StB 11/25
BUNDESGERICHTSHOF StB 11/25 BESCHLUSS vom 20. März 2025 in dem Strafverfahren gegen wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung u.a.
ECLI:DE:BGH:2025:200325BSTB11.25.0 Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung der Angeklagten und ihrer Verteidiger am 20. März 2025 gemäß § 143a Abs. 4, § 144 Abs. 1, § 142 Abs. 7 Satz 1, § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 1 StPO beschlossen:
Die sofortige Beschwerde der Angeklagten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 12. Februar 2025 wird verworfen. Die Beschwerdeführerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels zu tragen.
Gründe:
I.
Vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main ist gegen die Angeklagte ein Strafverfahren wegen des Vorwurfs der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung in Tateinheit mit Beihilfe zur Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens anhängig.
Der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs hat noch im Ermittlungsverfahren mit Beschluss vom 7. Dezember 2022 der Angeklagten mit deren Zustimmung Rechtsanwältin Dr. S.
als Verteidigerin und mit weiterem Beschluss vom 26. Januar 2023 Rechtsanwältin W. (vormals H. ) als zusätzliche Verteidigerin bestellt. Die Rechtsanwälte Prof. Dr. N. und D. sind als Wahlverteidiger mandatiert.
Mit Schriftsatz vom 17. Dezember 2024, der mit weiteren Eingaben aus Januar und Februar 2025 ergänzt worden ist, hat die Angeklagte beantragt, die Bestellung der Rechtsanwältinnen Dr. S.
und W. aufzuheben, da das Vertrauensverhältnis zu beiden zerstört sei. Mit weiterem Schriftsatz vom
9. Januar 2025 hat die Angeklagte beantragt, ihre Wahlverteidiger Rechtsanwälte D. und Prof. Dr. N. als zusätzliche Pflichtverteidiger, hilfsweise nur Rechtsanwalt Prof. Dr. N. als weiteren Pflichtverteidiger, zu bestellen.
Diese Anträge hat das Oberlandesgericht durch Entscheidung des Vorsitzenden des mit der Sache befassten Strafsenats vom 12. Februar 2025 abgelehnt. Zur Begründung hat es unter näherer Darlegung im Einzelnen ausgeführt, dass weder ein zerstörtes Vertrauensverhältnis noch eine grobe Pflichtverletzung der Pflichtverteidigerinnen im Sinne des § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StPO vorlägen. Auch seien die Voraussetzungen für die Bestellung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers gemäß § 144 Abs. 1 StPO nicht erfüllt.
Gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichts hat die Angeklagte mit Schriftsatz ihrer Wahlverteidiger vom 20. Februar 2025 sofortige Beschwerde eingelegt.
II.
Die sofortige Beschwerde ist als Rechtsmittel der Angeklagten zu verstehen (§ 300 StPO), auch wenn sie ausdrücklich im Namen der Wahlverteidiger erhoben worden ist. Denn der Beschwerdebegründung ist noch hinreichend zu entnehmen, dass die Verletzung der Rechte der Angeklagten geltend gemacht wird (vgl. BGH, Beschluss vom 24. März 2022 - StB 5/22, StraFo 2022, 285 mwN).
III.
Die gemäß § 143a Abs. 4, § 144 Abs. 1, § 142 Abs. 7 Satz 1, § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 1, § 306 Abs. 1, § 311 Abs. 1 und 2 StPO statthafte, fristgerechte und auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Der zur Entscheidung berufende Vorsitzende des mit der Sache befassten Oberlandesgerichtssenats (§ 142 Abs. 3 Nr. 3 StPO) hat sowohl den Antrag der Angeklagten auf Aufhebung der Beiordnungen der Rechtsanwältinnen Dr. S.
und W. als auch denjenigen auf Bestellung der Wahlverteidiger D. und Prof. Dr. N. als zusätzliche Pflichtverteidiger zu Recht abgelehnt.
1. Die Voraussetzungen für eine Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellungen der Rechtsanwältinnen Dr. S.
und W. liegen nicht vor. Weder ist das Vertrauensverhältnis zwischen ihnen und der Angeklagten endgültig zerstört, noch ist aus einem sonstigen Grund eine angemessene Verteidigung der Angeklagten nicht gewährleistet (s. § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StPO). Auch im Übrigen besteht kein Anlass zur Aufhebung der Beiordnungen nach § 143a Abs. 1 Satz 1 StPO.
a) Nach § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StPO ist die Bestellung des Pflichtverteidigers aufzuheben und ein neuer Pflichtverteidiger zu bestellen, wenn das Vertrauensverhältnis zwischen Verteidiger und Angeklagtem endgültig zerstört oder aus einem sonstigen Grund keine angemessene Verteidigung des Angeklagten gewährleistet ist. Mit dieser am 13. Dezember 2019 in Kraft getretenen Vorschrift (BGBl. I S. 2128, 2130, 2134) sollten zwei von der ständigen obergerichtlichen Rechtsprechung anerkannte Fälle des Rechts auf Verteidigerwechsel normiert werden. Deshalb kann für die Frage, wann im Einzelnen eine endgültige Zerstörung des Vertrauensverhältnisses zu bejahen ist, auf die in dieser Rechtsprechung herausgearbeiteten Grundsätze zurückgegriffen werden (vgl. BT-Drucks.
19/13829 S. 48). Danach ist anerkannt, dass Maßstab für die Störung des Vertrauensverhältnisses die Sicht eines verständigen Angeklagten und eine solche von diesem oder seinem Verteidiger substantiiert darzulegen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Februar 2020 – StB 4/20, BGHR StPO § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Aufhebung 2 Rn. 6 f.). Differenzen zwischen dem Pflichtverteidiger und dem Angeklagten über die Verteidigungsstrategie rechtfertigen für sich genommen die Entpflichtung nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 5. März 2020 – StB 6/20, BGHR StPO § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Aufhebung 1 Rn. 10 f.). Ein wichtiger Grund wird eher fernliegen oder gar ausgeschlossen sein, wenn die Zerstörung des Vertrauensverhältnisses vom Beschuldigten schuldhaft herbeigeführt wurde (vgl. BGH, Urteil vom 26. August 1993 – 4 StR 364/93, BGHSt 39, 310, 315).
b) Daran gemessen ergibt sich aus dem Vorbringen der Beschwerdeführerin kein Grund für eine Rücknahme der Verteidigerbestellungen. Aus den auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung, auf die Bezug genommen wird, ist weder von einem endgültigen Vertrauensverlust auszugehen, noch ist das Vorliegen einer groben Pflichtverletzung erkennbar (§ 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StPO). Ergänzend ist nur Folgendes auszuführen:
aa) Der von der Beschwerdeführerin erhobene Vorwurf, die Pflichtverteidigerinnen hätten in den letzten zehn Monaten keinen Kontakt zu ihr gehalten, begründet nicht die Rücknahme der Beiordnungen. Denn die Angeklagte verursacht diesen Umstand dadurch selbst, dass sie seit etwa einem Jahr jegliche Kommunikation mit ihren Pflichtverteidigerinnen verweigert. Ein letzter Versuch der Kontaktaufnahme durch diese scheiterte im Januar 2025 (vgl. BGH, Urteil vom 20. Dezember 2019 – 3 StR 236/17, juris Rn. 65; Beschluss vom 18. November 2003 – 1 StR 481/03, NStZ 2004, 632 Rn. 9).
bb) Der von der Beschwerdeführerin behauptete Umstand, die Pflichtverteidigerinnen hätten ohne Rücksprache mit ihr mehrere gerichtliche Anträge gestellt, begründet keinen endgültigen Vertrauensverlust. Der Verteidiger ist unabhängig, handelt also in eigener Verantwortung und ist an Weisungen des Beschuldigten nicht gebunden (vgl. BGH, Urteil vom 30. Oktober 1959 – 1 StR 418/59, BGHSt 13, 337, 343). Er ist nicht Vertreter, sondern Beistand des Beschuldigten (BGH, Beschlüsse vom 20. September 1956 – 4 StR 287/56, BGHSt 9, 356, 357; vom 30. Januar 1959 – 1 StR 510/58, BGHSt 12, 367, 369; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., Vor § 137 Rn. 1 mwN). Es besteht daher für ihn keine Rechtspflicht, Anträge mit dem Mandanten abzusprechen (vgl. BGH, Beschluss vom 17. September 2015 – 3 StR 11/15, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 41 Rn. 6), zumal die Angeklagte jeglichen Kontakt zu ihren Pflichtverteidigerinnen verweigert. Auch steht es der Angeklagten frei, die vom Mitangeklagten P.
angebotene monatliche finanzielle Unterstützung abzulehnen, um die sich Rechtsanwältin Dr. S.
zu ihren Gunsten bemüht hat.
cc) Eine ernsthafte Störung des Vertrauensverhältnisses zur Pflichtverteidigerin Rechtsanwältin W. hat die Angeklagte nicht substantiiert dargelegt. Pauschale, nicht näher belegte Vorwürfe, sie habe keine Verteidigungstätigkeit entfaltet, rechtfertigen eine Entpflichtung nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Februar 2021 – 3 StR 424/20, NStZ 2021, 381 Rn. 4 mwN). Insbesondere hat die Angeklagte nicht dargelegt, an welchen Sitzungstagen der Hauptverhandlung Rechtsanwältin W. teilgenommen hat. Daneben ergibt sich aus dem eigenen Vortrag der Beschwerdeführerin, dass diese gemeinsam mit der weiteren Pflichtverteidigerin im November 2024 einen Antrag auf Haftprüfung gestellt hat.
dd) Die von der Angeklagten geltend gemachten Gesichtspunkte reichen auch in ihrer Gesamtheit nicht aus, um eine endgültige Zerstörung des Vertrauensverhältnisses darzutun. Ergänzend wird auf die zutreffenden Ausführungen des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift vom 27. Februar 2025 Bezug genommen.
c) Eine Entpflichtung der Pflichtverteidigerinnen aus einem anderen Grund kommt ebenfalls nicht in Betracht. Insbesondere das Vorliegen einer groben Pflichtverletzung durch Rechtsanwältin Dr. S.
oder Rechtsanwältin W.
ist nicht ersichtlich (s. § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Alternative 2 StPO).
aa) Die Beschwerdeführerin kann ihren Antrag auf Aufhebung der Pflichtverteidigungen und ihre sofortige Beschwerde gegen dessen Ablehnung nicht erfolgreich darauf stützen, Rechtsanwältin Dr. S.
habe Kontakt zum Generalkonsulat der Russischen Föderation in Frankfurt am Main unterhalten. Denn dieser Umstand war bereits Gegenstand der Entscheidung des Senats vom
13. Juni 2024 (StB 34/24) und ist daher der Sache nach einer erneuten rechtlichen Kontrolle entzogen. Dass sich eine wesentliche Veränderung der zugrundeliegenden tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse ergeben hat, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich (vgl. BGH, Beschluss vom 21. April 2021 – StB 17/21, BGHR StPO § 142 Abs. 7 sofortige Beschwerde 1 Rn. 7).
bb) Soweit die Beschwerdeführerin in einem Schreiben der Pflichtverteidigerin Dr. S.
an Rechtsanwalt D. „eine beleidigende Herabwürdigung der Wahlverteidiger“ erblickt, ist schon nicht ersichtlich, weshalb die Art und Weise der Kommunikation zwischen den Verteidigern eine Verletzung der aus einer Beiordnung erwachsenen Pflichten gegenüber der Angeklagten begründen und deren ordnungsgemäße Verteidigung ernsthaft gefährden soll. Im Übrigen hat die Beschwerdeführerin nicht substantiiert dargelegt, welche unwahren Tatsachenbehauptungen die Pflichtverteidigerin Dr. S.
über Rechtsanwalt D. verbreitet haben soll.
cc) Der von der Angeklagten weiterhin angeführte Umstand, Rechtsanwältin W. habe ihr weder die Änderung ihres Namens noch die neue Kanzleianschrift mitgeteilt, rechtfertigt ebenfalls nicht die Annahme einer groben Pflichtverletzung.
dd) Die von der Angeklagten geltend gemachten Gesichtspunkte reichen auch in ihrer Gesamtheit nicht aus, eine solche Pflichtverletzung der Pflichtverteidigerinnen Dr. S.
und W. darzutun. Abschließend wird auf die auch insoweit zutreffenden Ausführungen des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift vom 27. Februar 2025 verwiesen.
20 d) Die Bestellungen der Rechtsanwältinnen Dr. S.
und W. zu Pflichtverteidigerinnen sind entgegen der Rechtsansicht der Beschwerdeführerin ferner nicht gemäß § 143a Abs. 1 Satz 1 StPO aufzuheben, weil sie mit den Rechtsanwälten Prof. Dr. N. und D. andere Verteidiger gewählt hat. Denn diese haben bereits ihre Beiordnungen als Pflichtverteidiger beantragt und für den Fall ihrer Bestellung angekündigt, ihr Wahlmandat niederzulegen (vgl.
§ 143a Abs. 1 Satz 2 Variante 1 StPO).
2. Die sofortige Beschwerde ist auch unbegründet, soweit sie sich gegen die Ablehnung der Bestellung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers wendet.
a) In einem solchen Fall prüft das Beschwerdegericht, ob der Vorsitzende des Erstgerichts die Grenzen seines Beurteilungsspielraums zu den tatbestandlichen Voraussetzungen des § 144 Abs. 1 StPO eingehalten und sein Entscheidungsermessen („können“) fehlerfrei ausgeübt hat (BGH, Beschluss vom 27. März 2024 – StB 19/24, NStZ-RR 2024, 178, 179 mwN).
b) Daran gemessen ist die Entscheidung des Vorsitzenden des mit der Sache befassten Oberlandesgerichtssenats nicht zu beanstanden. Das Oberlandesgericht ist unter Beachtung der gesetzlichen Voraussetzungen davon ausgegangen, dass zur Sicherung der zügigen Durchführung des Verfahrens die Hinzuziehung eines weiteren Verteidigers nicht erforderlich sei. Dabei hat es im Rahmen der vorgenommenen Abwägung zudem in den Blick genommen, dass einem Mitangeklagten drei Pflichtverteidiger beigeordnet worden sind und dies mit der Einbindung eines der bestellten Verteidiger in einem anderen umfangreichen Staatsschutzverfahren sowie dadurch befürchteter Terminskollisionen nachvollziehbar begründet. Auch insoweit hat der Vorsitzende weder die Grenzen seines Beurteilungsspielraums überschritten noch sein Entscheidungsermessen fehlerhaft ausgeübt.
c) Im Übrigen sind die Rechte der Angeklagten an einer effektiven Verteidigung (s. Art. 6 Abs. 3 Buchst. c EMRK) und einem fairen Verfahren (vgl. Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK) durch die Bestellung der Pflichtverteidigerinnen Dr. S.
und W. hinreichend gewahrt.
Schäfer Berg Voigt