VIa ZR 1324/22
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES VIa ZR 1324/22 URTEIL in dem Rechtsstreit Verkündet am: 6. Februar 2024 Bürk Amtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle ECLI:DE:BGH:2024:060224UVIAZR1324.22.0 Der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 6. Februar 2024 durch die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. C. Fischer als Vorsitzende, die Richterinnen Möhring, Dr. Krüger, Wille und den Richter Liepin für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 18a. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 18. August 2022 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als der Berufungsantrag zu I
- betreffend den in erster Linie gestellten Antrag in Höhe von an den Kläger zu zahlenden 17.275,84 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 8. Oktober 2020 Zug um Zug gegen Übergabe und Abtretung aller Rechte des Klägers auf Übereignung des Fahrzeugs,
- betreffend den Hilfsantrag in Höhe von an den Kläger zu zahlenden 16.457,31 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 8. Oktober 2020 Zug um Zug gegen Übergabe und Abtretung aller Rechte des Klägers auf Übereignung des Fahrzeugs und die Freistellung von 23 Raten in Höhe von insgesamt 5.664,21 € aus dem Darlehensvertrag Nr. 71084983 mit der Mercedes-Benz Bank AG sowie
- betreffend den weiteren Hilfsantrag in Höhe von an die MercedesBenz Bank AG zu zahlenden 17.275,84 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 8. Oktober 2020 Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs sowie die Berufungsanträge zu II und zu III zurückgewiesen worden sind.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen Tatbestand:
Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.
Der Kläger kaufte am 20. Mai 2015 von einem Händler einen von der Beklagten hergestellten gebrauchten Mercedes-Benz B 220 CDI, der mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 ausgerüstet ist. Den Kaufpreis finanzierte er teilweise mithilfe eines Darlehens der Mercedes-Benz Bank AG, an die er das Fahrzeug sicherungsübereignete. Zur Finanzierung der Schlussrate des Darlehens nahm der Kläger ein weiteres Darlehen sowie zur Finanzierung der diesbezüglichen Schlussrate ein drittes Darlehen bei der Mercedes-Benz Bank AG auf.
In dem Fahrzeug wird die Abgasrückführung temperaturabhängig gesteuert und unter Einsatz eines sogenannten "Thermofensters" bei bestimmten Außentemperaturen reduziert. Das Fahrzeug verfügt über eine Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung (KSR), die unter gewissen Bedingungen die Kühlmitteltemperatur absenkt.
Der Kläger hat zuletzt die Erstattung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Abtretung aller seiner Rechte auf Übereignung des Fahrzeugs, hilfsweise die Erstattung der geleisteten Anzahlung und geleisteter Darlehensraten nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Abtretung aller seiner Rechte auf Übereignung des Fahrzeugs und seine Freistellung von weiteren Darlehensraten sowie weiter hilfsweise die Erstattung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Zinsen an die Mercedes-Benz Bank AG Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs begehrt (Berufungsantrag zu I). Ferner hat er die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten (Berufungsantrag zu II) sowie den Ersatz von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen verlangt (Berufungsantrag zu III).
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit seiner vom Senat insoweit zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision des Klägers hat Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - im Wesentlichen wie folgt begründet:
Es könne dahinstehen, ob der Kläger aufgrund der formularmäßigen Abtretung von Ansprüchen an die finanzierende Bank aktivlegitimiert sei. Er habe gegen die Beklagte jedenfalls keinen Anspruch auf Ersatz des geltend gemachten Schadens.
Ein Anspruch aus §§ 826, 31 BGB stehe dem Kläger nicht zu. Er habe ein sittenwidriges vorsätzliches Verhalten der Beklagten nicht schlüssig dargetan.
Weder sei die Arbeitsweise des Thermofensters oder der KSR exakt auf die Prüfstandsbedingungen zugeschnitten noch lägen sonstige Anhaltspunkte für ein besonders verwerfliches Handeln der Beklagten vor.
Der Kläger könne den eingeklagten Anspruch auch nicht aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV herleiten. Die Bestimmungen der EG-FGV dienten nicht dem Interesse eines Fahrzeugkäufers, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden. Sie gewährten allenfalls Schutz vor Schäden, die aus der Verweigerung der Zulassung des Fahrzeugs zum Straßenverkehr, aus der Unmöglichkeit des Weiterverkaufs des Fahrzeugs wegen seines Minderwerts aufgrund einer unzulässigen Abschalteinrichtung oder aus immateriellen Beeinträchtigungen resultierten. Derartige Schäden mache der Kläger jedoch nicht geltend.
II.
Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
1. Die Beurteilung des Berufungsgerichts ist verfahrensfehlerhaft, soweit es - was im Revisionsverfahren von Amts wegen zu beachten ist (vgl. BGH, Urteil vom 23. September 2015 - I ZR 105/14, BGHZ 207, 71 Rn. 63; Urteil vom 31. Oktober 2022 - VIa ZR 189/22, juris Rn. 7; Urteil vom 16. Januar 2024 - VIa ZR 1136/22, juris Rn. 8) - unter Verstoß gegen § 308 Abs. 1 ZPO über den weiter hilfsweise gestellten Berufungsantrag zu I entschieden hat. Der Kläger wollte den auf Zahlung an die Mercedes-Benz Bank AG gerichteten zweiten Hilfsantrag ersichtlich nur zur Entscheidung stellen, falls das Berufungsgericht seine Aktivlegitimation verneinen würde. Diese Bedingung ist jedoch - was im Revisionsverfahren ebenfalls von Amts wegen zu beachten ist (vgl. BGH, Urteil vom 23. September 2015, aaO; Urteil vom 31. Oktober 2022, aaO; Urteil vom 16. Januar 2024, aaO) - nicht eingetreten. Das Berufungsgericht hat offengelassen, ob der Kläger ihm zustehende deliktische Schadensersatzansprüche wirksam an die Mercedes-Benz Bank AG abgetreten hat.
2. In der Sache begegnet es keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine konkreten Einwände.
3. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
Das angefochtene Urteil ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben, § 562 Abs. 1 ZPO, weil es sich insoweit nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann im Umfang der Aufhebung nicht in der Sache selbst entscheiden, weil diese nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben der Urteile des Senats vom 26. Juni 2023 (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245; - VIa ZR 1657/22, BGHZ 237, 281 Rn. 11 ff.) die erforderlichen Feststellungen zu der Aktivlegitimation des Klägers, zu der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach
§ 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.
C. Fischer Wille Möhring Liepin Krüger Vorinstanzen: LG Chemnitz, Entscheidung vom 28.10.2021 - 5 O 152/21 OLG Dresden, Entscheidung vom 18.08.2022 - 18a U 2518/21 -