VIa ZR 1020/22
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES VIa ZR 1020/22 URTEIL in dem Rechtsstreit ECLI:DE:BGH:2025:290125UVIAZR1020.22.0 Der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO, in dem Schriftsätze bis zum 13. Januar 2025 eingereicht werden konnten, durch die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. C. Fischer als Vorsitzende, die Richterin Dr. Brenneisen, die Richter Messing, Dr. Katzenstein und Dr. F. Schmidt für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird der Beschluss des 14. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 30. Juni 2022 aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf bis 45.000 € festgesetzt.
Von Rechts wegen Tatbestand: 1 Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. 2 Er erwarb im Februar 2017 von einem Dritten einen von der Beklagten hergestellten neuen VW Tiguan, der mit einem Dieselmotor der Baureihe EA 288 (Schadstoffklasse Euro 6) ausgerüstet ist.
Der Kläger verlangt im Wesentlichen, ihn im Wege des Schadensersatzes so zu stellen, als habe er den Kaufvertrag nicht abgeschlossen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung ist erfolglos geblieben. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - im Wesentlichen wie folgt begründet:
Eine Haftung des Beklagten wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung scheide aus. Das unstreitig verbaute Thermofenster erfülle unter Berücksichtigung der vom Kläger dargelegten Bedatung nicht die Voraussetzungen für die Annahme einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung. Konkrete Anhaltspunkte für die Behauptung, die Beklagte habe im Typgenehmigungsverfahren hinsichtlich des Thermofensters oder sonstiger Abschalteinrichtungen unvollständige oder falsche Angaben gemacht, nenne der Kläger nicht. Hinsichtlich der Fahrkurvenerkennung fehle es jedenfalls an der Grenzwertrelevanz. Der Vortrag zu anderen Abschalteinrichtungen sei nicht hinreichend substantiiert, um einen Anspruch aus § 826 BGB zu begründen. Jedenfalls scheide eine Haftung der Beklagten wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung aus, weil das KBA hinsichtlich des streitgegenständlichen Motortyps explizit erklärt habe, dass er verschiedentlich überprüft und unter keinem Gesichtspunkt beanstandet worden sei.
Auch Ansprüche des Klägers aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit Art. 12, Art. 18 der Richtlinie (EG) Nr. 46/2007, §§ 4, 6, 25, 27 EG-FGV seien nicht gegeben, weil diese Regelungen nicht drittschützend seien.
II.
Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
1. Allerdings begegnet es keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Insbesondere entspricht es der Rechtsprechung des Senats, dass ein solcher Anspruch hinsichtlich der Fahrkurvenerkennung bei fehlender Grenzwertrelevanz grundsätzlich ausscheidet (vgl. BGH, Urteil vom 6. November 2023 - VIa ZR 535/21, WM 2024, 40 Rn. 11 mwN). Die von der Revision hiergegen erhobenen Verfahrensrügen hat der Senat geprüft und nicht für durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird gemäß § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.
2. Mit Erfolg wendet sich die Revision jedoch dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV abgelehnt hat.
a) Wie der Senat nach Erlass des angegriffenen Beschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung
(EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 - VII ZR 412/21, juris Rn. 20).
b) Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines Differenzschadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
Der angefochtene Beschluss ist aufzuheben, § 562 Abs. 1 ZPO, weil er sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.
C. Fischer Katzenstein Brenneisen F. Schmidt Messing Vorinstanzen: LG Oldenburg, Entscheidung vom 16.02.2022 - 2 O 2221/21 OLG Oldenburg, Entscheidung vom 30.06.2022 - 14 U 39/22 - Verkündet am: 29. Januar 2025 Breit, Justizfachangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle