letzter Satz: „In other words, suitable reaction force can be generated correspondingly to the physical constitution of the vehicle occupant abutting against the air bag body“).
Der Auslegung, dass es sich bei den vorstehend genannten „vent holes“ in der E1 ebenfalls um Abströmöffnungen im Sinne des Streitpatents handelt, steht auch nicht entgegen, dass – wie aus dem in der Figur 1 der E1 dargestellten Ausführungsbeispiel eines Front-Airbags gemäß den Ausführungen der Patentinhaberin ersichtlich – über den Öffnungen des inneren Gassackkörpers (inner air bag body) noch eine Einrichtung zur Ablenkung von abströmendem heißem Gas in Form eines äußeren Gassack-/Airbagkörpers (outer air bag body) angebracht ist und das Gas nach der Ablenkung über seitliche Abströmöffnungen (vent holes 46) nach außen abströmen bzw. entweichen kann (E1: Abs. [0014] und Abs. [0034] i.V.m. Abs. [0021]). Vielmehr sind Mittel zum Ablenken von Gas, die verhindern, dass ein Insasse dem Gas direkt ausgesetzt wird, auch bei einer bevorzugten Ausführungsform des Streitpatents vorgesehen (Patentschrift, Abs. [0008] und [0024]).
Da in der Druckschrift E1 in Abs. [0039] auch eine sich aus dem Fahrzeugsitz heraus entfaltende Seitenaufprall-Rückhaltevorrichtung als Anwendungsmöglichkeit der vorstehend abgehandelten technischen Lehre zur Ausbildung von Öffnungen zum Abströmen von Gas resp. Abströmöffnungen, die in einem dem Insassen zugewandten Bereichs eines Gassacks ausgebildet sind, genannt wird, hat der Fachmann Veranlassung, diese technische Lehre auf den Gassack einer Seitenaufprall-Rückhaltevorrichtung zu übertragen. Dementsprechend wird der Fachmann in naheliegender Weise auch bei dem als Anwendungsmöglichkeit genannten Gassack einer Seitenaufprall-Rückhaltevorrichtung, der sich aus dem Fahrzeugsitz heraus entfaltet, eine Abströmöffnung in einem dem Insassen zugewandten Bereich des Gassacks anordnen (Merkmal M3), ohne dabei erfinderisch tätig werden zu müssen.
Die Druckschrift E1 lehrt dem Fachmann zudem, dass einzelne der Abströmöffnungen (vent holes) des inneren Gassackkörpers von einem großen Fahrzeuginsassen (largely-built vehicle occupant), der gegen den entfalteten Gassack prallt, zumindest großteils verschlossen werden (E1: Abs. [0009] i.V.m. Abs. [0010] und Abs. [0034]). Durch eine Abströmöffnung, die im Falle eines kleinen Fahrzeugin- sassen (small-built vehicle occupant) nicht verdeckt wird, kann dagegen Gas abströmen (E1: Abs. [0009], Sp. 2, Z. 53-58, i.V.m. Abs. [0010], [0011] und [0033]). Im Fall des Front-Airbags nach Fig. 2 sind eine Vielzahl von vom Oberkörper eines Insassen abdeckbaren Abströmöffnungen 40 im Gassack offenbart, wobei ersichtlich die vertikal im oberen Bereich des Gassacks angeordneten Abströmöffnungen nicht durch den Oberkörper eines kleinen Insassen, wohl aber durch den eines großen Insassens abgedeckt werden. Für den Fachmann – der wie vorstehend dargelegt, Veranlassung hat, die anhand eines Front-Airbags beschriebene technische Lehre auf die in der E1 als Anwendungsmöglichkeit genannte Seitenaufprall-Rückhaltevorrichtung zu übertragen – liegt es damit nahe, die vertikale Position einer Abströmöffnung des Gassacks einer Seitenaufprall-Rückhaltevorrichtung so wählen, dass die Abströmöffnung vom Oberkörper eines kleinen Fahrzeuginsassen (small-built vehicle occupant), der sich im Bereich des entfalteten Gassacks befindet, nicht verdeckt wird, während die Abströmöffnung von einem großen Insassen (small-built vehicle occupant) verdeckt wird (Merkmal M4 mit M4*).
Die Druckschrift E1 lehrt zudem anhand des konkreten Ausführungsbeispiels eines Front-Airbags (E1: Fig. 1 und 2 mitsamt zugehörigem Text in Abs. [0027] und Abs. [0032] bis [0034]), dass ein Gassack neben Abströmöffnungen, die dem Fahrzeuginsassen zugewandt sind (vgl. Abs. [0032] und den in Fig. 1 mit Strichpunktlinien gekennzeichneten Bereich eines Insassen mitsamt den gegenüberliegenden Abströmöffnungen 40) mit weiteren Abströmöffnungen auszubilden ist, die in einem dem Insassen nicht zugewandten Bereich des Gassacks angeordnet sind (vgl. in Fig. 1 die am inneren Gassackkörper 34 angebrachten Abströmöffnungen 40, die in der Nähe der äußeren Abströmöffnungen 46 ausgebildet sind), wobei der E1 mit Figur 2 weiterhin zu entnehmen ist, dass die Abströmöffnungen 40 auch im unteren Abschnitt des Gassacks 34 angeordnet sind. Der zuständige Fachmann, der aus Gründen der Sicherheit dafür Sorge zu tragen hat, dass das in den Gassack eingeströmte, gegebenenfalls heiße Gas zur Abschwächung des Aufpralls eines beliebig großen Insassen auf den gefüllten Gassack nach dessen Entfaltung wieder entweichen kann, wird eine Seitenaufprall-Rückhaltevorrichtung, wie sie in Abs. [0039] der E1 als Anwendungsbeispiel genannt wird – nach dem Vorbild des in den Figuren 1 und 2 der E1 dargestellten Front-Airbags – mit zumindest einer weiteren Abströmöffnung ausbilden, die in einem dem Insassen nicht zugewandten Bereich des Gassacks angeordnet ist (Merkmal M5teilweise, ohne Anordnung im unteren Abschnitt des Gassacks). Damit das gegebenenfalls heiße Gas nicht unmittelbar in die Nähe von Körperteilen oberhalb der Hüfte eines Fahrzeuginsassen gelangen kann, die beispielsweise im Sommer nicht durch Kleidung geschützt sein können, ist es für der Fachmann jedoch naheliegend, diese weiteren Abströmöffnungen im unteren Abschnitt des Gassacks anzuordnen (Merkmal M5Rest).
Wie zuvor ausgeführt, lehrt die Druckschrift E1, dass durch die Ausbildung von Abströmöffnungen die vom Gassack ausgeübte Auflagekraft (reaction force) in Abhängigkeit vom Körperbau (physical constitution) bzw. der Größe des Insassen (small-build / largely-build vehicle occupant) gesteuert werden kann (E1: Abs. [0009], letzter Satz). Der Fachmann liest hierbei mit, dass das Abströmen von Gas aus dem entfalteten Gassack mit einer Veränderung des Gassackinnendrucks einhergeht. Damit entnimmt der Fachmann der Druckschrift E1 ebenfalls, dass sich der Gassackinnendruck mittels der vorstehend genannten Anordnung einer Abströmöffnung in Abhängigkeit von der Größe des Insassen (small-build / largelybuild vehicle occupant) steuern lässt, wobei dies in gleicher Weise für den Gassack einer Seitenaufprall-Rückhaltevorrichtung gilt, der in der E1 in Abs. [0039] als Anwendungsmöglichkeit aufgeführt wird (Merkmal M6).
Somit gelangt der Fachmann aufgrund der Kenntnis der Druckschrift E1 in naheliegender Weise zum Gegenstand des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag 1 mit sämtlichen Merkmalen M1 bis M6, ohne erfinderisch tätig werden zu müssen. Der Anspruch 1 nach Hilfsantrag 1 ist daher nicht patentfähig.
c) Zum Hilfsantrag 2 Auch das im Anspruch 1 nach Hilfsantrag 2 zusätzlich aufgeführte Merkmal, dass aus der weiteren Abströmöffnung – die in einem dem Insassen nicht zugewandten Bereich des Gassacks angeordnet ist – unabhängig von der Größe des Insassen immer Gas ausströmen kann, ist nicht geeignet, eine erfinderische Tätigkeit zu begründen. Denn bereits in der E1 sind Gasausströmöffnungen offenbart, die weder von einem kleinen noch von einem großen Insassen bedeckt sind, durch die somit immer Gas ausströmen kann. Insoweit ist auch das zusätzlich aufgenommene Merkmal aus der E1 bekannt (vgl. Fig. 1, seitliche Öffnungen 40 / Merkmal M7).
Somit gelangt der Fachmann mit der Kenntnis des Stands der Technik gemäß Druckschrift E1 in nahe liegender Weise zum Gegenstand des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag 2 mit den Merkmalen M1 bis M7, ohne erfinderisch tätig werden zu müssen.
d) Zum Hilfsantrag 3 Das im Vergleich zum Anspruch 1 nach Hilfsantrag 1 zusätzliche aufgeführte Merkmal im Anspruch 1 nach Hilfsantrag 3, dass die Abströmöffnung – die sich in einem dem Insassen zugewandten Bereich des Gassacks befindet – in einem Bereich liegt, der sich bezogen auf das Hüftgelenk des Insassen zwischen einer Höhe von 400 mm und einer Höhe von 550 mm erstreckt, kann ebenfalls keine erfinderische Tätigkeit des zuständigen Fachmanns begründen. Denn die Druckschrift E1 lehrt bereits – wie vorstehend ausgeführt – dass die Abströmöffnung eines Gassacks so auszubilden ist, dass sie von einem großen Fahrzeuginsassen (largely-built vehicle occupant), der gegen den entfalteten Gassack prallt, verschlossen wird (E1: Abs. [0009] i.V.m. Abs. [0010] und Abs. [0039]), während die Abströmöffnung durch einen kleinen Fahrzeuginsassen (small-built vehicle occu- pant) nicht verdeckt wird (E1: Abs. [0009], Sp. 2, Z. 53-58, i.V.m. Abs. [0010], [0011] und [0039]). Es ist dabei für den zuständigen Fachmanns naheliegend, dementsprechend die geeignete Höhe der Abströmöffnung einer SeitenaufprallRückhaltevorrichtung, wie sie in Abs. [0039] der E1 als Anwendungsmöglichkeit aufgeführt wird, durch einfaches Ausprobieren mit Insassen verschiedener Größe zu ermitteln, womit der Fachmann ohne erfinderisches Zutun zu einer Anbringung der Abströmöffnung in einer Höhe von 400 bis 550 mm oberhalb des Hüftgelenks von Insassen gelangen kann bzw. wird (Merkmal M7*).
Der Gegenstand des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag 3 ergibt sich somit für den Fachmann in naheliegender Weise aus der Druckschrift E1, ohne erfinderisch tätig werden zu müssen.
e) Zum Hilfsantrag 4 Auch die im Vergleich zum Anspruch 1 nach Hilfsantrag 1 zusätzlich im Anspruch 1 nach Hilfsantrag 4 aufgeführte Maßnahme, dass an der Abströmöffnung eine Einrichtung zum Ablenken des abströmenden Gases vorgesehen ist, die ein auf der Außenseite des Gassacks über der Abströmöffnung angeordnetes Gewebestück umfasst, kann keine erfinderische Tätigkeit des Fachmanns begründen. Denn die Druckschrift E1 lehrt bereits, wie vorstehend ausgeführt, über den Abströmöffnungen (vent holes) des inneren Gassackkörpers (inner air bag body) noch eine Einrichtung zur Gasablenkung in Form eines äußeren Gassack-/Airbagkörpers (outer air bag body) anzubringen, die den Insassen vor abströmendem heißem Gas schützt (E1: Fig. 1). Da dem Fachmann nicht zuletzt aus der Druckschrift E1 der Einsatz von Gewebe (cloth material) im Zusammenhang mit Gassäcken geläufig ist (E1: Sp. 8, Z. 18 ff.), liegt es für ihn nahe, auch bei einer Seitenaufprall-Rückhaltevorrichtung, wie sie in der E1 in Abs. [0039] als Anwendungsmöglichkeit aufgeführt wird, an einer Abströmöffnung, die dem Insassen zugewandt ist, eine Einrichtung zum Ablenken des abströmenden Gases vorzusehen,
die ein auf der Außenseite des Gassacks über der Abströmöffnung angeordnetes Gewebestück aufweist (Merkmal M7**).
Der Gegenstand des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag 4 ergibt sich somit für den Fachmann ebenfalls in nahe liegender Weise aus dem Offenbarungsgehalt der Druckschrift E1.
3. Mit den jeweils nicht patentfähigen Ansprüchen 1 nach Hauptantrag bzw. den Hilfsanträgen 1 bis 4 sind aufgrund der Antragsbindung auch der nebengeordnete Anspruch 2 nach Hauptantrag und die jeweiligen Unteransprüche nach Hauptantrag bzw. nach den Hilfsanträgen 1 bis 4 nicht schutzfähig, da auf diese Ansprüche kein eigenständiges Patentbegehren gerichtet war (vgl. BGH, GRUR 2007, 862 Leitsatz – Informationsübermittlungsverfahren II).
4. Bei vorliegender Sachlage war das Patent zu widerrufen.
Höppler Schwarz Maile Schwengelbeck Hu