IV ZR 193/22
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES IV ZR 193/22 URTEIL in dem Rechtsstreit Verkündet am: 24. April 2024 Heinekamp Amtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle ECLI:DE:BGH:2024:240424UIVZR193.22.0 Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Karczewski, die Richterinnen Harsdorf-Gebhardt, Dr. Brockmöller, Dr. Bußmann und den Richter Dr. Bommel im schriftlichen Verfahren mit Schriftsatzfrist bis zum 8. März 2024 für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 20. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 13. Mai 2022 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung der Beklagten
1. gegen die Feststellung, dass über den 1. Mai 2021 hinaus die Erhöhung des Monatsbeitrags in der zwischen der Klägerin und der Beklagten bestehenden Krankenversicherung mit der Versicherungsnummer … im Tarif V. 4 - B. zum 1. April 2017 um 39,90 € unwirksam und die Klägerin nicht zur Zahlung des Erhöhungsbetrags verpflichtet ist, und
2. gegen die Verurteilung der Beklagten, der Klägerin Auskunft über alle Beitragsanpassungen zu erteilen, die die Beklagte in dem zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag in den Jahren 2011, 2012, 2013, 2014, 2015 und 2016 zur Versicherungsnummer … vorgenommen hat, und hierzu geeignete Unterlagen zur Verfügung zu stellen,
zurückgewiesen worden ist.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 20. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 29. September 2021 dahingehend abgeändert, dass die Klage auch insoweit abgewiesen wird.
Die Kosten erster Instanz tragen die Klägerin zu 82 % und die Beklagte zu 18 %. Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Klägerin zu 51 % und die Beklagte zu 49 %.
Die Kosten des Revisionsverfahrens trägt die Klägerin.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf bis 2.000 € festgesetzt.
Von Rechts wegen Tatbestand:
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit von Beitragserhöhungen in einer privaten Krankenversicherung.
Die Klägerin hält eine Krankenversicherung bei der Beklagten. Die dem Versicherungsvertrag zugrundeliegenden Allgemeinen Versicherungsbedingungen umfassen in Teil I die "Musterbedingungen 2009 - MB/KK 2009 - des Verbandes der privaten Krankenversicherung" (im Folgenden: MB/KK 2009) sowie in Teil II die "Tarifbedingungen" der Beklagten. In den Muster- und Tarifbedingungen heißt es:
"§ 8b Beitragsanpassung Teil I 1. Im Rahmen der vertraglichen Leistungszusage können sich die Leistungen des Versicherers z.B. wegen steigender Heilbehandlungskosten, einer häufigeren Inanspruchnahme medizinischer Leistungen oder aufgrund steigender Lebenserwartung ändern. Dementsprechend vergleicht der Versicherer zumindest jährlich für jeden Tarif die erforderlichen mit den in den technischen Berechnungsgrundlagen kalkulierten Versicherungsleistungen und Sterbewahrscheinlichkeiten. Ergibt diese Gegenüberstellung für eine Beobachtungseinheit eines Tarifs eine Abweichung von mehr als dem gesetzlich oder tariflich festgelegten Vomhundertsatz, werden alle Beiträge dieser Beobachtungseinheit vom Versicherer überprüft und, soweit erforderlich, mit Zustimmung des Treuhänders angepasst. 2. Von einer Beitragsanpassung kann abgesehen werden, wenn nach übereinstimmender Beurteilung durch den Versicherer und den Treuhänder die Veränderung der Versicherungsleistungen als vorübergehend anzusehen ist. 3. […]
Teil II Zu § 8b Abs. 1 Beitragsanpassung […] Ergibt die Gegenüberstellung nach Absatz 1 Satz 2 bei den Versicherungsleistungen eine Abweichung von mehr als 10 %, werden alle Beiträge dieser Beobachtungseinheit vom Versicherer überprüft und, soweit erforderlich, mit Zustimmung des Treuhänders angepasst. Bei einer Abweichung von mehr als 5 % können alle Beiträge dieser Beobachtungseinheit vom Versicherer überprüft und, soweit erforderlich, mit Zustimmung des Treuhänders angepasst werden. Ergibt die Gegenüberstellung nach Absatz 1 Satz 2 bei der Sterbewahrscheinlichkeit eine Abweichung von mehr als 5 %, werden alle Beiträge dieser Beobachtungseinheit vom Versicherer überprüft und mit Zustimmung des Treuhänders angepasst. […]" Die Beklagte teilte der Klägerin unter anderem eine Beitragserhö- hung im Tarif V.
- B. zum 1. April 2017 um 39,90 € mit.
Soweit für die Revision noch von Interesse, hat die Klägerin mit ihrer Klage die Feststellung beantragt, dass die Beitragserhöhung unwirksam und sie nicht zur Zahlung des Erhöhungsbetrags verpflichtet ist. Des Weiteren hat sie Auskunft über alle Beitragsanpassungen verlangt, die die Beklagte in dem Versicherungsvertrag in den Jahren 2011 bis 2016 vorgenommen hat; insoweit hat sie beantragt, die Beklagte zu verurteilen, hierzu geeignete Unterlagen zur Verfügung zu stellen, in denen mindestens die Höhe der Beitragserhöhungen unter Benennung der jeweiligen Tarife, die der Klägerin übermittelten Informationen in Form von Anschreiben und Nachträgen zum Versicherungsschein und die ihr übermittelten Begründungen sowie Beiblätter enthalten sind.
Das Landgericht hat der Auskunftsklage stattgegeben sowie festgestellt, dass die Erhöhung des Monatsbeitrags zum 1. April 2017 unwirksam und die Klägerin nicht zur Zahlung des Erhöhungsbetrages verpflichtet ist. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.
Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Klageabweisung weiter, soweit sie zur Erteilung von Auskünften verurteilt worden und die Unwirksamkeit der Neufestsetzung des Beitrags im Tarif V.
4- B. zum 1. April 2017 und das Fehlen einer Verpflichtung zur Zahlung des Erhöhungsbetrags über den 1. Mai 2021 hinaus festgestellt worden ist.
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat Erfolg.
I. Das Berufungsgericht ist der Ansicht, dass die Prämienerhöhung formell unwirksam sei. Eine Heilung sei durch die mit der Klageerwiderung erfolgte Nachbegründung nicht eingetreten, weil sich die Beitragserhöhung auch als materiell unwirksam darstelle. Da die Veränderung bei den Versicherungsleistungen über 5 %, aber unter dem gesetzlichen Schwellenwert von 10 % liege, wäre eine Beitragsanpassung nur dann wirksam, wenn diese auf der Grundlage von § 8b MB/KK 2009 wirksam hätte erfolgen können. Die Klausel sei aber unwirksam, da abweichend von den gesetzlichen Vorschriften dem Versicherer die Möglichkeit eingeräumt werde, auch im Falle einer nur vorübergehenden Veränderung der Rechnungsgrundlage "Versicherungsleistungen" eine Beitragsanpassung vorzunehmen. Unabhängig davon räume die Klausel dem Versicherer ein Ermessen in Bezug auf die Überprüfung und Anpassung der Beiträge bei einer Abweichung im Bereich zwischen "mehr als 5 %" und bis zu 10 % ein, was der geltenden gesetzlichen Regelung widerspreche und die Vertragspartner der Beklagten im Sinne des § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unangemessen benachteilige.
Ein Auskunftsanspruch ergebe sich nicht aus § 242 BGB, weil die Klägerin nicht substantiiert vorgetragen habe, dass ihr die Unterlagen nicht mehr zur Verfügung ständen. Der Auskunftsanspruch ergebe sich jedoch aus Art. 15 Abs. 1, 3 DSGVO.
II. Das hält rechtlicher Nachprüfung überwiegend nicht stand.
1. Das Berufungsgericht hat zu Unrecht die Prämienerhöhung mit der Begründung für unwirksam gehalten, dass es für diese an einer wirksamen Prämienanpassungsklausel fehle.
a) Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils mit Urteil vom 22. Juni 2022 (IV ZR 253/20, VersR 2022, 1078) entschieden und im Einzelnen begründet hat, stehen die Regelungen in § 8b MB/KK 2009 zu den Voraussetzungen einer Prämienanpassung einer Anwendung des niedrigeren Schwellenwertes für eine Prämienanpassung aus den Tarifbedingungen des Versicherers nicht entgegen. Zwar ist § 8b Abs. 2 MB/KK 2009 unwirksam, aber dies lässt die Wirksamkeit von § 8b Abs. 1 MB/KK 2009 unberührt (vgl. Senatsurteil vom 22. Juni 2022 aaO Rn. 31 ff.).
b) Der Senat hat außerdem mit Urteil vom 12. Juli 2023 (IV ZR 347/22, VersR 2023, 1222) entschieden und im Einzelnen begründet, dass eine Prämienanpassungsklausel - wie hier § 8b Teil II Satz 3 der Tarifbedingungen -, nach welcher der Versicherer die Beiträge bei einer Abweichung der erforderlichen von den kalkulierten Versicherungsleistungen um mehr als fünf Prozent überprüfen und anpassen kann, aber nicht muss, nicht zum Nachteil des Versicherungsnehmers von § 203 Abs. 2 Satz 4 VVG in Verbindung mit § 155 Abs. 3 Satz 2 VAG abweicht und diesen auch nicht gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unangemessen benachteiligt (vgl. Senatsurteil vom 12. Juli 2023 aaO Rn. 16, 20).
2. Die Entscheidung des Berufungsgerichts, dass die Mitteilung der Prämienanpassung den Anforderungen aus § 203 Abs. 5 VVG nicht genügt, wird von der Revision zu Recht nicht angegriffen. Da nach der tatrichterlichen Beurteilung des Berufungsgerichts jedoch eine Nachbegründung in der am 4. März 2021 zugestellten Klageerwiderung erfolgt ist, wurde damit die für die Wirksamkeit der Neufestsetzung der Prämie angeordnete Frist in Lauf gesetzt (vgl. Senatsurteil vom 16. Dezember 2020 - IV ZR 294/19, BGHZ 228, 56 Rn. 42). Die Wirksamkeit trat zum Beginn des zweiten auf diese Mitteilung folgenden Monats ein, d.h. zum 1. Mai 2021. Die Unwirksamkeit der Prämienanpassung und das Fehlen einer Pflicht zur Zahlung des Erhöhungsbetrages ist dem Revisionsantrag entsprechend nur bis zum 1. Mai 2021 festzustellen.
3. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht die Beklagte zur Auskunftserteilung verurteilt. Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden und im Einzelnen begründet hat, folgt ein Anspruch auf eine Abschrift der gesamten Begründungsschreiben samt Anlagen - worauf der Klageantrag auch hier abzielt - nicht aus Art. 15 Abs. 1 DSGVO (vgl. Senatsurteil vom 27. September 2023 - IV ZR 177/22, VersR 2023, 1514 Rn. 45 ff.).
Das Berufungsurteil erweist sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig, da es für einen - grundsätzlich möglichen - Auskunftsanspruch aus § 242 BGB (vgl. Senatsurteil vom 27. September 2023 - IV ZR 177/22, VersR 2023, 1514 Rn. 31) nach den Feststellungen des Berufungsgerichts an den tatsächlichen Voraussetzungen fehlt. Soweit sich die Klage auf Übermittlung der inzwischen überholten Nachträge zum Versicherungsschein aus den Jahren 2011 bis 2016 richtet, kann ein solcher Anspruch nicht auf § 3 Abs. 3 VVG gestützt werden (vgl. Senatsurteil vom 27. September 2023 aaO Rn. 42). Der Senat hat außerdem mit Urteil vom 21. Februar 2024 (IV ZR 311/22, juris Rn. 18) entschieden und im Einzelnen begründet, dass sich ein Auskunftsanspruch dieses Inhalts auch nicht aus § 7 Abs. 4 VVG ergibt.
Prof. Dr. Karczewski Harsdorf-Gebhardt Dr. Brockmöller Dr. Bußmann Dr. Bommel Vorinstanzen: LG Köln, Entscheidung vom 29.09.2021 - 20 O 64/21 OLG Köln, Entscheidung vom 13.05.2022 - 20 U 198/21 -