VIa ZR 1080/22
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES VIa ZR 1080/22 URTEIL in dem Rechtsstreit Verkündet am: 16. April 2024 Breit Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle ECLI:DE:BGH:2024:160424UVIAZR1080.22.0 Der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 16. April 2024 durch die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. C. Fischer als Vorsitzende, die Richterin Dr. Krüger, die Richter Dr. Götz, Dr. Rensen und Dr. Katzenstein für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird der Beschluss des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Bamberg vom 28. Juni 2022 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen Tatbestand:
Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug in Anspruch.
Er erwarb am 8. Juni 2015 einen von der Beklagten hergestellten, neuen BMW X1 sDrive 16d, der mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor der Baureihe N47 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgerüstet ist.
Das Landgericht hat die auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs, Feststellung des Annahmeverzugs und Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten gerichtete Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung ist erfolglos geblieben. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision des Klägers hat Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
Ein Schadensersatzanspruch des Klägers gemäß §§ 826, 31 BGB wegen des unstreitig eingesetzten Thermofensters bestehe nicht. Es fehle an der objektiven Sittenwidrigkeit und am Schädigungsvorsatz. Der Einsatz eines Thermofensters sei nicht mit Fällen vergleichbar, in denen dem KBA wahrheitswidrig die Einhaltung der Grenzwerte vorgespiegelt worden sei und die verwendete Software auf eine Täuschung des KBA abgezielt habe. Für die Sittenwidrigkeit des Verhaltens der Beklagten komme es deshalb auf weitere Umstände im Sinne eines Bewusstseins der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung und der billigenden Inkaufnahme des darin liegenden Gesetzesverstoßes an. Ein derartiges Vorstellungsbild habe der Kläger nicht aufgezeigt. Soweit der Kläger weitere Abschalteinrichtungen behaupte, fehle es an Anhaltspunkten hierfür. Zum Kaltstartheizen habe der Kläger erstmals im zweiten Rechtszug vorgetragen, ohne die Gründe hierfür darzulegen. Dementsprechend sei das Vorbringen nicht berücksichtigungsfähig. Außerdem fehle es auch hierfür an Anhaltspunkten.
Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV bestehe nicht. Nach der für den Senat verbindlichen höchstrichterlichen Rechtsprechung lägen in den zuletzt genannten Bestimmungen keine Schutzgesetze. Zudem wäre der Beklagten mit Rücksicht auf die Bewertung durch das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) nicht einmal Fahrlässigkeit vorzuwerfen. Schließlich käme eine Haftung der Beklagten in diesem Zusammenhang nur in Betracht, wenn der EG-Typgenehmigungsbehörde die betreffende unzulässige Abschalteinrichtung nicht bekannt gewesen sei. Ein solcher Sachverhalt sei nicht ersichtlich.
II.
Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren teilweise nicht stand.
1. Allerdings begegnet es keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insofern auch keine Einwände.
2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Beschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
Wie der Senat nach Erlass des angegriffenen Beschlusses entschieden hat, setzt ein Anspruch des Klägers gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV nicht voraus, dass den Genehmigungsbehörden das Thermofenster als unzulässige Abschalteinrichtung nicht bekannt war und dass diese Unkenntnis auf einer Täuschung beruht. Maßgebend ist insofern vielmehr nur die Unrichtigkeit der Übereinstimmungsbescheinigung in dem Sinne, dass sie Art. 3 Nr. 36 der Richtlinie 2007/46/EG entsprechend eine Übereinstimmung des erworbenen Fahrzeugs zum Zeitpunkt seiner Herstellung mit sämtlichen Rechtsakten ausweist, während im Fahrzeug tatsächlich eine nach Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 unzulässige Abschalteinrichtung Verwendung findet (BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 28 ff., 33 ff., 49 ff.).
Ein Anspruch des Klägers auf Ersatz des Differenzschadens gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV kann - entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts - auch nicht unter Hinweis auf die Bewertung eines Thermofensters oder einer anderen Abschalteinrichtung durch das KBA ohne weiteres verneint werden. Bezüglich des Verschuldens greift vielmehr zunächst eine Vermutung zugunsten des Klägers ein und obliegt dem Fahrzeughersteller die Entlastung. Auch das hat der Senat nach Erlass der angefochtenen Berufungsentscheidung geklärt (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 59 ff.). Der vom Berufungsgericht für maßgebend gehaltenen, tatsächlichen oder hypothetischen Bewertung einer Abschalteinrichtung durch das KBA kommt in diesem Zusammenhang eine Bedeutung nur für die Unvermeidbarkeit eines Verbotsirrtums der Beklagten zu. Beruft sich der Fahrzeughersteller auf einen unvermeidbaren Verbotsirrtum, muss er aber zunächst seinen Rechtsirrtum darlegen und beweisen (BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 63). Der Fahrzeughersteller muss hierbei aber zunächst darlegen und beweisen, dass sich sämtliche seiner verfassungsmäßig berufenen Vertreter im Sinne des § 31 BGB über die Rechtmäßigkeit der vom Käufer dargelegten und erforderlichenfalls nachgewiesenen Abschalteinrichtung mit allen für die Prüfung nach Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 bedeutsamen Einzelheiten im maßgeblichen Zeitpunkt (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 62; Urteil vom 25. September 2023 - VIa ZR 1/23, NJW 2023, 3796 Rn. 13) im Irrtum befanden oder im Falle einer Ressortaufteilung den damit verbundenen Pflichten genügten (vgl. BGH, Urteil vom 6. November 2018 - II ZR 11/17, BGHZ 220, 162 Rn. 17 ff.; Urteil vom 25. September 2023 aaO, Rn. 14).
Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20,
juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
Die Berufungsentscheidung ist demnach aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil sie sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023
(VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.
C. Fischer Rensen Krüger Götz Katzenstein Vorinstanzen: LG Würzburg, Entscheidung vom 08.03.2022 - 23 O 1901/21 OLG Bamberg, Entscheidung vom 28.06.2022 - 3 U 62/22 -