VIa ZR 650/22
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL VIa ZR 650/22 in dem Rechtsstreit ECLI:DE:BGH:2025:230925UVIAZR650.22.0 Der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 23. September 2025 durch die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. C. Fischer als Vorsitzende, die Richterin Möhring, die Richter Dr. Katzenstein, Dr. Ostwaldt und Dr. Tausch für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 28. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 12. April 2022 mit Ausnahme der mit den Berufungsanträgen zu 1 und 1b begehrten Feststellung aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Der Streitwert für die Revision wird auf bis 25.000 € festgesetzt.
Von Rechts wegen Tatbestand:
Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz aus unerlaubter Handlung in Anspruch. Er erwarb im April 2018 von einem Dritten einen gebrauchten Mercedes-Benz GLK 250 BlueTec, der mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse Euro 6) ausgerüstet ist.
Der Kläger hat zuletzt beantragt festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet sei, ihm Schadensersatz zu leisten für Schäden, die aus der Manipulation des Fahrzeugs durch die Beklagte resultieren (Berufungsantrag zu 1). Hilfsweise hat der Kläger beantragt, die Beklagte zur Zahlung des Kaufpreises abzüglich einer ins Ermessen des Gerichts gestellten Nutzungsentschädigung zuzüglich Zinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des streitgegenständlichen Fahrzeugs (Berufungsantrag zu 1a) zu verurteilen, die Verpflichtung der Beklagten festzustellen, für weitere Schäden aufzukommen (Berufungsantrag zu 1b) und den Annahmeverzug der Beklagten festzustellen (Berufungsantrag zu 1c). Darüber hinaus hat er beantragt, die Beklagte zu verurteilen, ihn von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten freizustellen (Berufungsantrag zu 2).
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit der vom Senat insoweit zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision des Klägers hat Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - im Wesentlichen wie folgt begründet:
Der Kläger könne sein Begehren nicht auf § 826 BGB stützen, weil sich die Beklagte nicht sittenwidrig verhalten habe. Ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit Art. 12, Art. 18 der Richtlinie Nr. 2007/46/EG, Art. 4, Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 scheide mangels Schutzgesetzcharakters aus.
II.
Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
1. Allerdings begegnet es keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus § 826 BGB verneint hat. In Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. nur BGH, Urteil vom 20. Juli 2023 - III ZR 303/20, juris Rn. 12 f.; BGH, Urteil vom 6. November 2023 - VIa ZR 535/21, WM 2024, 40 Rn. 10 ff.; Urteil vom 11. Dezember 2023 - VIa ZR 1012/22, juris Rn. 11) hat das Berufungsgericht eine sittenwidrige vorsätzliche Schädigung des Klägers verneint, weil es tatsächliche Anhaltspunkte weder für den Einsatz einer prüfstandsbezogenen Abschalteinrichtung noch für einen bewussten Gesetzverstoß der Beklagten in Bezug auf vorhandene Abschalteinrichtungen festgestellt hat. Die darauf bezogenen Verfahrensrügen der Revision hat der Senat geprüft und für nicht durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird gemäß § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.
2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Urteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 ff.).
Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 ff.). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 ff.; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff. und III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
Der angefochtene Beschluss ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil er sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil diese insoweit nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO). Sie ist daher im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 (VIa ZR
335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.
C. Fischer Möhring Katzenstein Ostwaldt Tausch Vorinstanzen: LG Paderborn, Entscheidung vom 22.02.2021 - 2 O 327/20 OLG Hamm, Entscheidung vom 12.04.2022 - I-28 U 56/21 - Verkündet am: 23. September 2025 Breit, Justizfachangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle