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4 StR 60/22

BUNDESGERICHTSHOF StR 60/22 BESCHLUSS vom 15. März 2022 in dem Sicherungsverfahren gegen ECLI:DE:BGH:2022:150322B4STR60.22.0 Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 15. März 2022 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:

1. Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 2. Dezember 2021 mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) angeordnet. Die hiergegen gerichtete, auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Beschuldigten hat Erfolg.

I.

1. Nach den Feststellungen leidet der Beschuldigte zumindest seit dem Jahr 2015 an einer paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie, die sich bei ihm in „Verfolgungsideen und Derealisationserleben, bizarren Wahninhalten, Beeinträchtigungswahn sowie akustischen Halluzinationen in Form von Stimmenhören sowie möglicherweise auch halluzinatorischem Erleben“ zeigt.

Am 16. April 2021 gegen 18.45 Uhr entzündete der Beschuldigte eine Matratze in einem unbewohnten, baufälligen Wohnhaus in Gütersloh, in dem sich u. a. weitere Einrichtungsgegenstände befanden. Er erkannte dabei die nicht fernliegende Möglichkeit, dass das Feuer auf die Gebäudesubstanz übergreifen könnte, und fand sich hiermit ab. Das Gebäude, das aufgrund eines größeren Brandes in der Vergangenheit abgerissen werden sollte, nutzten trotz seiner Baufälligkeit und mutmaßlicher Einsturzgefahr Obdachlose als Unterschlupf und Schlafstätte. Dies war dem Eigentümer, der von den Ordnungsbehörden zu Sicherungsmaßnahmen angehalten worden war, bekannt.

Das Feuer ging von der Matratze auf eine Tür und auf Lamellen einer Jalousie über. Ein Passant wurde aufgrund der Flammen und der starken Rauchentwicklung aufmerksam und rief in das Gebäude hinein. Zwei Bewohner des Nachbarhauses kamen hinzu. Als der Beschuldigte an einem Fenster des Gebäudes erschien, forderten ihn der Passant und der Nachbar auf, herauszukommen. Der Beschuldigte erwiderte, er müsse zunächst weitere Sachen von Toten – Uhren oder Urnen – verbrennen. Die Zeugen bestanden darauf, dass er das Gebäude verlasse. Dies tat der Beschuldigte und wartete auf das Eintreffen der Rettungskräfte. Die Feuerwehr löschte den Brand, bevor er auf die Gebäudesubstanz übergreifen konnte. Ein nennenswerter Sachschaden entstand nicht.

2. Das Landgericht hat das Verhalten des Beschuldigten als rechtswidrige Tat der versuchten Brandstiftung (§ 306 Abs. 1 Nr. 1, § 22 StGB) gewertet, bei der sich die Aufhebung seiner „Einsichts- und Steuerungsfähigkeit“ nicht ausschließen lasse.

3. Bei den weiteren in der Antragsschrift aufgeführten Anlasstaten (versuchte Brandstiftung sowie Sachbeschädigung) hat sich die Strafkammer nicht von der Täterschaft des Beschuldigten zu überzeugen vermocht.

II.

Die Unterbringung des Beschuldigten hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand, weil die Beurteilung seiner Schuldfähigkeit durchgreifend rechtsfehlerhaft ist.

1. Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstat schuldunfähig oder erheblich vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht. Dabei muss es sich um einen länger andauernden, nicht nur vorübergehenden Defekt handeln, der zumindest eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB sicher begründet (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 10. November 2021 – 5 StR 424/21 Rn. 7 und vom 18. Mai 2021 – 6 StR 191/21 Rn. 5 mwN).

2. Eine dem entsprechende Feststellung fehlt. Die Ausführungen der Strafkammer beschränken sich darauf, dass eine Aufhebung der „Einsichts- und Steuerungsfähigkeit“ des Beschuldigten nicht auszuschließen sei (UA 7, 20, 22 und 23). Dass der Beschuldigte zumindest im Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit im Sinne von § 21 StGB handelte, lässt sich den Urteilsgründen auch in ihrer Gesamtheit nicht entnehmen. Die mitgeteilte Diagnose einer paranoiden Schizophrenie führt für sich genommen noch nicht zur Feststellung einer generellen oder zumindest längere Zeiträume überdauernden gesicherten erheblichen Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Juli 2021 – 1 StR 190/21 Rn. 11). Die konkretisierende Darlegung, auf welche Weise sich die festgestellte psychische Störung bei der Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Beschuldigten in der konkreten Tatsituation und damit auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (st. Rspr.; vgl. BGH,

Beschlüsse vom 23. Juni 2021 – 4 StR 81/21 Rn. 8 und vom 4. Dezember 2018 – 4 StR 443/18 Rn. 6; zur erforderlichen Differenzierung zwischen Einsichtsfähigkeit und Steuerungsfähigkeit vgl. BGH, Beschluss vom 7. November 2018 ‒ 5 StR 449/18 Rn. 7), fehlt.

3. Der Senat hebt die Feststellungen insgesamt auf (§ 353 Abs. 2 StPO), um dem neuen Tatgericht widerspruchsfreie neue Feststellungen zu ermöglichen.

III.

Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:

1. Der Tatrichter hat die der Unterbringungsanordnung zugrunde liegenden Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 23. Juni 2021 – 4 StR 81/21 Rn. 7 und vom 21. Februar 2017 – 3 StR 535/16 Rn. 7). Schließt er sich der Beurteilung eines Sachverständigen an, muss er dessen wesentliche Anknüpfungspunkte und Darlegungen im Urteil so wiedergeben, wie dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich ist, damit das Rechtsmittelgericht prüfen kann, ob die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage beruht und die Ergebnisse nach den Gesetzen der Logik, den Erfahrungssätzen des täglichen Lebens und den Erkenntnissen der Wissenschaft möglich sind (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 3. Dezember 2020 – 4 StR 371/20 Rn. 15 mwN). Die bloße Wiedergabe von Diagnosen reicht dafür in der Regel nicht aus. Vielmehr sind auch die Anknüpfungs- und Befundtatsachen mitzuteilen. Die bloße Feststellung von stationären Aufenthalten ist für sich genommen ohne Aussagekraft.

2. Für einen (bedingten) Brandstiftungsvorsatz des Beschuldigten genügt es nicht, dass die Möglichkeit eines Übergreifens des Feuers auf die Gebäudesubstanz für ihn erkennbar war. Die objektive Gefährlichkeit seines Handelns als Indiz für sein tatsächliches Vorstellungsbild hängt von der konkreten Tatsituation ab. Insoweit war etwa den Gründen des angefochtenen Urteils nicht zu entnehmen, wo sich die vom Feuer ergriffenen weiteren Gegenstände befanden; laut der Antragsschrift lagen sie auf dem Fußboden. Das neue Tatgericht wird ferner eine Eigengefährdung des Beschuldigten vorsatzkritisch zu bedenken und zu prüfen haben, ob dessen Aufgabe des Vorhabens, weitere Sachen zu verbrennen, einen Rücktritt von einem aus seiner Sicht noch unbeendeten Versuch der Brandstiftung darstellen könnte.

3. Die Annahme einer Sachbeschädigung käme nur in Betracht, wenn ein irgendwie geartetes Gebrauchs- oder Affektionsinteresse des Eigentümers an einer durch die Anlasstat beschädigten Sache festzustellen wäre (vgl. RGSt 10, 120, 122; BayObLG MDR 1993, 999; Wieck-Noodt in MüKo-StGB, 3. Aufl., § 303 Rn. 14; Wolff in LK-StGB, 12. Aufl., § 303 Rn. 4) oder der Beschuldigte dies zumindest billigend in Kauf nahm (Versuch).

4. Bei der Gefahrenprognose ist die wenig schwerwiegende und – soweit ersichtlich – nicht in einem inneren Zusammenhang mit seiner festgestellten Erkrankung stehende Vordelinquenz des Beschuldigten in die Gesamtwürdigung einzustellen (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Februar 2020 – 2 StR 436/19 Rn. 7 f.).

5. Die weiteren Taten, die Gegenstand der Antragsschrift waren, können nicht mehr als Anlasstaten für die Unterbringung nach § 63 StGB herangezogen werden. Insoweit kann der Beschuldigte nicht schlechter stehen als ein teilfreigesprochener Angeklagter im Strafverfahren, der sich mit seiner Revision mangels Beschwer gegen den Teilfreispruch nicht wenden kann. Allerdings können die weiteren Vorwürfe, sofern sie auf Grund neuer Feststellungen für erwiesen erachtet werden, vom neuen Tatgericht bei der Beurteilung der Gefährlichkeit des Beschuldigten mitberücksichtigt werden (vgl. BGH, Beschlüsse vom 3. Dezember 2020 – 4 StR 371/20 Rn. 20 und vom 9. April 2013 – 5 StR 120/13, BGHSt 58, 242 Rn. 14).

Quentin Maatsch Bartel Scheuß Sturm Vorinstanz: Landgericht Bielefeld, 02.12.2021 ‒ 20 KLs 26/21 446 Js 160/21

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