7 Ni 12/14
BUNDESPATENTGERICHT Ni 12/14 (Aktenzeichen)
IM NAMEN DES VOLKES URTEIL Verkündet am
4. Februar 2014 …
In der Patentnichtigkeitssache
…
BPatG 253 08.05
…
betreffend das deutsche Patent 10 2007 011 516 hat der 7. Senat (Juristischer Beschwerdesenat und Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 21. November 2013 und vom 4. Februar 2014 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Rauch, der Richterin Püschel sowie der Richter Dipl.-Ing. Sandkämper, Dipl.-Ing. Schlenk und Dr.-Ing. Krüger für Recht erkannt:
I. Das deutsche Patent 10 2007 011 516 wird dadurch teilweise für nichtig erklärt, dass unter Wegfall der Patentansprüche 15 und 16 seine Patentansprüche 1 bis 14 folgende Fassung erhalten: 1. Verfahren zur Erzeugung von Haltepunkten bildenden Einkerbungen (3) in wenigstens einem Stanzmesser (2), welches in einer Stanzform (1) gelagert wird und zum Stanzen von flächigen Verpackungselementen dient, dadurch gekennzeichnet, dass die Einkerbungen in die Stanzmesser (2) eingearbeitet werden bevor diese in die Stanzform (1) eingesetzt werden, wobei die als Messerlinie ausgebildeten Stanzmesser (2) in Form eines bandförmigen Materials einer Vorrichtung (4) kontinuierlich zugeführt werden, welche eine Rechnereinheit umfasst, über welche Sollpositionen vorgegeben werden, in welchen die Einkerbungen mittels wenigstens eines Fräswerkzeugs in die Messerlinien eingefräst werden, dass jedes Fräswerkzeug eine motorisch getriebene kreisscheibenförmige Frässcheibe (6) ist, und dass die Vorrichtung einen Bearbeitungskopf (5) mit mehreren Frässcheiben (6) aufweist.
2. Verfahren nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass das Stanzmesser (2) eine Messerlinie mit einer durchgehenden Schneidkante bildet, in welche die Einkerbungen eingefräst werden.
3. Verfahren nach Anspruch 2, dadurch gekennzeichnet, dass die in die Stanzform (1) eingesetzten Messerlinien die Berandungsschnittkonturen von Verpackungselementen vorgeben, wobei hierzu die Messerlinien nach dem Einfräsen der Einkerbungen gebogen werden.
4. Verfahren nach einem der Ansprüche 1 bis 3, dadurch gekennzeichnet, dass die Tiefen der Einkerbungen durch die Eindringtiefen des Fräswerkzeugs in die Messerlinie vorgegeben werden.
5. Verfahren nach einem der Ansprüche 1 bis 4, dadurch gekennzeichnet, dass durch Auswahl unterschiedlicher Fräswerkzeuge die Breiten der Einkerbungen vorgegeben werden.
6. Verfahren nach einem der Ansprüche 1 bis 5, dadurch gekennzeichnet, dass die Verpackungselemente aus Kartonage oder Wellpappe bestehen.
7. Vorrichtung (4) zur Erzeugung von Haltepunkten (3) bildenden Einkerbungen in wenigstens einem Stanzmesser (2), welches in einer Stanzform (1) lagerbar ist und welches zum Stanzen von flächigen Verpackungselementen dient, dadurch gekennzeichnet, dass eine Rechnereinheit vorgesehen ist, mittels derer der Vorschub der in Form eines Bandmaterials vorliegenden, als Messerlinien ausgebildeten Stanzmesser (2) zur Vorrichtung (4) steuerbar ist, so dass die als Messerlinien ausgebildeten Stanzmesser (2) der Vorrichtung (4) kontinuierlich zugeführt sind, und dass wenigstens ein Fräswerkzeug vorgesehen ist, mittels dessen die Einkerbungen in durch die Rechnereinheit vorgegebenen Sollpositionen in das bandförmige Material eingearbeitet werden, bevor diese in die Stanzform (1) eingesetzt werden, dass jedes Fräswerkzeug eine motorisch getriebene kreisscheibenförmige Frässcheibe (6) ist, und dass die Vorrichtung einen Bearbeitungskopf (5) mit mehreren Frässcheiben (6) aufweist.
8. Vorrichtung nach Anspruch 7, dadurch gekennzeichnet, dass der Rand jeder Frässcheibe (6) eine Zahnung (6a) aufweist.
9. Vorrichtung nach Anspruch 7 oder 8, dadurch gekennzeichnet, dass die Frässcheiben (6) unterschiedliche Dicken aufweisen.
10. Vorrichtung nach einem der Ansprüche 7 bis 9, dadurch gekennzeichnet, dass die Frässcheiben (6) des Bearbeitungskopfs (5) mittels eines Antriebs angetrieben sind.
11. Vorrichtung nach Anspruch 10, dadurch gekennzeichnet, dass der Antrieb einen Elektromotor (8) mit einem Planetengetriebe (9) aufweist.
12. Vorrichtung nach einem der Ansprüche 7 bis 11, dadurch gekennzeichnet, dass diese einen Wechselmechanismus aufweist, mittels dessen eine Frässcheibe (6) zur Bearbeitung eines Stanzmessers (2) auswählbar ist.
13. Vorrichtung nach einem der Ansprüche 7 bis 12, dadurch gekennzeichnet, dass diese eine Stelleinheit aufweist, mittels derer eine Zuführbewegung einer Frässcheibe (6) in Richtung des Stanzmessers (2) durchführbar ist.
14. Vorrichtung nach Anspruch 13, dadurch gekennzeichnet, dass die Zuführbewegung durch einen einstellbaren Anschlag begrenzbar ist.
II. Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
III. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin 1/3 und die Beklagte 2/3.
IV. Das Urteil ist im Kostenpunkt gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand Die Beklagte ist Inhaberin des am 9. März 2007 angemeldeten deutschen Patents 10 2007 011 516, das am 26. August 2010 mit der Bezeichnung „Verfahren und Vorrichtung zur Erzeugung von Haltepunkten in einem Stanzmesser“ veröffentlicht worden ist und 16 Patentansprüche umfasst. Patentanspruch 1 mit Unteransprüchen 2 bis 6 schützen ein Verfahren, Anspruch 7 mit Unteransprüchen 8 bis 16 eine Vorrichtung zur Erzeugung von Haltepunkten bildenden Einkerbungen in wenigstens einem Stanzmesser.
Die Patentansprüche 1 und 7 lauten wie folgt:
1. Verfahren zur Erzeugung von Haltepunkten bildenden Einkerbungen (3) in wenigstens einem Stanzmesser (2), welches in einer Stanzform (1) gelagert wird und zum Stanzen von flächigen Verpackungselementen dient, dadurch gekennzeichnet, dass die Einkerbungen in die Stanzmesser (2) eingearbeitet werden bevor diese in die Stanzform (1) eingesetzt werden, wobei die als Messerlinie ausgebildeten Stanzmesser (2) in Form eines bandförmigen Materials einer Vorrichtung (4) kontinuierlich zugeführt werden, welche eine Rechnereinheit umfasst, über welche Sollpositionen⃰ vorgegeben werden, in welchen die Einkerbungen in die Messerlinien eingefräst werden.
⃰ bei der Verwendung des Singulars „Sollposition“ im Text des erteilten Anspruchs 1 handelt es sich um einen offensichtlichen Schreibfehler
7. Vorrichtung (4) zur Erzeugung von Haltepunkten (3) bildenden Einkerbungen in wenigstens einem Stanzmesser (2), welches in einer Stanzform (1) lagerbar ist und welches zum Stanzen von flächigen Verpackungselementen dient, dadurch gekennzeichnet, dass eine Rechnereinheit vorgesehen ist, mittels derer der Vorschub der in Form eines Bandmaterials vorliegenden, als Messerlinien ausgebildeten Stanzmesser (2) zur Vorrichtung (4) steuerbar ist, so dass die als Messerlinien ausgebildeten Stanzmesser (2) der Vorrichtung (4) kontinuierlich zugeführt sind, und dass wenigstens ein Fräswerkzeug vorgesehen ist, mittels dessen die Einkerbungen in durch die Rechnereinheit vorgegebenen Sollpositionen in das bandförmige Material eingearbeitet werden, bevor diese in die Stanzform (1) eingesetzt werden.
Wegen des Wortlauts der Unteransprüche 2 bis 6 und 8 bis 16 wird auf die Streitpatentschrift DE 10 2007 011 516 B4 verwiesen.
Die Klägerin macht den Nichtigkeitsgrund der mangelnden Patentfähigkeit (§ 21 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. §§ 1 bis 5 PatG) geltend und beruft sich hierfür auf folgenden Stand der Technik:
D1 GB 1 234 703 A D2 WO 99/02352 A1 D3 WO 2005/070630 A1 D4 ESU Magazine vom März 2007 D5 Anlagenkonvolut mit Bestell-Bestätigung vom 11. Januar 2006, Rechnung, Lieferschein und Transportdokument vom 31. Januar 2006,
NK5 Fotos Unica-1 bis Unica-9 NK6 Video mit Darstellung der Vorrichtung Unica 356 im Betrieb D6 Betriebsanleitung der Fa. Serviform für UNICA 356, Ausgabe 1.2,
Druckdatum Oktober 2005 D7 Auszug aus der Zeitschrift „Converter“ von Mai/Juni 2006 (Titelblatt und Werbeanzeige „Le Soluzione Serviform per un vantaggio competitivo“) D8 DE 203 14 293 U1 D9 DE 203 17 993 U1 D10 DE 725 188 D11 DE 7307759 U D12 DE 42 35 095 A1 D13 DE 37 30 561 C1 D14 EP 0 461 357 A2 D15 EP 0 314 824 A1 D16 DE 101 30 446 A1 D17 DE 89 10 280 U1 D18 DE 298 23 496 U1 D19 Auszüge aus Dubbel, Taschenbuch für den Maschinenbau, 20. Aufl., 2001 (S 39 – 41, S 47- 50, T 35 – 55, T 82 – 87) D20 Auszüge aus dem Tabellenbuch Metall, 41. Aufl., 1999 (S. 282, 283, 315) D21 Betriebsanleitung der Fa. Serviform für UNICA 356, Ausgabe 1.3, Druckdatum November 2006 D22 englischsprachige Betriebsanleitung der Fa. Serviform für Unica 356, Ausgabe 1.2, Druckdatum April 2005 D23 Anlagenkonvolut u. a. mit Bestell-Bestätigung vom 27. November 2006 betr. UnicA Top-CNC, Rechnung vom 15. Februar 2007 und Lieferdokument vom 9. Februar 2007 Die Dokumente D4 bis D6 beziehen sich auf eine behauptete offenkundige Vorbenutzung. Dabei handelt es sich nach Darlegung der Klägerin um eine Maschine mit der Bezeichnung „UNICA 356“, die auf Seite 10 des ESU Magazins (D4) abgebildet und ausweislich der Rechnung D5 Seite 1 f. durch die Firma S… B.V. zur Lieferung an die Firma R… B.V. in H…, Belgien, bestellt worden sei. Die Auslieferung habe – wie sich aus dem Transportdokument D5 Seite 8 ergebe - am 1. Februar 2006 stattgefunden. Das an R… gelieferte Gerät sei auf den Fotos Unica-1 bis Unica-4 der Anlage NK5 dargestellt; die übrigen Fotos dieser Anlage gäben ein anderes Gerät wieder. Zusammen mit der Maschine sei ein englischsprachiges Handbuch entsprechend D22 mit Druckdatum April 2005 geliefert worden. Inhaltlich handele es sich bei D22 um eine mit der deutschsprachigen Betriebsanleitung D6 identische Fassung. Weder hinsichtlich der ausgelieferten Maschine noch hinsichtlich des Handbuchs sei zwischen den beteiligten Unternehmen eine Geheimhaltungsvereinbarung geschlossen worden.
Die deutschsprachige Betriebsanleitung D6 sei im Februar 2007 zusammen mit einer Maschine UNICA 356 ebenfalls ohne Geheimhaltungsvereinbarung an die Firma H… GmbH in Deutschland ausgeliefert worden.
Mit der vorstehend angegebenen Maschine könne – wie aus der Betriebsanleitung D6 bzw. D22 zu ersehen sei - das Verfahren gemäß Anspruch 1 ausgeführt werden. Der einzige Unterschied zum Streitpatent bestehe darin, dass die Einkerbungen in die Messerlinie nicht eingefräst, sondern eingeschliffen würden.
Auch in der Druckschrift D3 werde die Herstellung von Haltepunkten bei Stanzmessern beschrieben. Dort sei erwähnt, dass Haltepunkte z. B. durch Schleifen hergestellt werden könnten.
Somit unterscheide sich das Verfahren nach Anspruch 1 vom Stand der Technik nur durch das Einfräsen statt des Einschleifens der Ausnehmungen. Das Fräsen sei wirtschaftlicher, u. a. könne auf eine Kühlung des Werkzeugs verzichtet werden. Daher bestehe – ausgehend von dem genannten Stand der Technik – die objektive Aufgabe darin, ein Arbeitsverfahren anzugeben, für das der konstruktive Aufwand der verwendeten Vorrichtung insbesondere durch Verzicht auf eine Kühlung verringert werden könne. Diese Aufgabe löse der Fachmann bereits mit seinem Fachwissen. Auch die Kombination der (behaupteten) Vorbenutzung mit einer der Druckschriften D1 oder D2 führe zum beanspruchten Verfahren.
Die Klägerin beantragt,
das deutsche Patent 10 2007 011 516 in vollem Umfang für nichtig zu erklären.
Die Beklagte beantragt,
die Klage insgesamt abzuweisen, hilfsweise die Klage abzuweisen, soweit sie sich gegen die Patentansprüche in der Fassung der mit Schriftsätzen vom 6. September und 15. November 2013 (Bl. 133 ff. und Bl. 224 ff. d. A.) eingereichten, in der Reihenfolge ihrer Nummerierung gestellten Hilfsanträge 1 bis 7 richtet.
Patentansprüche 1 und 7 in der Fassung des Hilfsantrags 1 lauten wie folgt (Hinzufügungen zum Wortlaut der erteilten Fassung sind durch Unterstreichung kenntlich gemacht):
1. Verfahren zur Erzeugung von Haltepunkten bildenden Einkerbungen (3) in wenigstens einem Stanzmesser (2), welches in einer Stanzform (1) gelagert wird und zum Stanzen von flächigen Verpackungselementen dient, dadurch gekennzeichnet, dass die Einkerbungen in die Stanzmesser (2) eingearbeitet werden bevor diese in die Stanzform (1) eingesetzt werden, wobei die als Messerlinie ausgebildeten Stanzmesser (2) in Form eines bandförmigen Materials einer Vorrichtung (4) kontinuierlich zugeführt werden, welche eine Rechnereinheit umfasst, über welche Sollpositionen vorgegeben werden, in welchen die Einkerbungen mittels wenigstens eines Fräswerkzeugs in die Messerlinien eingefräst werden, dass jedes Fräswerkzeug eine motorisch getriebene kreisscheibenförmige Frässcheibe (6) ist, und dass die Vorrichtung einen Bearbeitungskopf (5) mit mehreren Frässcheiben (6) aufweist.
7. Vorrichtung (4) zur Erzeugung von Haltepunkten (3) bildenden Einkerbungen in wenigstens einem Stanzmesser (2), welches in einer Stanzform (1) lagerbar ist und welches zum Stanzen von flächigen Verpackungselementen dient, dadurch gekennzeichnet, dass eine Rechnereinheit vorgesehen ist, mittels derer der Vorschub der in Form eines Bandmaterials vorliegenden, als Messerlinien ausgebildeten Stanzmesser (2) zur Vorrichtung (4) steuerbar ist, so dass die als Messerlinien ausgebildeten Stanzmesser (2) der Vorrichtung (4) kontinuierlich zugeführt sind, und dass wenigstens ein Fräswerkzeug vorgesehen ist, mittels dessen die Einkerbungen in durch die Rechnereinheit vorgegebenen Sollpositionen in das bandförmige Material eingearbeitet werden, bevor diese in die Stanzform (1) eingesetzt werden, dass jedes Fräswerkzeug eine motorisch getriebene kreisscheibenförmige Frässcheibe (6) ist, und dass die Vorrichtung einen Bearbeitungskopf (5) mit mehreren Frässcheiben (6) aufweist.
Wegen des Wortlauts der Unteransprüche 2 bis 6 und 8 bis 14 i. d. F. des Hilfsantrags 1 wird auf den Urteilstenor, wegen des Wortlauts der Hilfsanträge 2 bis 7 wird auf die Anlage zum Schriftsatz der Beklagten vom 15. November 2013 (Bl. 231 bis 248 d. A.) verwiesen.
Die Beklagte bestreitet die Offenkundigkeit der geltend gemachten Vorbenutzungen. Aus den vorgelegten Unterlagen sei nicht erkennbar, wann die Lieferung der UNICA 356 an die H… GmbH erfolgt und wann die Betriebsanleitung D6 übergeben worden sei. Entsprechendes gelte für die Lieferung an die Fa. R… B.V.. Bei den Betriebsanleitungen D6 bzw. D22 handele es sich um vertrauliche Informationen, was auch der Geschäftsführer der Klägerin, Herr C… , in der mündlichen Verhandlung bestätigt habe. Dass die Betriebsanleitungen vor dem Anmeldetag erstellt bzw. veröffentlicht worden seien, bestreitet die Beklagte mit Nichtwissen. Sie bestreitet auch, dass es sich bei den Automaten gemäß Anlagen D4 bis D7 sowie gemäß den Fotos der Anlage NK5 um denselben Maschinentyp handele.
Im Übrigen ist die Beklagte der Meinung, dass die Gegenstände der Ansprüche 1 und 7 (zumindest in der Fassung einer der Hilfsanträge) durch die (bestrittenen) Vorbenutzungen und die druckschriftlichen Entgegenhaltungen weder vorweggenommen noch nahegelegt seien. Insbesondere ist sie der Meinung, dass der Austausch des im Stand der Technik bekannten Schleifverfahrens durch das Fräsverfahren auf erfinderischer Tätigkeit beruhe.
Der Senat hat den Parteien mit Schreiben vom 19. Juli 2013 einen frühen gerichtlichen Hinweis gemäß § 83 Abs. 1 PatG sowie mit Schreiben vom 3. Dezember 2013 ergänzende Hinweise übersandt.
In der mündlichen Verhandlung hat der Senat am 21. November 2013 Herrn C… (Geschäftsführer und Mitglied des Verwaltungsrats der Klägerin) angehört und am 4. Februar 2014 die von der Klägerin benannten und von ihr zum Termin mitgebrachten Zeugen T… und R1… vernommen.
Wegen der Einzelheiten wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung sowie auf den gesamten Akteninhalt, insbesondere auf die Schriftsätze der Parteien mit sämtlichen Anlagen, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe I.
Die Klage ist zulässig, sie hat aber nur teilweise Erfolg. Der geltend gemachte Nichtigkeitsgrund mangelnder Patentfähigkeit (§ 22 Abs. 1, § 21 Abs. 1 Nr. 1 PatG) führt zur Nichtigerklärung des Streitpatents, soweit es die erteilte Fassung betrifft. Das Streitpatent erweist sich aber in der von der Beklagten hilfsweise verteidigten Fassung nach Hilfsantrag 1 als bestandsfähig.
1. Der Beschreibung des Streitpatents zufolge ist es bekannt, zur Herstellung von Verpackungen, insbesondere aus Kartonagen oder Wellpappe, Stanzvorrichtungen einzusetzen, um aus dem jeweiligen Stanzwerkstoff ein Verpackungselement auszustanzen. Die Stanzvorrichtung weise hierzu eine Stanzform auf, in welcher eine linienförmige, der Kontur des auszustanzenden Verpackungselements entsprechende Stanzmesseranordnung gelagert sei. Die Stanzmesser seien dabei so in der Stanzform gelagert, dass deren Schneidkanten über die Frontseite der Stanzform hervorstünden. Werde dann die Frontseite der Stanzform gegen eine Gegenplatte geführt, so durchtrenne die Stanzmesseranordnung den dazwischen liegenden Stanzwerkstoff, wodurch aus diesem das Verpackungselement herausgestanzt werde. Derartige Stanzvorgänge liefen automatisiert und mit einer hohen Taktrate ab. Wenn bei den Stanzvorgängen die Verpackungselemente jeweils vollständig aus dem Stanzwerkstoff herausgestanzt würden, fielen diese aus dem übrig bleibenden Stanzwerkstoff unkontrolliert heraus, was die Weiterverarbeitung der Verpackungselemente erschweren würde (Streitpatentschrift, Beschr. Abs. 2, 3).
Um dies zu vermeiden, sei es bekannt, in die Stanzmesser in den Stanzformen sogenannte Haltepunkte einzuarbeiten. Derartige Haltepunkte bildeten Einkerbungen in den Schneidkanten der Stanzmesser. Die Einkerbungen (d. h. die Haltepunkte) würden an vorgegebenen Sollpositionen in die Stanzmesser eingearbeitet,
wobei deren Breiten und Höhen so klein gewählt seien, dass beim Ausstanzen des jeweiligen Verpackungselements mit derartigen Stanzmessern durch die Haltepunkte nur kleine, kaum sichtbare Stege zwischen dem Verpackungselement und dem restlichen Stanzwerkstoff verblieben, die ein Herausfallen des Verpackungselements aus dem Stanzwerkstoff verhinderten (Beschr. Abs. 4).
Typischerweise erfolge die Einarbeitung der Haltepunkte erst dann, wenn die Stanzmesser bereits in der Stanzform fixiert seien. Dann könnten an den gewünschten Positionen die Haltepunkte in die Stanzmesser eingearbeitet werden. Das Einarbeiten der Haltepunkte erfolgt der Beschreibung des Streitpatents zufolge mittels geeigneter Schleifwerkzeuge. Vorteilhaft hierbei sei, dass bei der Einbringung der Haltepunkte in dem in der Stanzform gelagerten Stanzmesser die durch die Stanzmesseranordnung bestimmte Kontur des Verpackungselements unmittelbar erkennbar sei, so dass der Bearbeiter die Sollpositionen der Haltepunkte selbst einfach auffinden und dann durch Schleifen der Schneidkanten der Stanzmesser manuell einarbeiten könne. Eine derartige manuelle Einarbeitung von Haltepunkten sei jedoch äußerst zeitaufwendig und die Güte der Haltepunkte hänge stark von der Qualifikation der Werker ab (Beschr. Abs. 5).
Zur Rationalisierung der Einarbeitung von Haltepunkten sei daher bereits versucht worden, die Haltepunkte in die Stanzmesser vor deren Einbau in die Stanzform maschinell einzuarbeiten. Das die Stanzmesser bildende Grundmaterial in Form von metallischem Bandmaterial werde dabei kontinuierlich einer Bearbeitungseinheit mit einem Schleifwerkzeug zugeführt. Diese arbeite rechnergesteuert, wobei die Sollpositionen, in welchen die Haltepunkte eingearbeitet werden müssten, in der Rechnereinheit bekannt seien. Durch die Rechnereinheit gesteuert, würden dann in den bestimmten Positionen die Haltepunkte in die Schneidkanten eingeschliffen. Dadurch werde zwar die Bearbeitungszeit gegenüber einer manuellen Bearbeitung verkürzt. Dennoch sei der Schleifprozess selbst zur Einarbeitung der einzelnen Haltepunkte relativ zeitaufwendig. Nachteilig sei weiterhin, dass derartige maschinelle Schleifwerkzeuge konstruktiv aufwendig seien. Insbesondere müsse eine Kühlung für die Schleifwerkzeuge vorgesehen werden, was den konstruktiven Aufwand der Anlage erheblich erhöhe (Beschr. Abs. 6, 7).
Die Beschreibungseinleitung bezieht sich im Weiteren auf verschiedene im Stand der Technik bekannte Vorrichtungen. So werde in der WO 99/02352 A1 (= hiesige Entgegenhaltung D2) ein Flachmaterial in Endlos- und/oder Bogenform beschrieben, welches mindestens eine Sollbruchlinie aufweise, entlang derer das Material erleichtert durchtrennt werden könne. Zur Anbringung der Sollbruchlinie werde das Flachmaterial ausgestanzt. Hierzu würden Stanzbleche verwendet, die durch Zwischenräume getrennte Zähne aufwiesen. Die Zwischenräume könnten durch Fräsen hergestellt werden (Beschr. Abs. 8).
Davon ausgehend, stellt sich das Streitpatent die Aufgabe, ein Verfahren und eine Vorrichtung bereitzustellen, die eine reproduzierbare kostengünstige und rationelle Einbringung von Haltepunkten in Stanzmesser zum Ausstanzen von Verpackungselementen ermöglichen (Beschr. Abs. 11).
Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt das Streitpatent in seiner erteilten Fassung (entsprechend einer von der Klägerin vorgelegten Gliederung) ein Verfahren nach Anspruch 1 sowie eine Vorrichtung nach Anspruch 7 mit folgenden Merkmalen vor:
Anspruch 1 1.1
1.2 1.3 1.4 Verfahren zur Erzeugung von Haltepunkten bildenden Einkerbungen (3) in wenigstens einem Stanzmesser (2), welches in einer Stanzform (1) gelagert wird und zum Stanzen von flächigen Verpackungselementen dient, dadurch gekennzeichnet, dass die Einkerbungen in die Stanzmesser (2) eingearbeitet werden bevor diese in die Stanzform (1) eingesetzt werden, wobei die als Messerlinie ausgebildeten Stanzmesser (2)
in Form eines bandförmigen Materials
1.5 1.6 1.7 1.8 Anspruch 7 7.1
7.2 7.3 7.4 7.5 7.6 7.7 7.8
7.9 einer Vorrichtung (4) kontinuierlich zugeführt werden,
welche eine Rechnereinheit umfasst,
über welche Sollpositionen vorgegeben werden, in welchen die Einkerbungen in die Messerlinien eingefräst werden.
Vorrichtung (4) zur Erzeugung von Haltepunkten (3) bildenden Einkerbungen in wenigstens einem Stanzmesser (2), welches in einer Stanzform (1) lagerbar ist und welches zum Stanzen von flächigen Verpackungselementen dient, dadurch gekennzeichnet, dass eine Rechnereinheit vorgesehen ist,
mittels derer der Vorschub der in Form eines Bandmaterials vorliegenden,
als Messerlinien ausgebildeten Stanzmesser (2) zur Vorrichtung (4) steuerbar ist,
so dass die als Messerlinien ausgebildeten Stanzmesser (2) der Vorrichtung (4) kontinuierlich zugeführt sind, und dass wenigstens ein Fräswerkzeug vorgesehen ist,
mittels dessen die Einkerbungen in durch die Rechnereinheit vorgegebenen Sollpositionen in das bandförmige Material eingearbeitet werden,
bevor diese in die Stanzform (1) eingesetzt werden.
2. Die Erfindung betrifft sogenannte Spitzen-Biegeautomaten, mit denen Stanzmesser zum Einsatz in Stanzautomaten für Kartonagen hergestellt werden. Die Stanzmesser weisen Einschnitte auf – die sog. Haltepunkte – damit der ausgestanzte Kartonzuschnitt nicht völlig von der Kartonbahn abgetrennt wird, sondern durch kleine Stege vorläufig noch in der Kartonbahn gehalten wird. Mit der streit- patentgemäßen Erfindung sollen diese Haltepunkte auf kostengünstige und rationelle Weise in die Stanzmesser eingebracht werden.
3. Als zuständiger Fachmann, auf dessen Wissen und Können es insbesondere für die Auslegung der Merkmale des Streitpatents und für die Beurteilung des Standes der Technik ankommt, ist nach Meinung des Senats ein Diplom-Ingenieur (Univ.) des Maschinenbaus mit Schwerpunkt Entwicklung und Konstruktion von Werkzeugmaschinen, insbesondere Stanzwerkzeugen, und mehrjähriger Berufserfahrung auf dem Gebiet der Stanzwerkzeuge für Verpackungen anzusehen.
4. Das Verfahrensmerkmal 1.1 versteht der Fachmann in der Weise, dass das Verfahren die Erzeugung von Haltepunkten bildenden Einkerbungen in wenigstens einem Stanzmesser bezweckt, wobei das in einer Stanzform lagerbare und dem Stanzen von flächigen Verpackungselementen dienende Stanzmesser selbst keinen Gegenstand des Verfahrens darstellt. Es handelt sich insoweit jedoch um eine Zweckangabe, durch die das patentgemäße Verfahren näher charakterisiert wird. Es muss demnach geeignet sein, Haltepunkte in einem Stanzmesser der genannten Art herbeizuführen (vgl. BGH GRUR 2009, 837 – Bauschalungsstütze m. w. N.). Entsprechendes gilt für das Erzeugnismerkmal 7.1.
Das Merkmal 1.2 wiederum verlangt nicht, dass das Stanzmesser mit den eingefrästen Einkerbungen schließlich auch in eine Stanzform eingesetzt wird. Ausreichend ist vielmehr, dass bei Einarbeitung der Einkerbungen das Stanzmesser nicht in eine Stanzform eingesetzt ist. Entsprechendes gilt für das Merkmal 7.9.
Unter einem Fräsvorgang i. S. d. Merkmals 1.8 versteht der Fachmann ein spanabhebendes Fertigungsverfahren zum Abtrennen von Werkstoff. Das Werkzeug (der Fräser) hat hierbei eine definierte Oberfläche und Kontur, die sich während der Bearbeitung idealerweise nicht ändert; man spricht deshalb vom Zerspanen mit geometrisch bestimmter Schneide. Da das Fräswerkzeug i. d. R. nur mit Hartmetallen oder keramischen Schneidplatten bestückt ist, werden weichere Werkstoffe durch Fräsen mit hoher Abtragsleistung bearbeitet.
Beim „Schleifen“ handelt es sich ebenfalls um ein spanendes (spanabhebendes) Fertigungsverfahren, wobei hier der Ort und teilweise auch die Größe der vielen, sich auf der Schleifscheibenoberfläche befindlichen Schleifkörner nicht sicher definierbar ist, sondern nur die Außenform und -größe der gesamten Schleifscheibenoberfläche. Daher spricht man hier vom Zerspanen mit geometrisch unbestimmter Schneide. Will man mit Hilfe eines Schleifvorgangs eine geometrisch genau definierte Oberfläche erzeugen, muss man die Schleifscheibe immer wieder „abziehen“ bzw. profilieren, um neue, unverbrauchte und scharfe Körner an der Oberfläche zu haben und „stumpfe“ bzw. gebrochene oder ausgerissene Körner zu entfernen. Da dabei die Schleifscheibe an Durchmesser und evtl. auch an Breite verliert, ist ein ständiges „Nachstellen“ erforderlich, d. h. die Schleifscheibe wird immer kleiner. Durch Einsatz von Schleifmitteln unterschiedlicher Härte (bis zum Diamanten) und unterschiedlicher Bindungen (in der das härtere Schleifmittel gehalten ist) sowie unterschiedlicher Korngrößen ist im Wege des Schleifens eine Bearbeitung auch sehr harter Werkstoffe mit guter Oberflächenqualität (Feinbearbeitung) möglich.
II.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 in der erteilten Fassung erweist sich auf Grund der von der Klägerin vorgebrachten Angriffe als nicht patentfähig.
1. Der Patentgegenstand ist allerdings neu. Weder die geltend gemachten Vorbenutzungen noch der vorgelegte druckschriftliche Stand der Technik zeigen ein Verfahren mit sämtlichen Merkmalen des Anspruchs 1.
a) In dem von der Klägerin zum Nachweis der von ihr behaupteten offenkundigen Vorbenutzung vorgelegten Handbuch D22 wird ein Verfahren mit den Merkmalen 1.1 bis 1.7 offenbart. Es handelt sich bei dem Handbuch um eine Bedienungsanleitung für die „Automatic electronic die steel rule cutter and bending machine UNICA 356“, d. h. für eine automatische und elektronische Trenn- und Biegemaschine für Stahlbänder. Die Maschine soll gemäß Abschnitt 1.7 des Handbuchs Schneide-, Schleif- und Biegevorgänge an Stahlbändern ermöglichen, u. a. zur Erzeugung von „nicks“ (= Haltepunkten). Daraus entnimmt der Fachmann ohne weiteres, dass es sich um ein Verfahren i. S. d. Merkmals 1.1 handelt.
Ferner entnimmt der Fachmann den Fotos in D22, Seite 10, dass das Bandmaterial von der auf der linken Geräteseite befindlichen Rolle in die Maschine hinein verläuft. Unter der mit AU bezeichneten Klappe (D22, Seite 11, Figur 4) werden bei WE die Haltepunkte geschliffen (D22, Seite 38, Figur 21 Mitte). Anschließend wird das Band bei VA, UB geschnitten (D22, Seiten 39 und 61, jeweils rechtes Foto) und dann gebogen (D22, Fotos Seite 41). Schließlich verlassen die fertigen Stanzmesser das Gerät auf dessen rechter Seite. Somit sind in D22 auch die Merkmale 1.2 bis 1.4 und – wegen des vollautomatischen Ablaufs der genannten Vorgänge – auch die kontinuierliche Zuführung i. S. d. Merkmals 1.5 offenbart.
Dies gilt auch für die Rechnersteuerung entsprechend den Merkmalen 1.6 und 1.7, weil auf Seite 44 unter 6.2.2 „Automatic cycle start-up“ ausdrücklich angegeben ist, dass eine „Floppy Disk“ in einem speziellen Laufwerk geladen werden soll. Der Fachmann liest bei dieser Angabe automatisch mit, dass der Rechner im automatischen Betrieb den Vorschub so steuert, dass die bei WE geschliffenen Haltepunkt-Einkerbungen an den vorgesehenen Stellen eingebracht werden.
Die im Handbuch D22 beschriebene Anlage verwirklicht jedoch nicht das Merkmal 1.8, weil dort die Haltepunkte nicht eingefräst, sondern eingeschliffen werden.
Zwar hat die Klägerin als Anlage D21 eine neuere Version des Handbuchs vorgelegt, aus der sich auch dieses Merkmal ergeben soll. Jedoch kann in Ermangelung eines entsprechenden Nachweises nicht angenommen werden, dass diese Version, die ausweislich der Angabe auf Seite 1 im November 2006 gedruckt wurde, vor dem Anmeldetag des Streitpatents offenkundig geworden ist.
b) Auch die nach Behauptung der Klägerin von ihr bzw. von der Fa. P… an die Fa. R… gemäß dem Anlagenkonvolut D5 gelieferte Maschine weist eine Schleif-, aber keine Fräseinheit zur Herstellung der Haltepunkte auf, so dass auch diese Vorbenutzung als neuheitsschädlicher Stand der Technik ausscheidet.
c) Die Druckschrift D1 (GB 1 234 703 A) befasst sich ebenfalls mit der Herstellung von Stanzmessern, allerdings geht es dort nicht um die Einbringung von Haltepunkten. Beschrieben wird vielmehr die Herstellung eines gezahnten Profils entlang einer länglichen Kante, wodurch sowohl der Stanzdruck als auch die Verletzungsgefahr im Vergleich mit einer ebenen Schneidfläche herabgesetzt werden sollen (D1, Spalte 1, Zeilen 18 bis 26).
d) In der Druckschrift D2 (WO 99/02352) werden u. a. Stanzmesser beschrieben, die dazu dienen sollen, ein Flachmaterial vollständig zu durchtrennen und nur einzelne Stege stehen zu lassen (Figuren 15a bis 15e mit Beschreibung Seite 13 f., sowie Figuren 13a bis 14). Dies soll dadurch erreicht werden, dass das Material in den Zwischenräumen 73, die die Haltepunkte bilden, horizontal weggenommen wird, was nach der Beschreibung Seite 13, zweiter Absatz, ein diffiziler Vorgang ist, der durch Fräsen – etwa mit Hilfe eines Profilscheibenfräsers - bewerkstelligt werden kann.
Ein streitpatentgemäßes Verfahren ist in D2 allerdings nicht beschrieben. So fehlt es etwa an einer Rechnereinheit zur Steuerung i. S. d. Merkmale 1.6 und 1.7.
e) Die Druckschrift D3 (WO 2005/070630 A) lehrt u. a. die Einbringung von Kerben in einem Stanzmesser, wobei dies auf verschiedene Art und Weise bewerkstelligt werden kann, nämlich durch Drahterodieren, Schleifen oder Stanzen (D3, Beschr. Abs. 23). Hinweise auf ein Verfahren i. S. d. Anspruchs 1 des Streitpatents, insbesondere auf das Einfräsen der Haltepunkte, sind der Entgegenhaltung nicht zu entnehmen.
f) Auch aus keiner der weiteren von der Klägerin zum Stand der Technik genannten Schriften gehen sämtliche Merkmale des erteilten Patentanspruchs 1 hervor, was die Klägerin auch nicht behauptet hat.
2. Der Gegenstand des Anspruchs 1 in seiner erteilten Fassung beruht jedoch nicht auf erfinderischer Tätigkeit.
a) Die von der Klägerin behauptete Vorbenutzung der Maschine Unica 356 samt zugehörigem Handbuch D22 ist nach Überzeugung des Senats vor dem Anmeldetag des Streitpatents offenkundig geworden und gehört daher zum Stand der Technik, der bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit zu berücksichtigen ist.
aa) Die Klägerin hat zum Nachweis der Lieferung der Unica 356 als Anlagenkonvolut D5 die Kopien einer Bestell-Bestätigung 45a/05 vom 11. Januar 2006, einer Rechnung vom 31. Januar 2006 und eines Lieferscheins vom 31. Januar 2006 vorgelegt sowie Beweis durch Vernehmung der Zeugen T… und R1… angeboten.
Gegenstand der von der Firma P… (C…, Italien) erstellten Bestell-Bestätigung war ein Artikel mit der Bezeichnung „UnicA Top“, ausgestattet u. a. mit einem Rechner („Double Integrated PC“), einem Spulenhalter-Wagen („Coil holder trolley“), Modulen zum Ablängen, Schneiden, zum Stanzen von Brücken, zum Umformen und zur Perforierung („Lipping and cutting cartridge“, „Bridge cartridge“, „Deformation, bending mark cartridge“, „Perforation cartdrige“). Außerdem sollte die Maschine über eine integrierte Räumeinheit („Integrated broaching unit“) und über eine Einheit zum Schleifen von Haltepunkten („Nicking grinding unit with three heads“) verfügen.
Der Bestell-Bestätigung zufolge ging die Bestellung von der Firma S… (T… , Niederlande) aus. An diese Firma war auch die von P… S.r.l. erstellte Rechnung gerichtet, die sich auf den Artikel „UNICA 356 – CNC UNITA OPERATRICE M“ bezieht, der die genannten Spezifikationen aufweist. Adressat des wiederum von der Fa. P… ausgestellten Lieferscheins war ebenfalls die Fa. S…; allerdings wird als Lieferadresse die Firma R… (H…, Belgien) genannt. Als Lieferdatum ist in dem Lieferschein der 1. Februar 2006 vermerkt.
Nach Aussage des Zeugen R1… - heute ebenso wie im Kauf- und Lieferzeitpunkt Anfang 2006 Betriebsleiter der Firma R… B.V.- wurde das Gerät „Unica 356“ bei der Firma S… gekauft. Diese Firma ist – so der Zeuge – exklusive Vertreterin der Nichtigkeitsklägerin in den Beneluxländern. Die Bestellung wurde im November 2005 vorgenommen. Im Januar 2006 war der Zeuge zur Vorbereitung der Lieferung der speziell für R… konfigurierten Maschine in Italien. Bei dieser Gelegenheit hat er die Kaufpreissumme in Höhe von … € bezahlt, wobei die Zahlung über die Amrobank erfolgt ist.
Danach stellt sich der Vorgang so dar, dass die Firma R… mit S… einen Vertrag über den Kauf der Maschine Unica 356 geschlossen hat, worauf dann S… das Gerät bei P… bestellt hat. Wie der Zeuge T…, der im Kaufund Lieferzeitpunkt Anfang 2006 bei der Firma P… für deren weltweites Vertreternetz und die Handelsunterlagen zuständig war (und dies heute noch ist), erläutert hat, ist P… Herstellerin der Unica-Maschinen, die aber mit dem Namen S1… versehen werden. Auch der Geschäftsführer C… der Klägerin hat auf informelle Frage des Gerichts bekundet, dass die Maschinen von P… gebaut und verkauft werden. Im vorliegenden Fall hat P… die Maschine direkt an R… geliefert und sie S… in Rechnung gestellt. Durch die als Anlage D5 vorgelegten Dokumente werden lediglich die zwischen S… und P… in Bezug auf den Liefervorgang bestehenden Vertragsbeziehungen dokumentiert, nicht die Abreden, die R… mit S… getroffen hat. Schon aus diesem Grund steht der vom Zeugen R1… angegebene Kaufpreis nicht im Widerspruch zu der Rechnung D5 Seite 1f., insbesondere ist der von R… an S… bezahlte Betrag sicher nicht identisch mit dem (in der dem Senat vorlie- genden Rechnungskopie geschwärzten) Betrag, den P… gegenüber S… in Rechnung gestellt hat.
Der Zeuge R1… hat bestätigt, dass die an seinen Betrieb Anfang 2006 gelieferte und immer noch dort vorhandene Maschine die in der Bestell-Bestätigung und in der Rechnung gemäß Anlage D5 genannten Spezifikationen aufweist. Für unterschiedliche Materialdicken (1½, 2 und 3 Pt.) seien zwei Biegeköpfe vorhanden und die normale Materialhöhe (23,8 mm) könne bis 30 mm variiert werden. Dies entspricht weitgehend den Angaben in den Dokumenten D5 (mit dem unmaßgeblichen Unterschied, dass dort Höhen bis 32,0 mm genannt sind).
Ferner hat der Zeuge ausgesagt, dass die gelieferte Maschine die auf einer Spule aufgerollten Stanzmesser automatisch einziehe und alle Arbeitsgänge, insbesondere die Einbringung der Haltepunkte, das Ablängen und das Stanzen der Brücken, vollautomatisch durchführe.
Gemäß den Unterlagen D5 wurde die Maschine Unica 356 mit einem Handbuch verkauft und ausgeliefert. Dies entspricht der Aussage des Zeugen R1…, der bekundet hat, dass die Maschine zusammen mit einem englischsprachigen Betriebshandbuch geliefert worden sei, das so ausgesehen habe wie das Handbuch gemäß Anlage D22. Die Schleifeinheiten bei der gelieferten Maschine würden so aussehen wie auf Seite 38 des Handbuchs.
Danach kann davon ausgegangen werden, dass am 1. Februar 2006, als die Lieferung der Unica 356 an die Firma R… erfolgt ist, ein Betriebshandbuch für dieses Gerät mitgeliefert worden ist. Ferner kann angenommen werden, dass es sich dabei um ein Handbuch entsprechend der Anlage D22 gehandelt hat, denn dieses wurde (ausweislich seiner Anmerkung 1.2 auf Seite 1) im April 2005 gedruckt. Nach der Lebenserfahrung ist davon auszugehen, dass bei einer ca. neun Monate später erfolgten Lieferung keine ältere Version des Betriebshandbuchs beigefügt worden ist.
Gegen diese Annahme spricht nicht, dass auf dem Foto Unica-1 der Anlage NK5, das nach Aussage des Zeugen R1… die an R… gelieferte Maschine zeigt, ein CE-Zertifikat mit der Bezeichnung „Unica Top“ aufgebracht ist, während in dem im Handbuch D22, S. 3, dargestellten CE-Zertifikat von dem Modell UNICA und dem Typ 356 die Rede ist. Der Zeuge T… hat hierzu ausgesagt, dass „Unica Top“ und „Unica 356“ dasselbe Gerät bezeichnen. „Unica Top“ werde als Marke verwendet, um damit zum Ausdruck zu bringen, dass es eine Maschine für den gehobenen Kundenbedarf ist. Dagegen sei „Unica 356“ die interne Bezeichnung. Auch der Zeuge R1… ist davon ausgegangen, dass sich beide Bezeichnungen auf den gleichen Maschinentyp beziehen.
Demnach ist anzunehmen, dass die Anfang 2006 an R… gelieferte Maschine mit den aus dem Handbuch D22 ersichtlichen Merkmalen 1.1 bis 1.7 (s. o. II.1.a) ausgestattet war. Dies gilt ungeachtet des Umstands, dass die gelieferte Maschine nicht in allen Einzelheiten mit dem Handbuch übereinstimmt. So hat der Zeuge T… zwar ausgesagt, dass die nach Belgien gelieferte Maschine dem Handbuch entspreche. Diese Maschine weist aber nach Angabe des Zeugen R1… längliche Seitenschienen auf, wie sie auf dem Foto Unica-5 der Anlage NK5 (das allerdings eine andere als die an R… gelieferte Maschine zeigt) zu sehen sind. Dabei handelt es sich nach Aussage des Zeugen T… um Druck-Vorrichtungen zum Fixieren der Schneidelinie beim Schleifen; im Handbuch würden Teile mit entsprechender Funktion in der Abbildung auf Seite 22 rechts unten gezeigt, während das Foto Unica-5 dem mittleren Foto von Seite 38 des Handbuchs entspreche. Demnach gibt es also einen Unterschied zwischen der an R… gelieferten und der im Handbuch gezeigten Maschine. Dieser Unterschied betrifft aber nicht die erfindungsgemäßen Merkmale von Anspruch 1 des Streitpatents.
bb) Ferner ist anzunehmen, dass sowohl die Maschine als auch das Handbuch durch Lieferung seitens P… an R… offenkundig geworden sind. Anhaltspunkte dafür, dass beim Verkauf und der Auslieferung der Unica 356 zwischen den beteiligten Firmen eine Geheimhaltungsverpflichtung vereinbart wurde,
sind nicht ersichtlich. Bei der ausgelieferten Maschine handelt es sich um ein Serienprodukt, bei dessen Verkauf nach der Lebenserfahrung die nicht zu entfernt liegende Möglichkeit besteht, dass beliebige sachkundige Dritte den betreffenden Gegenstand auf seine Merkmale untersuchen und sich Kenntnis von seinen technischen Einzelheiten verschaffen können (BGH GRUR 1966, 484, 486 – Pfennigabsatz; Schulte/Moufang, PatG, 9. Aufl., § 3 Rn. 58, 62).
Der Umstand, dass die Maschine speziell für R… konfiguriert wurde, führt zu keiner anderen Beurteilung. Von einer engen Zusammenarbeit von R… und P… bei der Entwicklung des Geräts kann nicht die Rede sein. Vielmehr sind bei der Unica 356 – wie der Zeuge T… geschildert hat – sämtliche Funktionen bereits vorhanden und der Kunde kann bei seiner Bestellung lediglich bestimmte Wünsche angeben, z. B. bzgl. des Winkels bzw. der Stärke der Schneide.
Das Handbuch D22 ist durch die Lieferung an R… ebenso offenkundig geworden. Auch diesbezüglich hat der Zeuge R1… ausgesagt, dass es keine Geheimhaltungsabrede gegeben habe. Dies wird von der Aussage des Zeugen T… bestätigt. Danach handelt es sich bei dem Handbuch um eine Bedienungsanleitung, an deren Geheimhaltung die Firma P… kein Interesse habe.
Diese Beurteilung steht nicht im Widerspruch zu dem Copyright-Vermerk auf Seite 2 der D22, wonach das Handbuch vertrauliche Informationen enthält und ohne vorherige schriftliche Einverständniserklärung des Herstellers weder als Ganzes noch in Teilen kopiert oder photokopiert werden darf. Der Gebrauch des Materials ist dem Vermerk zufolge nur dem Kunden gestattet, dem das Handbuch als Ergänzung zur Maschine überlassen wurde. Das Handbuch darf nur verwendet werden zum Zwecke des Versendens bzw. des Transports und der Aufstellung, der Installation, des Gebrauchs, der Wartung und des Verschrottens der Maschine. Wird dem Erwerber einer Vorrichtung ein Handbuch als Begleitunterlage überlassen, steht es der Offenkundigkeit der darin enthaltenen Informationen aber nicht entgegen, dass diese nach dem Willen des Veräußerers nur für einen be- stimmten Zweck verwendet werden dürfen und eine Vervielfältigung zu anderen Zwecken untersagt ist (BGH GRUR 2014, 251 – Bildanzeigegerät).
Auch aus vorliegendem Copyright-Vermerk kann nicht abgeleitet werden, dass das Handbuch gegenüber Dritten geheim zu halten sei. Bereits aus dem Text des Vermerks ist ersichtlich, dass das Handbuch einem unübersehbaren Personenkreis zugänglich gemacht werden darf. Der Vermerk enthält auch keine Einschränkungen bzgl. einer Aushändigung des Handbuchs an dritte Personen im Falle eines Weiterverkaufs. Zwar hat der Geschäftsführer der Klägerin C… bei seiner Befragung in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, der Copyright-Vermerk diene dem allgemeinen Schutz. Aber auch er hat ausgesagt, dass mit den Kunden keine Geheimhaltungsabrede geschlossen worden sei.
Aus diesem Grund führt auch der Umstand, dass das an R… gelieferte Handbuch nach Aussage des Zeugen R1… in einem Schrank im Arbeitszimmer des Zeugen aufbewahrt und im Bedarfsfall nur einem bestimmten Personenkreis, zu dem lediglich Mitarbeiter von R… und S… gehören, zur Verfügung gestellt wird, zu keiner anderen Beurteilung. Maßgeblich für die Beurteilung der Frage, ob die Weiterverbreitung technischer Informationen an Dritte nach der Lebenserfahrung nahegelegen hat und die Informationen dadurch offenkundig geworden sind, sind nämlich die zum Zeitpunkt der Lieferung der technischen Informationen bestehenden Vereinbarungen zwischen den Beteiligten oder die sonstigen Umstände der Lieferung, nicht jedoch die besonderen Gegebenheiten in dem die Information empfangenden Unternehmen (BGH GRUR 2013, 367 (Gründe Abs. 20) – Messelektronik für Coriolisdurchflussmesser).
cc) Der Beweis für die Offenkundigkeit der Vorbenutzung ist durch die Vorlage des Handbuchs D22 und die Aussagen der beiden Zeugen erbracht. Die Zeugen haben bei der Vernehmung einen uneingeschränkt glaubhaften Eindruck gemacht. Sie haben zu allen Fragen spontan und zusammenhängend geantwortet und sich dabei nicht in Widersprüche verwickelt. Wenn sie eine Frage nicht bzw. nicht mit der gebotenen Eindeutigkeit beantworten konnten, haben sie das unumwunden eingeräumt.
Zwischen den Aussagen der beiden Zeugen gibt es auch keine Widersprüche, durch die die Vorbenutzung oder deren Offenkundigkeit in Frage gestellt werden könnten. Zwar hat der Zeuge T… betont, dass die Maschine Unica 356 immer über sämtliche Funktionen verfüge und stets sowohl mit einer Räumeinheit als auch mit einer Haltepunktschleifeinheit geliefert werde. Dagegen hat der Zeuge R1… ausgesagt, dass er bei der Bestellung bestimmen konnte, ob er eine Räumeinheit bzw. eine Haltepunkteinheit haben wollte. Aus dieser unterschiedlichen Aussage kann aber nicht gefolgert werden, dass es sich bei dem an R… gelieferten Gerät nicht um das Modell Unica 356 gehandelt hat. Nach übereinstimmender Zeugenaussage wird die Maschine vor der Auslieferung für den jeweiligen Kunden konfiguriert, wobei der Kunde in verschiedener Hinsicht Wünsche äußern kann (etwa bzgl. der Stärke der Schneide). Es ist durchaus nachvollziehbar, dass der Zeuge R1… acht Jahre nach der Lieferung den Umfang seiner damaligen individuellen Vorgaben falsch in Erinnerung hat.
dd) Auf den Nachweis der weiteren Vorbenutzungen durch Vorveröffentlichung des (deutschsprachigen) Handbuchs D6 sowie durch Lieferung einer Maschine gemäß Anlagenkonvolut D23 kommt es nicht an. Es braucht daher auch nicht über den von der Beklagten gestellten Antrag entschieden zu werden, den diesbezüglichen, von der Klägerin erstmals mit Schriftsatz vom 25. November 2013 gemachten Vortrag als verspätet zurückzuweisen.
b) Die vorgenannten Vorbenutzungen in Gestalt des gemäß Anlagenkonvolut D5 ausgelieferten Geräts sowie des Handbuchs gemäß Anlage D22 weisen zwar die streitpatentgemäßen Merkmale 1.1 bis 1.7 auf (s. o. II.1a, 1b). Die Haltepunkte werden dort aber nicht im Wege des Fräsens, sondern des Schleifens eingebracht.
Dem Fachmann ist jedoch – wie etwa die Druckschrift D1 (dort Seite 2, Abs. 2) zeigt - schon seit langem bekannt, dass zum Stanzen von Papier und Wellpappe mit Schneidmessern, die aus Bandstahl hergestellt werden, die hierfür erforderlichen Klingen anstatt im Wege des Schleifens auch mit rotierenden Fräswerkzeugen bearbeitet werden können. Dadurch ergibt sich eine einfachere und wirtschaftlichere (insbesondere schnellere) Fertigung ohne die bekannten Nachteile des Schleifens, die vor allem in einer geringeren Zerspanungsleistung und höherem Werkzeugverschleiß durch ständiges „Abziehen“ bestehen (vgl. D1, Seite 2, Zeilen 1 bis 13). Wie geformt und wie groß diese "Profilierungen" bzw. Einschnitte sind, ist für den Fachmann ohne Belang, da diese Einstellungsparameter in der Regel den jeweiligen Anforderungen an die Schneidmesser entsprechen bzw. das Ergebnis einfacher Optimierungsvorgänge darstellen.
Die Schrift D1 wird der Fachmann berücksichtigen, auch wenn das gemäß dieser Schrift erzeugte Stanzmesser für durchgehende Schnitte ohne Haltepunkte gedacht ist; der Fachmann erkennt aber, dass sich ein Fräsverfahren, wie es in der Schrift D1 beschrieben ist, auch zur Erzeugung von Haltepunkten nutzen lässt. Im Übrigen wird sich der Fachmann für alles interessieren, was mit der Bearbeitung von Stanzmesserklingen zu tun hat, auch wenn es nicht ausdrücklich um Haltepunkte geht.
In der Schrift D2 ist eine Bearbeitung (in diesem Fall des Stanzblechs mit durchgehendem Steg 71) durch Fräsen zur Erzeugung von Haltepunkten offenbart. Der Fachmann wird auch durch diese Schrift angeregt, an Stelle des in D6 beschriebenen Schleifens eine Bearbeitung der Stanzmesserklingen durch Fräsen auszuprobieren (auch wenn in D2 die Vorteile des Fräsens gegenüber dem Schleifen nicht ausdrücklich erwähnt sind).
Entgegen dem Vorbringen der Beklagten wird der Fachmann nicht auf Grund der Härte des zu bearbeitenden Materials davon abgehalten, die Haltepunkte einzufräsen, statt sie – wie bei den Vorbenutzungen gemäß D6, D22 –
einzuschleifen. Bei dem in D22, Seite 5, Abschnitt 1.7, erwähnten Werkstoff handelt es sich um ein für ein Werkzeug relativ weiches Material (32 HRC – 44 HRC), das sich für den Einsatz eines Fräsverfahrens zum Zwecke einer vor allem schnelleren Zerspanung ohne weiteres eignet.
Auch der Umstand, dass es sich bei dem in den Vorbenutzungen verwendeten Stahlblech um ein relativ dünnes Material handelt, wird den Fachmann nicht davon abhalten, dieses Material mit einem Fräswerkzeug zu bearbeiten. Er wird das Band in fachüblicher Weise einspannen, um zu verhindern, dass es bei der Bearbeitung flattert, und um eine präzisere Zerspanung zu gewährleisten. Entgegen der Auffassung der Beklagten (unter Hinweis auf Dubbel, Anlage D19, Seite 47, linke Spalte, Abschnitt 4.2.4) kann auch nicht gesagt werden, dass nach fachmännischem Wissen am Anmeldetag die beim Fräsen auftretende dynamische Belastung gegen die Anwendung eines Fräsverfahrens bei der in D22 gezeigten Maschine gesprochen hat. Es besteht insoweit kein relevanter Unterschied zu dem in D1 offenbarten Fräsvorgang, bei dem ebenso eine dynamische Belastung auftritt. Die Dynamik besteht nämlich auch bei D22 nicht in einer Horizontalbewegung des mit der Fräse zu bearbeitenden Bandes, weil das Band im Bearbeitungszeitpunkt still steht.
Somit konnte der Fachmann mit Hilfe des am Anmeldetag bekannten Stands der Technik zum Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents in dessen erteilter Fassung gelangen, weshalb dieser Gegenstand nicht patentfähig ist.
III.
In der Fassung des Hilfsantrags 1 der Beklagten hat der Gegenstand des Anspruchs 1 dagegen Bestand.
a) Die hilfsweise verteidigte Anspruchsfassung ist zulässig. Sie enthält gegenüber der erteilten Anspruchsfassung zusätzliche Merkmale aus den erteilten Pa- tentansprüchen 7 (die Einkerbungen werden mittels wenigstens eines Fräswerkzeugs hergestellt), 8 (jedes Fräswerkzeug ist eine motorisch getriebene kreisscheibenförmige Frässcheibe) und 10 (die Vorrichtung weist einen Bearbeitungskopf mit mehreren Frässcheiben auf). Durch die Aufnahme dieser Merkmale in den Hauptanspruch wird dieser nunmehr auf einen Gegenstand beschränkt, den der Fachmann bereits den ursprünglich eingereichten Unterlagen (siehe Offenlegungsschrift DE 10 2007 011 516 A1, dort Patentansprüche 4, 10 und 12) und dem erteilten Patent entnehmen konnte.
Die Beklagte war nicht verpflichtet, sämtliche Merkmale des in der Streitpatentschrift (Figuren 3 und 4 mit Beschreibung Abs. 29 bis 38) bzw. in der Offenlegungsschrift (Figuren 3 und 4 mit Beschreibung Abs. 26 bis 35) dargestellten, einen Bearbeitungskopf mit mehreren Fräswerkzeugen umfassenden Ausführungsbeispiels in die mit Hilfsantrag verteidigte Anspruchsfassung aufzunehmen. Nach ständiger Rechtsprechung steht es dem Patentinhaber frei, sein Patent durch Aufnahme einzelner oder sämtlicher Merkmale eines in der Beschreibung genannten Ausführungsbeispiels, die für sich oder auch zusammen den durch die Erfindung erreichten Erfolg fördern, zu beschränken, sofern die Merkmalskombination in ihrer Gesamtheit eine technische Lehre darstellt, die der Fachmann der Gesamtheit der Anmeldungsunterlagen als mögliche Ausgestaltung der Erfindung entnehmen kann (vgl. BGHZ 110, 123, 126 – Spleißkammer; BGH GRUR 2002, 49 – Drehmomentübertragungseinrichtung; GRUR 2012, 475 – Elektronenstrahltherapiesystem; GRUR 2012, 1133 – UV-unempfindliche Druckplatte). Im vorliegenden Fall war dem Fachmann bekannt, dass die hinzugekommenen Merkmale schon in den ursprünglichen Unterlagen als einzelne Unteransprüche in Verbindung mit Merkmalen des jeweiligen Bezugsanspruchs bzw. der jeweiligen Bezugsansprüche Gegenstand von zweckmäßigen und keinesfalls selbstverständlichen Weiterbildungen des Gegenstands des jeweiligen Anspruchs 1 sind.
b) Der mit dem Hilfsantrag 1 verteidigte Gegenstand ist unbestritten neu, da es am Anmeldetag aus den im Verfahren befindlichen Dokumenten nicht bekannt war, zur Erzeugung der Ausnehmungen für die Haltepunkte einen Bearbeitungs- kopf mit mehreren motorisch getriebenen kreisscheibenförmigen Frässcheiben zu verwenden.
c) Der mit dem Hilfsantrag 1 verteidigte Gegenstand beruht auch auf erfinderischer Tätigkeit, weil es dem Fachmann am Anmeldetag nicht naheliegend war, für das Fräsen der Ausnehmungen für die Haltepunkte einen Bearbeitungskopf mit mehreren motorisch getriebenen Frässcheiben zu verwenden.
So ist in den Schriften D1 und D2, in denen das Fräsen von Einkerbungen in Stanzmesser eher allgemein beschrieben wird, kein Bearbeitungskopf mit mehreren Frässcheiben vorgesehen.
Aus den nachgewiesenen offenkundigen Vorbenutzungen gemäß den Anlagenkonvoluten D5 und D22 ist zwar jeweils eine Haltepunkt - Schleifmaschine mit drei Bearbeitungsköpfen, die jeweils offensichtlich eine Schleifscheibe enthalten, zum Schleifen von Kerben in ein Stanzmesser bekannt (vgl. D5, Seite 1 unteres Drittel "nicking grinding unit with three heads equipped with electric motor discs"; D22 Kap. 6.1.3 "Austausch der Schleifscheiben bzw. grinding wheels replacement" i. V. m. Bild 21). Diese Vorrichtungen zeigen jedoch nicht einen einzigen Bearbeitungskopf mit mehreren Schleifscheiben, sondern drei nebeneinander angeordnete Bearbeitungsköpfe (WE) mit jeweils nur einer Schleifscheibe. Einen Hinweis dahingehend, bei der vorbenutzten Maschine Unica 356 an Stelle der drei getrennten Bearbeitungsköpfe einen einzigen Bearbeitungskopf einzusetzen, kann der Fachmann den Unterlagen D5, D22 – auch bei Hinzunahme der Schriften D1 und D2, bei denen ebenso jeglicher Hinweis auf einen Bearbeitungskopf mit mehreren Werkzeugen fehlt - nicht entnehmen.
Die Schriften D11 und D12 hingegen zeigen einen Bearbeitungskopf (im Folgenden auch Revolverkopf) insbesondere einer Fräsmaschine mit mehreren radial, axial oder schräg zur Revolverachse gelagerten drehbaren Werkzeugspindeln und Spannmuttern (vgl. insbesondere D11, Fig. 1; D12, Fig. 1 bis 5), an deren freien Enden übliche, nicht näher beschriebene Fräswerkzeuge befestigt werden kön- nen. Hinweise zur Erzeugung von Haltepunkten oder Kerben in einem langgestreckten schmalen und labilen Bauteil wie einem Stanzmesser mit einer Frässcheibe sind diesen Schriften auch deshalb nicht entnehmbar.
Die im Anspruch 1 des Streitpatents nach Hilfsantrag 1 enthaltenen Zweckangaben "zur Erzeugung von Haltepunkten in wenigstens einem Stanzmesser" bzw. "zum Einfräsen der Haltepunkte" beschränken seinen Gegenstand nämlich auf die räumlich-körperliche Ausbildung der beanspruchten Vorrichtung insoweit, dass sie in der Lage sein muss, den angegebenen Zweck zu erfüllen (s. o. I.4). Deswegen muss die beanspruchte Vorrichtung gemäß Anspruch 1 des Hilfsantrags so ausgebildet sein, dass mit einer Frässcheibe Haltepunkte oder Kerben in Stanzmesser gefräst werden können.
Dies setzt aber zwingend auch eine geeignete Halterung der langgestreckten und schmalen Stanzmesser voraus, die im Streitpatent als eine Führung beschrieben ist, über die das als Bandmaterial vorliegende Stanzmesser in eine Sollposition gefördert wird, um dann mit einer Frässcheibe bearbeitet zu werden (vgl. Streitpatentschrift, Abs. 33).
Aus den Druckschriften D1 und D2 ist hierzu zu entnehmen, dass ein Fräswerkzeug Nuten oder Kerben in einem Stanzmesser einbringt. Eine spezielle Halterung 13 für das Stanzmesser 10 ist hierbei aus der D1 bekannt, wobei eine Lageveränderung des Stanzmessers (vgl. D1 Seite 2, Zeilen 19 bis 21) entsprechend der Position der einzufräsenden Kerben vorgenommen wird.
Was die in den Schriften D11 und D12 angegebenen Bearbeitungsköpfe für Werkzeugmaschinenspindeln betrifft, so sind diese wegen ihrer Größe und Masse für den Einsatz bei einer in Rede stehenden Stanzmesserherstell- und Biegemaschine auf Grund der dort vorhandenen beengten Raumverhältnisse und der schnellen, kleinen Vorschubbewegungen beim Einschleifen der Haltepunkte ungeeignet.
Die Bearbeitungsköpfe der D11 bzw. D12 sind für den Fachmann offensichtlich nicht zum „schnellen“ Bearbeiten von langgestreckten schmalen Bauteilen wie Stanzmessern ausgelegt, sondern zur Bearbeitung von dreidimensionalen Bauteilen, die in einem Maschinentisch eingespannt sind und an das Werkzeug, z. B. einen Walzenstirnfräser, herangeführt werden.
Im Streitpatent (vgl. Streitpatentschrift Fig. 3) ist deswegen der Bearbeitungskopf mit parallel zur Bearbeitungskopfachse ausgerichteten Werkzeugachsen ausgestattet, wodurch erreicht wird, dass das Stanzmesser als Bandmaterial in beliebiger Länge kollisionsfrei außerhalb des Bearbeitungskopfes gelagert und die Bearbeitung mit schnellen, kleinen Bewegungen vorgenommen werden kann. Hierbei ist eine unbehinderte Vorwärtsbewegung des Stanzmessers in der Führung möglich, um die Haltepunkte bzw. Kerben an unterschiedlichen Stellen im Stanzmesser anzubringen.
Da sich mit der D11 oder D12 auch keine spezielle, entlang der Längserstreckung lageveränderbare Halterung für das Stanzmesser, wie z. B. in der D1 gezeigt, technisch realisieren lässt und sie auch nicht auf zu bearbeitende Bauteile und ihre Einspannung eingeht, hatte der Fachmann keinerlei Veranlassung, die D11 oder D12 mit der D1 oder D2 zu kombinieren, um so zu einer Vorrichtung zur Erzeugung von Haltepunkten oder Kerben gemäß Anspruch 1 des Hilfsantrages 1 des Streitpatents zu gelangen.
Die Schrift D3 (vgl. insb. Fig. 1, 2; Abs. 23) geht lediglich auf das Schleifen von Kerben in Stanzmessern ein, ohne Erwähnung eines Bearbeitungskopfes mit mehreren Werkzeugen oder ein mögliches Fräsen mit Frässcheiben. Die somit bei dieser Schrift fehlenden Merkmale des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 1 ergeben sich für den Fachmann auch nicht durch eine Zusammenschau mit irgendeiner der anderen im Verfahren befindlichen Druckschriften.
Die übrigen Entgegenhaltungen liegen weiter ab.
Da sich somit für den Fachmann aus den Schriften D1 bis 23 keine ausreichenden Hinweise oder Anregungen entnehmen lassen (weder bei Einzelbetrachtung noch bei Kombination dieser Schriften), die ihn zu einem Verfahren gemäß Patentanspruch 1 i. d. F. des Hilfsantrags 1 hätten führen können, stellt die dort beanspruchte Merkmalskombination eine patentfähige Lösung dar. Dies gilt sinngemäß ebenso für den auf eine Vorrichtung gerichteten Anspruch 7.
d) Die Unteransprüche 2 bis 6 und 8 bis 14 werden von der Bestandskraft der Ansprüche 1 und 7 mitgetragen.
e) Auf Grund der Rechtsbeständigkeit der Patentansprüche nach Hilfsantrag 1 kommen die Hilfsanträge 2 bis 7 nicht zum Tragen.
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 ZPO.
V.
Rechtsmittelbelehrung Gegen dieses Urteil ist das Rechtsmittel der Berufung gegeben.
Die Berufungsschrift muss von einer in der Bundesrepublik Deutschland zugelassenen Rechtsanwältin oder Patentanwältin oder von einem in der Bundesrepublik Deutschland zugelassenen Rechtsanwalt oder Patentanwalt unterzeichnet und innerhalb eines Monats beim Bundesgerichtshof, Herrenstraße 45a,
Karlsruhe eingereicht werden. Die Berufungsfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit dem Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung. Die Berufungsfrist kann nicht verlängert werden.
Die Berufungsschrift muss die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet wird, sowie die Erklärung enthalten, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde. Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden.
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