V ZB 143/17
BUNDESGERICHTSHOF V ZB 143/17 BESCHLUSS vom 26. Oktober 2017 in der Abschiebungshaftsache ECLI:DE:BGH:2017:261017BVZB143.17.0 Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 26. Oktober 2017 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, die Richterinnen Prof. Dr. Schmidt-Räntsch und Dr. Brückner, den Richter Dr. Göbel und die Richterin Haberkamp beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Aschaffenburg vom 17. Mai 2017 und der Beschluss des Landgerichts Aschaffenburg - 5. Zivilkammer - vom 20. Juni 2017 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt haben.
Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden dem Freistaat Bayern auferlegt.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.
Gründe:
I.
Der Betroffene, ein aserbaidschanischer Staatsangehöriger, reiste im Jahr 2010 unter einem Aliasnamen in das Bundesgebiet ein. Sein Asylantrag wurde im Jahr 2011 abgelehnt. Seine Identität ließ sich erst im Jahr 2016 klä- ren. Auf Antrag der beteiligten Behörde hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 17. Mai 2017 Abschiebungshaft bis zum 15. September 2017 angeordnet. Das Landgericht hat die Beschwerde zurückgewiesen. Nachdem der Senat die Vollziehung der Sicherungshaft durch Beschluss vom 11. Juli 2017 einstweilen ausgesetzt hat, will der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde die Rechtswidrigkeit der Haftanordnung feststellen lassen.
II.
Die zulässige Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Der Betroffene ist durch die Haftanordnung in seinen Rechten verletzt worden, weil es an einem zulässigen Haftantrag fehlte.
1. Das Vorliegen eines zulässigen Haftantrags ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Fehlt es daran, darf die beantragte Sicherungshaft nicht angeordnet werden. Zulässig ist der Haftantrag der beteiligten Behörde nur, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht. Erforderlich sind Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungsvoraussetzungen, zu der Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführbarkeit der Abschiebung und zu der notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG). Zwar dürfen die Ausführungen zur Begründung des Haftantrags knapp gehalten sein, sie müssen aber die für die richterliche Prüfung des Falls wesentlichen Punkte ansprechen. Leerformeln und Textbausteine genügen nicht. Die Durchführbarkeit der Abschiebung muss mit konkretem Bezug auf das Land, in das der Betroffene abgeschoben werden soll, dargelegt werden. Anzugeben ist dazu, ob und innerhalb welchen Zeitraums Abschiebungen in das betreffende Land üblicherweise möglich sind, von welchen Voraussetzungen dies abhängt und ob diese im konkreten Fall vorliegen (st. Rspr., Senat, Beschluss vom 27. Oktober 2011 - V ZB 311/10, FGPrax 2012, 82 Rn. 12 ff.; Beschluss vom 20. Oktober 2016 - V ZB 167/14, juris Rn. 6, jeweils mwN).
2. Daran gemessen war der Antrag unzureichend. Angaben zu der erfahrungsgemäß notwendigen Vorbereitungsdauer für eine Abschiebung nach Aserbaidschan enthält er nicht. Warum diese vier Monate erfordern soll, ist nicht erkennbar. Die Begründung, der Zeitraum sei notwendig für die Organisation der Abschiebung, und entspreche dem Zeitfenster, das der behördlichen Erfahrung zufolge für eine Überstellung in das Heimatland des Betroffenen erforderlich sei, stellt eine universell einsetzbare Leerformel dar, die über die Durchführbarkeit der Abschiebung im konkreten Fall nichts aussagt.
3. Der Mangel des Haftantrags ist auch nicht geheilt worden. Weder hat die Behörde ihre Darlegungen ergänzt noch haben das Amtsgericht oder das Beschwerdegericht das Vorliegen der seitens der Behörde nach § 417 Abs. 2 FamFG vorzutragenden Tatsachen aufgrund eigener Ermittlungen von Amts wegen (§ 26 FamFG) festgestellt (vgl. zu dieser Möglichkeit Senat, Beschluss vom 16. Juli 2014 - V ZB 80/13, InfAuslR 2014, 384 Rn. 22). Vielmehr haben die Vorinstanzen hinsichtlich der Haftdauer auf den Haftantrag vom 14. Juli 2015 verwiesen. Der ergänzende Vortrag der beteiligten Behörde im Rechtsbeschwerdeverfahren ist nicht geeignet, die Mängel des Haftantrags zu heilen, weil neuer Tatsachenvortrag im Rechtsbeschwerdeverfahren grundsätzlich unbeachtlich ist (vgl. § 74 Abs. 3 Satz 4 FamFG i.V.m. § 559 Abs. 1 ZPO).
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 83 Abs. 2, § 430 FamFG, Art. 5 Abs. 5 EMRK analog. Die Festsetzung des Beschwerdewerts folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG.
Stresemann Göbel Schmidt-Räntsch Brückner Haberkamp Vorinstanzen:
AG Aschaffenburg, Entscheidung vom 17.05.2017 - 306 XIV 30/17 LG Aschaffenburg, Entscheidung vom 20.06.2017 - 5 T 6/17 -