5 StR 759/24
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES StR 759/24 (alt: 5 StR 540/23)
URTEIL vom 30. Juli 2025 in der Strafsache gegen wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a. ECLI:DE:BGH:2025:300725U5STR759.24.0 Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 30. Juli 2025, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof Cirener, Richter am Bundesgerichtshof Gericke, Richterin am Bundesgerichtshof Resch, Richter am Bundesgerichtshof von Häfen, Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Werner, Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof als Vertreter des Generalbundesanwalts, Rechtsanwalt B.
als Verteidiger, Rechtsanwältin E.
als Nebenklägervertreterin, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
-3- Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Zwickau vom 10. Juli 2024 wird verworfen.
Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.
- Von Rechts wegen - Gründe:
Das Landgericht hatte den Angeklagten – unter Freispruch im Übrigen – im ersten Rechtsgang wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit Vergewaltigung unter Einbeziehung einer früher verhängten Freiheitsstrafe von sechs Monaten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hatte.
Auf die dagegen mit der Sachrüge geführte Revision der Staatsanwaltschaft, die allein die Strafzumessung beanstandete, hob der Senat mit Urteil vom 4. Januar 2024 (5 StR 540/23) das Urteil des Landgerichts Zwickau vom 22. Februar 2023 im Strafausspruch auf und verwies die Sache im Umfang der Aufhebung zu erneuter Verhandlung und Entscheidung an eine andere als Jugendschutzkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurück.
Mit dem angefochtenen Urteil hat das Landgericht den Angeklagten auf der Grundlage des rechtskräftig gewordenen Schuldspruchs nunmehr zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Dagegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf die Sachrüge gestützten Revision, mit der sie unter mehreren Gesichtspunkten die Strafzumessung der Strafkammer beanstandet. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
I.
1. Nach den im ersten Rechtsgang bindend gewordenen sowie den ergänzend zu den näheren Umständen der Tatbegehung getroffenen Feststellungen holte der Angeklagte im Sommer 2017 die seinerzeit 13 Jahre alte Nebenklägerin mit seinem Pkw bei einer Roma-Familie in Tschechien ab. Die Nebenklägerin lebte dort mit einer Freundin, nachdem beide aus einem Erziehungsheim geflohen waren. Unter Ausnutzung ihrer prekären Lage wurden sie – auch die Nebenklägerin bereits vor der Tat – der Prostitution zugeführt und zum Geschlechtsverkehr mit anderen Männern veranlasst. Die Nebenklägerin wusste bei ihrer Abholung, dass von ihr erwartet wurde, mit dem Angeklagten Geschlechtsverkehr auszuüben, und stieg freiwillig in seinen Wagen ein.
Sie erreichten den nahegelegenen Wohnort des Angeklagten gegen 22 Uhr. In der in einem Mehrfamilienhaus liegenden Wohnung teilte die Nebenklägerin dem Angeklagten ihr Alter mit, erklärte, dass sie sich auf der Flucht befinde; sie bat ihn, sie zu ihrer Mutter zu bringen. Der Angeklagte lehnte dies unter Verweis auf mangelnden Treibstoff für sein Auto ab. Er erlaubte ihr aber, mit seinem Mobiltelefon mit Dritten zu kommunizieren; die Nebenklägerin schrieb daraufhin zumindest mit ihrer Mutter. Sie kam auch auf den Gedanken, die Polizei zu informieren, tat dies aber letztlich nicht. Aus Angst vor ihrer Zuhälterfamilie versuchte sie nicht, die Wohnung zu verlassen.
Im weiteren Verlauf des Abends vollzog der Angeklagte – ohne körperliche Gewalt anzuwenden – im Schlafzimmer den vaginalen Geschlechtsverkehr an der Nebenklägerin, obwohl er – nach deren Zurückweisungen seiner vorherigen körperlichen Annäherungen – ihren entgegenstehenden Willen kannte. Anschließend fuhr er das Mädchen mit dem Auto zurück nach Tschechien.
Nach der Tat nahm er am 8. Juni 2017 Kontakt zur tschechischen Polizei auf und teilte mit, dass er den Aufenthaltsort der – gesuchten – Nebenklägerin und ihrer Freundin kenne. Sie seien noch Kinder und würden zum Sex angeboten. Diese Kontaktaufnahme führte zu keiner feststellbaren Reaktion der tschechischen Polizei. Am 22. Februar 2023 wurde in der Hauptverhandlung im ersten Rechtsgang zwischen dem Angeklagten und der – nicht anwesenden – Nebenklägerin eine „Täter-Opfer-Ausgleichsvereinbarung“ protokolliert, nach der sich der Angeklagte verpflichtete, der Nebenklägerin 1.500 Euro Schadenersatz zu zahlen, und zwar 500 Euro am selben Tag und den Rest in monatlichen Raten zu je 50 Euro. Ausweislich der Vereinbarung erkannte die Nebenklägerin in Kenntnis der schuldmindernden Wirkung die Schadenersatzzahlung „als ausgleichende Maßnahme im Sinne von § 46a StGB an“. Tatsächlich kann nach ihrer Einschätzung das Geld nicht wiedergutmachen, was ihr widerfahren ist.
2. Das Landgericht hat die ergänzenden Feststellungen zu den näheren Umständen der Tatbegehung auf der Grundlage der Einlassung des Angeklagten und der Angaben der Nebenklägerin getroffen.
Im Rahmen des rechtskräftigen Schuldspruchs hat die Strafkammer bei der Prüfung des Schuldgehalts die Voraussetzungen des § 177 Abs. 5 Nr. 1 StGB nicht als gegeben angesehen, weil ein gewaltsames Vorgehen des Angeklagten bei der Durchführung des Geschlechtsverkehrs nicht festgestellt werden konnte. Weiter hat das Landgericht auch das Vorliegen einer schutzlosen Lage im Sinne von § 177 Abs. 5 Nr. 3 StGB schon in objektiver Hinsicht verneint; selbst wenn eine solche vorgelegen hätte, könne nicht festgestellt werden, dass der Angeklagte sie ausgenutzt hätte.
Im Rahmen der Strafzumessung hat es – anders als im ersten Rechtsgang – das Vorliegen eines minder schweren Falls des schweren sexuellen Missbrauchs nach § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB (in der Fassung vom 21. Januar 2015, im Folgenden: aF) ebenso verneint wie eine Ausnahme von der Regelvermutung des § 177 Abs. 6 StGB. Die Strafe hat es wahlweise aus dem Strafrahmen des § 176a Abs. 2 StGB aF oder dem § 177 Abs. 6 StGB zugemessen, die jeweils Freiheitsstrafen zwischen zwei und 15 Jahren androhen. Die Täter-Opfer-Ausgleichsvereinbarung rechtfertige keine Strafmilderung nach den §§ 46a, 49 Abs. 1 StGB.
II.
Die Revision der Staatsanwaltschaft hat keinen Erfolg. Die wegen der Rechtskraft des Schuldspruchs nur noch anfechtbare Strafzumessungsentscheidung des Landgerichts erweist sich auch mit Blick auf den insoweit eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstab (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 12. Mai 2021 – 5 StR 120/20 Rn. 12, 16) nicht als durchgreifend rechtsfehlerhaft zum Vorteil des Angeklagten.
1. Entgegen der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft hat das Landgericht nicht gegen die Bindungswirkung aus § 358 Abs. 1 StPO verstoßen, indem es das Vorliegen einer schutzlosen Lage im Sinne von § 177 Abs. 5 Nr. 3 StGB auch in objektiver Hinsicht verneint hat.
Nach § 358 Abs. 1 StPO ist das Gericht, an das die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen worden ist, an die rechtliche Beurteilung des Revisionsgerichts gebunden, die der Aufhebung des Urteils zugrunde gelegt ist. Zu den für die Aufhebungsansicht hier allein in Betracht kommenden sachlich-rechtlichen Erwägungen können Rechtsausführungen aller Art gehören, namentlich auch, dass das angefochtene Urteil an lückenhaften Feststellungen oder anderen allgemeinen Begründungsmängeln leide. In einem solchen Fall hat das neue Tatgericht diese Fehler bei seiner Entscheidung zu vermeiden (BGH, Beschluss vom 30. Mai 2000 – 1 StR 610/99, NStZ 2000, 551, 552 mwN).
In seinem Urteil vom 4. Januar 2024 – 5 StR 540/23 Rn. 18 – hat der Senat zwar ausgeführt, dass die Voraussetzungen einer schutzlosen Lage im Sinne von § 177 Abs. 5 Nr. 3 StGB angesichts des vom Angeklagten gewählten Tatorts in seiner von ihm allein bewohnten Wohnung, der Abwesenheit schutzbereiter Dritter und insbesondere des Alters der Nebenklägerin und ihrer körperlichen Unterlegenheit objektiv gegeben gewesen seien, dies aber (nur) auf der Grundlage der lückenhaften Feststellungen zum Schuldumfang. In der weiteren Begründung der Entscheidung hat er dem neuen Tatgericht gerade anempfohlen, ergänzende Feststellungen insbesondere zu den näheren Umständen der konkreten Tatbegehung zu treffen, soweit sie den bisherigen nicht widersprachen (BGH aaO Rn. 26). Das implizierte zugleich, dass das Landgericht auf der Grundlage solcher Feststellungen gegebenenfalls auch zu einer anderen rechtlichen Beurteilung gelangen konnte, solange nur die Feststellungen einander nicht widersprachen. So verhält es sich hier: Die Feststellungen insbesondere zur Ermöglichung der Kommunikation der Nebenklägerin mit dem Mobiltelefon des Angeklagten widersprachen den bisherigen nicht, sondern ergänzten sie lediglich.
2. Es erweist sich auch aus anderen Gründen nicht als durchgreifend rechtsfehlerhaft, dass die Strafkammer die Voraussetzungen des § 177 Abs. 5 Nr. 3 StGB im Ergebnis verneint hat.
a) Eine schutzlose Lage im Sinne dieser Tatbestandsalternative liegt vor, wenn sich das Opfer dem überlegenen Täter allein gegenübersieht und auf fremde Hilfe nicht rechnen kann. Diese Voraussetzungen sind erfüllt, wenn nach zusammenfassender Bewertung die Möglichkeiten des Täters, mit Gewalt auf das Opfer einzuwirken, größer sind als die Möglichkeiten des Tatopfers, sich solchen Einwirkungen des Täters mit Erfolg zu entziehen, ihnen erfolgreich körperlichen Widerstand entgegenzusetzen oder die Hilfe Dritter zu erlangen. Eine gänzliche Beseitigung jeglicher Verteidigungsmöglichkeiten ist nicht vorausgesetzt (vgl. BGH, Urteil vom 2. Juli 2020 – 4 StR 678/19, BGHSt 65, 62, 67 Rn. 15 mwN).
b) Insoweit begegnet es allerdings Bedenken, dass das Landgericht bei der Prüfung des Vorliegens einer schutzlosen Lage auch auf das subjektive Vorstellungsbild der Nebenklägerin abgestellt hat, die gewusst habe, worauf sie sich einlasse, und sich auch bei früheren Gelegenheiten der Einwirkungsmöglichkeit anderer Freier ausgesetzt gesehen habe. Wie die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend hervorgehoben hat, kommt es nach der durch das 50. Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuchs vom 4. November 2016 (BGBl. I, 2460) geschaffenen Rechtslage bei § 177 Abs. 5 Nr. 3 StGB – anders als nach § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB aF – nicht mehr darauf an, dass das Tatopfer selbst die Schutzlosigkeit seiner Lage erkennt und unter dem Eindruck seines schutzlosen Ausgeliefertseins aus Furcht vor möglichen Einwirkungen des Täters auf einen ihm grundsätzlich möglichen Widerstand verzichtet. Vielmehr bedarf es dieser einschränkenden Auslegung nicht mehr, weil § 177 Abs. 5 StGB eine Nötigung des Tatopfers nicht mehr voraussetzt. Für die Verwirklichung des objektiven Tatbestands des § 177 Abs. 5 Nr. 3 StGB ist deshalb unabhängig vom Vorstellungsbild des Tatopfers allein dessen objektive Schutzlosigkeit ausreichend (vgl. zu alldem BGH aaO S. 67 ff. mwN).
c) Das Landgericht hat bei seiner Bewertung aber auch maßgeblich darauf abgestellt, dass der Angeklagte der Nebenklägerin auf ihren Wunsch in seiner Wohnung die Kommunikation mittels seines Mobiltelefons ermöglichte, mit dem sie zumindest mit ihrer Mutter Nachrichten schrieb und auch nach ihrer eigenen Vorstellung die Polizei hätte verständigen können.
Angesichts dessen erweist sich jedenfalls die Wertung der Strafkammer als rechtsfehlerfrei, dass der Angeklagte eine etwaige schutzlose Lage nicht zur Begehung der Tat ausnutzte. Ein Ausnutzen der schutzlosen Lage im Sinne von § 177 Abs. 5 Nr. 3 StGB liegt vor, wenn der Täter die (objektive) Schutzlosigkeit des Tatopfers in ihrer Bedeutung für sein Vorhaben erkennt, ihm also bewusst ist, dass die schutzlose Lage den sexuellen Übergriff ermöglicht oder jedenfalls erleichtert, und er sich dies bewusst zunutze macht. In subjektiver Hinsicht genügt insoweit bedingter Vorsatz (vgl. BGH aaO S. 73 mwN).
Mit Blick auf die erkennbare Möglichkeit (staatliche) Hilfe herbeizurufen durfte das Landgericht jedenfalls davon ausgehen, dass der Angeklagte die Nebenklägerin nicht für schutzlos hielt und ihre Lage deshalb nicht im oben genannten Sinne ausnutzte. Auf die vom Generalbundesanwalt aufgezeigten möglicherweise gegenläufigen Umstände, wie etwa die Angst der Nebenklägerin vor ihrer Zuhälterfamilie, kam es insoweit nicht entscheidend an.
3. Die weiteren von der Staatsanwaltschaft vorgebrachten Einwendungen gegen die Strafzumessung zeigen keine Rechtsfehler auf, sondern beschränken sich auf eine eigene Bewertung festgestellter Umstände, die die Strafkammer zudem teils ausdrücklich in ihre Strafzumessung eingestellt hat; damit kann die Beschwerdeführerin im Revisionsverfahren nicht durchdringen.
4. Der Senat hat die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten mit Beschluss vom gestrigen Tage nach § 349 Abs. 2 StPO verworfen.
Cirener Gericke Resch von Häfen Werner Vorinstanz: Landgericht Zwickau, 10.07.2024 - 3 KLs 510 Js 14713/21 jug (2)