Paragraphen in XIII ZB 7/23
Sortiert nach der Häufigkeit
| Häufigkeit | Paragraph | |
|---|---|---|
| 6 | 62 | AufenthG |
| 4 | 68 | FamFG |
| 2 | 74 | FamFG |
| 1 | 58 | AufenthG |
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BUNDESGERICHTSHOF XIII ZB 7/23 BESCHLUSS vom 20. Oktober 2025 in der Abschiebungshaftsache ECLI:DE:BGH:2025:201025BXIIIZB7.23.0 Der XIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 20. Oktober 2025 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Roloff, den Richter Dr. Tolkmitt, die Richterin Dr. Holzinger, den Richter Dr. Kochendörfer und die Richterin Pastohr beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde wird der Beschluss des Landgerichts Bamberg - 4. Zivilkammer - vom 23. Januar 2023 unter Zurückweisung der Rechtsbeschwerde im Übrigen im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als das Landgericht die Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Forchheim vom 28. Oktober 2022 für den Haftzeitraum ab dem 21. Dezember 2022 zurückgewiesen hat.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu anderweitiger Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.
Gründe:
I. Der Betroffene, ein vietnamesischer Staatsangehöriger, reiste im August 2021 ohne Ausweispapiere nach Deutschland ein. Am 1. Februar 2022 wurde er bei einer Kontrolle in einer Wohnung in F angetroffen. Daraufhin stellte die beteiligte Behörde am 2. Februar 2022 die Ausreisepflicht des Betroffenen fest, forderte ihn zur Ausreise innerhalb von zwei Wochen auf und drohte ihm die Abschiebung an. Bei einer Durchsuchung des Hauptzollamts S wurde der Betroffene am 27. Oktober 2022 erneut in einer Wohnung in F aufgegriffen.
Auf Antrag der beteiligten Behörde vom 28. Oktober 2022 hat das Amtsgericht mit Beschluss vom selben Tag gegen den Betroffenen Haft zur Sicherung der Abschiebung für längstens sechs Monate angeordnet. Der Betroffene hat dagegen Beschwerde eingelegt. Während des Beschwerdeverfahrens stellte er am 12. Dezember 2022 einen Asylantrag und wurde am 20. Dezember 2022 vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (nachfolgend: Bundesamt) dazu angehört. Das Landgericht hat die Beschwerde mit Beschluss vom 23. Januar 2023 zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde begehrt der Betroffene nach Ablauf des angeordneten Haftzeitraums die Feststellung, dass der Beschluss des Amtsgerichts ihn in seinen Rechten verletzt hat.
II. Die zulässige Rechtsbeschwerde ist für den Haftzeitraum ab dem 21. Dezember 2022 begründet. Im Übrigen ist sie unbegründet.
1. Das Beschwerdegericht hat angenommen, das Amtsgericht habe Abschiebungshaft zu Recht angeordnet. Der Haftantrag sei zulässig. Der Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AufenthG sei gegeben. Einer erneuten persönlichen Anhörung des Betroffenen durch das Beschwerdegericht habe es nach § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG nicht bedurft.
2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung nicht stand.
a) Das Beschwerdegericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Haftantrag zulässig war. Er enthält nach den dafür geltenden Maßstäben (vgl. BGH, Beschlüsse vom 15. September 2011 - V ZB 123/11, InfAuslR 2012, 25 Rn. 8; vom 12. November 2019 - XIII ZB 5/19, InfAuslR 2020, 165 Rn. 8; vom 14. Juli 2020 - XIII ZB 74/19, juris Rn. 7; vom 27. Oktober 2011 - V ZB 311/10, FGPrax 2012, 82 Rn. 13; vom 25. Oktober 2022 - XIII ZB 116/19, NVwZ 2023, 1523 Rn. 7 mwN; vom 20. Dezember 2022 - XIII ZB 40/20, juris Rn. 7) hinreichende Angaben zu der erforderlichen Haftdauer, insbesondere ausreichende Ausführungen zu den Schritten, die nach dem einschlägigen Rückübernahmeabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Republik Vietnam vom 21. Juli 1995 (BGBl. II 743 mit Protokoll vom gleichen Tag, BGBl. II 746) durchzuführen sind (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 20. Mai 2025 - XIII ZB 21/25, juris Rn. 9 f.). Ob die Angaben inhaltlich tragfähig sind, ist keine Frage der Zulässigkeit, sondern der Begründetheit des Haftantrags (BGH, Beschluss vom 17. September 2024 - XIII ZB 71/22, juris Rn. 15 mwN). Angesichts der ausweislich des Haftantrags nur beschränkten Kenntnisse der zuständigen Behörden über die Dauer des von den vietnamesischen Stellen betriebenen Verfahrens zur Ausstellung eines Passersatzpapiers war die beteiligte Behörde nicht gehalten, genauere Angaben zu der erwartbaren Verfahrensdauer zu machen. Zudem musste die beteiligte Behörde angesichts der aus der Sphäre der ausländischen Behörden stammenden unklaren, zwischen drei und sechs Monaten veranschlagten Dauer auch nicht näher darlegen, welcher Zeitraum für die Organisation der Rückführung nach Ausstellung der Passersatzpapiere benötigt werden würde. Insofern genügte die Angabe, dass regelmäßig Abschiebungen sowohl im Wege der Einzelbuchung als auch mit Sammelchartern durchgeführt werden und der Betroffene wegen im Übrigen fehlender Abschiebungshindernisse dafür vorgesehen werden könne, sobald ein Passersatzpapier erteilt worden sei (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Mai 2025 - XIII ZB 21/25, juris Rn. 9 f.).
b) Die Prognose des Beschwerdegerichts im Hinblick auf die Durchführbarkeit der Abschiebung erweist sich ebenfalls nicht als fehlerhaft. Weil der Betroffene seinen Pass nach eigenen Angaben an die Schleuserorganisation übergeben hat und daher Passersatzpapiere beschafft werden mussten, hat er die Gründe, aus denen die Abschiebung nicht innerhalb von drei Monaten durchgeführt werden konnte, gemäß § 62 Abs. 3 Satz 3 AufenthG in der bis zum 26. Februar 2024 geltenden Fassung selbst zu vertreten (BGH, Beschluss vom 19. Januar 2017 - V ZB 99/16, NVwZ 2017, 732 Rn. 6). Greifbare Anhaltspunkte dafür, dass feststand, die Abschiebung könne nicht innerhalb der Höchstfrist von sechs Monaten nach § 62 Abs. 4 Satz 1 AufenthG durchgeführt werden (dazu BGH, Beschluss vom 23. Juli 2024 - XIII ZB 36/24, juris Rn. 8), legt die Rechtsbeschwerde nicht dar. Solche sind angesichts des Umstandes, dass nach den vom Beschwerdegericht in Bezug genommenen Ausführungen der beteiligten Behörde der Betroffene zwischenzeitlich eine Kopie seiner Geburtsurkunde vorlegt habe und es daher einer Sammelanhörung bei der vietnamesischen Vertretung nicht mehr bedürfe, auch nicht ersichtlich. Insoweit verbleibende Unsicherheiten gehen zu Lasten des Betroffenen (ebd.).
c) Soweit das Beschwerdegericht die Haftanordnung auf den Haftgrund der Fluchtgefahr nach § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AufenthG gestützt hat, ist die Entscheidung allerdings verfahrensfehlerhaft zustande gekommen. Das Beschwerdegericht hätte nicht nach § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG von einer persönlichen Anhörung absehen dürfen.
aa) Eine erneute Anhörung des Betroffenen ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gemäß § 68 Abs. 3 FamFG insbesondere dann durchzuführen, wenn die bisherige Haftanordnung auf einen neuen Haftgrund gestützt werden soll oder im Rahmen eines einheitlichen Haftgrundes ein neuer Sachverhalt eingeführt wird, zu dem sich der Betroffene noch nicht persönlich äußern konnte (vgl. BGH, Beschluss vom 7. November 2023 - XIII ZB 73/20, juris Rn. 10 mwN).
bb) So liegt der Fall hier. Das Beschwerdegericht hat mit Verfügung vom 30. Dezember 2022 darauf hingewiesen, dass es den Haftgrund der unerlaubten Einreise, auf den sich das Amtsgericht gestützt hatte, aufgrund des zwischenzeitlich gestellten Asylantrags nicht mehr als gegeben erachtete. Daraufhin hat die beteiligte Behörde den Haftantrag ergänzt und geltend gemacht, es bestehe auch Fluchtgefahr nach § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, Abs. 3b Nr. 2 AufenthG,
weil der Betroffene in seiner Anhörung vor dem Bundesamt angegeben habe, 15.000 USD für seine Ausreise gezahlt zu haben und dabei abwechselnd von Reiseorganisation und Schleusern gesprochen habe. Darauf hat das Beschwerdegericht die Haftanordnung gestützt, ohne den Betroffenen dazu anzuhören.
3. Die Entscheidung erweist sich indes für den Zeitraum bis zum 20. Dezember 2022 aus anderen Gründen als richtig (§ 74 Abs. 2 FamFG).
a) Nach § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AufenthG in der maßgeblichen, bis zum 30. Dezember 2022 geltenden Fassung ist ein Ausländer in Haft zu nehmen, wenn er auf Grund einer unerlaubten Einreise vollziehbar ausreisepflichtig ist. Gleichwohl darf Sicherungshaft aber grundsätzlich nicht angeordnet oder aufrechterhalten werden, wenn der Ausländer bei oder nach seiner Einreise erstmals um Asyl nachsucht, weil ihm dann der Aufenthalt im Bundesgebiet zur Durchführung des Asylverfahrens gestattet ist (§ 55 Abs. 1 Satz 1 und 3 AsylG). Etwas anderes gilt jedoch - was das Beschwerdegericht aufgrund seiner in der Hinweisverfügung verlautbarten Auffassung nicht hinreichend beachtet hat - nach § 14 Abs. 3 Satz 1 AsylG, wenn der Asylantrag aus der Haft heraus gestellt wird. Die Aufenthaltsgestattung steht dann der Aufrechterhaltung der Haft während der Prüfung des Asylantrags grundsätzlich nicht entgegen. Mit dieser Regelung will der Gesetzgeber verhindern, dass Betroffene nach Anordnung von Haft zur Sicherung ihrer Abschiebung aus rein taktischen Erwägungen und damit rechtsmissbräuchlich einen Asylantrag stellen, so die sachlich nicht gerechtfertigte Aufhebung der Haft erreichen und sich dann dem Zugriff der Behörden entziehen. Er hat sich daher entschlossen, die Gestattungswirkung eines aus der (Abschiebungs-)Haft gestellten Asylantrags generell hinauszuschieben und in den in § 14 Abs. 3 Satz 3 Halbsatz 2 AsylG genannten Fallgruppen nicht eintreten zu lassen (BGH, Beschlüsse vom 6. Oktober 2020 - XIII ZB 115/19, InfAuslR 2021, 119 Rn. 14 f.; vom 26. September 2023 - XIII ZB 65/21, juris Rn. 15, jeweils mwN).
b) Danach war der Haftgrund der unerlaubten Einreise zunächst gegeben. Der Betroffene war nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts seit dem 2. Februar 2022 kraft Gesetzes wegen unerlaubter Einreise gemäß § 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG vollziehbar ausreisepflichtig. Dem Betroffenen wurde auch die Abschiebung im Bescheid vom selben Tag unter Fristsetzung gemäß § 59 Abs. 1 angedroht (vgl. BGH, Beschlüsse vom 17. März 2016 - V ZB 39/15, juris Rn. 5; vom 4. April 2023 - XIII ZB 3/21, juris Rn. 19). Der Asylantrag stand der Aufrechterhaltung von Abschiebungshaft gemäß § 14 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4, Satz 3 AsylG in der bis zum 26. Februar 2024 geltenden Fassung (nachfolgend: aF) bis zur Zustellung der Entscheidung des Bundesamts, längstens jedoch bis vier Wochen nach seinem Eingang beim Bundesamt nicht entgegen. Da der Betroffene nach den Feststellungen des Landgerichts am 20. Dezember 2022 vom Bundesamt angehört worden ist, mithin bis zu diesem Zeitpunkt über den Asylantrag jedenfalls noch nicht entschieden war, war die Haft bis zum 20. Dezember 2022 rechtmäßig.
4. Für den Haftzeitraum ab dem 21. Dezember 2022 ist der angefochtene Beschluss aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen, § 74 Abs. 6 Satz 2 FamFG. Ob die Haft ab der Anhörung des Betroffenen durch das Bundesamt gemäß § 14 Abs. 3 Satz 3 AsylG aufrechterhalten werden durfte, hat das Beschwerdegericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - nicht geprüft.
a) Haft, die - wie hier - trotz eines aus der Haft gestellten Asylantrags gemäß § 14 Abs. 3 Satz 1 AsylG aF angeordnet werden kann, endet grundsätzlich mit Zustellung des Bescheids, wenn das Bundesamt den Asylantrag als "einfach" unzulässig oder unbegründet ablehnt oder ihm zumindest teilweise stattgibt. Sie endet unabhängig davon spätestens vier Wochen nach Eingang des Asylantrags beim Bundesamt (§ 14 Abs. 3 Satz 3 Halbsatz 1 AsylG). Denn der Umstand, dass die Bearbeitung des Asylantrags längere Zeit in Anspruch nimmt,
soll dem Betroffenen nicht angelastet werden (Entwurf eines Gesetzes zur Änderung straf-, ausländer- und asylverfahrensrechtlicher Vorschriften vom 18. Juni 1996, BT-Drucks. 13/4948, S. 11). Eine (Rück-)Ausnahme gilt unter anderem jedoch dann, wenn der Asylantrag als unzulässig nach § 29 Abs. 1 Nr. 4 AsylG oder als offensichtlich unbegründet abgelehnt wird (§ 14 Abs. 3 Satz 3 Halbsatz 2, 2. Alt. AsylG aF). Dann kann die Haft über den Vier-Wochen-Zeitraum hinaus fortgesetzt werden (BGH, Beschluss vom 26. September 2023 - XIII ZB 65/21, juris Rn. 16).
b) Insoweit hat das Beschwerdegericht nicht aufgeklärt, wann und mit welchem Inhalt das Bundesamt über den Asylantrag des Betroffenen entschieden hat. Es erscheint nicht ausgeschlossen, dass die Voraussetzungen für die Aufrechterhaltung der Haft gemäß § 14 Abs. 3 Satz 3 Halbsatz 2, 2. Alt. AslyG aF vorgelegen haben. Aus der vom Beschwerdegericht in Bezug genommenen Stellungnahme der Behörde ergibt sich, dass das Bundesamt am 23. Dezember 2022 eine Prognose gegenüber der beteiligten Behörde abgegeben hatte, wonach es den Asylantrag des Betroffenen wahrscheinlich als offensichtlich unbegründet ablehnen werde. Nachdem der Betroffene im Hinblick auf den Haftgrund der unerlaubten Einreise bereits vom Amtsgericht persönlich angehört worden ist, bedarf es nach § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG keiner weiteren persönlichen Anhörung zur etwaigen Entscheidung des Bundesamts über den Asylantrag vom 12. Dezember 2022. Die Rechte des Betroffenen können insoweit durch seinen Verfahrensbevollmächtigten hinreichend gewahrt werden (vgl. auch BGH, Beschluss vom 25. Oktober 2022 - XIII ZB 4/20, juris Rn. 12).
Roloff Tolkmitt Holzinger Kochendörfer Pastohr Vorinstanzen: AG Forchheim, Entscheidung vom 28.10.2022 - 1 XIV 10/22 (B) LG Bamberg, Entscheidung vom 23.01.2023 - 43 T 105/22 -
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