VIa ZR 68/23
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES VIa ZR 68/23 URTEIL in dem Rechtsstreit Verkündet am: 4. Juni 2024 Bachmann Justizfachangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle ECLI:DE:BGH:2024:040624UVIAZR68.23.0 Der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO, in dem Schriftsätze bis zum 29. April 2024 eingereicht werden konnten, durch die Richterinnen Möhring, Dr. Krüger, Wille, die Richter Liepin und Dr. Katzenstein für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 24. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 17. Januar 2023 aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf bis 16.000 € festgesetzt.
Von Rechts wegen Tatbestand: 1 Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. 2 Der Kläger erwarb im März 2016 von einem Dritten einen von der Beklagten hergestellten gebrauchten Mercedes-Benz B 200 CDI, der mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse Euro 6) ausgerüstet ist. Den Kaufpreis finanzierte er teilweise mithilfe eines Darlehens. In dem Fahrzeug wird die Abgasrückführung unter Einsatz eines sogenannten "Thermofensters" temperaturabhängig gesteuert. Das Fahrzeug verfügt über eine Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung (KSR).
Der Kläger hat in erster Instanz zuletzt Zahlung in Höhe von 15.951,31 € nebst Verzugszinsen und Freistellung von Verpflichtungen aus dem Darlehensvertrag Zug um Zug gegen Übergabe des Fahrzeugs und Abtretung seiner in Bezug auf das Fahrzeug bestehenden Rechte aus dem Darlehensvertrag verlangt (Klageantrag zu 1). Soweit er mit der Klageschrift die Zahlung eines um 348,75 € höheren Betrags geltend gemacht hat, hat er den Rechtsstreit einseitig für erledigt erklärt. Ferner hat er die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten (Klageantrag zu 2) sowie die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten nebst Verzugszinsen (Klageantrag zu 3) begehrt. Das Landgericht hat den Klageanträgen zu 1 und zu 3 teilweise stattgegeben. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht durch Versäumnisurteil das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen. Dagegen hat der Kläger Einspruch eingelegt und den Rechtsstreit in Bezug auf den Klageantrag zu 1 wegen eines weiteren Teilbetrags in Höhe von 723,28 € einseitig für erledigt erklärt. Das Berufungsgericht hat das Versäumnisurteil aufrechterhalten. Dagegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision des Klägers, mit der er seine zuletzt gestellten Berufungsanträge weiterverfolgt.
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
Ein Anspruch aus §§ 826, 31 BGB scheide aus. Der Kläger trage mangels tatsächlicher Anhaltspunkte in nicht zu berücksichtigender Weise ins Blaue hinein vor, dass Repräsentanten der Beklagten im Sinne von § 31 BGB hinsichtlich Entwicklung und/oder Einsatz von unzulässigen Abschalteinrichtungen - ihr Vorliegen unterstellt - vorsätzlich gehandelt hätten, insbesondere diese wissentlich zur Erschleichung der EG-Typgenehmigung eingesetzt hätten. Eine Haftung der Beklagten aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6, 27 EG-FGV scheitere bereits daran, dass diese Normen keine Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB seien.
II.
Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
1. Allerdings begegnet es keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus § 826 BGB verneint hat. In Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. nur BGH, Urteil vom 20. Juli 2023 - III ZR 303/20, juris Rn. 12 f.; BGH, Urteil vom 6. November 2023 - VIa ZR 535/21, WM 2024, 40 Rn. 10 ff.; Urteil vom 11. Dezember 2023 - VIa ZR 1012/22, juris Rn. 11) hat das Berufungsgericht eine sittenwidrige vorsätzliche Schädigung des Klägers verneint, weil es dem Klägervorbringen keinen greifbaren Anhaltspunkt für einen bewussten Gesetzesverstoß entnommen hat. Die Rüge der Revision, das Berufungsgericht sei gehörswidrig nicht eingegangen auf den unter Beweis gestellten Vortrag des Klägers, dass die KSR von der Beklagten zu dem Zweck der Manipulation eingesetzt worden sei, hat der Senat geprüft und für nicht durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird gemäß § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.
2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
Die angefochtene Entscheidung ist aufzuheben, § 562 Abs. 1 ZPO, weil sie sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu der - bislang lediglich unterstellten - Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.
Möhring Liepin Krüger Wille Katzenstein Vorinstanzen: LG Stuttgart, Entscheidung vom 25.05.2022 - 20 O 497/21 OLG Stuttgart, Entscheidung vom 17.01.2023 - 24 U 1846/22 -