VIa ZR 103/22
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL VIa ZR 103/22 in dem Rechtsstreit ECLI:DE:BGH:2025:060525UVIAZR103.22.0 Der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 6. Mai 2025 durch die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. C. Fischer als Vorsitzende, die Richterin Möhring, die Richter Messing, Dr. F. Schmidt und die Richterin Pastohr für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 20. Dezember 2021 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung hinsichtlich des Antrags zu 1 auch in Höhe von 23.273,73 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 9. April 2020 sowie mit den Anträgen zu 2 und 3 zurückgewiesen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Der Streitwert für die Revision wird auf bis 25.000 € festgesetzt.
Von Rechts wegen Tatbestand:
Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.
Der Kläger erwarb im April 2015 von einem Dritten einen von der Beklagten hergestellten gebrauchten Mercedes Benz GLK 250 BT 4Matic, der mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse Euro 6) ausgerüstet ist; das Fahrzeug ist von einem verpflichtenden Rückruf des Kraftfahrt-Bundesamtes betroffen. In dem Fahrzeug wird die Abgasrückführung temperaturabhängig gesteuert und unter Einsatz eines sogenannten "Thermofensters" bei bestimmten Außentemperaturen reduziert. Das Fahrzeug verfügt über einen SCR-Katalysator, dem die Harnstofflösung "AdBlue" zugeführt wird, sowie nach der Behauptung des Klägers über eine Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung (KSR).
Der Kläger, dessen Klage in den Vorinstanzen erfolglos geblieben ist, hat zuletzt beantragt, die Beklagte zur Erstattung des Kaufpreises nebst Zinsen abzüglich einer Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs zu verurteilen (Berufungsantrag zu 1). Ferner hat er die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten (Berufungsantrag zu 2) und die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen (Berufungsantrag zu 3) begehrt. Mit der vom Senat im tenorierten Umfang zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Schlussanträge aus der Berufungsinstanz insoweit weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision des Klägers hat Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - im Wesentlichen wie folgt begründet: Ein Anspruch aus § 826 BGB sei nicht gegeben. Der Kläger habe weder greifbare Anhaltspunkte für eine prüfstandsbezogene Arbeitsweise der angeführten Einrichtungen noch für die vorsätzliche Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung aufgezeigt. Ebenfalls scheide ein Anspruch des Klägers aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV oder Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aus, weil die Vorschriften nicht den Schutz vor der Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit bezweckten.
II.
Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
1. Allerdings begegnet es keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus § 826 BGB abgelehnt hat. In Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. nur BGH, Urteil vom 6. November 2023 - VIa ZR 535/21, WM 2024, 40 Rn. 11 f.; Urteil vom 11. Dezember 2023 - VIa ZR 1012/22, juris Rn. 11) hat das Berufungsgericht eine sittenwidrige vorsätzliche Schädigung des Klägers verneint, weil es dem Klägervorbringen greifbare Anhaltspunkte weder für die behauptete Verwendung einer prüfstandsbezogenen Abschalteinrichtung noch für einen bewussten Gesetzesverstoß in Bezug auf die - insoweit als unzulässig unterstellte - Verwendung des Thermofensters, der KSR und des SCR-Systems zu entnehmen vermocht hat. Vortrag zu weiter behaupteten Abschalteinrichtungen hat es ohne Rechtsfehler als prozessual unbeachtlich, weil ins Blaue hinein behauptet, gewertet (vgl. BGH, Urteil vom 26. April 2022 - VI ZR 435/20, VersR 2022, 1122 Rn. 12 f. mwN). Die darauf bezogenen Verfahrensrügen der Revision hat der Senat geprüft und für nicht durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird gemäß § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.
2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Urteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
Die Berufungsentscheidung ist daher in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben (§ 562 Abs. 1ZPO), weil sie sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Das Berufungsgericht wird auf der Grundlage der mit Urteil des Senats vom 26. Juni 2023 in der Sache VIa ZR 335/21 aufgestellten Grundsätze die erforderlichen Feststellungen zu einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben, nachdem es dem Kläger Gelegenheit gegeben hat, den Differenzschaden zu berechnen und dazu vorzutragen.
C. Fischer F. Schmidt Möhring Messing Pastohr Vorinstanzen: LG Weiden i.d. OPf., Entscheidung vom 13.01.2020 - 15 O 171/20 OLG Nürnberg, Entscheidung vom 20.12.2021 - 5 U 3906/20 - Verkündet am: 6. Mai 2025 Neumayer, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle