5 StR 694/24
BUNDESGERICHTSHOF StR 694/24 BESCHLUSS vom 15. Januar 2025 in der Strafsache gegen wegen Geiselnahme u.a.
ECLI:DE:BGH:2025:150125B5STR694.24.0 Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 15. Januar 2025 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 30. Januar 2024 im Schuldspruch im Fall II.1d der Urteilsgründe sowie im Ausspruch über die Gesamtstrafe aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Geiselnahme in zwei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit Körperverletzung (Fall II.1d der Urteilsgründe) und in einem Fall in Tateinheit mit Vergewaltigung und gefährlicher Körperverletzung (Fall II.2d der Urteilsgründe) unter Einbeziehung von Strafen aus einem rechtskräftigen Urteil zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die hiergegen mit Verfahrensbeanstandungen und der Sachrüge geführte Revision des Angeklagten erzielt den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg und ist im Übrigen im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO unbegründet. Der Erörterung bedarf nur das Folgende:
1. Der Schuldspruch der Geiselnahme im Fall II.1d der Urteilsgründe kann keinen Bestand haben, denn er wird von den Feststellungen nicht getragen.
a) Danach wollte der Angeklagte die Nebenklägerin, die sich von ihm getrennt hatte, in seine Gewalt bringen und so lange gegen ihren Willen festhalten,
bis sie die Beziehung zu ihm fortsetze. In Umsetzung dieses Plans lockte er sie am 13. April 2020 in seinen Wagen und fuhr mit ihr mehrere Stunden lang von H. Richtung Süden. In einem Waldstück angekommen, schlug er ihr mit der Faust ins Gesicht. Anschließend fesselte er ihre Hände mit Kabelbindern hinter dem Rücken. Er erklärte, dass sie nicht mehr nach Hause kommen werde,
und versuchte sie dazu zu überreden, mit ihm nach Mexiko zu fliehen, anderenfalls er sie mit einer Schaufel im Wald vergraben werde. Sie flehte weinend um ihr Leben und bat – zunächst erfolglos – sie nach Hause gehen zu lassen. In den nächsten Stunden entspannte sich die Situation ein wenig, die Fesselung wurde gelöst und schließlich schlief der Angeklagte ein. Als er am nächsten Morgen um 5 Uhr erwachte, fragte die Nebenklägerin ihn, ob sie jetzt nach Hause fahren könnten. Der Angeklagte willigte ein, nahm ihr zuvor aber noch das Versprechen ab, nicht zur Polizei zu gehen, und fragte sie anschließend, ob sie das „noch zusammen hinbekommen“ würden. Dies bejahte die Nebenklägerin, um nach Hause gelassen zu werden. Der Angeklagte fuhr sie nach H.
zu ihrer Wohnung.
Das Landgericht hat dies als Versuch des Angeklagten gewertet, die Nebenklägerin durch die Drohung mit dem Tod bereits während der Bemächtigungslage zur Wiederaufnahme der Beziehung zu ihm zu nötigen. Sie habe sich bereits zu diesem Zeitpunkt endgültig zur Wiederaufnahme der Beziehung verpflichten und sich entsprechend erklären sollen. Dass er ihr während der Zwangslage die ernstliche Erklärung ihrer Bereitschaft zur Wiederaufnahme der Beziehung und zur Nichtanzeige der geplanten Tat habe abnötigen wollen und schließlich abgenötigt habe, sei für die Tatbestandserfüllung ausreichend, weil er sie damit zu einer Handlung genötigt habe, die aus seiner Sicht gegenüber dem erstrebten Endzweck (dauerhaftes gemeinsames Zusammenleben) selbständige Bedeutung gehabt habe.
b) Damit sind die Voraussetzungen des § 239b Abs. 1 StGB nicht dargetan. Insoweit gilt (vgl. nur BGH, Beschluss vom 17. Dezember 2019 – 4 StR 542/19, NStZ 2020, 667 mwN): Eine Geiselnahme nach § 239b Abs. 1 StGB begeht, wer einen Menschen entführt oder sich eines Menschen bemächtigt, um ihn oder einen Dritten durch die Drohung mit dem Tod oder einer schweren Körperverletzung (§ 226 StGB) des Opfers oder mit dessen Freiheitsentziehung von über einer Woche Dauer zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung zu nötigen, oder wer die von ihm durch eine solche Handlung geschaffene Lage eines Menschen zu einer solchen Nötigung ausnutzt. Dabei muss zwischen der Entführung oder Bemächtigung und der qualifizierten Nötigung ein funktionaler und zeitlicher Zusammenhang in der Weise bestehen, dass der Täter das Opfer während der Dauer der Zwangslage nötigen will und die abgenötigte Handlung während der Dauer der Zwangslage vorgenommen wird. Ein solcher funktionaler Zusammenhang kann auch dann noch angenommen werden, wenn der Täter während der Bemächtigungslage einen Teilerfolg erreichen wollte, der aus seiner Sicht eine bedeutende eigenständige Vorstufe auf dem Weg zur Erreichung des Endzieles darstellt.
Aus den Feststellungen und den rechtlichen Ausführungen des Landgerichts wird nicht ersichtlich, dass der Angeklagte die Nebenklägerin gerade mit einem der von § 239b Abs. 1 StGB geforderten qualifizierten Nötigungsmittel zu der von ihm beabsichtigten Erklärung nötigen wollte. Eine konkrete Drohung mit dem Tod gab es nur in Zusammenhang mit dem Plan einer Flucht nach Mexiko. Dieses Nötigungsziel lag aber ersichtlich außerhalb der Bemächtigungssituation (vgl. auch BGH, Beschluss vom 27. Januar 2017 – 1 StR 532/16, NStZ-RR 2017, 176). Darauf hat die Strafkammer letztlich auch nicht abgestellt, sondern auf die am nächsten Morgen gegen 5 Uhr erklärte Zusage der Nebenklägerin, nicht zur Polizei zu gehen, und das „zusammen hinzubekommen“. Dass auch diese Erklärungen, also der vom Landgericht angenommene Nötigungserfolg, nach zwischenzeitlicher Beruhigung der Situation und damit einer gewissen Zäsur – wenigstens konkludent – durch ein qualifiziertes Nötigungsmittel erzwungen wurden oder erzwungen werden sollten, ist den Feststellungen nicht konkret zu entnehmen. Es versteht sich auch nicht von selbst.
Es kommt deshalb nicht darauf an, dass auch die Schlussfolgerung des Landgerichts zweifelhaft ist, der Angeklagte habe sein Nötigungsziel erreicht, nämlich die endgültige Verpflichtung der Nebenklägerin zur Wiederaufnahme ihrer Beziehung und eine entsprechende Erklärung hierzu. Weshalb der Formulierung, „man bekomme das noch zusammen hin“, ein solcher Erklärungsinhalt zu entnehmen sein soll, erschließt sich nicht ohne weiteres. Die abgenötigte Zusage, anschließend – also nach Ende der Bemächtigungslage – nicht zur Polizei zu gehen, reicht als eigenständig bedeutsamer Teilerfolg regelmäßig nicht aus (vgl. BGH, Urteile vom 20. September 2005 – 1 StR 86/05, NStZ 2006, 36; vom
12. Februar 2015 – 1 StR 444/14, StV 2015, 765; Beschluss vom 12. September 2013 – 2 StR 236/13, BGHR StGB § 239b Nötigungserfolg 2). Weshalb dies im konkreten Fall anders zu beurteilen sein sollte, ist dem Urteil nicht zu entnehmen.
c) Dies führt zur Aufhebung des – für sich gesehen rechtsfehlerfreien – tateinheitlichen Schuldspruchs wegen Körperverletzung. Der Wegfall der für Fall II.1d verhängten Einzelstrafe von sechs Jahren Freiheitsstrafe entzieht der Gesamtfreiheitsstrafe die Grundlage. Der Aufhebung von Feststellungen bedarf es vorliegend nicht, weil diese vom Rechtsfehler nicht betroffen sind (vgl. § 353 Abs. 2 StPO); sie dürfen um solche ergänzt werden, die den bisherigen nicht widersprechen.
2. Der Schuldspruch im Fall II.2d der Urteilsgründe hat hingegen Bestand. Insbesondere bleibt die Rüge eines Verstoßes gegen § 244 Abs. 3 StPO betreffend die Ablehnung der Beweisanträge vom 8. und 16. Januar 2024 ohne Erfolg.
a) Folgendes Verfahrensgeschehen liegt zugrunde: Der Beschwerdeführer beantragte am 8. Januar 2024 die Vernehmung des – nach Verfahrensabtrennung – früheren Mitangeklagten C. unter anderem zum Beweis der Tatsache, dass die Nebenklägerin beim Geschehen vom 19. April 2020 (betreffend den Vorwurf zu II.2d) freiwillig und ohne Zwang in einen VW Polo gestiegen sei. Nach einem zu Protokoll gegebenen Vermerk war der benannte Zeuge in der Hauptverhandlung vom 9. Januar 2024 unter Hinweis auf den Beweisantrag gefragt worden, ob er grundsätzlich bereit sei, in dem abgetrennten Verfahren als Zeuge auszusagen, was er bejahte; er würde „aber nichts Anderes sagen, als ich bereits gesagt habe, weil das die Wahrheit“ sei.
Mit Beschluss vom 16. Januar 2024 lehnte das Gericht den Beweisantrag unter anderem mit der Begründung ab, es handele sich um einen bloßen Beweisermittlungsantrag und die Aufklärungspflicht gebiete die beantragte Beweiserhebung nicht. Es sei nicht ersichtlich, weshalb der Zeuge etwas dazu sagen könne, ob die Nebenklägerin „freiwillig“ in den PKW gestiegen sei, da dies eine innere Tatsache der Nebenklägerin darstelle. Mit Antrag vom 16. Januar 2024 wurde daraufhin erneut die Vernehmung des früheren Mitangeklagten C. beantragt, dieses Mal zum Beweis der Tatsache, dass er beim Vorfall am 19. April 2020 wahrgenommen habe, dass die Nebenklägerin in einer näher bezeichneten Tiefgarage einen näher bezeichneten PKW selbständig und aus eigener Kraft bestiegen habe, ohne dass körperlicher Zwang durch die beiden Angeklagten (den Revisionsführer und seinen nicht revidierenden mitangeklagten Sohn) oder den Zeugen ausgeübt wurde. Zur Begründung wurde unter anderem ausgeführt, der Zeuge werde die Beweisbehauptung bestätigen. Sie entspreche seiner bisherigen Einlassung als Angeklagter. Der Aussage unter Wahrheitspflicht komme besondere Bedeutung zu. Damit werde die Aussage der Nebenklägerin widerlegt.
Diesen Antrag lehnte das Gericht mit Beschluss vom 16. Januar 2024 ab. Zur Begründung stellte es darauf ab, dass kein Beweisantrag vorliege, weil der Antrag lediglich darauf gerichtet sei, dass der frühere Mitangeklagte nunmehr in einer anderen Verfahrensrolle dieselbe Aussage mache. Damit sei der Antrag lediglich auf die Wiederholung einer bereits durchgeführten Beweisaufnahme gerichtet. Auf die unterschiedliche Verfahrensrolle als Angeklagter oder Zeuge komme es dabei nicht an. Die Aufklärungspflicht gebiete die Vernehmung des Zeugen nicht, zumal dieser bereits angegeben habe, so auszusagen wie in seiner bisherigen Einlassung.
b) Die Rüge ist unbegründet.
Allerdings erscheint die Annahme des Landgerichts nicht unbedenklich, dass der Antrag vom 16. Januar 2024 lediglich auf eine unzulässige Wiederholung der Beweisaufnahme gerichtet und deshalb kein Beweisantrag sei, woran auch der Wechsel in der Verfahrensrolle nichts ändere. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wird zwar die gerichtliche Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) regelmäßig nicht verletzt, wenn ein früherer Mitangeklagter nach Verfahrensabtrennung nicht nochmals als Zeuge zum Thema seiner ehemaligen Aussage gehört wird (vgl. BGH, Beschluss vom 25. März 2021 – 3 StR 10/20 Rn. 65 ff.). Aber ein Beweisantrag kann nach einem solchen Wechsel der Verfahrensrolle grundsätzlich nicht mit der Begründung abgelehnt werden, dass der Zeuge bereits früher als Mitangeklagter ausgesagt habe und der Antrag deshalb auf die bloße Wiederholung der Beweisaufnahme gerichtet sei (vgl. BGH, Urteil vom 29. März 1984 – 4 StR 781/83, NJW 1985, 76; Beschlüsse vom 11. September 1981 – 2 StR 519/81, NStZ 1981, 487; vom 24. April 1990 – 5 StR 123/90, bei Kusch NStZ 1991, 29; OLG Hamm, Urteil vom 10. November 1967 – 1 Ss 1382/67, NJW 1968, 954; vgl. auch BGH, Urteile vom 31. Mai 1983 – 5 StR 247/83, NStZ 1983, 468; vom 18. Januar 1984 – 2 StR 360/83, StV 1984, 498, 499; vom 22. Juni 1982 – 1 StR 249/81, StV 1982, 507; LR-StPO/Becker, 27. Aufl., § 244 Rn. 177).
Zwar hängt der Beweiswert einer Aussage nicht maßgeblich davon ab, ob sich die Auskunftsperson als Zeuge oder als Mitangeklagter geäußert hat (vgl. BGH, Urteil vom 5. Februar 1963 – 1 StR 265/62, BGHSt 18, 238). Aus der unterschiedlichen Verfahrensrolle können sich aber gerade im Hinblick auf unterschiedliche Anforderungen an die Wahrheitspflicht Anhaltspunkte für eine unterschiedliche Bewertung ergeben (vgl. BGH, Beschluss vom 11. September 1981
– 2 StR 519/81, NStZ 1981, 487). Die Aussage eines zu wahrheitsgemäßen Angaben verpflichteten und hierüber belehrten Zeugen kann einen anderen Inhalt und auch einen anderen Beweiswert haben als die Einlassung eines Angeklagten; deshalb handelt es sich nicht um eine bloße Wiederholung eines schon erhobenen Beweises (vgl. BGH, Urteil vom 31. Mai 1983 – 5 StR 247/83, NStZ 1983, 468).
Ob ausnahmsweise etwas anderes gilt, wenn das Beweisthema – wie hier laut Beweisantrag – mit den früheren Aussagen der als Zeugen benannten Personen übereinstimmt, hat der Bundesgerichtshof bislang offengelassen (vgl. BGH, Urteil vom 31. Mai 1983 – 5 StR 247/83, NStZ 1983, 468 mwN). Hierfür könnte sprechen, dass es für die Prüfung des Beweiswertes nicht erforderlich ist, die Aussage zu wiederholen, sofern sich das Gericht der möglichen Änderung der Bewertungskriterien bewusst ist (vgl. BGH, Urteil vom 22. Juni 1982 – 1 StR 249/81, NStZ 1982, 476, 477). Es soll nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs an einem Beruhen (§ 337 Abs. 1 StPO) des Urteils auf einer möglicherweise fehlerhaften Begründung des Zurückweisungsbeschlusses fehlen können, wenn das Gericht eine Änderung des Aussageinhalts ausdrücklich ausgeschlossen hat (BGH aaO).
Im vorliegenden Fall kann der Senat ein Beruhen schon deshalb ausschließen, weil die Beweislage zur Entführung der Nebenklägerin am 19. April 2020 im Fall II.2d der Urteilsgründe besonders dicht ist, da ihre detaillierten Angaben hierzu durch objektive Beweismittel (u.a. zerbrochene Brille,
Taser und Feuerlöscher am Entführungsort, ausgerissene Haare im Fahrzeug), einen neutralen Zeugen (zum laut ausgetragenen Streit) und die Angaben des mitangeklagten Sohnes des Angeklagten (zum gewaltsamen Zerren in den PKW) gestützt werden.
Cirener Mosbacher Resch von Häfen Werner Vorinstanz: Landgericht Hamburg, 30.01.2024 - 629 KLs 20/20 6500 Js 73/20