VIa ZR 904/22
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES VIa ZR 904/22 URTEIL in dem Rechtsstreit ECLI:DE:BGH:2024:170924UVIAZR904.22.0 Der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO, in dem Schriftsätze bis zum 9. August 2024 eingereicht werden konnten, durch die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. C. Fischer als Vorsitzende, die Richterin Möhring, den Richter Liepin, die Richterin Dr. VogtBeheim und den Richter Dr. Katzenstein für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird der Beschluss des 18. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 1. Juni 2022 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufungsanträge zu I, zu III und zu IV zurückgewiesen worden sind.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf bis 30.000 € festgesetzt.
Von Rechts wegen Tatbestand:
Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. Sie erwarb im November 2014 von einem Händler einen von der Beklagten hergestellten gebrauchten BMW X1, der mit einem Motor der Baureihe N47 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgerüstet ist.
Die Klägerin hat zuletzt beantragt, die Beklagte zur Zahlung von 28.959,90 € nebst Verzugszinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs (Berufungsantrag zu I) und zur Zahlung von Deliktszinsen (Berufungsantrag zu II) zu verurteilen. Ferner hat sie die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten (Berufungsantrag zu III) und die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten (Berufungsantrag zu IV) begehrt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist erfolglos geblieben. Mit der vom Senat insoweit zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Schlussanträge aus der Berufungsinstanz zu I, zu III und zu IV weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision der Klägerin hat Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
Die Klagepartei habe die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB nicht nachvollziehbar dargelegt. Konkreter nachvollziehbarer Vortrag der Klagepartei, aus dem sich das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung verbunden mit einem sittenwidrigen Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen, insbesondere einer arglistigen Täuschung oder eines bewussten Gesetzesverstoßes ergeben könnte, fehle. Ein Anspruch nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV stehe der Klagepartei nicht zu, weil der von ihr geltend gemachte Schaden nicht in den Schutzbereich der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV falle.
II.
Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
1. Die Revision ist allerdings nicht schon ohne weiteres deshalb begründet, weil der Zurückweisungsbeschluss, was einen von Amts wegen beachtlichen Verfahrensmangel darstellte und grundsätzlich zur Aufhebung und Zurückverweisung führen müsste (vgl. BGH, Urteil vom 30. Januar 2024 - VIa ZR 1003/22, juris Rn. 9 mwN), den Vorgaben der § 522 Abs. 2 Satz 4, § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO nicht genügte. Zwar muss auch ein mit der Nichtzulassungsbeschwerde angreifbarer Zurückweisungsbeschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO - gegebenenfalls mit dem Hinweisbeschluss - zumindest sinngemäß erkennen lassen, was der Berufungskläger mit seinem Rechtsmittel erstrebt hat (BGH, Urteil vom 12. Juni 2018 - II ZR 229/16, WM 2018, 1511 Rn. 6 mwN). Eine wörtliche Wiedergabe der Berufungsanträge, an der es hier fehlt, ist aber nicht erforderlich. Der Zurückweisungsbeschluss muss mit Rücksicht auf das eröffnete Rechtsmittel lediglich den Gegenstand des Berufungsverfahrens erkennen lassen (vgl. BGH, Urteil vom 11. Dezember 2023 - VIa ZR 845/22 Rn. 8, juris). Hier hat das Berufungsgericht noch ausreichend den Gegenstand des Berufungsverfahrens in einer für die Zwecke eines anschließenden Rechtsmittelverfahrens genügenden Weise dargestellt (vgl. BGH, Urteil vom 30. Januar 2024, aaO).
2. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.
3. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Beschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass der Klägerin nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder der Klägerin Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
Die angefochtene Entscheidung ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben, § 562 Abs. 1 ZPO, weil sie sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird die Klägerin Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.
C. Fischer Möhring Liepin Vogt-Beheim Katzenstein Vorinstanzen: LG Traunstein, Entscheidung vom 06.08.2021 - 6 O 262/21 OLG München, Entscheidung vom 01.06.2022 - 18 U 6343/21 - Verkündet am: 17. September 2024 Bachmann, Justizfachangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle