2 StR 372/25
BUNDESGERICHTSHOF StR 372/25 BESCHLUSS vom 27. August 2025 in der Strafsache gegen wegen gefährlicher Körperverletzung ECLI:DE:BGH:2025:270825B2STR372.25.0 Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 27. August 2025 gemäß § 349 Abs. 2 und 4, § 406 Abs. 1 Satz 3, entsprechend § 354 Abs. 1 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bonn vom 10. Februar 2025 im Adhäsionsausspruch aufgehoben, soweit die Ersatzpflicht des Angeklagten für künftige immaterielle Schäden der Adhäsionsklägerin festgestellt worden ist; insoweit wird von einer Entscheidung über den Adhäsionsantrag abgesehen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels, die dadurch entstandenen besonderen Kosten des Adhäsionsverfahrens und die der Neben- und Adhäsionsklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Anklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten und dazu verurteilt, an die Adhäsionsklägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von 25.000 Euro zu zahlen. Es hat ferner festgestellt, dass der Angeklagte verpflichtet ist, der Adhäsionsklägerin künftige aus der Tat entstehende materielle und nicht vorhersehbare immaterielle Schäden zu ersetzen; im Übrigen hat es von einer Adhäsionsentscheidung abgesehen.
Die auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten führt lediglich zu einer Korrektur der Adhäsionsentscheidung, im Übrigen ist sie unbegründet.
1. Die Rüge einer Verletzung des § 261 StPO versagt aus den Gründen der Zuschrift des Generalbundesanwalts. Ergänzend bemerkt der Senat:
a) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts (§ 261 StPO). Ihm allein obliegt es, sich unter dem umfassenden Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu bilden. Das Revisionsgericht hat die tatrichterliche Überzeugungsbildung auch dann hinzunehmen, wenn eine abweichende Würdigung der Beweise möglich gewesen wäre oder sogar nähergelegen hätte (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 16. Dezember 2021 ‒ 3 StR 302/21, Rn. 35; vom 11. März 2021 ‒ 3 StR 183/20, NStZ 2022, 509 f. Rn. 14, und vom 20. Juli 2023 – 4 StR 32/23, Rn. 26). Allerdings hat das Tatgericht den gesamten beigebrachten Verfahrensstoff erschöpfend zu würdigen. In den schriftlichen Urteilsgründen muss es dies erkennen lassen. Umstände, die geeignet sind, die gerichtliche Entscheidung wesentlich zu beeinflussen, dürfen nicht stillschweigend übergangen werden, sondern müssen in eine umfassende Gesamtwürdigung einbezogen werden (vgl. BGH, Urteile vom 26. April 2017 – 5 StR 445/16, Rn. 11; vom 27. Februar 2024 – 4 StR 248/23, Rn. 9; Beschluss vom 28. Januar 2010 – 5 StR 524/09, NStZ-RR 2010, 152, 153 Rn. 6 ff. mwN). Naheliegende Schlussfolgerungen sind zu erörtern (vgl. BGH, Urteil vom 23. Juli 2008 – 2 StR 150/08, Rn. 14, insoweit nicht abgedruckt in BGHSt 52, 314). Bei alledem ist das Tatgericht – über den Wortlaut des § 267 Abs. 1 Satz 2 StPO hinaus – verpflichtet, die wesentlichen Beweiserwägungen in den Urteilsgründen so darzulegen, dass seine Überzeugungsbildung für das Revisionsgericht nachzuvollziehen und auf Rechtsfehler zu überprüfen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 18. November 2020 – 2 StR 152/20, NStZ-RR 2021, 114, 115 Rn. 6 mwN).
b) Diesen Anforderungen wird die Beweiswürdigung des Landgerichts zum Verletzungsvorsatz des Angeklagten gerecht. Das Landgericht hat sich seine Überzeugung, der Angeklagte habe der Nebenklägerin „mit dem Messer in den Hals bzw. Körper stechen und sie so verletzen“ wollen, zunächst auf der Grundlage der „in den wesentlichen Zügen übereinstimmend[en]“ Angaben des Angeklagten und der Nebenklägerin in der Hauptverhandlung gebildet, der Angeklagte habe die Nebenklägerin angegriffen, bäuchlings auf das Bett geworfen, ihren Kopf mit der rechten Hand in eine überstreckte Position geführt und in der linken Hand das mitgebrachte Messer gehalten. Dass der Angeklagte gezielte und damit vorsätzlich verletzende Stiche zunächst in Richtung des Halses und später, als sich das Geschehen zur Wohnungstür verlagert hatte, des rechten Oberschenkels der Nebenklägerin führte, hat das Landgericht entgegen der Einlassung des Angeklagten, die Verletzungen seien durch das Abwehrverhalten der Nebenklägerin entstanden, der von der Strafkammer als glaubhaft gewürdigten Aussage der Nebenklägerin, der objektiven Spurenlage und dem danach nur als mehraktig erklärbaren Geschehen entnommen. Die Befunde des in der Hauptverhandlung als Zeugen vernommenen Hausarztes der Nebenklägerin Dr. S. hat es bei der Bewertung der physischen Folgen der Tat ausdrücklich mit verwertet. Der Senat schließt daher aus, dass dem Landgericht, das als Verletzungsfolgen eine circa 2,2 Zentimeter lange Wunde an der linken Halsseite der mit einem „Hoody“ bekleideten Nebenklägerin, eine circa 1,7 Zentimeter lange Wunde am rechten Oberschenkel und eine circa 1,3 Zentimeter lange Wunde an der rechten Handinnenfläche festgestellt hat, bei der Würdigung der Angaben des Angeklagten die geringe Tiefe der Schnitte aus dem Blick geraten ist.
2. Die Beanstandung, der Angeklagte habe keine Gelegenheit erhalten, sich zu dem in der Hauptverhandlung gestellten Adhäsionsantrag auf Zahlung eines Schmerzensgeldes zu äußern, ist jedenfalls unbegründet (vgl. zu dem nach § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO grundsätzlich erforderlichen Rügevortrag BGH, Beschluss vom 13. Januar 2020 – 1 StR 460/20). Ausweislich des Protokolls wurde bereits der Antrag der Adhäsionsklägerin auf Gewährung von Prozesskostenhilfe zur Anbringung ihrer zugleich vorgelegten Klageanträge in der Hauptverhandlung mit dem Angeklagten erörtert, der dazu ablehnend Stellung nahm. Nach der Gewährung von Prozesskostenhilfe wurden die Anträge in der Hauptverhandlung gestellt; der Angeklagte erhielt Gelegenheit zu einem Schlussvortrag und hatte das letzte Wort. Damit war dem Anspruch des Angeklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs genüge getan. Der Fall liegt anders als der von der Revision angeführte und vom 4. Strafsenat mit Beschluss vom 13. Dezember 1990 (4 StR 519/90, BGHSt 37, 260 ff.) entschiedene Fall, der einen außerhalb der Hauptverhandlung gestellten und in der Hauptverhandlung nicht weiter erörterten Adhäsionsantrag zum Gegenstand hatte. Ob der Senat in einem Fall wie dem dort entschiedenen der Rechtsauffassung des 4. Strafsenats folgen würde, bedarf daher keiner Entscheidung.
3. Die auf die Sachrüge gebotene umfassende Nachprüfung des angefochtenen Urteils hat weder zum Schuld- noch zum Strafausspruch Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Indes hält die Adhäsionsentscheidung der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht in vollem Umfang stand.
a) Nicht zu beanstanden ist die Verurteilung des Angeklagten zur Zahlung von Schmerzensgeld in Höhe von 25.000 Euro. Zwar hat die Strafkammer bei der Bemessung des Schmerzensgeldes eingestellt, der Angeklagte habe mit Tötungsvorsatz gehandelt, ohne diese Annahme in den Urteilsgründen näher zu erörtern und beweiswürdigend zu unterlegen. Angesichts der festgestellten Tatfolgen ist ein Schmerzensgeld in Höhe von 25.000 Euro aber auch dann angemessen, wenn der Angeklagte wie rechtsfehlerfrei festgestellt und beweiswürdigend unterlegt (nur) mit Verletzungsvorsatz zugestochen hat.
b) Indes tragen die Urteilsfeststellungen den zuerkannten Feststellungsanspruch lediglich hinsichtlich zukünftiger materieller Schäden der Adhäsionsklägerin, nicht jedoch hinsichtlich zukünftiger immaterieller Schäden.
Verlangt der Geschädigte für erlittene Verletzungen ein Schmerzensgeld, so werden durch den Klageantrag nach dem Grundsatz der Einheitlichkeit des Schmerzensgeldes alle diejenigen Schadensfolgen erfasst, die entweder bereits eingetreten und objektiv erkennbar sind oder deren Eintritt jedenfalls vorhergesehen und bei der Entscheidung berücksichtigt werden kann; eine darüberhinausgehende Feststellungsklage erfordert deshalb die Wahrscheinlichkeit der Entstehung anderer als bereits bei der Bemessung der Schmerzensgelder in den Blick genommener zukünftiger immaterieller Schäden (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 22. Oktober 2019 - 2 StR 397/19, NStZ-RR 2020, 53; vom 6. Oktober 2021 – 6 StR 389/21, StV 2022, 72, und vom 3. Juli 2024 – 2 StR 192/24, Rn. 6). Aufgrund welcher konkreter Anhaltspunkte bei verständiger Würdigung vorliegend mit dem Eintritt eines noch nicht als Schadensfolge erfassbaren zukünftigen immateriellen Schadens wenigstens zu rechnen sein sollte, ist weder dem Klageantrag noch den Urteilsgründen zu entnehmen. Eine bloß abstrakte theoretische Möglichkeit („nicht vorhersehbare immaterielle Schäden“) genügt nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Juli 2024, aaO, mwN).
In diesem Umfang ist der Adhäsionsausspruch daher aufzuheben und auszusprechen, dass von einer Entscheidung abgesehen wird (§ 406 Abs. 1 Satz 3 StPO; vgl. BGH, Beschlüsse vom 13. März 2024 – 2 StR 238/23, Rn. 11, und vom 8. April 2025 – 2 StR 70/25, Rn. 3).
4. Angesichts des geringen Erfolgs der Revision ist es nicht unbillig, den Angeklagten mit den gesamten Kosten seines Rechtsmittels einschließlich der dadurch entstandenen besonderen Kosten des Adhäsionsverfahrens und den der Neben- und Adhäsionsklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu belasten (§ 473 Abs. 4 StPO)
Menges Schmidt Meyberg Grube RiBGH Dr. Zimmermann ist wegen Urlaubs gehindert zu signieren.
Menges Vorinstanz: Landgericht Bonn, 10.02.2025 - 24 Ks 14/24 - 920 Js 423/24