VIa ZR 725/21
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES VIa ZR 725/21 URTEIL in dem Rechtsstreit ECLI:DE:BGH:2025:150125UVIAZR725.21.0 Der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO, in dem Schriftsätze bis zum 20. Dezember 2024 eingereicht werden konnten, durch die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. C. Fischer als Vorsitzende, die Richterinnen Möhring, Dr. Vogt-Beheim, die Richter Messing und Dr. F. Schmidt für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird der Beschluss des 19. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 18. November 2021 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 7. Juli 2022 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf bis 35.000 € festgesetzt.
Von Rechts wegen Tatbestand: 1 Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.
Sie erwarb im Oktober 2018 von einem Dritten einen von der Beklagten hergestellten gebrauchten Audi SQ 5 3.0 TDI competition quattro, der mit einem Dieselmotor der Baureihe EA 897 (Schadstoffklasse Euro 6) ausgerüstet ist. Das Fahrzeug ist von einem Rückruf des Kraftfahrt-Bundesamts (KBA) wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung betroffen. Ein vom KBA frei gegebenes Software-Update wurde zwischenzeitlich aufgespielt.
Die Klägerin verlangt im Wesentlichen, sie im Wege des Schadensersatzes so zu stellen, als habe sie den Kaufvertrag nicht abgeschlossen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung, mit welcher die Klägerin die Zahlung von 31.071,38 € (Kaufpreis abzüglich einer Nutzungsentschädigung) nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs, die Feststellung des Annahmeverzugs und die Zahlung von vorgerichtlich angefallenen Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen begehrt hat, ist erfolglos geblieben. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Berufungsanträge weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - im Wesentlichen wie folgt begründet:
Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV seien nicht gegeben, weil diese Regelungen der EG-FGV nicht drittschützend seien und die Beklagte zudem nicht gegen die genannten Vorschriften verstoßen habe. Die Beklagte habe als Herstellerin des betroffenen Fahrzeuges den § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV entsprochen. Sie könne sich bis heute sowohl auf die Wirksamkeit der der Übereinstimmungsbescheinigung zugrundeliegenden Typgenehmigung als auch auf eıne zutreffend erteilte Übereinstimmungsbescheinigung berufen.
Der Klägerin stehe auch kein Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB zu. Die Feststellung allein, dass in dem Motor eine nach dem Bescheid des KBA objektiv unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 verbaut gewesen sei, rechtfertige noch keine Haftung aus § 826 BGB. Im Übrigen habe die Beklagte zwischen Inverkehrbringen des Fahrzeugs und seinem Erwerb durch die Klägerin ihr Verhalten nach außen hin in einer solchen Weise geändert, welche dıe sıttenwidrige Täuschung habe entfallen lassen.
II.
Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
1. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat (vgl. zur Verhaltensänderung BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 533/21, NJW 2023, 2270 Rn. 11 bis 20). Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.
2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV abgelehnt hat.
a) Wie der Senat nach Erlass des angegriffenen Beschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass der Klägerin nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 - VII ZR 412/21, juris Rn. 20).
b) Ebenso wenig kann der Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV mit der Begründung des Berufungsgerichts abgelehnt werden, die Beklagte habe gegen § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV nicht verstoßen. Wie der Senat ebenfalls am 26. Juni 2023 (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 34) entschieden hat, ist eine Übereinstimmungsbescheinigung unzutreffend, wenn das betreffende Kraftfahrzeug mit einer gemäß Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 unzulässigen Abschalteinrichtung ausgerüstet ist, weil die Bescheinigung dann eine tatsächlich nicht gegebene Übereinstimmung des konkreten Kraftfahrzeugs mit der vorgenannten Vorschrift ausweist. Auf den Inhalt der zugrundeliegenden EG-Typgenehmigung kommt es dabei nicht an.
c) Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder der Klägerin Gelegenheit zur Darlegung eines Differenzschadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
Der angefochtene Beschluss ist aufzuheben, § 562 ZPO, weil er sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird die Klägerin Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.
C. Fischer Messing Möhring Vogt-Beheim F. Schmidt Vorinstanzen: LG Hanau, Entscheidung vom 27.04.2021 - 9 O 1288/20 OLG Frankfurt am Main, Entscheidung vom 18.11.2021 - 19 U 118/21 - VIa ZR 725/21 Verkündet am: 15. Januar 2025 Bürk, Amtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle