6 StR 131/24
BUNDESGERICHTSHOF StR 131/24 BESCHLUSS vom 20. August 2024 in der Strafsache gegen wegen Vergewaltigung u.a.
ECLI:DE:BGH:2024:200824B6STR131.24.0 Der 6. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 20. August 2024 beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 4. Dezember 2023 wird a) das Verfahren im Fall II.2.d) der Urteilsgründe auf den Vorwurf der versuchten gefährlichen Körperverletzung beschränkt,
b) das Urteil aa) im Schuldspruch dahin geändert, dass die tateinheitliche Verurteilung des Angeklagten wegen Beleidigung im Fall II.2.d) der Urteilsgründe entfällt,
bb) im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Körperverletzung unter Einbeziehung von früher gegen ihn verhängten Strafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten, wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung unter Einbeziehung einer früher gegen ihn ausgesprochenen Strafe zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und einem Monat und wegen Vergewaltigung, wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Beleidigung, wegen Körperverletzung, wegen Verstoßes gegen das Gewaltschutzgesetz in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Bedrohung, sowie wegen Beleidigung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Bedrohung, zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt. Außerdem hat es die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
1. Nach den Feststellungen war der an einer leichten Intelligenzminderung leidende Angeklagte seit 2018 mit der Zeugin K. liiert, die ebenfalls eine leichte Intelligenzminderung aufweist. Im Rahmen der Beziehung kam es wiederholt zu Gewalttätigkeiten des Angeklagten gegenüber K. , in deren Rahmen er sie auch beschimpfte und bedrohte. An einem nicht näher feststellbaren Tag zwischen dem 19. März und dem 23. April 2020 „packte“ er sie im Rahmen einer verbalen Auseinandersetzung am Hals, stieß sie gegen eine Wand und drückte ihren Hals etwa eine Minute lang zu, so dass sie Schmerzen und Hämatome im Halsbereich erlitt (Fall II.2.a) der Urteilsgründe). Am 12. Juni 2021 verbrachten beide den Tag gemeinsam und konsumierten Alkohol. Nachdem sie gegen fünf Uhr morgens nach Hause zurückgekehrt waren, forderte der Angeklagte sie im Badezimmer mit den Worten „Wenn Du das nicht richtig machst, kriegst Du´s auf´s Maul“ dazu auf, ihm einen Stuhl hinzustellen. Da er mit ihren Bemühungen, den Stuhl richtig zu positionieren, nicht zufrieden war, stieß er sie mit dem Kopf gegen die im Badezimmer befindliche Waschmaschine. K. fiel daraufhin zu Boden und blieb auf dem Rücken liegen. Der Angeklagte schlug währenddessen mehrfach mit der flachen Hand und der Faust in ihr Gesicht, ihren Bauch und auf ihren Rücken. Außerdem trat er ihr wiederholt ins Gesicht, gegen den Kopf und gegen den Rücken, woraufhin sie kurzzeitig das Bewusstsein verlor (Fall II.2.b) der Urteilsgründe).
Trotz der fortbestehenden Konflikte heirateten der Angeklagte und K. am 15. Oktober 2021. In der anschließenden Hochzeitsnacht kam es zunächst zu einvernehmlichen sexuellen Handlungen zwischen ihnen. In deren Verlauf wollte der Angeklagte sie mit der Hand befriedigen, womit sie anfangs einverstanden war. Er befeuchtete seine Hand und versuchte, mit der ganzen Hand vaginal in sie einzudringen. Als sie durch das kräftige Drücken des Angeklagten erhebliche Schmerzen verspürte, sagte sie ihm, dass er aufhören solle. Der Angeklagte setzte seine Bemühungen jedoch dessen ungeachtet fort. Er drang mit mehreren Fingern vaginal in sie ein und versuchte weiter, mit erheblichem Druck seine ganze Hand in ihre Vagina einzuführen, wodurch sie weitere Schmerzen erlitt. Sie sagte ihm daraufhin mehrfach, dass er aufhören solle, und versuchte, sich gegen seine Handlungen zu wehren. Erst nachdem sie sich weiterhin unter ihm gewunden und wiederholt „Stopp“ gesagt hatte, ließ er von ihr ab (Fall II.2.c) der Urteilsgründe).
Am 22. Februar 2022 kam es erneut zu einer verbalen Auseinandersetzung zwischen dem Angeklagten und K. , in deren Rahmen er eine teilweise gefüllte Bierflasche gezielt in Richtung ihres Kopfes warf, um sie zu verletzen, und sie als „Hure“ und „Schlampe“ bezeichnete. K. konnte der Bierflasche ausweichen, indem sie sich duckte. Die Flasche zerbrach beim Aufschlag auf den Boden, so dass der Angeklagte seinen Versuch, K. damit zu treffen, als gescheitert ansah (Fall II.2.d) der Urteilsgründe). Im Anschluss an diesen Vorfall trennte sich K. von dem Angeklagten. Weil er sie weiterhin bedrohte, erwirkte sie eine Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz, durch die ihm untersagt wurde, telefonisch oder in anderer Form Kontakt zu ihr aufzunehmen. Dagegen verstieß der Angeklagte in zwei Fällen, wobei er K. in einem dieser Fälle mit dem Tode bedrohte (Fälle II.2.e) und f) der Urteilsgründe).
Im Sommer 2022 führte der Angeklagte eine Beziehung mit der Zeugin S. . Am 22. August 2022 kam es zu einer verbalen Auseinandersetzung zwischen ihnen, in deren Verlauf er ihr mit der flachen Hand gegen die linke und die rechte Wange schlug und einen derart heftigen Kopfstoß versetzte, dass sie nach hinten auf den Boden fiel (Fall II.2.g) der Urteilsgründe). Schließlich kam es im Oktober 2022 zu zwei Vorfällen, bei denen der Angeklagte Polizeibeamte in verschiedener Form beleidigte bzw. bedrohte (Fälle II.2.h) und i) der Urteilsgründe).
2. Der Senat beschränkt das Verfahren im Fall II.2.d) der Urteilsgründe auf Antrag des Generalbundesanwalts gemäß § 154a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 StPO auf den Vorwurf der versuchten gefährlichen Körperverletzung. Die dadurch bedingte Änderung des Schuldspruchs in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO lässt die vom Landgericht insoweit verhängte Freiheitsstrafe von acht Monaten unberührt. Der Senat schließt aus, dass das Landgericht ohne das ausgeschiedene Delikt der Beleidigung auf eine noch niedrigere Strafe erkannt hätte. Es hat der tateinheitlichen Verwirklichung der Beleidigung innerhalb des zweifach nach § 49 StGB gemilderten Regelstrafrahmens des § 224 Abs. 1 StGB ersichtlich kein nennenswertes Gewicht beigemessen.
3. Der auf die Taten in den Fällen II.2.a), b), c) und g) der Urteilsgründe gestützte Maßregelausspruch hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Der Generalbundesanwalt hat dazu in seiner Antragsschrift ausgeführt:
„Die Strafkammer hat nicht hinreichend dargelegt, dass sich die festgestellte leichte Intelligenzminderung des Angeklagten in den konkreten Situationen der Anlasstaten (…) ursächlich auf seine Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat.
Die Anordnung der (unbefristeten) Unterbringung gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme, die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf daher nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldunfähig war und die Tatbegehung darauf beruht. Dies erfordert eine umfassende Würdigung der Persönlichkeit des Angeklagten und Ausführungen dazu, welchen Einfluss die Intelligenzminderung auf seine Handlungsmöglichkeiten in der konkreten Tatsituation hatte. Geboten ist insbesondere eine Auseinandersetzung damit, ob in der Person des Angeklagten nicht nur Eigenschaften und Verhaltensweisen hervortreten, die sich im Rahmen dessen halten, was bei voll schuldfähigen Menschen anzutreffen und übliche Ursache für strafbares Verhalten ist (vgl. BGH, Urteile vom 22. April 2015 − 2 StR 393/14, juris Rn. 9; und vom 6. März 1986 − 4 StR 40/86, BGHSt 34, 22, 27; sowie Beschlüsse vom 24. Oktober 2018 − 1 StR 457/18, juris Rn. 10; und vom 19. Februar 2015 − 2 StR 420/14, juris Rn. 7; MüKoStGB/van Gemmeren, 4. Aufl., § 63 Rn. 22, jeweils m. w. N.; s. auch Cirener, StraFo 2018, 373 ff.).
Diesen Anforderungen werden die Urteilsgründe nicht gerecht. Die in knapper und allgemeiner Form wiedergegebenen Ausführungen der Sachverständigen differenzieren bereits nicht zwischen den einzelnen Tathandlungen (…). Sie sind daher auch vor dem Hintergrund der in der Exploration gegenüber der Sachverständigen erfolgten Angaben des Angeklagten zu den einzelnen Tatvorwürfen (…) nicht geeignet, einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der festgestellten leichten Intelligenzminderung des Angeklagten und den Anlasstaten zu belegen. Die leichte Intelligenzminderung lässt für sich allein keinen Schluss auf die Schuldfähigkeit zu (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 24. Mai 2017 − 1 StR 55/17, juris Rn. 8 f.; Fischer, StGB, 71. Aufl., § 20 Rn. 35, jeweils m. w. N.).
Schließt sich das Tatgericht − wie hier − dem Sachverständigen an, muss es sich grundsätzlich mit dem Gutachteninhalt auseinandersetzen und die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Schlussfolgerungen des Sachverständigen auf eine für das Revisionsgericht nachvollziehbare Weise mitteilen (vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 9. März 2023 − 6 StR 22/23, Rn. 11; und vom 19. November 2014 − 4 StR 497/14, juris Rn. 12, jeweils m. w. N.). Dies ist hier nicht der Fall.
Anhand der Urteilsgründe bleibt bereits unklar, aufgrund welcher Untersuchungsverfahren und Kriterien die Sachverständige zu ihrer Diagnose einer leichten Intelligenzminderung gelangt ist (vgl. hierzu BGH, Beschlüsse vom 24. Mai 2017 − 1 StR 55/17, juris Rn. 9; und vom 24. Oktober 2018 − 1 StR 457/18, juris Rn. 15). Aus den Urteilsausführungen geht insoweit nur hervor, dass die Sachverständige den Angeklagten exploriert und Erkenntnisse aus den beigezogenen fachärztlichen Stellungnahmen und der Betreuungsakte gewonnen und referiert hat (…). Was sie genau erläutert hat, wird nicht näher dargestellt. Welche Angaben die Sachverständige insbesondere zu den Auswirkungen der Intelligenzminderung in den konkreten Tatsituationen gemacht hat, wird nicht dargelegt.
Die von der Strafkammer, gestützt auf die Ergebnisse der Sachverständigen, angeführten Folgen der intellektuellen Minderbegabung − die ,Beeinträchtigung der Urteils- und Kritikfähigkeit, der Reflektionsfähigkeit sowie die Störung der Affektregulation und der Impulskontrolle‘ (…) − sind als mitursächliche Faktoren bei der Begehung von Straftaten wie den festgestellten − vor allem bei Gewaltdelikten − nicht ungewöhnlich, sondern auch bei voll schuldfähigen Tätern anzutreffen. Es bleibt auch in der Gesamtschau der Urteilsgründe daher unklar, weshalb die Anlasstaten konkret auf die Intelligenzminderung des Angeklagten zurückzuführen seien.
So erschließt sich etwa nicht, inwieweit das Hemmvermögen bei der Tat II.2.c) der Urteilsgründe − einer Vergewaltigung, der weder eine Streitigkeit noch eine Kritik der Geschädigten vorausgegangen war (…) − infolge der leichten Intelligenzminderung des Angeklagten erheblich vermindert gewesen sei. Das von der Strafkammer in diesem Zusammenhang angeführte Bedürfnis des Angeklagten, Stärke und Überlegenheit zu zeigen, und der Drang nach Anerkennung und die daraus resultierende Herabsetzung der Fähigkeit zur Reflektion (…) sind auch bei voll schuldfähigen Tätern anzutreffen. Gegen eine erhebliche Herabsetzung der Steuerungsfähigkeit könnte außerdem sprechen, dass der Angeklagte von der Geschädigten abließ, als diese sich verbal und physisch gegen sein Vorgehen zur Wehr setzte (…).
Hinzu kommt, dass der Angeklagte jedenfalls bei den Anlasstaten II.2.b), 2.c) und 2.g) nicht unerheblich alkoholisiert war (...), wodurch die von der Sachverständigen festgestellten Beeinträchtigungen verstärkt worden seien (…). Auch im Hinblick auf diesen zusätzlichen Faktor ist unklar, ob die Anlasstaten tatsächlich ursächlich auf die intellektuelle Beeinträchtigung des Angeklagten zurückzuführen sind. Tritt zu der Minderbegabung – wie hier – eine vorübergehende Alkoholisierung hinzu, bedarf es zusätzlicher Feststellungen dazu, dass insoweit ein länger andauernder ,Zustand‘ im Sinne des § 63 StGB vorliegt (vgl. van Gemmeren a. a. O., Rn. 22, 119). Zwar hat das Landgericht ausgeführt, dass die verminderte Steuerungsfähigkeit vorliegend allein auf die Intelligenzminderung und nicht auf den Konsum von Alkohol zurückgehe (…). Weshalb dies bei den konkreten Taten so war, wird im Urteil jedoch nicht nachvollziehbar dargestellt.“
Dem schließt sich der Senat an.
Im Hinblick auf die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus bedarf die Sache neuer Verhandlung und Entscheidung, wobei das neue Tatgericht aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts genannten Gründen gegebenenfalls auch eingehender als bisher zu prüfen haben wird, ob die Gefährlichkeit des Angeklagten durch weniger einschneidende Maßnahmen abgemildert werden kann.
Feilcke Tiemann von Schmettau Arnoldi Gödicke Vorinstanz: Landgericht Saarbrücken, 04.12.2023 - 8 KLs 26/23 21 Js 1105/21