X ARZ 546/24
BUNDESGERICHTSHOF X ARZ 546/24 Beschluss vom
18. Februar 2025 in dem Gerichtsstandsbestimmungsverfahren Nachschlagewerk: BGHZ: BGHR: JNEU:
ja nein ja nein GVG § 17a Abs. 2 Satz 3 Eine Durchbrechung der Bindungswirkung eines nach § 17a Abs. 1 GVG ergangenen Verweisungsbeschlusses kommt allenfalls bei extremen Verstößen gegen die den Rechtsweg und seine Bestimmung regelnden materiell- und verfahrensrechtlichen Vorschriften in Betracht (Bestätigung von BGH, Beschluss vom 24. Oktober 2017 - X ARZ 326/17, NJW-RR 2018, 250 Rn. 19; Beschluss vom 16. April 2024 - X ARZ 101/24, NJW-RR 2024, 994 Rn. 27).
BGH, Beschluss vom 18. Februar 2025 - X ARZ 546/24 - LG Dessau-Roßlau ArbG Dessau-Roßlau ECLI:DE:BGH:2025:180225BXARZ546.24.0 Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 18. Februar 2025 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Bacher, die Richter Hoffmann und Dr. Deichfuß und die Richterinnen Dr. Marx und Dr. von Pückler beschlossen:
Zuständig ist das Landgericht Dessau-Roßlau.
Gründe:
Das Verfahren betrifft die Bestimmung des zuständigen Gerichts für einen Rechtsstreit, mit dem die Klägerin die Übertragung einer Stelle als Direktorin der Kulturstiftung der Beklagten verlangt.
I. Die Beklagte ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts. Die Klägerin war auf Grundlage eines befristeten Anstellungsvertrags im Zeitraum vom 1. Februar 2017 bis zum 31. Januar 2022 als Direktorin der Beklagten bestellt.
Ab November 2021 führte die Beklagte ein Ausschreibungsverfahren für die Besetzung der Direktorenstelle ab dem 1. Februar 2022 durch. Die Wahl des dafür zuständigen Kuratoriums fiel im März 2022 auf eine Mitbewerberin. Die Klägerin beantragte daraufhin beim Landgericht Dessau-Roßlau, der Beklagten im Wege der einstweiligen Verfügung die Besetzung der Stelle mit einem Mitbewerber zu versagen. Das Landgericht verwies die Sache an das Arbeitsgericht Dessau-Roßlau. Dieses erließ die einstweilige Verfügung. Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten ist ohne Erfolg geblieben.
Im Oktober 2022 erhob die Klägerin beim Arbeitsgericht Klage auf Übertragung der Direktorenstelle. Im Februar 2023 brach die Beklagte das Besetzungsverfahren ab. Daraufhin begehrte die Klägerin ergänzend die Fortsetzung dieses Verfahrens. Das Arbeitsgericht stellte am 2. Juni 2023 unter Abweisung der Klage im Übrigen fest, dass die im März 2022 getroffene Auswahlentscheidung der Beklagten rechtswidrig gewesen ist. Die hiergegen gerichtete Berufung der Klägerin hatte keinen Erfolg.
Ab August 2023 führte die Beklagte ein neues Bewerberverfahren für die Direktorenstelle durch. Die Klägerin wurde nicht in die engere Auswahl der Kandidaten einbezogen. Sie stellte daraufhin beim Landgericht erneut einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung. Das Landgericht verwies auch diese Sache an das Arbeitsgericht. Dieses untersagte der Beklagten mit Urteil vom
14. November 2023, die Stelle vor dem rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens mit einem anderen Bewerber zu besetzen. Die hiergegen von beiden Parteien eingelegten Berufungen sind noch anhängig.
Mit einer am 30. April 2024 beim Arbeitsgericht eingereichten Klage verlangt die Klägerin die Übertragung der im August 2023 ausgeschriebenen Stelle, hilfsweise die Feststellung, dass die zu ihren Ungunsten ergangene Auswahlentscheidung unwirksam und das Auswahlverfahren unter Beachtung der Auffassung des Gerichts zu wiederholen ist.
Mit Beschluss vom 11. September 2024 hat das Arbeitsgericht nach Anhörung der Parteien den Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten für nicht eröffnet erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht verwiesen.
Das Landgericht hat nach Anhörung der Parteien mit Beschluss vom 4. November 2024 den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten als nicht gegeben erachtet und den Rechtsstreit an das Arbeitsgericht zurückverwiesen. Das Arbeitsgericht hat die Übernahme des Verfahrens mit Beschluss vom 6. November 2024 abgelehnt.
Mit Beschluss vom 15. November 2024 hat das Landgericht die Sache dem Bundesgerichtshof zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.
Mittlerweile hat die Beklagte das Ausschreibungsverfahren erneut abgebrochen. Die Klägerin hat daraufhin den Rechtstreit für in der Hauptsache erledigt erklärt. Die Beklagte ist dieser Erklärung entgegengetreten.
II. Der Antrag auf Bestimmung des zuständigen Gerichts ist zulässig.
1. Der Bundesgerichtshof ist für die Entscheidung zuständig.
Sofern zwei Gerichte unterschiedlicher Rechtswege ihre Zuständigkeit verneint haben, obliegt die Bestimmung des zuständigen Gerichts demjenigen obersten Gerichtshof des Bundes, der zuerst darum angegangen wird (BGH, Beschluss vom 26. Juli 2001 - X ARZ 69/01, NJW 2001, 3631, juris Rn. 12; Beschluss vom 30. Juli 2009 - Xa ARZ 167/09, NJW-RR 2010, 209 Rn. 6; Beschluss vom 18. Mai 2011 - X ARZ 95/11, NJW-RR 2011, 1497 Rn. 4).
2. Der Antrag ist statthaft.
Ein nach § 17a Abs. 2 GVG ergangener Beschluss, mit dem ein Gericht den beschrittenen Rechtsweg für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an ein anderes Gericht verweist, ist grundsätzlich einer weiteren Überprüfung entzogen, sobald er unanfechtbar geworden ist. Etwas anderes gilt jedoch, wenn es innerhalb eines Verfahrens zu Zweifeln über die Bindungswirkung von unanfechtbaren Verweisungsbeschlüssen kommt und keines der in Frage kommenden Gerichte bereit ist, die Sache zu bearbeiten (vgl. nur BGH, Beschluss vom 26. Juli 2001 - X ARZ 69/01, NJW 2001, 3631, juris Rn. 20).
So liegt der Fall hier.
Beide beteiligten Gerichte haben die Übernahme des Rechtsstreits abgelehnt, weil sie die Verweisung durch das jeweils andere Gericht für nicht bindend halten.
3. Die Voraussetzungen für die Gerichtsstandbestimmung sind nicht deswegen entfallen, weil die Klägerin den Rechtsstreit für erledigt erklärt hat.
Nach der Rechtsprechung des Senats ist eine Gerichtsstandbestimmung grundsätzlich nur zulässig, solange noch gerichtliche Entscheidungen durch das in der Hauptsache zuständige Gericht zu treffen sind (BGH, Beschluss vom 14. März 2023 - X ARZ 586/22, NJW-RR 2023, 703 Rn. 16).
Diese Voraussetzung ist im Streitfall erfüllt.
Da die Beklagte der Erledigungserklärung widersprochen hat, ist über die ursprüngliche Zulässigkeit und Begründetheit der Klage zu entscheiden. Diese Entscheidung hat durch das in der Hauptsache zuständige Gericht zu ergehen (BGH, Beschluss vom 14. März 2023 - X ARZ 586/22, NJW-RR 2023, 703 Rn. 17).
III. Zuständig ist das Landgericht Dessau-Roßlau.
3. Der Verweisungsbeschluss des Arbeitsgerichts vom 11. September 2024 ist gemäß § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG hinsichtlich des Rechtswegs bindend.
a) Eine Durchbrechung dieser Bindungswirkung kommt allenfalls bei, wie es das Bundesverwaltungsgericht formuliert hat, "extremen Verstößen" gegen die den Rechtsweg und seine Bestimmung regelnden materiell- und verfahrensrechtlichen Vorschriften in Betracht, etwa wenn sich die Verweisungsentscheidung bei der Auslegung und Anwendung der Zuständigkeitsnormen so weit von dem diese beherrschenden verfassungsrechtlichen Grundsatz des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) entfernt hat, dass sie schlechthin nicht mehr zu rechtfertigen ist (vgl. nur BGH, Beschluss vom 16. April 2024 - X ARZ 101/24, NJW-RR 2024, 994 Rn. 27).
Eine Durchbrechung der Bindungswirkung nach diesen Grundsätzen ist auf Ausnahmefälle beschränkt.
Beide Parteien können einen nach ihrer Auffassung fehlerhaften Beschluss nach § 17a Abs. 4 Satz 3 GVG mit der sofortigen Beschwerde anfechten. Machen sie von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch, besteht grundsätzlich kein Anlass, dem Gericht des für zulässig erklärten Rechtswegs die Befugnis zuzubilligen, sich an die Stelle des Rechtsmittelgerichts zu setzen (BGH, Beschluss vom 14. Mai 2013 - X ARZ 167/13, MDR 2013, 1242 Rn. 12; Beschluss vom 24. Oktober 2017 - X ARZ 326/17, NJW-RR 2018, 250 Rn. 18).
b) Der Verweisungsbeschluss des Arbeitsgerichts leidet nicht an Mängeln, die die Bindungswirkung entfallen lassen.
aa) Die vom Landgericht behandelte Frage, ob die Voraussetzungen von § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG vorliegen, bedarf keiner abschließenden Entscheidung.
(1) Wie das Landgericht im Ansatz zutreffend dargelegt hat, unterliegt die Begründung, mit der das Arbeitsgericht diese Vorschrift als einschlägig angesehen hat, allerdings erheblichen rechtlichen Zweifeln.
§ 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG setzt voraus, dass die betroffene Person zur Vertretung einer juristischen Person befugt ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts entfällt die Fiktion deshalb nach Beendigung der Organstellung (BAG, Beschluss vom 11. Juli 2024 - 9 AZB 9/24, DB 2024, 2371 Rn. 17; Beschluss vom 3. Dezember 2014 - 10 AZB 98/14, NJW 2015, 718 Rn. 21).
Für Personen, die noch nicht Organ sind, sondern sich um eine solche Stellung bewerben, kann kaum etwas anderes gelten.
Im Streitfall dürfte § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG danach nicht schon deshalb anwendbar sein, weil die Klägerin die Stellung als Direktorin der Beklagten anstrebt. Dass die Klägerin diese Stellung früher innehatte, genügt nicht, weil diese Stellung mit Ablauf des 31. Januar 2022 geendet hat.
(2) Wenn die Entscheidung des Arbeitsgerichts aus diesen Gründen rechtsfehlerhaft wäre, begründete dies jedoch keinen extremen Verstoß gegen die Zuständigkeitsordnung im oben aufgezeigten Sinne.
Höchstrichterliche Rechtsprechung zu der Frage, ob § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG bei Rechtsstreitigkeiten mit Bewerbern um eine Organstellung greift, liegt - soweit ersichtlich - nicht vor.
Vor diesem Hintergrund erscheint die Rechtsauffassung des Arbeitsgerichts zwar nicht ohne weiteres überzeugend, aber nicht schlechthin unvertretbar.
bb) Ob das Arbeitsgericht nach § 2 Abs. 3 ArbGG zuständig ist, bedarf ebenfalls keiner Entscheidung.
Das Arbeitsgericht hat einen Zusammenhang zu den früheren Verfahren mit der Begründung verneint, diese beruhten auf einer anderen Stellenausschreibung.
Wenn diese Beurteilung als rechtsfehlerhaft anzusehen wäre, begründete auch dies keinen extremen Verstoß gegen die Zuständigkeitsordnung, der eine Durchbrechung der gesetzlich vorgesehenen Bindungswirkung rechtfertigen könnte.
cc) Ob und unter welchen Voraussetzungen eine Durchbrechung der Bindungswirkung in Frage kommt, wenn der Verweisungsbeschluss keine ausreichende Begründung enthält, kann ebenfalls offenbleiben.
Die oben aufgezeigten Erwägungen, auf die das Arbeitsgericht seine Entscheidung gestützt hat, lassen hinreichend deutlich erkennen, weshalb es sich als unzuständig angesehen hat. Dass diese Erwägungen inhaltlich nicht zweifelsfrei erscheinen, ist auch in diesem Zusammenhang nicht ausreichend, um die Bindungswirkung zu verneinen.
dd) Entgegen der Auffassung des Landgerichts ist die Bindungswirkung auch nicht deshalb durchbrochen, weil das Arbeitsgericht nicht ausdrücklich begründet hat, weshalb es den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für eröffnet hält.
Der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten erscheint im Streitfall derart fernliegend, dass eine ausdrückliche Erörterung dieses Gesichtspunkts nicht geboten war.
In Stellenbesetzungsverfahren hängt die Rechtswegzuständigkeit nach verbreiteter Auffassung davon ab, ob der Kläger eine dem Privatrecht zuzuordnende Beschäftigung als Angestellter oder eine dem öffentlichen Recht zuzuordnende Stelle als Beamter erstrebt (so etwa OVG Münster, Beschluss vom 13. Mai 2004 - 1 B 300/04, NVwZ-RR 2004, 771 juris Rn. 9; VG München, Beschluss vom 5. Oktober 2018 - M 5 K 18.3963, juris Rn. 13 f.; VG Stuttgart, Beschluss vom 9. März 2020 - 1 K 6985/19, juris Rn. 82; Hauck-Scholz in: Groeger, Arbeitsrecht im öffentlichen Dienst, 3. Aufl. 2020, Rn. 41.8).
Im Streitfall strebt die Klägerin zwar eine Beschäftigung bei einer Körperschaft des öffentlichen Rechts an. Es liegen aber keine Anhaltspunkte dafür vor, dass es um eine Anstellung als Beamtin geht.
Nach den Ausschreibungsunterlagen handelt es sich um eine zeitlich befristete Stelle und nicht um ein Beschäftigungsverhältnis auf Lebenszeit, wie es § 4 Abs. 1 BeamtStG für den Regelfall vorsieht. Die Vergütung soll nicht gemäß, sondern lediglich entsprechend der Besoldungsgruppe B5 des Besoldungsgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt erfolgen. Besondere Umstände, die für eine öffentlich-rechtliche Prägung des Auswahlverfahrens sprechen könnten (dazu VG Stuttgart, Beschluss vom 9. März 2020 - 1 K 6985/19, juris Rn. 83 ff.), sind ebenfalls nicht ersichtlich.
ee) Der Umstand, dass das Arbeitsgericht zunächst Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt und diesen mehrfach verlegt hat, führt nicht zu einer Selbstbindung.
Dem Gericht steht es gemäß § 17a Abs. 4 Satz 1 GVG frei, vor einer Verweisung mündlich zu verhandeln.
ff) Entgegen der Auffassung des Landgerichts ist der Verweisungsbeschluss des Arbeitsgerichts nicht als willkürlich anzusehen.
Dass zwischen den Parteien wegen der von der Klägerin angestrebten Beschäftigung schon mehrere Rechtsstreitigkeiten von den Arbeitsgerichten entschieden wurden, kann zwar für die Frage eines Zusammenhangs im Sinne von § 2 Abs. 3 ArbGG von Bedeutung sein. Eine unzutreffende Beurteilung dieser Frage führt jedoch nicht ohne weiteres zur Bejahung von Willkür. Besondere Umstände, die diesen Vorwurf rechtfertigen könnten, liegen nicht vor.
4. Die Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses vom 11. September 2024 erfasst neben dem Hauptantrag auch die Hilfsanträge der Klägerin.
a) Die Bindungswirkung einer Entscheidung gemäß § 17a GVG erfasst allerdings bei einer Mehrheit prozessualer Ansprüche grundsätzlich nur den Hauptanspruch (BGH, Urteil vom 12. März 2020 - I ZR 126/18, BGHZ 225, 59 = GRUR 2020, 755 Rn. 23 - WarnWetter-App; Beschluss vom 27. November 2013 - III ZB 59/13, BGHZ 199, 159 = NZG 2014, 110 Rn. 14; BAG, Beschluss vom 3. Dezember 2014 - 10 AZB 98/14, NZA 2015, 180 Rn. 19).
b) Im Streitfall betreffen die Hilfsanträge jedoch denselben Streitgegenstand wie der Hauptantrag.
Streitgegenstand eines Rechtsstreits ist der als Rechtsschutzbegehren oder Rechtsfolgenbehauptung verstandene eigenständige prozessuale Anspruch. Dieser wird bestimmt durch den Klageantrag (Rechtsfolge) und den Lebenssachverhalt (Klagegrund), aus dem der Kläger die begehrte Rechtsfolge herleitet (vgl. nur BGH, Urteil vom 29. Juni 2006 - III ZB 36/06, NJW-RR 2006, 1502 Rn. 8; Urteil vom 13. Januar 2009 - XI ZR 66/08, NJW-RR 2009, 790 Rn. 17).
Die Anträge der Klägerin beruhen auf einem einheitlichen Lebenssachverhalt, nämlich der im August 2023 erfolgten Stellenausschreibung der Beklagten.
Bacher Hoffmann Deichfuß Marx von Pückler Vorinstanzen: LG Dessau-Roßlau, Entscheidung vom 15.11.2024 - 4 O 542/24 ArbG Dessau-Roßlau, Entscheidung vom 11.09.2024 - 10 Ca 92/24 -