2 Ni 42/12 (EP)
BUNDESPATENTGERICHT Ni 42/12 (EP) (Aktenzeichen)
IM NAMEN DES VOLKES URTEIL An Verkündungs Statt zugestellt am:
29. September 2014 …
In der Patentnichtigkeitssache …
BPatG 253 08.05 betreffend das europäische Patent 2 112 452 (DE 60 2007 006 059)
hat der 2. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 15. Mai 2014 unter Mitwirkung des Richters Merzbach, als Vorsitzenden, sowie der Richter Paetzold, Dr.-Ing. Fritze, Dipl.-Ing. Univ. Rothe und Dipl.-Ing. Wiegele für Recht erkannt:
I. Das europäische Patent EP 2 112 452wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland insoweit für nichtig erklärt, als es über folgende Patentansprüche hinausgeht:
1. Air or fire rifle with noise dampener of the type comprising a firing mechanism, an over-moulded or over-injected barrel (1), a chamber, said air or fire rifle comprising an over-moulded or over-injected noise dampener (3) on the mentioned barrel (1), so that the barrel (1) and dampener (3) form a single part.
2. Air or fire rifle in accordance with claim 1 characterised in that the noise dampener (3) insulating mechanism comprises an acoustic labyrinth, formed by at least two parts (4,5) that fit together and with respect to the inside of the noise dampener, determine a space between the two parts as an extension of the mentioned chamber.
3. Air or fire rifle in accordance with claim 1 characterised in that it comprises a sight (6) fixed to the noise dampener (3).
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin zu 1/3 und die Beklagte zu 2/3.
III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand Die Beklagte ist im europäischen Patentregister als Inhaberin des europäischen Patents EP 2 112 452 mit der Bezeichnung „Fire arm or sports gun with silencer“ eingetragen, das am 21. April 2010 in englischer Sprache veröffentlicht wurde und und das vom Deutschen Patent- und Markenamt unter der Nummer DE 60 2007 006 059 geführt wird. Das Streitpatent geht zurück auf eine PCTAnmeldung mit der Veröffentlichungsnummer WO 2008 / 084 345 A1 vom 17. Juli 2008 (in spanischer Sprache) und nimmt die Priorität einer spanischen Gebrauchsmusteranmeldung vom 12. Januar 2007 (ES 2007 001 01 U) in Anspruch. Das Patent umfasst 3 Patentansprüche. Der erteilte Patentanspruch 1 lautet in der englischen Originalfassung:
Air or fire rifle with noise dampener of the type comprising a firing mechanism, a barrel (1), a chamber, said air or fire rifle comprising an over-moulded or over-injected noise dampener (3) on the mentioned barrel (1), so that the barrel (1) and dampener (3) form a single part.
Der erteilte Patentanspruch 1 lautet in deutscher Übersetzung nach Korrektur eines hier kursiv gesetzten offensichtlichen Druckfehlers gemäß der Streitpatentschrift:
Luft- oder Feuergewehr mit Schalldämpfer, das einen Auslösemechanismus, ein Rohr (1) und eine Kammer umfasst, wobei das Luft- oder Feuergewehr über dem Rohr (1) einen angeformten oder angespritzten Schalldämpfer (3) aufweist, so dass Rohr (1) und der Dämpfer (3) einstückig ausgebildet sind.
Zum Wortlaut der auf Anspruch 1 rückbezogenen Unteransprüche 2 und 3 wird auf die Streitpatentschrift Bezug genommen.
Die Klägerin macht gegenüber dem Streitpatent unter Berufung auf die von ihr vorgelegten Druckschriften D1 ES 1065590U (prioritätsbegründende Anmeldung des Streitpatents)
D1a Deutsche Übersetzung der D1 D2 WO 2008/084345 A1 (internationale Veröffentlichung der Anmeldung, aus der das Streitpatent hervorgeht) D3 EP 1 247 057 B1 D4 EP 1 117 970 B1 D5 EP 0772 758 B1 D6 US 3 299 558 A D7 US 4 769 938 A D8 US 6 575 074 B1 D9 US 1017 003 A D10 US 2 448 382 A D11 US 1 111 202 A D12 US 7 073 426 B1 D13 US 5 315 914 A D14 EP 0 961 096 B1 D15 US 916 885 A D16 US 6 758 004 B2 D17 DE 28 25 899 A1 D18 DE 695 06 416 T2 (Übersetzung von D5) D19 DE199 35 929C1 (Prio von D4) D20 DE 42 31 183 C1 D21 DE 100 01 374 C1 (Prio von D3) D22 DE 1 553 966 A D23 DE 37 00 398 A1 D24 AT 153 280 B zunächst den Nichtigkeitsgrund der fehlenden Patentfähigkeit geltend. Dazu trägt sie vor, dass das Streitpatent nicht die Priorität des spanischen Gebrauchsmusters gemäß D1 in Anspruch nehmen könne, weil die D1 eine Feuer- oder Sportwaffe mit Schalldämpfer („silenciador“), die D2 hingegen eine solche Waffe mit einer Lärmminderungseinrichtung „reductor de sonido“) beanspruche. Zudem sei beim Übergang von der internationalen PCT-Anmeldung gemäß D2 zur europäischen Anmeldung der Begriff „Sportwaffe“ durch den Begriff „Luftgewehr“ ersetzt worden. Die darin liegende unzulässige Erweiterung gemäß Art. 123 (2) EPÜ verhindere gleichzeitig eine wirksame Inanspruchnahme der von der PCT-Anmeldung D2 in Anspruch genommenen Priorität der spanischen Gebrauchsmusteranmeldung D1. Demnach gehöre die D1, deren Anmeldung am 1. Oktober 2007 und damit ca. 4 Wochen vor der Anmeldung gemäß D2 (PCT-Anmeldung) veröffentlicht worden sei, sowohl für die D2 als auch für das daraus abgeleitete Streitpatent und den sich daraus ergebenden deutschen Teil zum Stand der Technik. Ausgehend davon sei aber der patentgemäße Gegenstand gegenüber dem genannten Stand der Technik sowohl nach D1, aber auch nach D6, D7, D9, D23 und D24 nicht neu und beruhe zudem gegenüber D23 bzw. D24 mit D6 bzw. D7 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Überdies ist sie der Auffassung, dass das Patent die Erfindung nicht so deutlich und vollständig offenbare, dass ein Fachmann sie ausführen könne.
Die Klägerin beantragt,
das europäische Patent EP 2 112 452 im Umfang der erteilten Ansprüche 1 – 3 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen; hilfsweise beantragt sie, dem Streitpatent die Fassung des in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Hilfsantrags zu geben.
Hinsichtlich des Wortlauts von Patentanspruch 1 einschließlich der auf diesen rückbezogenen und der erteilten Fassung entsprechenden Patentansprüche 2 und 3 gemäß Hilfsantrag wird auf den Tenor der Entscheidung Bezug genommen.
Die Beklagte tritt den Ausführungen der Klägerin in allen Punkten entgegen. Der Gegenstand des Streitpatents sei patentfähig, jedenfalls in der Fassung des Hilfsantrags. Es mangele ihm gegenüber dem Stand der Technik weder an Neuheit noch an erfinderischer Tätigkeit. Insbesondere könne das Streitpatent auch die Priorität des spanischen Gebrauchsmusters D1 beanspruchen, da dieses „dieselbe Erfindung“ betreffe. Eine unzulässige Erweiterung liege ebenfalls nicht vor.
Zur Erläuterung ihres Vorbringens hat die Beklagte die Dokumente MB1 bis MB13 vorgelegt.
Die Klägerin hat gegenüber dem in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Hilfsantrag eine verspätete Vorlage gerügt. Sie hat ferner geltend gemacht, dass der Hilfsantrag eine unzulässige Schutzbereichserweiterung gemäß Art. 123 Abs. 3 EPÜ enthalte.
Der Senat hat den Klägervertretern eine Schriftsatzfrist nach §§ 99 Abs. 1 PatG, 283 ZPO zur Erwiderung auf den in der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsantrag bis zum 18. August 2014 eingeräumt.
In seinem qualifizierten Hinweis (§ 83 Abs. 1 PatG) vom 13. Januar 2014 hat der Senat die Parteien u. a. darauf hingewiesen, dass ein Unterschied zur prioritätsbegründenden Schrift in den oberbegrifflichen Merkmalen liegen dürfte, da nach der Prio- und der PCT-Anmeldung ein umgossener oder umspritzter Lauf, nach dem Streitpatent aber ein Lauf, also auch ein nicht umgossener oder nicht umspritzter Lauf, vorgesehen sei. Gegenüber einem Gewehr mit einem nicht umgossenen oder umspritzten Lauf dürfte die Prio-Schrift demnach Stand der Technik sein und müsste, da sie gegenüber der PCT-Anmeldung vorveröffentlicht ist, dann auch zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit herangezogen werden. Zum weiteren Inhalt des qualifizierten Hinweises wird auf Bl. 290 – 293 d. A. Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf den Akteninhalt verwiesen.
Entscheidungsgründe Die zulässige Klage, mit der die in Artikel II § 6 Absatz 1 Nr. 1 und 3 IntPatÜG, Artikel 138 Absatz 1 lit. a) und c) EPÜ i. V. m. Artikel 54 Absatz 1, 2 und Artikel 56 EPÜ vorgesehenen Nichtigkeitsgründe der mangelnden Patentfähigkeit, der unzulässigen Erweiterung sowie – gegenüber dem Hilfsantrag – einer unzulässigen Erweiterung des Schutzbereichs (Artikel II § 6 Absatz 1 Nr. 1 und 3 IntPatÜG, Artikel 138 Abs. 1 lit. d) i. V. m. Art. 123 Absatz 3 EPÜ geltend gemacht werden, ist teilweise begründet, nämlich soweit die erteilte Fassung betroffen ist. Dem Streitpatent stehen insoweit die Nichtigkeitsgründe der mangelnden Patentfähigkeit sowie der unzulässigen Erweiterung entgegen (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 3 IntPatÜG, Art. 138 Abs. 1 lit. c) EPÜ bzw. Artikel 138 Abs. 1 lit. a) EPÜ i. V. m. Artikel 56 EPÜ). Hingegen ist die Fassung des Streitpatents nach Hilfsantrag gegenüber dem einschlägigen Stand der Technik neu und beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit; eine Erweiterung des Schutzbereichs liegt insoweit ebenfalls nicht vor. Die Klage ist daher insoweit unbegründet.
I.
1. Das Streitpatent bezieht sich auf ein Luft- oder Feuergewehr mit Schalldämpfer. In der Beschreibung wird ausgeführt, dass im Stand der Technik bekannt gewesen sei, dass die Wirkung eines Schalldämpfers darin bestehe, dass er die Lärmbelastung reduziere, indem er Geräusche dämpfe. Ferner sei Stand der Technik, dass der Schalldämpfer bislang separat an den Lauf der Waffe gekoppelt werden musste (Abs. [0002]). Diese Koppelung des Schalldämpfers mit dem Lauf des Visiers wird im Klagepatent kritisiert, weil danach leichte Verschiebungen auftreten könnten und deswegen die Waffe – nach dem Koppeln – kalibriert bzw. zentriert werden müsse. Ferner wird angeführt, dass zwei Teile zu fertigen (Gewehr und Schalldämpfer) wirtschaftlich teurer sei, als nur ein Teil zu fertigen.
2. Die Aufgabe, die der Erfindung zugrunde liegt, besteht darin, die Leistungsfähigkeit der Waffe zu erhöhen und Geräusche zu reduzieren, wobei eine wirtschaftlich vorteilhafte Konstruktion zu finden war, die die aus dem Stand der Technik bekannten Kopplungsmechanismen entbehrlich machte (Abs. [0007, 0008]). Darüber hinaus ist Aufgabe, das Zentrieren des Visiers entfallen zu lassen (Abs. [0010]) und den Dämpfungsmechanismus zu verbessern (Abs. [0011]).
3. Die erfindungsgemäße Lehre besteht darin, Rohr und Dämpfer in einem Stück auszubilden. Das Klagepatent schlägt zur Lösung eine Vorrichtung mit folgenden Merkmalen vor:
1.1 Luft- oder Feuergewehr 1.2 mit Schalldämpfer, 1.3 das einen Auslösemechanismus, 1.4 ein Rohr (1) 1.5 und eine Kammer umfasst, wobei 1.6 das Luft- oder Feuergewehr über dem Rohr (1) einen angeformten oder angespritzten Schalldämpfer (3) aufweist, 1.7 so dass Rohr (1) und der Dämpfer (3) einstückig ausgebildet sind.
4. Als Fachmann ist ein Waffentechniker oder Büchsenmachermeister mit mehrjähriger Erfahrung in der Konstruktion und Herstellung von Schusswaffen anzusehen, der vertiefte Kenntnisse in der Fertigungstechnik verfügt.
II.
Hauptantrag
1. Das Streitpatent kann in der erteilten Fassung bereits deshalb keinen Bestand haben, weil darin der Gegenstand des Streitpatents in der erteilten Fassung über den Inhalt der früheren Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 3 IntPatÜG, Art. 138 Abs. 1 lit. c) EPÜ).
a) Zwar hat die Klägerin den Nichtigkeitsgrund der unzulässigen Erweiterung erst nach Ablauf der im qualifizierten Hinweis vom 14. Januar 2014 gesetzten Frist zur Stellungnahme (7. März 2014) mit Schriftsatz vom 14. April 2014 (Bl. 321 d. A.) erhoben.
Die mit dieser Antragserweiterung verbundene Klageänderung gem. §§ 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 263 ZPO (vgl. BGH, GRUR 2007, 309 – Schussfädentransport; GRUR 2009, 933, Tz. 29 – DruckmaschinenTemperierungssystem II; vgl. auch Keukenschrijver, Patentnichtigkeitsverfahren, 5. Aufl., Rdnr. 229) ist jedoch zulässig und auch nicht nach § 83 Abs. 4 PatG als verspätet zurückzuweisen.
aa) Zu der vom Senat im qualifizierten Hinweis vom 14. Januar 2014 angesprochenen Frage einer fehlenden Patentfähigkeit vor dem Hintergrund einer unwirksamen Inanspruchnahme der Priorität des spanischen Gebrauchsmusters ES 1 065 590 hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 7. März 2014 u. a. zur Frage einer – zu diesem Zeitpunkt noch nicht geltend gemachten und daher vom Senat in obengenanntem Hinweis auch nicht angesprochenen – möglichen unzulässigen Erweiterung vorgetragen (Bl. 304 f. d. A.), worauf die Klägerin mit Schriftsatz vom 14. April 2014 erwidert hat (Bl. 321 d. A.), dass die für eine unwirksame Inanspruchnahme der Priorität der ES 1 065 590 maßgeblichen Umstände auch eine unzulässige Erweiterung nach Art. 123 Abs. 2 EPÜ im Verhältnis PCT-Anmeldung/Streitpatent begründen würden.
Ob die Einlassung der Beklagten im Schriftsatz vom 7. März 2014 und die von ihr selbst angesprochene Frage einer unzulässigen Erweiterung als (vorweggenommene) Einwilligung i. S. v. § 267 ZPO angesehen werden kann (vgl. dazu Thomas/Putzo-Reichold, ZPO, 35. Aufl., § 267 Rdnr. 1), kann dabei offen bleiben. Denn jedenfalls war das Aufgreifen dieser Erweiterung als sachdienlich gemäß § 263 ZPO anzusehen, weil die vom Senat im qualifizierten Hinweis angesprochenen Gesichtspunkte in Zusammenhang mit der Frage einer unwirksamen Inanspruchnahme der Priorität der ES 1 065 590 auch – wie noch näher ausgeführt wird – für den Nichtigkeitsgrund der unzulässigen Erweiterung nach Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 3 IntPatÜG, Art. 138 Abs. 1 lit. c) EPÜ von Bedeutung waren und daher eine umfassende und abschließende Beurteilung des Streitpatents auch unter diesem Gesichtspunkt möglich war.
bb) Die Klageänderung ist auch nicht gemäß § 83 Abs. 4 PatG als verspätet zurückzuweisen, weil diese aufgrund der vorgenannten Umstände ohne weiteres in die mündliche Verhandlung einbezogen werden konnte. Insoweit bestand seitens der Beklagten auch hinreichend Zeit, sich bis zur mündlichen Verhandlung auf die letztlich von ihr selbst aufgeworfene und bereits im Schriftsatz vom 7. März 2014 erörterte Frage vorzubereiten, ob und ggf. inwieweit die vom Senat aufgezeigten Bedenken gegen eine wirksame Inanspruchnahme der prioritätsbegründenden Schrift auch für den Nichtigkeitsgrund einer unzulässigen Erweiterung von Bedeutung sein könnten. Die Beklagte hat in Bezug auf die Klageerweiterung auch keine Verspätung gerügt.
b) Der Gegenstand des Streitpatents geht in der erteilten Fassung über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus (Art. 123 (2) EPÜ).
Nach der PCT-Anmeldung ist ein Luft- oder Feuergewehr mit umgossenem oder umspritztem Lauf mit einem an dem erwähnten Lauf umgossenen oder umspritzten Schalldämpfer vorgesehen (vgl. S. 1, Z. 3 bis 7, S. 4, Z. 9 bis 12 und Anspruch 1). Zwar ist in der Figurenbeschreibung der Begriff Lauf (canon 1) auch ohne den Zusatz
„umgossen“ oder „umspritzt“ („sobremoldeado o sobreinyectado“) verwendet worden; jedoch ist dies im Gesamtzusammenhang als Kurzfassung für den Begriff umgossener oder umspritzter Lauf anzusehen, zumal in den beschriebenen Figuren der Lauf immer mit einer zusätzliche Schicht dargestellt ist (Fig. 2 und 3). Somit offenbaren die Anmeldeunterlagen nur ein Gewehr mit einem umgossenen oder umspritzten Lauf, auf welchen ein Schalldämpfer durch Umgießen oder Umspritzen befestigt wurde.
Im erteilten Patentanspruch wird demgegenüber ein Gewehr mit einem Lauf beansprucht, der einen umgossenen oder umspritzten Schalldämpfer aufweist. Demnach umfasst das patentgemäße Gewehr auch solche mit blankem Lauf, an denen ein Schalldämpfer durch Umgießen oder Umspritzen befestigt wurde. Da solche Gewehre in den Anmeldeunterlagen nicht offenbart sind, geht der Gegenstand des Patents über den Inhalt der PCT-Anmeldung hinaus und ist unzulässig.
2. Dem Streitpatent in der erteilten Fassung steht ferner der Nichtigkeitsgrund der fehlenden Patentfähigkeit entgegen, weil sich die darin beanspruchte Lehre für den Fachmann aus dem Stand der Technik ergibt (Artikel II § 6 Absatz 1 Nr. 1 IntPatÜG, Artikel 138 Abs. 1 lit. a) EPÜ i. V. m. Artikel 56 EPÜ).
Maßgebend dafür ist, dass das Streitpatent die Priorität ES 1 065 590 (D1) nicht wirksam in Anspruch nimmt, da sein Gegenstand nicht dieselbe Erfindung betrifft wie der Gegenstand der Anmeldung (Art. 87 Abs. 1 EPÜ).
Denn auch das für das Streitpatent prioritätsbegründende spanische Gebrauchsmuster ES 1 065 590 offenbart – wie die PCT-Anmeldung – nur ein Gewehr mit einem umgossenen oder umspritzten Lauf, auf welchem ein Schalldämpfer durch Umgießen oder Umspritzen befestigt ist, während – wie bereits dargelegt – das patentgemäße Gewehr auch solche mit blankem Lauf, an denen ein Schalldämpfer durch Umgießen oder Umspritzen befestigt wurde, umfasst.
Folglich beansprucht der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 diese Priorität zu Unrecht. Somit ist das spanische Gebrauchsmuster Stand der Technik und kann, da es vorveröffentlicht ist, auch zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit herangezogen werden. Da es nicht als erfinderisch angesehen werden kann, den aus der Prio-Schrift bekannten Vorteil, einen Lauf mit Schalldämpfer als ein Bauteil zu erhalten, auch bei einem Gewehr anzuwenden, welches keinen umgossenen oder umspritzten Lauf hat, ist der Gegenstand des Streitpatents auch aus diesem Grund nicht bestandsfähig.
Zum Hilfsantrag
1. Der Gegenstand des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag 1 ist neu und beruht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Der Anspruch 1 unterscheidet sich von dem gemäß Hauptantrag dadurch, dass Merkmal 1.4 nunmehr lautet:
- an over-molded or over-injected barrel (1).
a) Diese Änderung ist zulässig. Sie geht auf die Offenbarung in der PCT-Anmeldung (z. B. Anspruch 1) sowie die Figuren 2 und 3 der Patentschrift zurück, wo auf dem Gewehrlauf eine sich über den Schalldämpfer und den Lauf erstreckende gleichartige Schicht gezeigt wird. Somit offenbaren die Figuren 2 und 3 der Patentschriften über dem Rohr angeformten oder angespritzten Schalldämpfer als auch den umspritzten Lauf. Folglich beseitigt diese Änderung die beim Gegenstand des Hauptantrags vorliegende unzulässige Erweiterung.
b) Entgegen der Auffassung der Klägerin ist mit dem Gewehr nach Anspruch 1 des Hilfsantrags auch der Schutzbereich des Patents nicht erweitert worden.
Der Schutzbereich des Patents betrifft nämlich Gewehre mit einem Lauf, wobei das Gewehr über dem Lauf einen umgossenen oder umspritzten Schalldämpfer aufweist. Demnach fallen unter den Wortlaut des Patents jedwede Läufe und somit auch umgossene oder umspritzte Läufe. Folglich liegt eine Beschränkung vor, die auch zulässig ist, da sie in den Anmeldeunterlagen und der Patentschrift offenbart ist.
c) Anders als beim Hauptantrag kann das Streitpatent in der Fassung des Hilfsantrags die Priorität des spanischen Gebrauchsmuster ES 1 065 590 (D1) in Anspruch nehmen, so dass diese Druckschrift bei der Beurteilung der Rechtsbeständigkeit des Streitpatents in der Fassung des Hilfsantrags außer Betracht bleiben muss.
Bei Anmeldung eines Patents kann das Prioritätsrecht einer vorangegangenen Anmeldung in Anspruch genommen werden, wenn beide dieselbe Erfindung betreffen (Art. 87 Abs. 1 EPÜ). Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn die mit der Nachanmeldung beanspruchte Merkmalskombination in der Voranmeldung in ihrer Gesamtheit als zu der angemeldeten Erfindung gehörend offenbart ist. Davon ist vorliegend auszugehen. Die Gegenstände der spanischen Anmeldung und des Streitpatents in der Fassung des Hilfsantrags sind in diesem Sinne identisch.
aa) Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag beansprucht nunmehr ebenfalls ein Gewehr mit einem umgossenen oder umspritzten Rohr, auf welchem ein Schalldämpfer durch Umgießen oder Umspritzen befestigt ist, wie er in dem prioritätsbegründenden spanischen Gebrauchsmuster ES 1 065 590 offenbart ist.
bb) Ausgehend von der maßgeblichen englischen Fassung des Anspruchs 1 der PCT-Anmeldung ist festzustellen, dass der Begriff "noise dampener" (Lärmminderungseinrichtung) umfassender istals der Begriff „silencer“ (Schalldämpfer). Der Fachmann geht jedoch unter Berücksichtigung der Beschreibung (vgl. insb. Abs. [0018] bis [0020]) davon aus, dass unter dem Begriff "noise dampener" im vorliegenden Fall ein Schalldämpfer zu verstehen ist, so dass auch insoweit Identität zur Voranmeldung besteht.
cc) Aus dem Begriff „arma de deportiva“ (Sportwaffe) in der Prioritätsanmeldung und der PCT-Anmeldung ist im Streitpatent der Begriff „air rifle“ (Luftgewehr) geworden. Dies ist nach Auffassung des Senats eine zulässige Beschränkung, da Luftgewehre, wie allgemein bekannt, zu den Sportwaffen gehören.
dd) Für den Fachmann ist aus der Streitpatentschrift zu entnehmen, dass der Schalldämpfer an das umgossene oder umspritzte Rohr angegossen oder angespritzt wird und hierdurch der Lauf und der Schalldämpfer ein einstückiges Bauteil bilden (Sp. 2, Z. 18 bis 52).
ee) Das Prioritätsrecht der Nachanmeldung wird auch nicht davon berührt, dass ihr Gegenstand erst nach Patenterteilung infolge nachträglicher Beschränkung des Streitpatents gemäß Hilfsantrag deckungsgleich mit der prioritätsbegründenden Anmeldung geworden ist (vgl. BGH, GRUR 2008, 597 – Betonstraßenfertiger; GRUR 2004, 133 – elektronische Funktionseinheit). Entscheidend ist allein, dass der beschränkte Gegenstand in der Nachanmeldung enthalten war und insoweit mit der ersten Anmeldung übereinstimmt. Dies ist aus den zuvor genannten Gründen vorliegend der Fall.
d) Da keine der im Verfahren befindlichen vor dem Prioritätstag veröffentlichten Druckschriften ein Gewehr offenbart, welches über dem Lauf einen umgossenen oder umspritzten Schalldämpfer aufweist, ist der Gegenstand des Anspruchs 1 neu.
e) Der Gegenstand des Streitpatents in der Fassung des Hilfsantrags ergibt sich für einen Fachmann auch nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik.
Der dem Gegenstand des Anspruchs 1 am nächsten kommende Stand der Technik ergibt sich aus der Druckschrift D23.
Anspruch 1 betrifft laut seinem Oberbegriff dort eine Luftdruckwaffe, worunter der Fachmann ein Luft- oder Feuergewehr versteht (Merkmal 1.1). Die Waffe gemäß dieser Schrift umfasst nach Sp. 5, Z. 52 bis 56 ein Rohr, in der eine Bohrung ausgebildet ist, durch die hindurch ein Geschoß abgefeuert wird, und eine Schalldämpfereinrichtung, die zumindest teilweise als einstückiges Teil des Rohres der Waffe ausgebildet ist (Merkmale 1.2, 1.4 und 1.7). Aus Sp. 7, Z. 24 – 45 geht hervor, dass bei der dort gezeigten Waffe ein Abschießmechanismus 40 vorhanden ist, der dem Auslösemechanismus gemäß Merkmal 1.3 entspricht. Dort ist auch offenbart, dass ein Geschoss in das Ende des Rohres 34 nahe bei dem Luftbehälter 24 geladen werden kann. Bei Luftgewehren wird, wie zumindest der Fachmann weiß, das Geschoss am Ende des Laufs eingebracht, wobei dieser Teil des Laufs als Kammer bezeichnet wird (Merkmal 1.5).
Das patentgemäße Gewehr nach dem Hilfsantrag unterscheidet sich somit von diesem Stand der Technik dadurch, dass das Luft- oder Feuergewehr über dem Rohr einen angegossenen oder angespritzten Schalldämpfer aufweist (Merkmal 1.6). Die im Stand der Technik nach D23 gezeigten Schalldämpfer sind jeweils als separates Bauteil mit dem Rohr durch Kleben, Hartlöten, Schweißen oder mittels Befestigungsstift verbunden (Sp. 10, Z. 36 - 39). Eine Anregung, den Schalldämpfer durch Umgießen oder Umspritzen am Rohr anzuformen, ist nicht erkennbar und auch nicht durch das Fachwissen nahegelegt.
Auch aus den Druckschriften D10, D13, D14 und D24 sind jeweils die Merkmale 1.1 bis 1.5 und 1.7 bekannt. Ein Hinweis, den Schalldämpfer durch Umgießen oder Umspritzen anzuformen, ist auch diesen Schriften nicht zu entnehmen.
Bei den Gewehren der Druckschriften D11 und D22, aus denen jeweils die Merkmale 1.1 bis 1.5 bekannt sind, sind die Läufe über ein Gehäuse mit dem Schalldämpfer einstückig verbunden. Rohr und Dämpfer sind demnach nicht einstückig miteinander verbunden. Da die Verbindung zwischen Rohr und Dämpfer mittels des Gehäuses erfolgt, ist hieraus keine Anregung zu entnehmen, dass das Gewehr über dem Lauf einen angeformten oder angespritzten Schalldämpfer aufweist.
Die Gewehre gemäß den Druckschriften D3, D4, D5, D8, D9, D12, D15, D18, D19, D20 und D21 betreffen solche mit lösbar befestigten Schalldämpfern. Aus diesem Stand der Technik geht somit der Gegenstand des Streitpatents nicht hervor.
Die Gewehre nach den Druckschriften D6, D7, D16 und D17 sind noch weiter vom Streitgegenstand entfernt, da sie bereits keinen Schalldämpfer aufweisen.
Demnach führt weder eine der DruckschriftD10, D13, D14, D23 oder D24 allein noch eine Zusammenschau mit den weiteren im Verfahren herangezogenen Druckschriften zum Gegenstand des Patentanspruchs 1 in seiner gemäß Hilfsantrag verteidigten Fassung.
Die Unteransprüche 2 und 3 sind zusammen mit dem Anspruch 1 ebenfalls rechtsbeständig, da sie zweckmäßige, nicht selbstverständliche Ausgestaltungen des Luft- oder Feuergewehrs nach Anspruch 1 des Hilfsantrags betreffen.
2. Der erst in der mündlichen Verhandlung und somit verspätet eingereichte Hilfsantrag war entgegen der Auffassung der Klägerin auch nicht nach § 83 Abs. 4 PatG zurückzuweisen. Obwohl die Beklagte die Verspätung nicht entschuldigt, hat der Senat vorliegend von einer Zurückweisung abgesehen, da dem Erfordernis der Gewährung rechtlichen Gehörs in vorliegendem Fall durch Einräumung einer nachträglichen Schriftsatzfrist gemäß § 99 Abs. 1 PatG, § 283 ZPO Rechnung getragen werden konnte.
Maßgebend dafür ist, dass sich der Hilfsantrag von der nach Hauptantrag verteidigten erteilten Fassung des Streitpatents allein durch das sowohl in der Prioritätsschrift wie in der PCT-Anmeldung offenbarte Merkmal 1.4 „an overmolded or over-injected barrel (1)“, was – wie bereits dargelegt – zum einen zur wirksamen Inanspruchnahme der Priorität der ES 1 065 590 (D1) führt und zum anderen die beim Gegenstand des Hauptantrags vorliegende unzulässige Erweiterung beseitigt. Hingegen ergab sich außer hinsichtlich D1 keine Abweichung in Bezug auf den für die Beurteilung der Patentfähigkeit relevanten Stand der Technik, so dass insoweit die von den Parteien schriftsätzlich dargelegten und erörterten Fragen zum druckschriftlichen Stand der Technik auch für die Beurteilung der Patentfähigkeit des Streitpatents in der Fassung des Hilfsantrags von Bedeutung waren. Zudem war es zu erwarten, dass die Beklagte letztlich die zur unzulässigen Erweiterung bzw. zur unwirksamen Inanspruchnahme der Priorität führende Erweiterung im Merkmal 1.4 des erteilten Patenanspruchs 1 durch eine entsprechende Änderung wieder „zurücknimmt“. Im Hinblick auf das Erfordernis der Gewährung rechtlichen Gehörs war jedoch notwendig, aber auch ausreichend, der Beklagten dazu eine Schriftsatzfrist § 99 Abs. 1 PatG, § 283 ZPO einzuräumen. Die Beklagte hat innerhalb der ihr gewährten Frist keine Umstände bzw. Anhaltspunkte in Bezug auf einen abweichenden Stand der Technik vorgetragen, die eine weitere Erörterung ggf. in einem weiteren Termin erforderlich gemacht hätte.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 99 Abs. 1 PatG, § 709 Satz 1 und 2 ZPO.
IV.
Gegen dieses Urteil kann das Rechtsmittel der Berufung gemäß § 110 PatG eingelegt werden. Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils – spätestens nach Ablauf von fünf Monaten nach Verkündung – durch einen in der Bundesrepublik Deutschland zugelassenen Rechtsanwalt oder Patentanwalt schriftlich zum Bundesgerichtshof, Herrenstraße 45a, 76133 Karlsruhe, einzulegen.
Die Berufungsschrift muss - die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet ist, sowie - die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde,
enthalten. Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden.
Auf die Möglichkeit, die Berufung nach § 125a PatG in Verbindung mit § 2 der Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr beim Bundesgerichtshof und Bundespatentgericht (BGH/BPatGERVV) auf elektronischem Weg zum Bundesgerichtshof einzulegen, wird hingewiesen (s. www. bundesgerichtshof.de/erv.html)
Merzbach Paetzold Dr. Fritze Rothe Wiegele prö