AnwZ (Brfg) 15/21
BUNDESGERICHTSHOF AnwZ (Brfg) 15/21 BESCHLUSS vom
5. Juli 2021 in der verwaltungsrechtlichen Anwaltssache ECLI:DE:BGH:2021:050721BANWZ.BRFG.15.21.0 Der Bundesgerichtshof, Senat für Anwaltssachen, hat am 5. Juli 2021 durch den Vorsitzenden Richter Grupp, den Richter Prof. Dr. Paul, die Richterin Ettl sowie die Rechtsanwältin Schäfer und den Rechtsanwalt Dr. Lauer beschlossen:
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das am 16. Dezember 2020 verkündete Urteil des 2. Senats des Anwaltsgerichtshofs Rheinland-Pfalz wird als unzulässig verworfen. Die Kosten des Zulassungsverfahrens trägt der Kläger. Der Wert des Zulassungsverfahrens wird auf 50.000 € festgesetzt.
Gründe: I.
Der Kläger ist seit 1987 mit einer Unterbrechung im Bezirk der Beklagten zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. Die Beklagte widerrief die Zulassung des Klägers mit Bescheid vom 25. November 2019 wegen Vermögensverfalls. Die hiergegen gerichtete Klage hat der Anwaltsgerichtshof Rheinland-Pfalz mit Urteil vom 16. Dezember 2020, dem Kläger zugestellt am 16. Januar 2021, abgewiesen.
Mit Schriftsatz vom 16. Februar 2021, eingegangen beim Anwaltsgerichtshof am selben Tag, hat der Kläger die Zulassung der Berufung beantragt.
Mit Schriftsatz vom 16. April 2021, eingegangen beim Bundesgerichtshof am selben Tag, hat der Kläger den Zulassungsantrag begründet und beantragt, ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bezüglich der Versäumung der Frist zur Begründung des Zulassungsantrags zu gewähren. Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags führt er aus, er habe sich aufgrund eines Augenblicksversagens, beruhend auf dem Eindruck des Urteils des Anwaltsgerichtshofs, die Frist zur Begründung des Zulassungsantrags falsch notiert; anstatt die Frist für die Begründung auf zwei Monate ab Zustellung des Urteils einzutragen, habe er die Frist auf zwei Monate nach Stellung des Zulassungsantrags eingetragen. Er versichert an Eides statt, er habe die Rechtsmittelbelehrung falsch gelesen. Er habe den Fehler erst am Tag der notierten Frist, am 16. April 2021, bei erneuter Durchsicht des angefochtenen Urteils bemerkt.
Mit Verfügung vom 6. Mai 2021 ist der Kläger auf Bedenken gegen die Zulässigkeit des Zulassungsantrags wegen der Versäumung der Begründungsfrist - trotz des gestellten Wiedereinsetzungsantrags - hingewiesen worden; auch das klägerseits geltend gemachte Augenblicksversagen begründe ein Verschulden.
Mit Schriftsatz vom 25. Mai 2021 hat der Kläger zum gerichtlichen Hinweis Stellung genommen. Der Fehler sei ihm aus einer psychischen Ausnahmesituation heraus in Folge der Entscheidung des Anwaltsgerichtshofs unterlaufen, was er an Eides statt versichere. Diese Ausnahmesituation mit Erscheinungen wie Hitzewallungen und innerer Unruhe habe sich mittlerweile zur Norm entwickelt.
II.
1. Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Er war als unzulässig zu verwerfen.
a) Der Kläger hat die zweimonatige Frist zur Begründung der Berufung versäumt, § 112e Satz 2 BRAO, § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO. Die Frist begann mit der Zustellung des Urteils am 16. Januar 2021 und endete nach § 112e Satz 2 BRAO, § 125 Abs. 1 Satz 1, § 57 Abs. 2 VwGO, § 222 Abs. 1 ZPO, § 188 Abs. 2, § 187 Abs. 1 BGB mit Ablauf des 16. März 2021. Die Begründung des Zulassungsantrags ist indes erst am 16. April 2021 beim Bundesgerichtshof eingegangen.
b) Dem Kläger war wegen der Versäumung der Frist zur Begründung des Zulassungsantrags auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Nach § 112e Satz 2 BRAO, § 125 Abs. 1 Satz 1, § 60 Abs. 1, 2 VwGO ist, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Der Betroffene hat die Tatsachen zur Begründung des Antrags glaubhaft zu machen.
Zwar hat der Kläger mit der Begründungsfrist eine gesetzliche Frist versäumt; er war aber nicht ohne Verschulden gehindert, die Frist einzuhalten. Vielmehr steht ein Verschulden in Form der Fahrlässigkeit fest.
Bei der Auslegung des Verschuldensbegriffes in § 60 VwGO ist von einem (gemäßigt) subjektiven Fahrlässigkeitsmaßstab auszugehen. Eine unverschuldete Fristversäumnis liegt vor, wenn den Betroffenen nach den Umständen des Einzelfalls kein Vorwurf an der Säumnis trifft (BVerwGE 50, 248, 254; BVerwG NJW 1990, 3103). Bei der Verschuldensprüfung sind daher die individuellen Verhältnisse des Betroffenen zu berücksichtigen - anders als etwa beim objektivierten Fahrlässigkeitsmaßstab des § 276 BGB. Der Maßstab der erforderlichen Sorgfalt bestimmt sich daher auch nach den Besonderheiten des Einzelfalles, insbesondere kommt es darauf an, welche Anstrengungen im konkreten Fall zumutbar sind. Die Anforderungen an die vom Einzelnen in diesem Zusammenhang zu beachtenden Sorgfaltspflichten dürfen angesichts der Bedeutung der Wiedereinsetzung für die Verwirklichung der verfassungsrechtlich verbürgten Rechtsschutzgarantien nicht überspannt werden (zum Ganzen: Czybulka/Kluckert in: NK-VwGO, 5. Aufl., § 60 Rn. 42).
Nach dem Gesagten ist im vorliegenden Fall von einem Verschulden des Klägers auszugehen. Auch das vom Kläger geltend gemachte Augenblicksversagen befreit ihn nicht vom Vorwurf der Fahrlässigkeit.
In der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung ist als Fallgruppe der unverschuldeten Fristversäumnis die Überlastung einer unerfahrenen Person, der "die Dinge über den Kopf gewachsen sind", anerkannt (BVerwG, DÖV 1965, 350). Beim langjährig als Rechtsanwalt tätigen Kläger kann eine solche exkulpierende Überlastungssituation aber nicht angenommen werden. Zwar ist auch bei als Rechtsanwalt tätigen Volljuristen eine an sich das Verschulden ausschließende Überlastungssituation mit psychischen Ausfallerscheinungen nicht von vornherein ausgeschlossen. Es kann aber von diesen Personen erwartet werden, dass sie in Angelegenheiten ihrer Mandanten für die Bestellung eines Vertreters sorgen (§ 53 BRAO) und in eigenen Angelegenheiten einen Kollegen mit der Wahrnehmung ihrer Rechtssachen beauftragen. Dass dem Kläger, der sich offenbar der psychischen Ausnahmesituation bewusst war, dies nicht möglich gewesen sei, ist nicht dargelegt.
Für eine das Verschulden ausschließende Prozessunfähigkeit des Klägers, die die Zeitspanne von der Zustellung des Urteils bis zum Ende der Begründungsfrist abgedeckt haben müsste (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 22. Oktober 1986 - VIII ZB 40/86, NJW 1987, 440), hat der Kläger keine hinreichenden Anhaltspunkte dargetan, die auch im Übrigen nicht ersichtlich sind.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 194 Abs. 2 Satz 1 BRAO.
Grupp Paul Schäfer Lauer Vorinstanz: AGH Koblenz, Entscheidung vom 16.12.2020 - 2 AGH 11/19 - Ettl