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I B 28/12

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 6.11.2012, I B 28/12 Grundsätzlich keine Vorlagepflicht an den EuGH für ein FG Tatbestand I. Streitig ist, ob der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) verpflichtet ist, in den Niederlanden erzielte Einkünfte (Tätigkeit als Belastingadviseur), die bisher in den Einkommensteuer-Veranlagungen der Streitjahre (2002 bis 2006) im Rahmen des Progressionsvorbehalts (§ 32b Abs. 1 Nr. 3 des Einkommensteuergesetzes --EStG 2002--) erfasst worden waren, unberücksichtigt zu lassen.

Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) wurden in den Streitjahren als unbeschränkt steuerpflichtige Eheleute zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger war u.a. in X (Niederlande) als Belastingadviseur CB tätig; dabei handelt es sich um ein Einzelunternehmen und um eine aktive wirtschaftliche Tätigkeit i.S. des § 8 des Gesetzes über die Besteuerung bei Auslandsbeziehungen.

Der Einkommensteuerbescheid 2002, der gemäß § 165 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) vorläufig hinsichtlich der in den Niederlanden erzielten Einkünfte erging, da deren Höhe noch nicht bekannt sei, erfasste diese Einkünfte (in Höhe von 1 EUR) im Rahmen des Progressionsvorbehalts. Für 2003 kam es --unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 1 AO)-- zu einer Festsetzung von 0 EUR; die ausländischen Einkünfte waren vom Kläger mit 1 EUR angegeben worden. Der Bescheid erging im Übrigen gemäß § 165 Abs. 1 AO vorläufig hinsichtlich der ausländischen Einkünfte (Progressionsvorbehalt). Für 2004 wurden die ausländischen Einkünfte in Höhe von ca. 30.000 EUR (erstmalig wurde eine entsprechende Gewinnermittlung eingereicht) erklärungsgemäß --und ebenfalls unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 1 AO)-- dem Progressionsvorbehalt unterworfen; ein Vorläufigkeitsvermerk wurde nicht beigefügt. Für 2005 veranlagte das FA entsprechend der in der Anlage AUS bezifferten Einkünfte aus den Niederlanden in Höhe von ca. 29.000 EUR unter Ansatz eines Progressionsvorbehalts. Alle Festsetzungen wurden formell bestandskräftig.

Die Steuererklärung 2006 wies die ausländischen Einkünfte nicht aus. Die Kläger beantragten, jene --ebenso wie die in den Vorjahren (2002 bis 2005) erzielten Einkünfte-- nicht zu erfassen, da die gesetzliche Regelung des Progressionsvorbehalts unionsrechtswidrig sei (Hinweis auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs --jetzt Gerichtshof der Europäischen Union-- [EuGH] vom 29. März 2007 C-347/04, Slg. 2007, I-2647 "Rewe Zentralfinanz"). Das FA lehnte eine Änderung der Veranlagungen der Streitjahre 2002 bis 2005 ab; darüber hinaus erfasste es ausländische Einkünfte in einer geschätzten Höhe (Progressionsvorbehalt) im Rahmen der unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangenen Festsetzung für 2006.

Die gegen die Ablehnung der beantragten Änderungen (2002 bis 2005) und gegen die Festsetzung 2006 gerichtete Klage, mit der auch eine Feststellung der Nichtigkeit der Festsetzungen begehrt wurde, war erfolglos (Finanzgericht --FG-- Köln, Urteil vom 25. Januar 2012 9 K 2563/09). In der mündlichen Verhandlung, zu der trotz ordnungsgemäßer Ladung niemand erschienen war, war vom FG der Hinweis erteilt worden, dass die Klage auch bei einer Anwendung des § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 bzw. Satz 2 EStG 2002 in der Fassung des Jahressteuergesetzes 2009 vom 19. Dezember 2008 (BGBl I 2008, 2794, BStBl I 2009, 74) keinen Erfolg haben dürfte, weil nach dieser Regelung nur passive gewerbliche Einkünfte nicht dem Progressionsvorbehalt unterfallen würden.

Die Kläger beantragen unter Hinweis auf § 115 Abs. 2 Nrn. 1 bis 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO), die Revision zuzulassen.

Das FA hat sich zur Beschwerde nicht geäußert.

Entscheidungsgründe II. Die Beschwerde ist unbegründet. Die von den Klägern angeführten Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.

1. Die Rüge, bei dem angefochtenen Urteil handele es sich um ein Überraschungsurteil (Verstoß gegen den Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs), weil das FG nicht vorab auf die im Urteil herausgestellten Darlegungsmängel hingewiesen habe, ist jedenfalls nicht ausreichend substantiiert.

Zwar kann sich aus § 76 Abs. 2 FGO und aus dem Recht der Beteiligten auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes --GG--, § 96 Abs. 2 FGO) die Verpflichtung des FG zu Hinweisen an die Beteiligten ergeben. Es besteht aber keine Pflicht des Gerichts, die dem Urteilsfindungsprozess eigene abschließende Würdigung des Sachvortrags in richterlichen Hinweisen vorwegzunehmen.

Die Kläger rügen insoweit ohne Erfolg die Formulierungen auf Bl. 13 des angefochtenen Urteils (dort handelt es sich um eine abstrakte Darstellung von Tatbestandsvoraussetzungen) und Bl. 16 (dort handelt es sich um eine dem rechtlichen Obersatz zugeordnete Mitteilung des vom FG gefundenen Subsumtionsergebnisses, dass die Tatbestandsvoraussetzungen nicht erfüllt sind). Allerdings ist, worauf die Kläger ebenfalls verweisen, auf Bl. 14 des angefochtenen Urteils ausgeführt, dass die Kläger nicht schlüssig dargetan hätten, dass die Einbeziehung der ausländischen Einkünfte in die Berechnung des Steuersatzes (hier Streitjahr 2002: Ansatz von 1 EUR) als "wesentlicher Teil" der Steuerfestsetzung zu einer Gesamtnichtigkeit des Bescheids führen sollte, und auf Bl. 15, dass bisher nicht schlüssig dargetan sei, dass ein berechtigtes Nichtigkeitsfeststellungsinteresse an einer auf 0 EUR lautenden Steuerfestsetzung bestehe.

Zu diesen beiden Gesichtspunkten fehlt aber für eine substantiierte Rüge eines Verfahrensmangels (§ 116 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) schon eine Darlegung der Kläger, was diese (auf der Grundlage des materiell-rechtlichen Standpunkts des FG) zu ihren Gunsten noch vorgetragen hätten, wenn sie vom FG im Verfahren auf weiteren Darlegungsbedarf hingewiesen worden wären. Im Übrigen steht einer erfolgreichen Rüge der nicht ausreichenden Gewährung rechtlichen Gehörs auch entgegen, dass die Kläger die Möglichkeit einer Erörterung der Sach- und Rechtslage durch Teilnahme an der mündlichen Verhandlung nicht wahrgenommen haben.

2. Das angefochtene Urteil ist auch nicht aus dem Grund verfahrensfehlerhaft ergangen, weil das FG gegen eine Pflicht zur Vorlage an den EuGH (Vorabentscheidungsersuchen) verstoßen hat (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 119 Nr. 1 FGO). Denn eine solche Pflicht folgt weder aus dem Wortlaut des Art. 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union in der Fassung des Vertrags von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union (EU) und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft --AEUV-- (Amtsblatt der Europäischen Union 2008, Nr. 115, 47) noch kann sie --was allein Gegenstand der Rüge der Kläger ist-- der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) entnommen werden.

Zwar hat das BVerfG in seinem Beschluss vom 4. Oktober 2011 1 BvL 3/08 (BVerfGE 129, 186) entschieden, dass die Normenkontrollvorlage eines Gesetzes, das Recht der EU umsetzt, unzulässig ist, wenn das vorlegende Gericht nicht geklärt hat, ob das von ihm als verfassungswidrig beurteilte Gesetz in Umsetzung eines dem nationalen Gesetzgeber durch das Unionsrecht verbleibenden Gestaltungsspielraums ergangen ist. Insoweit muss das Gericht hierfür gegebenenfalls ein Vorabentscheidungsverfahren zum EuGH nach Art. 267 Abs. 1 AEUV einleiten, unabhängig davon, ob es ein letztinstanzliches Gericht ist.

Diese Entscheidung bezieht sich aber auf die Situation, dass eine (nationale) Norm in Umsetzung von Rechtsakten der EU ergangen ist, und beruht dabei darauf, dass das BVerfG seine Prüfung von Unionsrecht und von zwingendem Unionsrecht umsetzendem nationalem Recht am Maßstab des GG insoweit zurückgenommen hat (s. BVerfG-Beschluss in BVerfGE 129, 186). Dies gilt auf der Grundlage von Art. 23 Abs. 1 GG nicht nur für (EU-)Verordnungen, sondern auch für Richtlinien nach Art. 288 Abs. 3 AEUV und an die Bundesrepublik Deutschland gerichtete Beschlüsse der Kommission nach Art. 288 Abs. 4 AEUV (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 129, 186). Eine innerstaatliche Rechtsvorschrift, die eine Richtlinie oder einen Beschluss in deutsches Recht umsetzt, wird insoweit nicht an den Grundrechten des GG gemessen, als das Unionsrecht keinen Umsetzungsspielraum lässt, sondern zwingende Vorgaben macht (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 129, 186). Eine solche Konstellation besteht im Streitfall nicht; der Gesetzgeber war bei seiner Neugestaltung des Progressionsvorbehalts im Zuge des Jahressteuergesetzes 2009, mit der er die unionsrechtlich infolge der Rechtsprechung des EuGH erforderliche Neuregelung des § 2a EStG 2002 lediglich ergänzen wollte (BTDrucks 16/10189, S. 46, 53), nicht in vergleichbarer Weise durch zwingendes Unionsrecht gebunden.

3. Soweit die Kläger rügen, das FG sei im angefochtenen Urteil ohne Grund (und ohne vorherigen Hinweis) von dem schriftsätzlich vorgetragenen Antrag auf Vorlage an den EuGH inhaltlich abgewichen, ist mit Blick auf 2. der Beschlussgründe schon nicht ersichtlich, dass das angefochtene Urteil auf der Grundlage dieses Vorbringens auf einem entsprechenden Verfahrensmangel beruhen könnte.

4. Soweit die Kläger unter Hinweis auf einen nicht näher substantiierten "Widerstreit zu den benannten Urteilen des EuGH" bzw. auf "grundsätzliche Bedeutung" der Rechtssache im Kern materiell-rechtliche Rechtsfehler (Zirkelschluss; Verstoß gegen Denkgesetze) bzw. unrichtige Rechtsanwendung im angefochtenen Urteil rügen, kann darauf eine Zulassung der Revision nicht beruhen.

5. Der Senat sieht von einer weitergehenden Begründung des Beschlusses ab (§ 116 Abs. 5 Satz 2 FGO).

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