VIa ZR 405/23
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL VIa ZR 405/23 in dem Rechtsstreit ECLI:DE:BGH:2025:200525UVIAZR405.23.0 Der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 20. Mai 2025 durch die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. C. Fischer als Vorsitzende, die Richterin Dr. Brenneisen, die Richter Messing, Dr. Katzenstein und Dr. F. Schmidt für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 24. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 16. März 2023 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 17. April 2023 - mit Ausnahme der mit dem Berufungsantrag zu 4 auch begehrten Freistellung von Zinsen aus den außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten und unter Zurückweisung des Rechtsmittels insoweit - aufgehoben.
Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf bis 45.000 € festgesetzt.
Von Rechts wegen Tatbestand:
Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.
Er erwarb kreditfinanziert im Februar 2019 von einem Dritten ein von der Beklagten hergestellten gebrauchten Mercedes-Benz E 400 4Matic, der mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 656 (Schadstoffklasse Euro 6) ausgerüstet ist.
Der Kläger hat zuletzt unter Teilerledigterklärung im Übrigen sowie Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs die Erstattung des Kaufpreises sowie von Finanzierungskosten nebst Zinsen abzüglich einer Nutzungsentschädigung sowie hilfsweise Erstattung bezahlter Beträge nebst Zinsen und Freistellung von offenen Kreditverbindlichkeiten Zug um Zug gegen Übergabe des Fahrzeugs und Übertragung des Anwartschaftsrechts daran (Berufungsantrag zu 2), die Feststellung des Verzugs der Beklagten mit der Annahme des Fahrzeugs (Berufungsantrag zu 3) und die Freistellung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen (Berufungsantrag zu 4) begehrt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision des Klägers hat - mit Ausnahme der mit dem Berufungsantrag zu 4 begehrten Freistellung von Zinsen aus den außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten (vgl. BGH, Urteil vom 16. Oktober 2023 - VIa ZR 1139/22, juris Rn. 11 mwN) - Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - im Wesentlichen wie folgt begründet:
Ein Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB bestehe nicht. Eine sittenwidrige vorsätzliche Schädigung durch die Beklagte könne - soweit es nicht bereits an tatsächlichen Anhaltspunkten im Klägervorbringen für das Vorliegen der von dem Kläger gerügten Abschalteinrichtungen fehle - nicht festgestellt werden.
Ein Anspruch des Klägers aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV oder mit Vorschriften der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 oder der Durchführungsverordnung (EG) Nr. 692/2008 scheide bereits deshalb aus, weil diese Normen keine Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB seien. Davon abgesehen treffe die Beklagte kein Fahrlässigkeitsvorwurf. Es seien keine tatsächlichen Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die für die Beklagte Handelnden - Repräsentanten im Sinne von § 31 BGB oder Verrichtungsgehilfen, insbesondere Ingenieure, im Sinne von § 831 BGB - bis zur Inverkehrgabe des Fahrzeugs des Klägers im Jahr 2018 Anlass gehabt hätten anzunehmen, dass es sich bei dem in Rede stehenden Thermofenster um eine unzulässige Abschalteinrichtung handle. Dem Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) sei der allgemeine Einsatz der temperaturgesteuerten Abgasrückführung bei nahezu allen Fahrzeugherstellern zumindest seit dem Jahr 2008 bekannt gewesen und es habe diesen Einsatz ohne Nachfrage bei den Herstellern gebilligt. Vor diesem Hintergrund und bei dieser Genehmigungspraxis sei nicht ersichtlich, wie die für die Beklagte Handelnden begründete Zweifel hegen oder die Unzulässigkeit hätten erkennen sollen. Anlass, an der Richtigkeit der Beurteilung durch das KBA zu zweifeln, habe es zumindest bis zu im Jahr 2021 bekannt gewordenen gegenteiligen Einschätzungen in vor dem Gerichtshof der Europäischen Union geführten Verfahren nicht gegeben. Somit seien keine tatsächlichen Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die für die Beklagten handelnden Personen im Zeitpunkt der Inverkehrgabe des Fahrzeugs des Klägers schuldhaft gehandelt hätten, weshalb die Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit den genannten Vorschriften auch aus diesem Grund ausscheide.
II.
Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren teilweise nicht stand.
1. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die von der Revision erhobenen Verfahrensrügen hat der Senat geprüft und nicht für durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird gemäß § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.
2. Nicht frei von Rechtsfehlern sind allerdings die Erwägungen des Berufungsgerichts zu einem Schadensersatzanspruch des Klägers aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV.
a) Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Urteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
Das Berufungsgericht hat daher zwar im Ergebnis zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
b) Einen Schadensersatzanspruch des Klägers gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV durfte das Berufungsgericht auch nicht gestützt auf die von ihm zum Verschulden angestellten Erwägungen verneinen (vgl. etwa BGH, Urteil vom 30. Januar 2024 - VIa ZR 1291/22, juris Rn. 13 f.; Urteil vom 20. Februar 2024 - VIa ZR 1283/22, juris Rn. 16 ff.).
aa) Der Senat hat insofern nach Erlass des angegriffenen Urteils entschieden, dass ein Verschulden des Fahrzeugherstellers vermutet wird (BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 59 ff.). Der Fahrzeughersteller kann sich zwar durch einen von ihm darzulegenden und zu beweisenden unvermeidbaren Verbotsirrtum entlasten. Das setzt indessen zunächst die Darlegung und - erforderlichenfalls - den Nachweis eines entsprechenden Rechtsirrtums seitens des Fahrzeugherstellers voraus (BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 63). Der Fahrzeughersteller muss dabei darlegen und beweisen, dass sich sämtliche seiner verfassungsmäßig berufenen Vertreter im Sinne des § 31 BGB über die Rechtmäßigkeit der vom Käufer dargelegten und erforderlichenfalls nachgewiesenen Abschalteinrichtung mit allen für die Prüfung nach Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 bedeutsamen Einzelheiten im Irrtum befanden oder im Falle einer Ressortaufteilung den damit verbundenen Pflichten genügten (vgl. BGH, Urteil vom 6. November 2018 - II ZR 11/17, BGHZ 220, 162 Rn. 17 ff.; Urteil vom 25. September 2023 - VIa ZR 1/23, NJW 2023, 3796 Rn. 14). Der Irrtum muss außerdem die Rechtmäßigkeit der konkreten, in Rede stehenden Abschalteinrichtung mit allen für die Prüfung nach Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 bedeutsamen Einzelheiten betreffen. Nur in Bezug auf einen in diesen Einzelheiten konkret festgestellten Irrtum der maßgebenden Personen - zur maßgeblichen Zeit (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni
2023, aaO, Rn. 61 f.; Urteil vom 11. Dezember 2023 - VIa ZR 340/22, WM 2024, 225 Rn. 12; Urteil vom 20. Februar 2024 - VI ZR 589/20, WM 2024, 766 Rn. 13) - kann der Sorgfaltsmaßstab der Fahrlässigkeit sachgerecht geprüft und die Unvermeidbarkeit festgestellt werden. Die strengen Maßstäbe dafür hat der Senat in seiner Entscheidung vom 26. Juni 2023 ebenfalls ausgeführt (BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 63 bis 70).
bb) Diesen Maßstäben ist das Berufungsgericht nicht gerecht geworden. Genügende Feststellungen dazu, sämtliche Repräsentanten der Beklagten hätten sich zur maßgeblichen Zeit in einem Rechtsirrtum befunden, fehlen. Erst im Anschluss an die Darlegung und den Nachweis dieser Umstände konnte aber für die Frage der Unvermeidbarkeit eines festgestellten Verbotsirrtums Bedeutung gewinnen, ob - worauf das Berufungsgericht wohl im Ansatz abheben möchte eine festgestellte Abschalteinrichtung entweder in all ihren für die Bewertung nach Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 maßgebenden Einzelheiten von der damit befassten nationalen Behörde genehmigt war oder genehmigt worden wäre (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 64 ff.). Soweit hingegen eine Entlastung der Beklagten aufgrund selbst angestellter Erwägungen in Frage stand, hätte das Berufungsgericht berücksichtigen müssen, dass in Bezug auf Thermofenster zur maßgeblichen Zeit die Bedeutung der Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 nicht höchstrichterlich und insbesondere nicht durch den Gerichtshof der Europäischen Union geklärt war (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 69; Urteil vom 25. September 2023 - VIa ZR 1/23, NJW 2023, 3796 Rn. 14 f.). Eine Entlastung ohne Rücksicht hierauf und etwa allein im Hinblick auf den von dem Berufungsgericht erwähnten Umstand, dass nahezu jedes Dieselfahrzeug mit einer Abgasrückführung auch über ein Thermofenster verfügte, kommt dagegen nicht in Betracht (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 70).
III.
Die angefochtene Entscheidung ist demnach im tenorierten Umfang aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil sie sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Die Sache ist im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu den Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.
C. Fischer Brenneisen Messing Katzenstein F. Schmidt Vorinstanzen: LG Stuttgart, Entscheidung vom 23.08.2022 - 54 O 201/22 OLG Stuttgart, Entscheidung vom 16.03.2023 - 24 U 2401/22 - VIa ZR 405/23 Verkündet am: 20. Mai 2025 Bürk, Amtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle