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IX ZR 39/20

BUNDESGERICHTSHOF IX ZR 39/20 BESCHLUSS vom 2. November 2021 in dem Rechtsstreit ECLI:DE:BGH:2021:021121BIXZR39.20.0 Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter Grupp, die Richterin Möhring, den Richter Dr. Schultz, die Richterin Dr. Selbmann und den Richter Dr. Harms am 2. November 2021 beschlossen:

Auf die Beschwerde des Beklagten wird die Revision gegen das Urteil des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Braunschweig vom 23. Januar 2020 zugelassen.

Auf die Revision des Beklagten wird das vorbezeichnete Urteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Wert für das Revisionsverfahren wird auf 45.000 € festgesetzt.

Gründe:

I. 1 Die Parteien streiten um die Rückzahlung eines privaten Darlehens. 2 Der Kläger verlangte von dem Beklagten, seinem Bruder, erstmals im August 2018 unter Vorlage eines auf den 12. März 2010 datierten Darlehensvertrags die Rückzahlung von 45.000 € nebst Zinsen. Er hat behauptet, der Vertrag sei am 12. März 2010 von beiden Brüdern im Büro des Beklagten unterschrieben worden; hierbei sei der Zeuge B.

bei offener Tür vor dem Büro anwesend gewesen. Der Beklagte hat die Unterschrift unter dem Darlehensvertrag als seine eigene anerkannt, aber die Echtheit des über seiner Unterschrift stehenden Textes und dessen inhaltliche Richtigkeit unter Behauptung eines vom Kläger vorgenommenen Blankettmissbrauchs bestritten. Zum Beweis seiner Behauptung, dass die Unterschrift des Klägers im Jahr 2018 geleistet worden sei, während seine eigene (Blanko-)Unterschrift bereits aus dem Jahr 2010 stamme, hat der Beklagte die Einholung eines "graphologischen Gutachtens" angeboten.

Das Landgericht hat der Klage nach Vernehmung des Zeugen B. stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat das erstinstanzliche Urteil mit Ausnahmen eines Teils der Zinsforderung nach persönlicher Anhörung des Beklagten bestätigt. Ein Sachverständigengutachten wurde nicht eingeholt, weil ein graphologisches Gutachten offensichtlich ungeeignet sei, zu klären, ob die Unterschriften im Abstand von acht Jahren geleistet wurden. Das rügt die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten als Verletzung rechtlichen Gehörs.

II.

Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Nichtzulassungsbeschwerde ist begründet und führt gemäß § 544 Abs. 9 ZPO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Das angefochtene Urteil beruht auf einer Verletzung des Anspruchs des Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG.

1. Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Dabei soll das Gebot des rechtlichen Gehörs als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, welche ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben. In diesem Sinn gebietet Art. 103 Abs. 1 GG in Verbindung mit den Grundsätzen der Zivilprozessordnung die Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge. Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG in Verbindung mit den Grundsätzen der Zivilprozessordnung, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze findet (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 23. März 2021 - II ZR 5/20, NJW-RR 2021, 986 Rn. 8 mwN).

Bei der Zurückweisung eines Beweisantrags wegen Ungeeignetheit des Beweismittels ist äußerste Zurückhaltung geboten. Sie kommt nur dann in Betracht, wenn es völlig ausgeschlossen erscheint, dass die Beweiserhebung sachdienliche Erkenntnisse erbringen kann (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 21. November 2019 - V ZR 101/19, WuM 2020, 239 Rn. 10 mwN).

2. Die Nichtzulassungsbeschwerde beanstandet zu Recht, dass das Berufungsgericht die von dem Beklagten beantragte Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Zeitpunkt der Unterschriftsleistungen nicht wegen Ungeeignetheit des Beweismittels hätte ablehnen dürfen.

a) Dem Berufungsgericht ist zwar zuzugeben, dass die Einholung eines vom Beklagten beantragten "graphologischen" oder schriftvergleichenden Gutachtens zum Beweis für die Behauptung des Beklagten, die beiden Unterschriften seien im zeitlichen Abstand von acht Jahren geleistet worden, nicht geeignet wäre.

Ein graphologisches Gutachten macht sich zur Aufgabe, die Charaktereigenschaften oder die Persönlichkeit eines Schrifturhebers zu ermitteln. Ein derartiges Gutachten wäre offensichtlich weder zur - hier nicht erforderlichen - Bestimmung der Urheberschaft der Unterschrift noch zur Bestimmung des Zeitpunkts einer Unterschriftenleistung geeignet.

Demgegenüber handelt es sich bei einem schriftvergleichenden Gutachten um ein grundsätzlich taugliches Beweismittel, welches darauf gerichtet ist, aus der feststehenden Urheberschaft einer Vergleichsschrift Rückschlüsse auf die Urheberschaft der Beweisurkunde zu ziehen (Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, Kap. 27 Rn. 60 ff). Nachdem im Streitfall die Echtheit der Unterschriften der Parteien nicht im Streit stand, war eine Beweiserhebung hierzu nicht erforderlich. Eine Feststellung des Inhalts, dass zwei Unterschriften im zeitlichen Abstand von wenigen Jahren geleistet worden sind, ist durch ein schriftvergleichendes Gutachten nicht zu treffen.

b) Verfahrensfehlerhaft hat das Berufungsgericht aber die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Altersbestimmung der fraglichen Unterschriften mittels physikalischer und chemischer Methoden nicht erwogen. Der Beweisantrag des Beklagten war nicht auf die Einholung eines "graphologischen" oder schriftvergleichenden Gutachtens beschränkt.

aa) Gemäß § 403 ZPO wird der Sachverständigenbeweis durch die Bezeichnung der zu begutachtenden Punkte angetreten. Zur Beweiserleichterung wird von der beweispflichtigen Partei keine wissenschaftliche (sachverständige) Substantiierung der unter Beweis gestellten Tatsachen verlangt. Es muss vielmehr nur das Ergebnis mitgeteilt werden, zu dem der Sachverständige kommen soll, nicht der Weg, auf dem dies geschieht (BGH, Urteil vom 10. Oktober 1994 - II ZR 95/93, NJW 1995, 130, 131).

bb) Ersichtlich wollte der Beklagte durch ein Sachverständigengutachten festgestellt wissen, dass seine Unterschrift unter dem im Jahr 2018 als Darlehensvertrag vorgelegten Dokument bereits im Jahr 2010 und die des Klägers im Jahr 2018 geleistet worden ist. Weitere Angaben waren für den Beweisantritt nicht erforderlich, insbesondere musste der Beklagte keine geeignete Untersuchungsmethode und keinen geeigneten Sachverständigen benennen (vgl. Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, Kap. 45 Rn. 5).

Es erscheint im Streitfall nicht völlig ausgeschlossen, dass mittels einer physikalischen oder chemischen Untersuchung der zur Unterschriftsleistung verwendeten Tinte eine Bestimmung des Alters der Unterschriftsleistung möglich wäre. Mittels derartiger Untersuchungsmethoden können im Einzelfall anhand der Feststellung des Alters und der Zusammensetzungen des Schreibmaterials Rückschlüsse auf den behaupteten Zeitpunkt der Unterschriftsleistung gezogen werden (vgl. Ahrens, aaO Rn. 64; vgl. auch Löwe-Rosenberg/Krause, StPO, 27. Aufl., § 93 Rn. 5). Dadurch kann etwa festgestellt werden, ob die verwendete Tinte oder das Papier zum Zeitpunkt der behaupteten Unterschriftsleistung überhaupt schon existierte.

3. Die Gehörsverletzung ist entscheidungserheblich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht ohne die Gehörsverletzung ein physikalisch-chemisches Gutachten zum Zeitpunkt der Unterschriftsleistungen der Parteien eingeholt hätte. Für den Fall, dass mittels Sachverständigengutachtens das vom Beklagten behauptete zeitliche Auseinanderfallen der Unterschriftsleistungen der Parteien nachgewiesen werden könnte, wäre ebenfalls nicht ausgeschlossen, dass dem Beklagten - in Zusammenschau mit seinem weiteren Vortrag - der gemäß § 440 Abs. 2, § 292 Satz 1 ZPO zur Widerlegung der Echtheitsvermutung des Darlehensvertrags erforderliche Beweis des Gegenteils gelingt.

Grupp Möhring Schultz Selbmann Harms Vorinstanzen: LG Braunschweig, Entscheidung vom 24.05.2019 - 9 O 3504/18 OLG Braunschweig, Entscheidung vom 23.01.2020 - 8 U 77/19 -

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