VIa ZR 1280/22
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL VIa ZR 1280/22 in dem Rechtsstreit ECLI:DE:BGH:2025:140525UVIAZR1280.22.0 Der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO, in dem Schriftsätze bis zum 16. April 2025 eingereicht werden konnten, durch die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. C. Fischer als Vorsitzende, die Richterin Möhring sowie die Richter Dr. Katzenstein, Dr. Ostwaldt und Dr. Tausch für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird der Beschluss des 11. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 1. August 2022 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als das Berufungsgericht in Bezug auf das Prozessrechtsverhältnis zur Beklagten zu 2 zum Nachteil der Klägerin entschieden hat.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf bis 30.000 € festgesetzt.
Von Rechts wegen Tatbestand:
Die Klägerin nimmt die Beklagte zu 2 (im Folgenden: Beklagte) wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. Nach ihrem Vortrag erwarb sie im März 2017 einen von der Beklagten hergestellten Pkw Audi A 4 Avant Sport 2.0 TDI, der mit einem von der - nicht am Revisionsverfahren beteiligten - Beklagten zu 1 hergestellten Dieselmotor des Typs EA 288 (Schadstoffklasse Euro 6) ausgerüstet ist.
Die Klägerin hat in erster Instanz die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von Schadensersatz nebst Prozesszinsen Zug um Zug gegen Herausgabe des Fahrzeugs unter Anrechnung einer Nutzungsentschädigung beantragt. Weiter hat sie die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten und die Feststellung der Pflicht der Beklagten zum Ersatz weiterer Schäden begehrt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist, nachdem sie die Klage in zweiter Instanz teilweise einseitig für erledigt erklärt hat, erfolglos geblieben. Mit der vom Senat im tenorierten Umfang zugelassenen Revision verfolgt sie ihre Berufungsanträge weiter, soweit im Verhältnis zur Beklagten zu ihrem Nachteil entschieden worden ist.
Entscheidungsgründe:
Die Revision der Klägerin hat Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - im Wesentlichen wie folgt begründet:
Der Klägerin stehe kein Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB zu. Es könne nicht festgestellt werden, dass die Beklagte sie vorsätzlich sittenwidrig geschädigt habe. Hinsichtlich der Verwendung einer temperaturabhängigen Reduktion der Abgasrückführung könne zugunsten der Klägerin unterstellt werden, dass ein solches Thermofenster eine unzulässige Abschalteinrichtung darstelle,
da die temperaturabhängige Steuerung der Abgasrückführung für sich genommen nicht geeignet sei, dem Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen ein sittenwidriges Gepräge zu geben. Konkrete Anhaltspunkte für die Annahme eines bewussten Gesetzesverstoßes der Beklagten durch die Verwendung eines Thermofensters habe die Klägerin nicht aufgezeigt. Soweit die Klägerin die Verwendung weiterer unzulässiger Abschalteinrichtungen in ihrem Fahrzeug behaupte, habe sie diese bereits nicht hinreichend dargelegt.
Der Klägerin stehe auch kein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu, da die Vorschriften nicht das Interesse der Klägerin schützten, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden. Abweichendes verlange auch der europarechtliche Effektivitätsgrundsatz nicht.
II.
Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
1. Es begegnet allerdings keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus § 826 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.
2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Beschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB,
die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass der Klägerin nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder der Klägerin Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
Die Berufungsentscheidung ist im tenorierten Umfang aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil sie sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Die Sache ist daher insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird die Klägerin Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu den Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.
C. Fischer Möhring Katzenstein Ostwaldt Tausch Vorinstanzen: LG Hanau, Entscheidung vom 26.08.2021 - 7 O 166/21 OLG Frankfurt am Main, Entscheidung vom 01.08.2022 - 11 U 123/21 - Verkündet am: 14. Mai 2025 Wendt, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle