VIa ZB 9/21
BUNDESGERICHTSHOF VIa ZB 9/21 BESCHLUSS vom 30. Mai 2022 in dem Rechtsstreit ECLI:DE:BGH:2022:300522BVIAZB9.21.0 Der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 30. Mai 2022 durch die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Menges als Vorsitzende, die Richterin Dr. Krüger, die Richter Dr. Götz, Dr. Rensen und die Richterin Wille beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluss des Oberlandesgerichts Nürnberg - 2. Zivilsenat - vom 15. September 2021 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Der Gegenstandswert beträgt 17.435,27 €.
Gründe: I.
Der Kläger wendet sich gegen die Verwerfung seiner Berufung.
Das Landgericht hat seine gegen die A. O. GmbH gerichtete Klage mit am 6. April 2021 zugestelltem Urteil als unbegründet abgewiesen. Am 30. April 2021 ist beim Berufungsgericht eine Berufungsschrift des Klägers mit einer Abschrift des landgerichtlichen Urteils eingegangen. Dabei hat der Kläger unter anderem das Aktenzeichen der ersten Instanz sowie folgendes Passivrubrum genannt:
"gegen O. A.
GmbH (ehemals A. O. GmbH),
[Anschrift und Geschäftsführer]
- Beklagte u. Berufungsbeklagte - Prozessbevollmächtigte der 1. Instanz: Rechtsanwälte […]" Das Berufungsgericht hat die Berufung verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Klägers.
II.
1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft. Sie ist auch im Übrigen zulässig. Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Senats (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO), denn der angefochtene Beschluss verletzt den Kläger in seinem Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip).
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Das Berufungsgericht hat die Berufung zu Unrecht als unzulässig verworfen.
a) Es hat seine Entscheidung damit begründet, durch die Formulierung des Passivrubrums in der Berufungsschrift lasse der Kläger erkennen, dass er Ansprüche nunmehr nicht mehr gegen die A. O. GmbH, sondern gegen die O. A.
GmbH geltend mache. Es handle sich nicht um eine irrtümliche Bezeichnung der eigentlich gemeinten erstinstanzlichen Beklagten. Die Verwendung des Wortes "ehemals" lasse eindeutig erkennen, dass sich die Berufung ausdrücklich gerade nicht gegen die A. O. GmbH, sondern gegen die O.
A. GmbH richten solle. Durch die Berufung gegen die O. A.
GmbH, mit der nunmehr Ansprüche gegen diese geltend gemacht würden, könne der Kläger aber nicht die Beseitigung der Beschwer durch die Abweisung der Klage gegen die A. O. sig.
GmbH erreichen. Die Berufung sei daher unzuläs- b) Mit diesen Erwägungen lässt sich die Annahme des Berufungsgerichts, die Berufung sei gegen eine andere Person als die erstinstanzliche Beklagte gerichtet und daher mangels Beschwer zu verwerfen, nicht begründen. Tatsächlich konnte bei der gebotenen Auslegung der Berufungsschrift nicht zweifelhaft sein, dass die Beklagte erster Instanz auch Berufungsbeklagte war.
aa) Nach § 519 Abs. 2 ZPO muss die Berufungsschrift die Bezeichnung des angefochtenen Urteils und die Erklärung enthalten, dass dagegen Berufung eingelegt werde. Diesem Erfordernis ist nach der Rechtsprechung nur dann genügt, wenn bei der Einlegung des Rechtsmittels aus der Rechtsmittelschrift oder in Verbindung mit sonstigen Unterlagen oder Umständen sowohl der Rechtsmittelkläger als auch der Rechtsmittelbeklagte erkennbar sind oder doch jedenfalls bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist erkennbar werden (BGH, Beschluss vom 24. Juli 2013 - XII ZB 56/13, NJW-RR 2013, 1278 Rn. 7; vgl. Beschluss vom 24. Februar 2021 - VII ZB 8/21, BauR 2021, 1008 Rn. 8 f.). Die Einhaltung dieser an den Inhalt der Berufungsschrift zu stellenden Anforderungen dient - sowohl im Interesse der Erkennbarkeit der in zweiter Instanz am Rechtsstreit Beteiligten für das Berufungsgericht als auch im Interesse der Parteien - einem geregelten Ablauf des Verfahrens, der Rechtssicherheit und den schutzwürdigen Belangen des Rechtsmittelbeklagten an alsbaldiger Zustellung der Rechtsmittelschrift (BGH, Beschluss vom 24. Juli 2013, aaO).
Das bedeutet indes nicht, dass die Person des Rechtsmittelklägers bzw. -beklagten wirksam nur ausdrücklich und nur in der Berufungsschrift selbst angegeben werden kann. Vielmehr ist die Rechtsmitteleinlegung einer Auslegung zugänglich. Den Belangen der Rechtssicherheit ist deshalb auch dann genügt, wenn eine verständige Würdigung des Aktes der Berufungseinlegung jeden Zweifel an der Person des Rechtsmittelbeklagten ausschließt. Von daher ist es ausreichend, wenn jedenfalls mit Hilfe weiterer Unterlagen, wie etwa dem beigefügten erstinstanzlichen Urteil, bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist eindeutig zu erkennen ist, wer Berufungskläger und wer Berufungsbeklagter sein soll (BGH, Beschluss vom 24. Juli 2013 - XII ZB 56/13, NJW-RR 2013, 1278 Rn. 8 mwN).
bb) Zu Recht rügt die Rechtsbeschwerde, dass das Berufungsgericht eine hinreichende Würdigung der Berufungseinlegung unterlassen hat.
(1) Die Auslegung von Prozesshandlungen und damit auch der Berufungsschrift unterliegt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs freier revisionsrechtlicher Nachprüfung. Sie orientiert sich an dem Grundsatz, dass im Zweifel dasjenige gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und dem recht verstandenen Interesse entspricht. Lediglich theoretisch mögliche Zweifel, für die tatsächliche Anhaltspunkte nicht festgestellt sind, können dabei nicht ausschlaggebend sein (siehe nur BGH, Beschluss vom 24. Februar 2021 - VII ZB 8/21, BauR 2021, 1008 Rn. 11 mwN).
(2) Die Berufungsschrift weist den Kläger nebst Prozessbevollmächtigten, der ihn bereits erstinstanzlich vertreten hatte, das Aktenzeichen des Landgerichts und das Datum der Verkündung des beigefügten landgerichtlichen Urteils zutreffend aus. Zwar wird als Beklagte eine andere Gesellschaft genannt. Dies und die in Klammern hinzugefügte Formulierung "ehemals …" könnte, wie das Berufungsgericht im Ausgangspunkt zutreffend annimmt, darauf hinweisen, dass die Berufung anstelle der bisherigen ("ehemals") Beklagten gegen eine andere juristische Person gerichtet werden sollte. Bei der gebotenen Auslegung war indes eindeutig zu erkennen, dass die Berufung gegen die bereits in erster Instanz beklagte Gesellschaft gerichtet sein sollte, ein Parteiwechsel also nicht beabsichtigt war.
Das ergab sich - abgesehen von der Verwendung derselben Anschrift und der Erwähnung desselben Geschäftsführers wie im erstinstanzlichen Urteil - bereits aus der Bezeichnung "Beklagte u. Berufungsbeklagte". Diese kann nur dahingehend verstanden werden, dass es sich bei der Beklagten und der Berufungsbeklagten um dieselbe (juristische) Person handeln sollte. Hinzu kommt, dass die Berufungsschrift die Prozessbevollmächtigten der Berufungsbeklagten mit dem einleitenden Zusatz "Prozessbevollmächtigte der 1. Instanz" anführt. Die Berufungsbeklagte kann aber nur dann "Prozessbevollmächtigte der 1. Instanz" gehabt haben, wenn sie in der ersten Instanz bereits am Rechtsstreit beteiligt war. Das schließt aus, dass ein Parteiwechsel auf Beklagtenseite gewollt war, wie ihn das Berufungsgericht und die Rechtsbeschwerdeerwiderung zu Unrecht annehmen, die Berufung also gegen eine neue, bisher am Rechtsstreit nicht beteiligte Partei gerichtet gewesen sein sollte.
(3) Dass nach den vorliegenden Umständen innerhalb der Berufungsfrist die (bisherige) Beklagte als Berufungsbeklagte auch für das Berufungsgericht erkennbar war, folgt im Übrigen daraus, dass es das Verfahren als gegen die A. O. GmbH gerichtet eingetragen und dieser Gesellschaft die Berufungsschrift zugestellt hat (vgl. zum Empfängerhorizont des Rechtmittelgerichts BGH, Beschluss vom 7. November 2012 - XII ZB 325/12, NJW-RR 2013, 121 Rn. 15). Erst nach Ablauf der für die Auslegung maßgeblichen Rechtsmittelfrist und nach Eingang der Berufungserwiderung hat das Berufungsgericht auf - nunmehr - bestehende Bedenken hingewiesen.
3. Gemäß § 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO ist die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, da die Entscheidung sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 577 Abs. 3 ZPO. Insbesondere hat der Kläger die Berufung auch ordnungsgemäß im Verhältnis zur Beklagten begründet, mit deren Verantwortlichkeit als Herstellerin für das von ihm im August 2016 erworbene Fahrzeug er sich auseinandergesetzt hat. Soweit er in der Berufungsbegründungsschrift außerdem Ausführungen dazu gemacht hat, die Beklagte habe "das gesamte operative Geschäft - im Wege der Einzelrechtsnachfolge - im Sommer 2017 auf die ‚O. A. GmbH’ übertragen", stünde dies der Ordnungsmäßigkeit der Berufungsbegründung selbst dann nicht entgegen, wenn der Kläger damit auf einen im Berufungsverfahren nicht zustande gekommenen Parteiwechsel auf Beklagtenseite hätte antragen wollen. Beantragt der im ersten Rechtszug unterlegene Kläger nach Einlegung der gegen den Beklagten gerichteten Berufung mit deren ansonsten ordnungsgemäßer Begründung, im Wege einer Berichtigung des Passivrubrums einen Parteiwechsel auf Beklagtenseite vorzunehmen, zu dem es nicht kommt,
ist die Berufung nicht wegen fehlender Begründung gegenüber dem ursprünglichen Beklagten unzulässig (vgl. BGH, Urteil vom 16. Dezember 1997 - VI ZR 279/96, NJW 1998, 1496, 1497).
Menges Rensen Krüger Wille Götz Vorinstanzen: LG Nürnberg-Fürth, Entscheidung vom 29.03.2021 - 19 O 5436/20 OLG Nürnberg, Entscheidung vom 15.09.2021 - 2 U 1306/21 -