2 Ni 41/17 (EP)
BUNDESPATENTGERICHT Ni 41/17 (EP) (Aktenzeichen)
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IM NAMEN DES VOLKES URTEIL In der Patentnichtigkeitssache ECLI:DE:BPatG:2019:080819U2Ni41.17EP.0 betreffend das europäische Patent 1 169 735 (DE 600 41 513)
hat der 2. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts am 8. August 2019 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Voit sowie der Richterin Hartlieb und der Richter Dipl. Phys. Dr. rer. nat. Friedrich, Dipl. Phys. Dr. rer. nat. Zebisch und Dr.-Ing. Kapels für Recht erkannt:
I. Das europäische Patent 1 169 735 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt.
II. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
IV. Der Streitwert wird auf 1.250.000 Euro festgesetzt.
Tatbestand Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin die Nichtigerklärung des europäischen Patents 1 169 735 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet Deutschland. Die Beklagte ist Inhaberin des am 15. März 2000 in der Verfahrenssprache Englisch international angemeldeten, die Prioritäten der US-Patentanmeldungen mit den Anmeldenummern 60/124,493 vom 15. März 1999 und 09/426,795 vom 22. Oktober 1999 beanspruchenden und am 4. Februar 2009 unter dem Titel
„Semiconductor Radiation Emitter Package“ (Halbleiter-StrahlungsemitterVerpackung) mit der Patentschrift EP 1 169 735 B1 veröffentlichten europäischen Patents (Streitpatent), das vom Deutschen Patent- und Markenamt unter der Nummer 600 41 513.9 geführt wird.
Das Streitpatent umfasst 2 Ansprüche, von denen Anspruch 1 auf eine optische Strahlung emittierende Halbleitervorrichtung gerichtet und Anspruch 2 direkt auf Anspruch 1 rückbezogen ist.
Die Klage stützt sich auf den Nichtigkeitsgrund der fehlenden Patentfähigkeit (Art. II § 6 Abs. 1 IntPatÜG i.V.m. Art. 138 Abs. 1 lit. a) EPÜ), insb. der fehlenden Neuheit (Art. 54 EPÜ) und erfinderischen Tätigkeit (Art. 56 EPÜ).
Die Klägerin stellt den Antrag,
das europäische Patent 1 169 735 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland im gesamten Umfang für nichtig zu erklären.
Die Beklagte hatte der Klage mit Schriftsatz vom 20. Oktober 2017 fristgerecht widersprochen und ihren Widerspruch mit Eingaben vom 22. Februar 2018 und 5. September 2018 begründet sowie die Abweisung der Nichtigkeitsklage beantragt. Sie war den Ausführungen der Klägerin in allen wesentlichen Punkten entgegengetreten und hatte die Auffassung vertreten, dass der Gegenstand der angegriffenen Ansprüche 1 und 2 hinsichtlich der vorgelegten Druckschriften neu sei und auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.
Mit Schriftsatz vom 8. Mai 2019 hat die Beklagte den Widerspruch zurückgenommen und erklärt, dass sie das Patent im angegriffenen Umfang nicht länger verteidige. Zudem hat sie eine Entscheidung im schriftlichen Verfahren beantragt.
Mit gerichtlichem Hinweis vom 13. Mai 2019 und Gelegenheit zur Stellungnahme hat der Senat mitgeteilt, dass eine Entscheidung im schriftlichen Verfahren beabsichtigt sei und das Streitpatent nach „Beschränkung auf Null“ im Umfang der Nichtigkeitsklage für nichtig zu erklären sei. Hierzu haben sich die Parteien nicht mehr geäußert.
Zur Höhe des abschließend festzusetzenden Streitwerts hat die Klägerin mitgeteilt, dass das Landgericht Mannheim im parallelen Verletzungsverfahren den Streitwert auf 500.000 Euro festgesetzt habe und angeregt, den Streitwert im vorliegenden Verfahren unter Anwendung des üblichen Faktors 1,25 auf 625.000 Euro festzusetzen.
Die Beklagte hat unter Verweis auf ihre Widerspruchsbegründung vom 22. Februar 2018 mitgeteilt, dass der vorläufig auf 625.000 Euro festgesetzte Streitwert als angemessen erachtet werde. In den mittlerweile rechtskräftig abgeschlossenen Verletzungsverfahren vor dem Landgericht Mannheim gegen die Nichtigkeitsklägerin als Herstellerin (AZ 2 O 86/17) und gegen einen deutschen Elektronikhändler (AZ 7 O 127/17) sei der Streitwert jeweils auf 500.000 Euro festgesetzt worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
Entscheidungsgründe I.
Die Klage, mit der der Nichtigkeitsgrund der fehlenden Patentfähigkeit (Artikel II § 6 Absatz 1 Nr. 1 IntPatÜG, Artikel 138 Abs. 1 lit. a) EPÜ i. V. m. Artikel 54 Absatz 1, 2 und Artikel 56 EPÜ) geltend gemacht wird, ist zulässig und begründet. Da die Beklagte das Streitpatent im Wege der zulässigen Selbstbeschränkung insgesamt nicht mehr verteidigt, war es ohne Sachprüfung für nichtig zu erklären.
Nachdem die Beklagte ihren Widerspruch zurückgenommen hat und die Klägerin dem von der Beklagten beantragten schriftlichen Verfahren nach Hinweis des Senats, dass die Durchführung des schriftlichen Verfahrens beabsichtigt sei, nicht widersprochen und somit konkludent zugestimmt hat, konnte der Senat über die Klage ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, § 82 Abs. 3 Satz 2 PatG.
Die Erklärung der Beklagten, das vollständig angegriffene Streitpatent nicht mehr zu verteidigen, stellt nach ständiger Rechtsprechung eine wirksame Begrenzung des Streitstoffs im Nichtigkeitsverfahren dar und hat zur Folge, dass es hinsichtlich des von der - zulässigen - Selbstbeschränkung umfassten, nicht mehr verteidigten Patentgegenstandes ohne weitere Sachprüfung für nichtig zu erklären ist (vgl. zur st. Rspr. BPatG Oxaliplatin GRUR 2010, 137 m. w. N.), da eine sachliche Überprüfung nur im Rahmen der von den Streitparteien gesetzten Grenzen zu erfolgen hat. Dies ist begründet aus dem Gedanken der Verfahrensökonomie und dient der Vermeidung eines ansonsten gemäß § 64 PatG erforderlichen isolierten Beschränkungsverfahrens.
Die Nichtigerklärung des Streitpatents aufgrund der "Selbstbeschränkung auf Null" mit der Folge, dass gemäß § 22 Abs. 2 i. V. m. § 21 Abs. 3 Satz 1 PatG die Wirkungen des Streitpatents und der Anmeldung mit Wirkung für und jedermann als von Anfang an nicht eingetreten gelten, sorgt für mehr Rechtssicherheit und trägt damit dem Interesse der Allgemeinheit effektiver Rechnung als der gegenüber dem Deutschen Patent- und Markenamt zu erklärende Verzicht auf das Patent nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 PatG, mit dem das Streitpatent nur zu einem Erlöschen mit Wirkung ex nunc gebracht wird (vgl. BPatG Urt. 18.7.2012 – 4 Ni 3/12; BPatG Urt. 29.7.2013 - 4 Ni 25/10; BPatG Urt. 6.5.2014 - 4 Ni 22/12).
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 Satz 1 und 2 ZPO.
III.
Der für das vorliegende Patentnichtigkeitsverfahren gemäß § 2 Abs. 2 Satz 4 PatKostG i. V. m. §§ 63, 51 Abs. 1 GKG festzusetzende Streitwert war aufgrund der Angaben der Klägerin und der unwidersprochen gebliebenen Angabe der Beklagten zu den beiden Verletzungsverfahren aus dem Streitpatent auf 1.250.000 Euro festzusetzen.
Der Streitwert im Patentnichtigkeitsverfahren ist nach §§ 51 Abs. 1, 63 Abs. 2 GKG nach billigem Ermessen zu bestimmen. Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH ist dafür im Allgemeinen der gemeine Wert des Patents bei Erhebung der Nichtigkeitsklage zuzüglich des Betrags der bis dahin entstandenen Schadensersatzforderungen maßgeblich.
Bei der Festsetzung des Gegenstandswerts für das Nichtigkeitsverfahren kann - sofern keine konkreten Anhaltspunkte zur Wertberechnung vorliegen - vom Streitwert eines auf das Streitpatent gestützten Verletzungsprozesses ausgegangen werden. Wenn mehrere Verletzungsverfahren wegen verschiedener Ausführungsformen anhängig sind, ist deren Streitwert zu addieren und anschließend wegen des Allgemeininteresses an einer möglichen Vernichtung des Patents um 25% zu erhöhen (vgl. BGH GRUR 2011, 757 - Gegenstandswert des Patentnichtigkeitsverfahrens; BGH, Beschl. v. 16.02.2016, Az. X ZR 110/13 m. w. N.).
Nachdem die Streitwerte für die beiden Verletzungsverfahren aus dem Streitpatent beim Landgericht Mannheim mit jeweils 500.000 Euro festgesetzt worden sind, errechnet sich daraus der oben als Streitwert festgesetzte Betrag.
IV.
Rechtsmittelbelehrung Gegen dieses Urteil ist das Rechtsmittel der Berufung gemäß § 110 PatG gegeben. Die Berufungsfrist beträgt einen Monat. Sie beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit dem Ablauf von fünf Monaten nach Verkündung. Die Berufung ist durch einen in der Bundesrepublik Deutschland zugelassenen Rechtsanwalt oder Patentanwalt schriftlich beim Bundesgerichtshof, Herrenstraße 45a, 76133 Karlsruhe, einzulegen.
Die Berufungsschrift muss
- die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet ist, sowie - die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde,
enthalten. Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden.
Voit Hartlieb Dr. Friedrich Dr. Zebisch Dr. Kapels