XI ZB 12/12
BUNDESGERICHTSHOF XI ZB 12/12 BESCHLUSS vom 19. August 2014 in dem Rechtsstreit Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 19. August 2014 durch den Vorsitzenden Richter Wiechers, die Richter Dr. Ellenberger und Dr. Matthias sowie die Richterinnen Dr. Menges und Dr. Derstadt beschlossen:
Die Anträge des Prozessbevollmächtigten der Beigetretenen zu B29 und B1110 festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 16 Abs. 2 KapMuG aF unabhängig von der Feststellung der Voraussetzungen der Vorschrift in den jeweiligen Ausgangsverfahren eingetreten sind, und die Anträge, die Entscheidung über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens in Bezug auf die Beigetretenen zu B29 und B1110 auszusetzen, werden zurückgewiesen.
Gründe:
I.
Die Beigetretenen zu B29 und B1110 waren Beigeladene des Musterverfahrens 23 Kap 1/06 vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main. Sie sind dem Rechtsbeschwerdeverfahren gegen den am 16. Mai 2012 erlassenen Musterentscheid beigetreten. Mit Schriftsätzen vom 21. November 2013 und 26. Februar 2014 teilte ihr Prozessbevollmächtigter mit, dass die Beigetretenen verstorben sind. Wer Erbe sei, könne er nicht nachweisen.
Der Prozessbevollmächtigte der Beigetretenen zu B29 und B1110 ist der Auffassung, das Rechtsbeschwerdegericht habe in analoger Anwendung des § 246 Abs. 1 Halbs. 2 ZPO den Zeitpunkt zu markieren, ab dem die verstorbenen Beigetretenen nicht mehr in der Lage gewesen seien, ihre Rechte im Musterverfahren im Sinne von § 16 Abs. 2 KapMuG in der hier maßgeblichen bis zum 1. November 2012 geltenden Fassung (im Folgenden: KapMuG aF; vgl. § 27 KapMuG) wahrzunehmen. Zudem sei die Entscheidung über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens im Verhältnis zu den verstorbenen Beigetretenen auszusetzen, weil den unbekannten Erben Gelegenheit gegeben werden müsse, ihre Haftung wegen der Kosten des Verfahrens auf den Nachlass zu beschränken, § 780 Abs. 1 ZPO.
Der Prozessbevollmächtigte der Beigetretenen zu B29 und B1110 beantragt - dementsprechend - festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 16 Abs. 2 KapMuG aF unabhängig von der Feststellung der Voraussetzungen der Vorschrift in den Ausgangsverfahren mit dem Tag des Eingangs der Anträge beim Bundesgerichtshof, hilfsweise mit Zustellung des begehrten Feststellungsbeschlusses eingetreten sind. Zugleich beantragt er, die Entscheidung über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens im Verhältnis zu den Beigetretenen zu B29 und B1110, jedenfalls für den Fall des Unterliegens, auszusetzen. Die Musterbeklagte ist dem entgegengetreten.
II.
Die Anträge haben keinen Erfolg, so dass sie zurückzuweisen sind.
1. Die Voraussetzungen, unter denen die Bindung eines Beigeladenen an den rechtskräftigen Musterentscheid gemäß § 16 Abs. 2 KapMuG aF ausgeschlossen ist, können im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht festgestellt werden. Das Rechtsbeschwerdegericht ist nicht dafür zuständig, gemäß § 16 Abs. 2 KapMuG aF Feststellungen dazu zu treffen, ob eine Partei nach rechtskräftigem Abschluss des Musterverfahrens in ihrem Rechtsstreit mit Einwendungen gegen den Musterentscheid gehört wird. Diese Aufgabe obliegt vielmehr dem Prozessgericht nach Fortsetzung des Ausgangsprozesses (KK-KapMuG/ Rimmelspacher, 1. Aufl., § 15 Rn. 106).
2. Das Rechtsbeschwerdeverfahren ist auch nicht in Bezug auf die Kosten im Verhältnis zu den Beigetretenen zu B29 und B1110 analog § 246 Abs. 1 Halbs. 2 ZPO auszusetzen.
a) Für eine Aussetzung der Kostenentscheidung analog § 246 Abs. 1 Halbs. 2 ZPO fehlt es - unabhängig davon, wie der Senat in der Sache entscheiden wird - bereits an einer Regelungslücke.
Die Aussetzung des Verfahrens hat gemäß § 246 Abs. 1 Halbs. 2 ZPO auf Antrag des Prozessbevollmächtigten zu erfolgen, wenn in der Person einer Partei ein Unterbrechungsgrund im Sinne der §§ 239, 241, 242 ZPO vorliegt, das Verfahren aber infolge der anwaltlichen Vertretung gemäß § 246 Abs. 1 Halbs. 1 ZPO nicht unterbrochen ist (Musielak/Stadler, ZPO, 11. Aufl., § 246 Rn. 1 f.). Die Sonderregelung des § 11 Abs. 2 Satz 1, Satz 2 Fall 2 KapMuG aF bestimmt abweichend hiervon, dass das Musterverfahren im Interesse eines ungestörten Fortgangs des Musterverfahrens durch Bestimmung eines neuen Musterklägers fortgesetzt wird, sofern der Musterkläger stirbt, wenn der Prozessbevollmächtigte des Musterklägers die Aussetzung des Musterverfahrens beantragt. Die Vorschrift verhält sich zwar nicht zu den Rechtsfolgen, die im Falle des Todes eines Beigeladenen im Muster- oder Rechtsbeschwerdeverfahren eintreten. Jedoch entspricht es allgemeinen, auch im Muster- und Rechtsbeschwerdeverfahren geltenden Regeln des Zivilprozessrechts (§ 9 Abs. 1 Satz 1 KapMuG aF, § 3 Abs. 1 EGZPO), dass eine Unterbrechung oder Aussetzung des Verfahrens nach Wesen und Rechtswirkungen der einfachen Streithilfe nicht erfolgt und damit eine Kostenentscheidung zu Lasten des Streithelfers nicht gehindert ist, wenn ein Unterbrechungsgrund lediglich in der Person eines Streithelfers vorliegt (BGH, Beschluss vom 27. Januar 2000 - I ZR 159/99, juris; OLG Naumburg, Urteil vom 15. April 2003 - 11 U 190/01, juris Rn. 3 f., 11; OLG Düsseldorf, MDR 1985, 504). Das gilt für das Vorliegen eines Unterbrechungsgrundes in der Person eines Beigeladenen entsprechend (KK-KapMuG/Vollkommer, 2. Aufl., § 13 Rn. 37). Denn die Rechtsstellung eines Beigeladenen im Musterverfahren gleicht der Rechtsstellung eines - unselbständigen - Streithelfers (Senatsbeschluss vom 2. Oktober 2012 - XI ZB 12/12, WM 2012, 2092 Rn. 27).
b) Zudem ist für eine Aussetzung der Kostenentscheidung analog § 246 Abs. 1 Halbs. 2 ZPO nach Sinn und Zweck der Regelung kein Raum. Die Vorschrift dient dem Schutz des Prozessbevollmächtigten. Die Aussetzung soll ihm Gelegenheit geben, Rücksprache mit den Erben zu halten und Instruktionen für den Fortgang des Verfahrens einzuholen (Musielak/Stadler, ZPO, 11. Aufl., § 246 Rn. 1).
Gemessen hieran ist eine Aussetzung der Kostenentscheidung analog § 246 Abs. 1 Halbs. 2 ZPO mangels vergleichbarer Interessenlage nicht geboten, um einem Erben die Erhebung der Einrede der beschränkten Erbenhaftung gemäß § 780 Abs. 1 ZPO im Rechtsbeschwerdeverfahren nach § 15 KapMuG aF zu ermöglichen. Die Anordnung des für Nachlassverbindlichkeiten geltenden Vorbehalts der beschränkten Erbenhaftung (zur Abgrenzung zu Eigenschulden, Senatsbeschluss vom 13. Januar 2004 - XI ZR 35/01, juris Rn. 2 und BGH, Urteil vom 5. Juli 2013 - V ZR 81/12, WuM 2013, 555 Rn. 6, 12 ff.) ist für den Erben lediglich rechtlich vorteilhaft. Der Prozessbevollmächtigte kann die Einrede daher ohne eigenes Risiko erheben, ohne dass es hierzu einer Aussetzung des Verfahrens zum Zwecke der Rücksprache mit den Erben bedarf.
Wiechers Menges Ellenberger Derstadt Matthias Vorinstanzen: LG Frankfurt/Main, Entscheidung vom 11.07.2006 - 3/7 OH 1/06 OLG Frankfurt/Main, Entscheidung vom 16.05.2012 - 23 Kap 1/06 -