XII ZB 412/24
BUNDESGERICHTSHOF XII ZB 412/24 BESCHLUSS vom 4. Juni 2025 in der Unterbringungssache Nachschlagewerk: ja BGHZ:
nein BGHR:
ja JNEU:
nein FamFG § 329 Abs. 3 a) Aus § 329 Abs. 3 FamFG folgt nur dann eine Verpflichtung des Gerichts, einen externen Gutachter zu bestellen, wenn durch die gerichtliche Entscheidung eine ärztliche Zwangsmaßnahme mit einer Gesamtdauer von mehr als zwölf Wochen ermöglicht wird. Nur kurzzeitige Unterbrechungen einer Zwangsbehandlung beeinflussen den Fristlauf nicht.
b) Sind wiederholt ärztliche Zwangsmaßnahmen genehmigt oder angeordnet worden, zwischen denen längere Phasen lagen, in welchen der Betroffene nicht zwangsbehandelt wurde, gebietet § 329 Abs. 3 FamFG nach seinem eindeutigen Wortlaut grundsätzlich keine externe Begutachtung, auch wenn die einzelnen Zwangsbehandlungen zwar nicht für sich betrachtet, aber zusammen genommen eine Dauer von zwölf Wochen übersteigen.
BGH, Beschluss vom 4. Juni 2025 - XII ZB 412/24 - LG Dresden AG Pirna ECLI:DE:BGH:2025:040625BXIIZB412.24.0 Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 4. Juni 2025 durch den Vorsitzenden Richter Guhling, die Richter Prof. Dr. Klinkhammer und Dr. Botur und die Richterinnen Dr. Krüger und Dr. Recknagel beschlossen:
Dem Betroffenen wird als Beschwerdeführer für das Verfahren der Rechtsbeschwerde ratenfreie Verfahrenskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt beigeordnet.
Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss der 2. Zivilkammer des Landgerichts Dresden vom 12. August 2024 wird zurückgewiesen.
Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei.
Eine Wertfestsetzung (§ 36 Abs. 3 GNotKG) ist nicht veranlasst.
Gründe:
I.
Der Betroffene wendet sich gegen die durch Zeitablauf erledigte gerichtliche Genehmigung seiner Zwangsbehandlung.
Er leidet seit Jahren an einer paranoiden Schizophrenie mit einer ausgeprägten psychotischen Symptomatik. In der Vergangenheit wurde er mehrfach, zunächst in der geschlossenen Abteilung eines Krankenhauses und seit Oktober 2021 in einer sozialtherapeutischen Wohnstätte, untergebracht. Zur Behandlung seiner psychischen Erkrankung wurde ein Depotpräparat (28-tägig Abilify Maintena 400 mg intramuskulär) verordnet, welches sich der Betroffene bis Dezember 2022 und nach einer im Juli 2023 genehmigten Zwangsbehandlung nochmals von August bis Dezember 2023 freiwillig verabreichen ließ.
Nachdem der Betroffene die Behandlung mit der Depotmedikation in der Folgezeit abgelehnt hatte, erfolgten zwei weitere Genehmigungen der zwangsweisen Verabreichung. Aufgrund der fortbestehenden Verweigerungshaltung des Betroffenen hat der Betreuer im hiesigen Verfahren am 3. Juni 2024 erneut die Genehmigung der Zwangsbehandlung beantragt. Nach Einholung eines Sachverständigengutachtens und persönlicher Anhörung des Betroffenen in Anwesenheit der Verfahrenspflegerin und des Betreuers hat das Amtsgericht durch Beschluss vom 19. Juli 2024 die zwangsweise Verabreichung der Depotmedikation bis zum 29. August 2024 genehmigt. Das Landgericht hat die Beschwerde des Betroffenen nach dessen erneuter persönlicher Anhörung zurückgewiesen.
Mit seiner Rechtsbeschwerde erstrebt der Betroffene die Feststellung, dass die Beschlüsse der Vorinstanzen ihn in seinen Rechten verletzt haben.
II.
Die auch im Falle der vorliegend aufgrund Zeitablaufs eingetretenen Erledigung nach § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FamFG statthafte Rechtsbeschwerde (vgl. Senatsbeschluss vom 13. Mai 2020 - XII ZB 541/19 - FamRZ 2020, 1305 Rn. 8 mwN) hat keinen Erfolg.
1. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, die Voraussetzungen für die Genehmigung der Einwilligung des Betreuers in die Zwangsbehandlung des Betroffenen nach § 1832 Abs. 1 BGB seien erfüllt. Insbesondere leide der Betroffene an einer psychischen Erkrankung, aufgrund derer er nicht in der Lage sei, die Vor- und Nachteile der empfohlenen ärztlichen Maßnahme abzuwägen und deren Notwendigkeit zu erkennen. Das ergebe sich aus dem Gutachten des Sachverständigen Dr. B. (u.a. Facharzt für Psychiatrie) vom 15. Juli 2024. Dieser sei nicht mehr der (zwangs)behandelnde Arzt des Betroffenen, seit er seine Tätigkeit in dem Klinikum, das die Wohnstätte des Betroffenen fachärztlich betreue, zum 1. Februar 2024 beendet habe. Daher stehe § 321 Abs. 1 Satz 5 FamFG seiner Bestellung zum Sachverständigen nicht entgegen. Als ehemals behandelnder und bereits begutachtender Arzt sei Dr. B. auch nicht wegen § 329 Abs. 3 FamFG als Gutachter ausgeschlossen. Das darin geregelte Gebot der Bestellung eines externen Sachverständigen gelte nur für die unmittelbare Verlängerung einer Zwangsbehandlung mit einer Gesamtdauer von mehr als zwölf Wochen, nicht aber bei einer zeitlichen Unterbrechung zwischen verschiedenen Zwangsbehandlungen. Eine solche Unterbrechung liege hier vor, weil die zuletzt bis zum 26. Mai 2024 genehmigte Zwangsbehandlung durch den Beschluss vom 19. Juli 2024 nicht unmittelbar verlängert worden sei.
2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Nachprüfung stand. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde hindert § 329 Abs. 3 FamFG hier nicht die Verwertung des eingeholten Sachverständigengutachtens.
a) Nach § 321 Abs. 1 Satz 1 FamFG hat vor einer Unterbringungsmaßnahme eine förmliche Beweisaufnahme durch Einholung eines Gutachtens über die Notwendigkeit der Maßnahme stattzufinden. Bei der Genehmigung einer Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme soll der Sachverständige nicht der zwangsbehandelnde Arzt sein (§ 321 Abs. 1 Satz 5 FamFG) und bei einer ärztlichen Zwangsmaßnahme mit einer Gesamtdauer von mehr als zwölf Wochen soll das Gericht keinen Sachverständigen bestellen, der den Betroffenen bisher behandelt oder begutachtet hat oder in der Einrichtung tätig ist, in der der Betroffene untergebracht ist (§ 329 Abs. 3 FamFG). Mit den beiden letztgenannten Vorschriften, die zum 26. Februar 2013 in Kraft getreten sind, wollte der Gesetzgeber durch höhere Anforderungen an die Auswahl des Sachverständigen eine unvoreingenommene ärztliche Begutachtung des Betroffenen gewährleisten (vgl. Senatsbeschluss vom 30. Oktober 2013 - XII ZB 482/13 - FamRZ 2014, 29 Rn. 9 zu § 321 Abs. 1 Satz 5 FamFG). Wie schon zuvor bei Unterbringungen mit einer Gesamtdauer von mehr als vier Jahren (§ 329 Abs. 2 Satz 2 FamFG; bis zum 31. August 2009: § 70 i Abs. 2 Satz 2 FGG) sollten nunmehr auch bei Zwangsbehandlungen mit einer Gesamtdauer von mehr als zwölf Wochen externe Begutachtungen erfolgen (vgl. BT-Drucks. 17/12086 S. 11 und 12). Dadurch wollte der Gesetzgeber sicherstellen, dass - wie schon bei Unterbringungen (vgl. BT-Drucks. 11/4528 S. 186 zu § 70 i Abs. 2 Satz 2 FGG als Vorgängernorm der lediglich redaktionell angepassten Vorschrift des § 329 Abs. 2 Satz 2 FamFG, vgl. BT-Drucks. 16/6308 S. 275) - Zwangsbehandlungen nicht aufgrund der festgefügten Meinung eines Sachverständigen länger als erforderlich ausgedehnt werden.
Sowohl § 329 Abs. 2 Satz 2 FamFG als auch § 329 Abs. 3 FamFG knüpfen an eine Gesamtdauer der Unterbringungsmaßnahme an, die jeweils über das Zweifache der in § 329 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 bzw. Satz 2 FamFG vorgesehenen Höchstdauer von zwei Jahren bzw. sechs Wochen hinausgeht. Nur für solche Fälle längerfristiger Unterbringungsmaßnahmen hat der Gesetzgeber eine externe Begutachtung für geboten erachtet (vgl. BT-Drucks. 11/4528 S. 186).
b) Zu § 329 Abs. 2 Satz 2 FamFG hat der Senat bereits entschieden, dass die Unterbringung nicht schon im Zeitpunkt der Entscheidung in der letzten Tatsacheninstanz vier Jahre vollzogen sein muss. Ausreichend ist vielmehr, dass der mit der angefochtenen Entscheidung verlängerte Unterbringungszeitraum über das Fristende hinausreicht (vgl. Senatsbeschlüsse vom 22. Mai 2024 - XII ZB 122/24 - FamRZ 2024, 1584 Rn. 5 und vom 7. Oktober 2020 - XII ZB 167/20 - FamRZ 2021, 55 Rn. 21). Zeiträume zurückliegender Unterbringungen sind grundsätzlich nicht in die Fristberechnung einzubeziehen, wenn sich der Betroffene zwischenzeitlich in Freiheit befunden hat, so dass für den Fristbeginn auf das Wirksamwerden (§ 324 FamFG) derjenigen Unterbringungsgenehmigung abzustellen ist, die bis zum Fristlablauf ununterbrochen vollzogen wird. Allerdings bleiben lediglich kurzzeitige Unterbrechungen - etwa bei Entweichen des Betroffenen, kurzem Freigang oder Aussetzung der Vollziehung nach § 328 FamFG in den Fällen des § 312 Nr. 4 FamFG - in Anbetracht des Gesetzeszwecks, Zweifeln an der Objektivität des Gutachters entgegenzuwirken und eine durch die Einschaltung desselben Sachverständigen herbeigeführte Perpetuierung der Unterbringung zu verhindern, ohne Einfluss auf den Fristlauf (Senatsbeschluss vom 7. Oktober 2020 - XII ZB 167/20 - FamRZ 2021, 55 Rn. 24).
c) Diese Grundsätze zu § 329 Abs. 2 Satz 2 FamFG lassen sich auf § 329 Abs. 3 FamFG übertragen, weil mit beiden Vorschriften derselbe Zweck verfolgt wird. Daher greift § 329 Abs. 3 FamFG grundsätzlich nur dann ein, wenn mit der gerichtlichen Entscheidung eine durchgehende Zwangsbehandlung für die Dauer von mehr als zwölf Wochen seit Wirksamwerden der Erstentscheidung ermöglicht wird. Unterbrechungen von lediglich kurzer Dauer beeinflussen den Fristlauf nicht. Sind hingegen wiederholt ärztliche Zwangsmaßnahmen genehmigt oder angeordnet worden, zwischen denen längere Phasen lagen, in welchen der Betroffene nicht zwangsbehandelt wurde, gebietet § 329 Abs. 3 FamFG nach seinem eindeutigen Wortlaut grundsätzlich keine externe Begutachtung, auch wenn die Zwangsbehandlungen zwar nicht für sich betrachtet, aber zusammen genommen eine Dauer von zwölf Wochen übersteigen (ebenso OLG Karlsruhe Beschluss vom 10. Januar 2019 - 2 Ws 344/18 - juris Rn. 10 f.; Schulte-Bunert/ Weinreich/Dodegge FamFG 7. Aufl. § 329 Rn. 15; Sternal/Giers FamFG 21. Aufl. § 329 Rn. 21). In derartigen Fällen ist gemäß § 321 Abs. 1 Satz 5 FamFG nur der zwangsbehandelnde Arzt als Sachverständiger ausgeschlossen.
d) Gemessen hieran hat das Beschwerdegericht mit Recht angenommen, dass § 329 Abs. 3 FamFG der Bestellung des Dr. B. zum Sachverständigen nicht entgegenstand. Denn zwischen den Zwangsbehandlungen des Betroffenen, die für die Zeiträume vom 22. Januar 2024 bis zum 29. Februar 2024, vom 29. April 2024 bis zum 26. Mai 2024 und vom 19. Juli 2024 bis zum 29. August 2024 genehmigt worden sind, lagen jeweils Phasen von rund acht Wochen, in denen keine ärztlichen Zwangsmaßnahmen stattfanden. Diese Phasen waren länger als die genehmigte Dauer der jeweiligen Zwangsmaßnahmen und können somit nicht als lediglich kurzzeitige Unterbrechungen einer durchgehenden Zwangsbehandlung angesehen werden. Vielmehr haben diese Unterbrechungen aufgrund ihrer beträchtlichen Dauer dazu geführt, dass die Sechs-Wochen-Frist des § 329 Abs. 3 FamFG jeweils mit Wirksamwerden der Genehmigungsbeschlüsse neu in Gang gesetzt wurde. Durch den Beschluss vom 19. Juli 2024 hat das Amtsgericht eine Zwangsbehandlung für die Dauer von sechs Wochen genehmigt und somit keine Gesamtbehandlungsdauer von mehr als zwölf Wochen ermöglicht.
Soweit die Rechtsbeschwerde geltend macht, die Vorschrift des § 329 Abs. 3 FamFG müsse aufgrund des mit ihr verfolgten Zwecks als Schutzregelung möglichst weit im Sinne des Betroffenen ausgelegt werden und daher auch dann Anwendung finden, wenn ein Arzt den Betroffenen - wie vorliegend - in regelmäßigen Abständen begutachtet habe, übersieht sie, dass der Gesetzgeber nicht generell jede wiederholte Begutachtung unterbinden wollte. Vielmehr hat er bewusst lediglich bei Zwangsbehandlungen mit einer Gesamtdauer von mehr als zwölf Wochen eine externe Begutachtung für geboten erachtet (vgl. OLG Karlsruhe Beschluss vom 10. Januar 2019 - 2 Ws 344/18 - juris Rn. 11). Allein der Schutzcharakter einer Norm kann nicht dazu führen, deren Anwendungsbereich entgegen ihrem eindeutigen Wortlaut auszudehnen, um ihr Fallkonstellationen zu unterwerfen, die der Gesetzgeber mit der Regelung gerade nicht erfassen wollte.
Eine Ausnahme mag anzuerkennen sein, wenn nur deshalb eine (nicht lediglich kurzzeitige) Unterbrechung der Zwangsbehandlung herbeigeführt wird, um unter Umgehung des § 329 Abs. 3 FamFG immer wieder denselben Sachverständigen bestellen zu können (ähnlich OLG Karlsruhe Beschluss vom 10. Januar 2019 - 2 Ws 344/18 - juris Rn. 12; vgl. auch Schulte-Bunert/Weinreich/ Dodegge FamFG 7. Aufl. § 329 Rn. 15). Für einen solchen Ausnahmefall ist hier jedoch nichts ersichtlich, nachdem das Amtsgericht die Verfahren jeweils nach Eingang der Genehmigungsanträge des Betreuers ohne Verzögerungen betrieben hat. Zudem ist hier nicht zu beanstanden, dass nach den Zwangsbehandlungen zugewartet wurde, ob der Betroffene - wie auch schon mehrfach in der Vergangenheit - nunmehr wieder mit der Verabreichung der Depotmedikation einverstanden sein würde, bevor jeweils neue Verfahren eingeleitet wurden.
3. Auch im Übrigen ist gegen den Beschluss des Beschwerdegerichts nichts zu erinnern. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird gemäß § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.
Guhling RiBGH Prof. Dr. Klinkhammer ist urlaubsbedingt an der Signatur gehindert.
Guhling RiBGH Dr. Botur ist urlaubsbedingt an der Signatur gehindert.
Guhling Krüger Recknagel Vorinstanzen: AG Pirna, Entscheidung vom 19.07.2024 - XVII 3/22 LG Dresden, Entscheidung vom 12.08.2024 - 2 T 416/24 -