1 StR 176/24
BUNDESGERICHTSHOF StR 176/24 BESCHLUSS vom 26. Juni 2024 in der Strafsache gegen wegen Vergewaltigung ECLI:DE:BGH:2024:260624B1STR176.24.0 Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts am 26. Juni 2024 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 28. November 2023 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Hiergegen wendet er sich mit seiner auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel ist begründet. I.
Das Landgericht hat – soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung – folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
1. Die 18-jährige Nebenklägerin absolvierte in einem vom Angeklagten geleiteten Wirtschaftsunternehmen ein vierwöchiges Schülerpraktikum. Am 3. Mai 2022 forderte der Angeklagte die Geschädigte auf, ihm in den von dem restlichen Bürobereich abgetrennten und zu diesem Zeitpunkt menschenleeren Fitnessbereich zu folgen. Dort unterhielten sich die beiden, bis der Angeklagte die Nebenklägerin fragte, ob sie Hemmungen im Umgang mit Männern habe. Um zu zeigen, dass es nicht so sei, forderte er die Geschädigte zunächst auf, ihn zu umarmen. Als die Nebenklägerin dem nachgekommen war, veranlasste sie der Angeklagte, sich auf seinen Schoß zu setzen. Im Anschluss forderte er sie auf, ihn fester zu umarmen, und rieb dabei seinen Unterleib an ihr. Sodann zog er der Geschädigten den Pullover aus und entblößte ihre Brüste, die er – ebenso wie ihren Hals – küsste. Die Frage des Angeklagten, ob die Geschädigte auch ihn küssen wolle, verneinte sie. Sodann versuchte der Angeklagte, die Nebenklägerin gegen ihren geäußerten und für ihn erkennbaren Willen auf den Mund zu küssen. Im Anschluss hob er sie auf einen Tisch, berührte erneut ihre Brüste und fragte sie, ob sie wisse, was in Pornos vorkomme. Auf ihre Antwort, sie wolle keinen vaginalen Geschlechtsverkehr mit ihm, erwiderte er, dass sie das jetzt auch nicht machen würden. Er versuchte sodann, mit seiner Hand in die Hose der Nebenklägerin zu gelangen, was diese abwehrte. Hierdurch erkannte der Angeklagte erneut, dass die Geschädigte keinerlei sexuellen Kontakt mit ihm wünschte.
Danach setzte er die Geschädigte wieder auf die Bank. Er fragte sie, ob sie seinen Penis sehen wolle. Dabei befand er sich direkt vor ihr. Ohne ihre Antwort abzuwarten, entblößte er sein erigiertes Geschlechtsteil und fragte die Nebenklägerin, ob sie dieses probieren wolle, es schmecke lecker. Er zog den Kopf der Geschädigten leicht an sein Glied heran. Diese öffnete sodann ihren Mund, in den er mit seinem Penis eindrang. Der Angeklagte nahm hierbei aufgrund der wiederholten Ablehnung jeglicher sexuellen Handlungen jedenfalls billigend in Kauf, dass die Nebenklägerin mit dem durchgeführten Oralverkehr nicht einverstanden war. Kurz vor dem Samenerguss fragte der Angeklagte die Geschädigte, ob sie sein Sperma schlucken wolle. Diese ging hierauf mit dem Kopf nach hinten und drückte sich mit Tränen in den Augen von dem Angeklagten weg, der sodann außerhalb des Mundes der Nebenklägerin ejakulierte.
2. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung („§§ 177 Abs. 1, Abs. 5 Nr. 1 und Abs. 6 Nr. 1 StGB“, richtig: § 177 Abs. 1 und 6 Satz 2 Nr. 1 StGB) zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Es ist davon ausgegangen, dass der dem Oralverkehr mit dem Angeklagten entgegenstehende Wille der Nebenklägerin „erkennbar“ im Sinne des § 177 Abs. 1 StGB gewesen sei, weil die Geschädigte zuvor bezüglich „sämtlicher sexueller Aktivitäten“ deutlich zum Ausdruck gebracht habe, diese nicht zu wollen. In der konkreten Situation sei für einen objektiven Dritten keine Willensumkehr zu erkennen gewesen. Die Geschädigte habe den Oralverkehr vielmehr „aus Mangel an eigenen Handlungsalternativen“ zugelassen. Der Angeklagte habe dies erkannt und den entgegenstehenden Willen der Nebenklägerin zumindest billigend in Kauf genommen.
II.
Die Revision des Angeklagten ist begründet. Die vom Landgericht vorgenommene Beweiswürdigung hält – auch unter Berücksichtigung des eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsumfangs – sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand.
1. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts. Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob ihm Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen ein Denkgesetz oder einen gesicherten Erfahrungssatz verstößt (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 27. September 2023 – 4 StR 148/23 Rn. 10 mwN). Lückenhaft ist die Beweiswürdigung, wenn sich das Tatgericht nicht mit allen wesentlichen, den Angeklagten belastenden und entlastenden Indizien auseinandergesetzt hat. Die Urteilsgründe müssen erkennen lassen, dass das Tatgericht die für den Schuldspruch bedeutsamen Beweise erschöpfend gewürdigt, die entscheidungserheblichen Umstände erkannt, in seine Überlegungen einbezogen und in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt hat; eine Beweiswürdigung, die Feststellungen nicht in Betracht zieht, welche geeignet sind, die Entscheidung zu beeinflussen, oder naheliegende Schlussfolgerungen nicht erörtert, ist rechtsfehlerhaft (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Februar 2024 – 2 StR 283/23 Rn. 10 mwN). In Fällen, in denen – wie hier – Aussage gegen Aussage steht und die Entscheidung allein davon abhängt, welchen Angaben das Gericht folgt, müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass der Tatrichter alle Umstände erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat, die die Entscheidung zu Gunsten oder zu Lasten des Angeklagten beeinflussen können (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 25. April 2023 – 4 StR 400/22 Rn. 7 und 4 StR 462/22 Rn. 8 sowie vom 23. Mai 2000 – 1 StR 156/00 Rn. 9; je mwN).
2. Gemessen an diesen Maßstäben erweist sich die Beweiswürdigung der Strafkammer als rechtsfehlerhaft. Sie ist sowohl lückenhaft als auch widersprüchlich.
a) Das Urteil wird dem erhöhten Darlegungserfordernis in einer Aussagegegen-Aussage-Konstellation nicht gerecht.
aa) Die Nebenklägerin ist polizeilich und ermittlungsrichterlich vernommen worden. Die Bild-Ton-Aufzeichnung der ermittlungsrichterlichen Vernehmung hat die Strafkammer als ersetzende Zeugenvernehmung in die Hauptverhandlung eingeführt (§ 255a Abs. 2 Satz 2 StPO) und den Inhalt der Aussage in den Urteilsgründen wiedergegeben. Diesen lässt sich entnehmen, dass die Geschädigte ergänzend (§ 255a Abs. 2 Satz 4 StPO) auch in der Hauptverhandlung vernommen worden ist (vgl. UA S. 23, 32, 35, 45 ff.). Da die Strafkammer diese ergänzende Vernehmung bei der Prüfung der Aussagekonstanz berücksichtigt hat (UA S. 35), liegt es ferner nahe, dass die Nebenklägerin auch Angaben zum Kerngeschehen gemacht hat. Diese hat die Strafkammer jedoch nicht mitgeteilt. Dem Senat ist daher insbesondere eine Überprüfung der Konstanzanalyse nicht möglich.
bb) Gleiches gilt für die Darstellung der Aussagegenese (zu den Anforderungen vgl. BGH, Beschluss vom 23. Mai 2000 – 1 StR 156/00 Rn. 10 mwN). Aus den Urteilsgründen ergibt sich hierzu lediglich, dass die Nebenklägerin von dem Vorfall erstmals ihrem Freund, dem Zeugen Z. , berichtet hat, als dieser sie am Tattag von ihrer Praktikumsstelle abholte und wegen ihres verschlossen und „komisch“ wirkenden Gemütszustandes fragte, was los sei. Die Urteilsgründe teilen hierzu lediglich mit, die Geschädigte habe nach und nach von dem Vorfall erzählt (UA S. 33), indes keine Details genannt (UA S. 44). Um dem Revisionsgericht eine Überprüfung der Verwerfung der Fremdsuggestionshypothese zu ermöglichen, hätte es – gerade vor dem Hintergrund, dass die Tat erstmals gegenüber dem eigenen Sexualpartner offenbart wurde und diesem gegenüber unter Umständen ein Rechtfertigungsdruck bestand – indes einer genaueren Darlegung des Ablaufs des Gesprächs bedurft.
b) Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist ferner widersprüchlich.
aa) Die Strafkammer hat ihren Feststellungen ersichtlich vorrangig den Inhalt der ermittlungsrichterlichen Vernehmung der Geschädigten zugrunde gelegt. Anders als in den polizeilichen Vernehmungen, in denen die Nebenklägerin noch geschildert hatte, dass sie sich während des Oralverkehrs mit der Hand von dem Angeklagten weggedrückt und zur Seite gesehen habe, woraufhin der Angeklagte ihr Gesicht mit seiner Hand wieder zu sich und in Richtung seines Penis gedrückt habe, hat sie in der ermittlungsrichterlichen Vernehmung angegeben, mit dem Kopf erst nach hinten gegangen zu sein, als der Angeklagte kurz vor dem Samenerguss war und fragte, ob die Nebenklägerin sein Sperma schlucken wolle. Daraufhin habe der Angeklagte den Oralverkehr nicht fortgesetzt, sondern sich selbst befriedigt.
Gleichwohl hat das Landgericht seine Würdigung der Erkennbarkeit des entgegenstehenden Willens der Geschädigten darauf gestützt, dass die Nebenklägerin diesen vor dem Oralverkehr „ausdrücklich“ erklärt und auch während der Durchführung desselben „durch Weinen und Wegdrücken konkludent zum Ausdruck gebracht“ habe (UA S. 51). Dies widerspricht den auf der Basis der ermittlungsrichterlichen Vernehmung getroffenen Feststellungen, wonach sich die Geschädigte erst auf die Frage, ob sie das Sperma des Angeklagten schlucken wolle, weggedrückt habe, was zur Beendigung des Oralverkehrs führte. Was zwischen dem Zeitpunkt, als die Nebenklägerin den Penis des Angeklagten in den Mund nahm, und dem des bevorstehenden Samenergusses geschah, insbesondere inwieweit die Geschädigte aktiv an dem Sexualkontakt mitwirkte, hat das Landgericht im Übrigen gar nicht festgestellt, auch nicht eine (ungefähre) Zeitdauer des Geschehens. Ebenso wenig hat die Nebenklägerin in ihrer ermittlungsrichterlichen Vernehmung angegeben, „ausdrücklich“ geäußert zu haben, den Oralverkehr nicht zu wollen. Sie wusste vielmehr nicht mehr, ob sie „nein“ gesagt habe.
bb) Auch die Argumentation der Strafkammer, die Nebenklägerin habe „ihre Ablehnung gegen jeglichen Sexualkontakt zum Ausdruck gebracht“, steht nicht mit den Feststellungen im Einklang. Danach setzte sie sich zunächst freiwillig auf den Schoß des Angeklagten, der dabei seinen Unterleib an ihr rieb, und ließ auch sein Streicheln und Küssen ihrer Brüste zu, ohne einen entgegenstehenden Willen gegen diese sexuellen Handlungen im Sinne des § 177 Abs. 1 i.V.m. § 184h Nr. 1 StGB (konkludent) zu äußern.
III.
Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung. Der Senat weist insoweit darauf hin, dass es sich bei der Erkennbarkeit des entgegenstehenden Willens im Sinne des § 177 Abs. 1 StGB um ein objektives Tatbestandsmerkmal handelt, bei dem es auf die Perspektive eines objektiven Dritten ankommt (vgl. Fischer, StGB, 71. Aufl., § 177 Rn. 11). Hiervon zu unterscheiden ist die beim subjektiven Tatbestand zu prüfende Frage, ob der Täter den entgegenstehenden Willen und dessen „Erkennbarkeit“ gekannt oder für möglich gehalten hat (vgl. Fischer, aaO § 177 Rn. 17). Das neue Tatgericht wird insoweit bei seiner Beweiswürdigung sorgfältiger als bislang geschehen zu differenzieren haben.
Jäger Munk Wimmer Welnhofer-Zeitler Leplow Vorinstanz: Landgericht Ingolstadt, 28.11.2023 - 1 KLs 11 Js 7492/22