5 StR 76/24
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES StR 76/24 URTEIL vom 1. August 2024 in der Strafsache gegen wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a. ECLI:DE:BGH:2024:010824U5STR76.24.0 Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 1. August 2024, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof Cirener,
Richter am Bundesgerichtshof Gericke, Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Mosbacher, Richterin am Bundesgerichtshof Resch, Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Werner,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt als Verteidiger,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
-3- Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 18. September 2023 hinsichtlich der Tat II.2 g (Fall 14) der Urteilsgründe mit den Feststellungen sowie im Gesamtstrafenausspruch aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
- Von Rechts wegen - Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Abgabe von Betäubungsmitteln, wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in fünf Fällen, wegen verbotenen Kraftfahrzeugrennens in Tateinheit mit Fahren ohne Fahrerlaubnis und wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in sechs Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Zudem hat es die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten und durch den Generalbundesanwalt vertretenen Revision wendet sich die Staatsanwaltschaft mit der Sachrüge gegen den Schuldspruch zu der Tat II.2 g (Fall 14) der Urteilsgründe. Sie beanstandet namentlich, dass der Angeklagte insoweit nicht wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln verurteilt wurde. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
I.
1. Nach den Feststellungen, soweit für das Revisionsverfahren von Interesse, handelte der erwerbslose Angeklagte spätestens seit 2021 im B. er Stadtgebiet mit Kokain und Amphetamin, um sich eine Einnahmequelle von einiger Dauer und einem gewissen Umfang zu verschaffen. Im Rahmen der Tat II.2 g (Fall 14) der Urteilsgründe hielt er hierzu am 3. März 2023 in seiner Wohnung in einem Kleiderschrank in einem Schlafzimmer in der inneren Jackentasche einer darin hängenden Jacke eine Kunststofftüte mit 79,68 g Kokaingemisch mit einem Wirkstoffgehalt von 74,63 g KHC zum gewinnbringenden Verkauf bereit. In dem Schrank hatte er auf einer Ablage unmittelbar unter der Jacke zudem neben zahlreichen anderen Gegenständen ein Überlebensmesser des Herstellers „Herbertz“ abgelegt, das eine Gesamtlänge von ca. 40 cm und eine Klinge von ca. 25,1 cm Länge mit einer Sägezahnung auf der Klingenoberseite besaß.
Für den gewinnbringenden Weiterverkauf verwahrte der Angeklagte zudem auf dem verglasten Balkon in einem offenen Werkzeugkasten eine Kunststofftüte mit 6,504 g MDMA (3,4-Methylendioxymetamfetamin). „Verkramt in einer Tasche an einer anderen Stelle des Balkons“ befand sich in einer Tüte mit diversen anderen Gegenständen, insbesondere Werkzeugen, ferner ein Messer der Marke „SOG Instinct Mini“ mit Holster mit einer Gesamtlänge von ca. 12 cm und einer Klingenlänge von 5,5 cm, auf welchem ein Totenkopf aufgebracht war.
2. Das Landgericht hat die beschriebene Tat als Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG bewertet. Den Qualifikationstatbestand des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln nach § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG hat es nicht als erfüllt angesehen. Denn es sei nicht zweifelsfrei festzustellen gewesen, dass der Angeklagte die beiden Messer zur Verletzung von Personen bestimmt gehabt habe.
II.
Die wirksam auf den Schuldspruch für die Tat II.2 g (Fall 14) der Urteilsgründe beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg. Zu Recht beanstandet sie die Ablehnung einer Verurteilung wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln, da die zugehörige Beweiswürdigung (§ 261 StPO) sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht standhält.
Das Revisionsgericht muss es zwar grundsätzlich hinnehmen, wenn das Tatgericht Zweifel an dem Vorliegen eines den Angeklagten belastenden Sachverhalts nicht zu überwinden vermag. Denn die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts. Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich deshalb darauf, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind, weil die Beweiswürdigung lückenhaft, in sich widersprüchlich oder unklar ist, gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt, oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit übertriebene Anforderungen gestellt worden sind (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 10. November 2021 – 5 StR 127/21 mwN; vom 24. November 2022 – 5 StR 309/22; vom 3. Januar 2024 – 5 StR 406/23).
Die dem Freispruch zugrundeliegende Beweiswürdigung weist jedoch in mehrfacher Hinsicht Rechtsfehler auf.
1. Dabei kann dahinstehen, ob sich in der Wendung, der Schluss auf eine Zweckbestimmung der Messer zur Verteidigung des Drogenhandels sei „nicht zwingend“, bereits ein falscher Maßstab für die richterliche Überzeugungsbildung offenbart (vgl. nur BGH, Urteile vom 16. Februar 2022 – 5 StR 320/21, NStZ 2023, 568; vom 3. Juli 2024 – 5 StR 535/23). Tatsächliche Schlüsse müssen nicht zwingend sein. Es genügt, dass sie möglich sind und das Tatgericht von ihrer Richtigkeit überzeugt ist (vgl. BGH, Beschluss vom 14. April 2020 – 5 StR 14/20, NJW 2020, 2741).
2. Das Landgericht ist jedenfalls von einem zu engen rechtlichen Verständnis des Tatbestands des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln ausgegangen und hat deshalb versäumt, potentiell einschlägige Sachverhaltsalternativen in den Blick zu nehmen (vgl. zur Lückenhaftigkeit einer Beweiswürdigung in Fällen, in denen – obwohl der Sachverhalt dazu drängt – eine naheliegende Möglichkeit des Tathergangs außer Betracht gelassen wird BGH, Beschluss vom 21. Juni 1982 – 4 StR 299/82; Urteile vom 3. Januar 2024 – 5 StR 406/23; vom 6. Juni 2024 – 5 StR 624/23; LR/Franke, StPO, 26. Aufl., § 337 StPO Rn. 129 mwN; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 337 Rn. 29).
Der Qualifikationstatbestand des § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG wird unter anderem dann erfüllt, wenn eine Person mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge Handel treibt und dabei eine Schusswaffe oder sonstige Gegenstände mit sich führt, die ihrer Art nach zur Verletzung von Personen geeignet und bestimmt sind. Dabei genügt in Fällen, in denen sich die Tat aus mehreren Einzelakten zusammensetzt, dass der qualifizierende Umstand bei einem Einzelakt verwirklicht ist. Es reicht also aus, dass der Täter zu irgendeinem Zeitpunkt im gesamten Tatverlauf eine Zugriffsmöglichkeit auf die Waffe hat (vgl. Patzak/Fabricius/Patzak, BtMG, 11. Aufl., § 30a Rn. 84 mwN). Beim Handeltreiben mit Betäubungsmitteln wird das Mitsichführen einer Schusswaffe oder eines seiner Art nach zur Verletzung von Personen geeigneten und bestimmten Gegenstandes daher auch bei Teilakten erfasst, die dem eigentlichen Güterumsatz vorausgehen oder nachfolgen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 10. Mai 2023 – 4 StR 340/22, NStZ-RR 2023, 317). Zu den relevanten Teilakten des Handeltreibens zählt folglich auch das Vorhalten einer Handelsmenge zum Vertrieb (vgl. nur BGH, Beschluss vom 13. Februar 2020 – 1 StR 9/20 Rn. 10 f.).
Soweit die Strafkammer gegen eine Bestimmung des im Kleiderschrank verwahrten Überlebensmessers zur Verletzung von Personen angeführt hat, dieses sei unhandlich und damit „schwerlich dazu geeignet, auf der Straße bei sich geführt zu werden“, hat sie folglich zu kurz gegriffen. Sie hat dabei die auf der Straße ausgeübte Verkaufstätigkeit des Angeklagten rund um einen Spätkaufladen im Blick gehabt und damit ein aushäusiges Mitsichführen des Messers etwa in der Kleidung. Die gleiche Vorstellung hat das Landgericht ersichtlich auch hinsichtlich des auf dem Balkon gefundenen Messers zugrunde gelegt, indem diesem zugebilligt wird, dass man es „angesichts seiner geringen Größe (…) gut bei sich (…) führen“ könne. Damit wurde aber für beide Messer gar nicht in Betracht gezogen, dass der Angeklagte sie auch zur Verteidigung seines Verkaufsvorrats gegenüber Angriffen in seiner Wohnung besessen und damit im Sinne des § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG mit sich geführt haben könnte. Hierzu hätte umso mehr Anlass bestanden angesichts der Feststellung, dass sich auf dem Mobiltelefon des Angeklagten Videoaufnahmen befanden, in denen er große Kokainmengen, große Bargeldbeträge, Schmuck, eine nicht funktionsfähige CO2-Pistole, das Überlebensmesser und dann sein eigenes Gesicht aufgenommen, insofern also seine Betäubungsmittelvorräte und eines seiner Messer selbst in einen Zusammenhang gestellt hatte.
3. Möglicherweise wegen dieses Fehlverständnisses hat das Landgericht zudem vorschnell darauf verzichtet, erforderliche Feststellungen zum genauen Auffindeort des auf dem Balkon verwahrten Messers zu treffen, so dass die darauf gerichteten Erwägungen eine Lücke aufweisen.
Dies betrifft die Überlegung der Strafkammer, dass hinsichtlich des kleineren Messers die Form der Aufbewahrung gegen eine Bestimmung zur Verletzung von Personen spreche, insbesondere dass es nicht „griffbereit in der Nähe“ des Amphetamins abgelegt worden sei. Abgesehen davon, dass das Landgericht die „jeweilige räumliche Nähe der Aufbewahrungsorte“ zu denjenigen der Betäubungsmittel zuvor gerade gegenteilig als mögliches Indiz für eine Zweckbestimmung zur Verteidigung des Drogenhandels bezeichnet hat, ist diese Würdigung nicht durch entsprechende Feststellungen unterlegt. Denn zur Auffindesituation dieses Messers wird im Urteil lediglich mitgeteilt, dass es sich in einer Tüte mit diversen anderen Gegenständen, insbesondere Werkzeugen, befunden habe und „verkramt in einer Tasche an einer anderen Stelle des Balkons“ (als die Werkzeugkiste mit dem Amphetamin) gewesen sei. Hieraus geht jedoch nicht hervor, wie weit der Verwahrungsort von den Betäubungsmitteln konkret entfernt war und wie viel Aufwand es gekostet hätte, das Messer gegen einen Angriff auf diesen Teil des Verkaufsvorrats einsetzen zu können.
4. Soweit die Strafkammer gegen eine Verwendungsbestimmung der Messer schließlich auch die angenommene Konfliktscheu des Angeklagten angeführt hat, hätte sie ihre Würdigung nicht einseitig auf seinen Umgang mit Kunden seines Betäubungsmittelhandels – konkret dem Nachgeben gegenüber den „Betteleien“ einer Abnehmerin und der „anstandslosen“ Nachlieferung aufgrund einer Beschwerde über eine zu geringe Liefermenge – stützen dürfen. Vielmehr hätte sich in den Blick zu nehmen aufgedrängt, dass der Angeklagte vielfach wegen Gewaltdelikten vorbestraft ist. So wurde er bereits mehrfach wegen Körperverletzung, zudem wegen Freiheitsberaubung, wegen Bedrohung und wegen versuchter Nötigung schuldig gesprochen. Erst 2017 wurde er für bis März 2015 begangene Taten unter anderem wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Körperverletzung verurteilt. Daher wäre zu prüfen gewesen, ob sich die inmitten stehenden Taten mit der Annahme einer konfliktscheuen Persönlichkeit des Angeklagten in Einklang bringen lassen.
5. Der Schuldspruch hinsichtlich der Tat II.2 g (Fall 14) der Urteilsgründe beruht auf den aufgezeigten Rechtsfehlern (§ 337 Abs. 1 StPO). Auf weitere in der Revisionsbegründung der Staatsanwaltschaft und in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts aufgezeigte Rechtsmängel kommt es daher nicht mehr an. Die zugehörigen Feststellungen hebt der Senat insgesamt auf.
Hierdurch haben sowohl der zugehörige Einzel- sowie der Gesamtstrafenausspruch die Grundlage verloren. Die Sache bedarf daher insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung. Hierbei wird die neu zuständige Strafkammer auch die Hinweise der Revision zu der waffenrechtlichen Einordnung der gefundenen Messer aufzunehmen haben.
6. Rechtsfehler zu Lasten des Angeklagten (§ 301 StPO) hat die Überprüfung des Urteils im Anfechtungsumfang nicht ergeben.
Cirener Gericke Mosbacher Resch Werner Vorinstanz: Landgericht Berlin, 18.09.2023 - (502 KLs) 254 Js 222/22 (7/23)