VII ZR 68/22
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES VII ZR 68/22 URTEIL in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ:
ja BGHR:
ja JNEU:
nein Verkündet am: 22. August 2024 Zimmermann, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle BGB § 634 Nr. 2, § 634 Nr. 3, § 637, § 638 Die Minderung des Vergütungsanspruchs nach § 634 Nr. 3, Fall 2, § 638 BGB schließt einen Kostenvorschussanspruch nach § 634 Nr. 2, § 637 Abs. 3 BGB wegen des Mangels, auf den die Minderung gestützt wird, nicht aus.
BGH, Urteil vom 22. August 2024 - VII ZR 68/22 - OLG Celle LG Lüneburg ECLI:DE:BGH:2024:220824UVIIZR68.22.0 Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 8. August 2024 durch den Vorsitzenden Richter Pamp, die Richter Halfmeier und Prof. Dr. Jurgeleit sowie die Richterinnen Graßnack und Sacher für Recht erkannt:
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des 14. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 9. März 2022 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen Tatbestand: 1 Die Parteien streiten - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - über mit der Widerklage geltend gemachte Ansprüche der Beklagten auf Zahlung von Kostenvorschüssen für die Beseitigung von solchen Schallschutzmängeln, für die sie zunächst eine Minderung der Vergütung erklärt haben. 2 Aufgrund Vertrags vom 10. Dezember 2012 errichtete die Klägerin für die Beklagten auf deren Grundstück ein Einfamilienhaus. Die Abnahme erfolgte am 14. Oktober 2013. 3 Die Klägerin erstellte unter dem 21. Februar 2014 eine Schlussrechnung, aus der sich zu ihren Gunsten eine Restforderung von 102.100,37 € ergibt, die sie im vorliegenden Verfahren eingeklagt hat. Die Beklagten haben widerklagend
- unter anderem gestützt auf ihre erklärte Minderung - beantragt, die Klägerin zur Rückzahlung überzahlter Vergütung in Höhe von 94.833,25 € nebst Zinsen zu verurteilen. Die Beklagten haben insoweit merkantile Minderwerte geltend gemacht, die auf einer Reihe von ihnen im Einzelnen dargelegter Mängel beruhen sollen. Dazu gehören Schallschutzmängel betreffend "Lüfter", "Abwasseranlage" und "Trittschall".
Das Landgericht hat zur Feststellung der behaupteten Mängel und über die Frage, wie sich die festgestellten Mängel auf den Verkehrswert des bebauten Grundstücks auswirken, Beweis erhoben. Hinsichtlich der Schallschutzmängel hat das Landgericht die Widerklage abgewiesen, da diese Mängel keinen Einfluss auf den Verkehrswert des Grundstücks hätten.
Gegen das landgerichtliche Urteil haben die Beklagten Berufung eingelegt unter anderem mit dem Ziel, die Klägerin zur Zahlung von weiteren 20.000 € zu verurteilen (Verkehrswertminderungen auf der Grundlage der gerügten Schallschutzmängel).
Im Berufungsverfahren hat das Berufungsgericht darauf hingewiesen, dass es hinsichtlich der Feststellungen des Landgerichts zu einer Verkehrswertminderung des Grundstücks im Hinblick auf die gerügten Schallschutzmängel keine Zweifel an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts habe. Daraufhin haben die Beklagten die Verurteilung der Klägerin zur Zahlung von weiteren 20.000 € als Kostenvorschuss begehrt. Nach einer weiteren Beweisaufnahme zum Vorliegen der behaupteten Schallschutzmängel und der Höhe der Mängelbeseitigungskosten hat das Berufungsgericht unter teilweiser Abänderung des landgerichtlichen Urteils die Klägerin verurteilt, an die Beklagten weitere 16.730,36 € nebst Zinsen als Kostenvorschuss zu zahlen.
Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision und beantragt insoweit die Abweisung der Widerklage.
Entscheidungsgründe: 8 Die Revision der Klägerin hat keinen Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat im Wesentlichen ausgeführt:
Die Beklagten seien nicht gehindert, ihr Begehren teilweise von einem Minderungsanspruch auf einen Kostenvorschussanspruch umzustellen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs habe der Besteller ein Wahlrecht zwischen den in § 634 BGB genannten Mängelrechten. Jedenfalls dann, wenn - wie hier - tatsächlich kein Minderwert aufgrund von Werkmängeln vorliege, könne dem Besteller ein Wechsel zum Vorschussanspruch nicht verwehrt werden.
Der Kostenvorschussanspruch gemäß § 637 Abs. 3 BGB sei auch überwiegend begründet. Materiell-rechtlich stehe lediglich im Streit, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die im schriftlichen Gutachten des Sachverständigen S.
genannten Schallschutzmängel vorlägen. Der Sachverständige habe bereits in seinem schriftlichen Gutachten dargelegt, dass und inwieweit Schallschutzmängel vorlägen und in welchem Umfang Beseitigungskosten anfielen. In der mündlichen Verhandlung habe der Sachverständige sein Gutachten mündlich erläutert. Daraus ergebe sich, dass hinsichtlich der "Lüfter" die nach dem Bebauungsplan bestehenden Anforderungen nicht erfüllt seien. Das gelte auch für den Schallschutz der "Abwasseranlage", der nichts damit zu tun habe, ob es sich um ein Ein- oder Mehrfamilienhaus handele. Soweit es den "Trittschall" betreffe, habe der Sachverständige ebenfalls einen Mangel festgestellt. Die Beklagten könnten deshalb voraussichtliche Kosten für die Mängelbeseitigung hinsichtlich der "Lüfter" von 4.873,05 €, hinsichtlich der "Abwasseranlage" von 3.784,20 € und hinsichtlich des "Trittschalls" von 10.223,11 € als Vorschuss verlangen. Daraus errechneten sich Vorschusskosten in Höhe von insgesamt 18.880,36 €. Dieser Betrag sei im Umfang von 2.150 € aufgrund der von der Klägerin erklärten Hilfsaufrechnung mit einem unstreitigen restlichen Vergütungsanspruch erloschen.
Soweit die Klägerin die Unverhältnismäßigkeit der Nachbesserung gemäß § 635 Abs. 3 BGB einwende, bliebe dies ohne Erfolg. Entgegen dem Vorbringen der Klägerin könne den Beklagten ein objektives berechtigtes Interesse an der ordnungsgemäßen Vertragserfüllung nicht abgesprochen werden. Die Schallschutzmängel seien nicht gänzlich belanglos und vernachlässigbar. Daran ändere der Umstand, dass sich die Mängel nicht auf den Wert des Hauses auswirkten, nichts. Vielmehr müssten die Beklagten andernfalls mit den Mängeln leben und die daraus folgenden Beeinträchtigungen ertragen. Zudem seien die prognostizierten Kosten nicht derartig hoch, dass deshalb die Mangelbeseitigung als unverhältnismäßig erscheine.
II.
Die zulässige Revision ist nicht begründet.
Die Erwägungen des Berufungsgerichts halten im Ergebnis einer rechtlichen Nachprüfung stand. Das Berufungsgericht hat zu Recht für jeden der drei geltend gemachten Schallschutzmängel ("Lüfter", "Abwasseranlage", "Trittschall"), die selbständige Streitgegenstände darstellen, zugunsten der Beklagten die Voraussetzungen für einen Kostenvorschussanspruch bejaht. Die deshalb bestehenden Kostenvorschussansprüche können die Beklagten geltend machen, obwohl sie für diese Schallschutzmängel zuvor die Minderung nach § 634 Nr. 3 BGB erklärt haben.
1. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts stehen den Beklagten wegen jedes gerügten Schallschutzmangels Kostenvorschussansprüche aus § 634 Nr. 2, § 637 Abs. 1, 3 BGB gegen die Klägerin zu.
a) Der Schallschutz der "Lüfter", der "Abwasseranlage" und des "Trittschalls" entspricht nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht der vereinbarten Beschaffenheit, so dass drei Sachmängel gegeben sind.
Soweit die Revision die Feststellungen des Berufungsgerichts zur "Abwasseranlage" und zum "Trittschall" mit Verfahrensrügen angreift, hat der Senat diese geprüft, aber nicht für durchgreifend erachtet (§ 564 Satz 1 ZPO).
b) Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts, die die Revision nicht angreift, müssen die Beklagten für die Beseitigung des Mangels an den "Lüftern" 4.873,05 €, für die Beseitigung des Mangels der "Abwasseranlage" 3.784,20 € und für die Beseitigung des "Trittschalls" 10.223,11 € aufwenden.
c) Diese Ansprüche sind nicht nach § 634 Nr. 2, § 637 Abs. 1, § 635 Abs. 3 BGB ausgeschlossen.
Die Befugnis des Bestellers auf Selbstvornahme und der Anspruch auf Kostenvorschuss sind nach § 637 Abs. 1 BGB ausgeschlossen, wenn der Unternehmer zu Recht die Nacherfüllung verweigert. Nach § 635 Abs. 3 BGB kann der Unternehmer die Nacherfüllung verweigern, wenn sie nur mit unverhältnismäßigen Kosten möglich ist. Unverhältnismäßig im Sinne des § 635 Abs. 3 BGB sind die Kosten für die Beseitigung eines Mangels dann, wenn der damit in Richtung auf die Beseitigung des Mangels erzielte Erfolg bei Abwägung aller Umstände des Einzelfalls in keinem vernünftigen Verhältnis zur Höhe des dafür geltend gemachten Geldaufwandes steht. Unverhältnismäßigkeit wird in aller Regel anzunehmen sein, wenn einem objektiv geringen Interesse des Bestellers an einer mangelfreien Vertragsleistung unter Abwägung aller Umstände ein ganz erheblicher und deshalb vergleichsweise unangemessener Aufwand gegenübersteht (vgl. BGH, Urteil vom 24. April 1997 - VII ZR 110/96, BauR 1997, 638, juris Rn. 13).
Auf der Grundlage der Feststellungen des Berufungsgerichts sind diese Voraussetzungen nicht gegeben. Zum einen liegen Schallschutzmängel vor, die für die Qualität des Wohnens von nicht unwesentlicher Bedeutung sind. Zum anderen sind die Aufwendungen, mit denen die Beklagten einen vertragsgerechten Schallschutz herstellen können, keinesfalls unangemessen.
Soweit die Revision die Feststellungen des Berufungsgerichts mit Verfahrensrügen angreift, hat der Senat diese geprüft, aber nicht für durchgreifend erachtet (§ 564 Satz 1 ZPO).
2. Diese Kostenvorschussansprüche sind nicht deswegen ausgeschlossen, weil die Beklagten wegen der Mängel, die zu diesen Ansprüchen führen, zunächst die Minderung der Vergütung erklärten, § 634 Nr. 3 Fall 2, § 638 Abs. 1 Satz 1 BGB.
a) Eine gesetzliche Regelung, wonach die Geltendmachung eines Kostenvorschussanspruchs ausgeschlossen ist, wenn der Besteller die Minderung des Werklohns erklärt hat, existiert nicht. Weder § 634 BGB noch §§ 637, 638 BGB regeln, in welchem Verhältnis das Recht des Bestellers auf Minderung der Vergütung (§ 634 Nr. 3 Fall 2, § 638 BGB) und die ihm zustehende Befugnis zur Selbstvornahme sowie sein Anspruch auf Zahlung eines Kostenvorschusses (§ 634 Nr. 2, § 637 BGB) stehen. Nach dem Gesetzeswortlaut ist vielmehr davon auszugehen, dass diese Rechte nebeneinander bestehen können.
b) Aus der Begründung des Gesetzentwurfs zur Modernisierung des Schuldrechts (BT-Drucks. 14/6040) ergibt sich nichts Anderes. Es war dem Gesetzgeber in Abgrenzung zum alten Schuldrecht vielmehr ein Anliegen, die Wahrnehmung von Mängelrechten sowohl im Kauf- als auch im Werkvertragsrecht flexibler zu gestalten und Käufer sowie Besteller mehr Möglichkeiten zur Wahrnehmung ihrer berechtigten Interessen einzuräumen (vgl. BT-Drucks. 14/6040, S. 226, 263).
c) Diese gesetzgeberische Absicht spricht grundsätzlich dafür, dass die Geltendmachung eines Mängelrechts andere Mängelrechte nicht ausschließt. So hat der Gesetzgeber nur für den Fall des Schadensersatzes statt der Leistung (§ 634 Nr. 4, § 281 Abs. 1 BGB) ausdrücklich geregelt, dass der Anspruch auf Nacherfüllung (§ 634 Nr. 1 BGB) erlischt, sobald der Besteller Schadensersatz statt der Leistung verlangt (§ 634 Nr. 4, § 281 Abs. 4 BGB). Diese Regelung dient nach der Absicht des Gesetzgebers dem Schutz des Unternehmers, der sich darauf einstellen können soll, nicht mehr einem Anspruch auf Nacherfüllung ausgesetzt zu sein, nachdem der Besteller Schadensersatz statt der Leistung verlangt hat (vgl. BT-Drucks. 14/6040, S. 140). Damit wird dem Unternehmer beispielsweise eine sicherere Einsatzplanung der von ihm vorgehaltenen und auf seinen Baustellen einzusetzenden Produktionsmittel gewährleistet, da er nicht parallel auf Schadensersatz und Nacherfüllung in Anspruch genommen werden kann.
d) aa) Der Senat hat es aber abgelehnt, diese ausschließlich § 634 Nr. 1 BGB betreffende Rechtsfolge auf die Befugnis zur Selbstvornahme und damit den Anspruch auf Kostenvorschuss nach § 634 Nr. 2, § 637 BGB zu erstrecken (BGH, Urteil vom 22. Februar 2018 - VII ZR 46/17 Rn. 48 ff., BGHZ 218, 1). Diese Rechtsprechung beruht auf dem Wortlaut von § 281 Abs. 4 BGB, der gesetzgeberischen Absicht und dem Sinn und Zweck des Kostenvorschussanspruchs. Dieser dient dazu, dem Besteller die Nachteile und Risiken abzunehmen, die mit einer Vorfinanzierung der Mängelbeseitigung einhergehen. Wählt der Besteller Schadensersatz statt der Leistung in Form des kleinen Schadensersatzes, kann er den Mangel beseitigen und die damit verbundenen Aufwendungen als Schaden von dem Unternehmer erstattet verlangen. Durch die Wahl des Schadensersatzes statt der Leistung anstelle der Selbstvornahme soll der Besteller aber nicht schlechter gestellt werden. Ein umfassender Ausgleich des verletzten Leistungsinteresses ist deshalb nur gewährleistet, wenn der Besteller - auch nach Wahl des Schadensersatzes statt der Leistung in Form des kleinen Schadensersatzes - weiterhin Vorschuss verlangen kann (BGH, Urteil vom 22. Februar 2018 - VII ZR 46/17 Rn. 51, BGHZ 218, 1).
bb) Der Besteller kann daher nach seiner Erklärung, Schadensersatz statt der Leistung in Form des kleinen Schadensersatzes zu verlangen, den Mangel zunächst nicht beseitigen und den Schaden beispielsweise in Anlehnung an die in § 634 Nr. 3 Fall 2, § 638 BGB geregelte Minderung bemessen (BGH, Urteil vom 22. Februar 2018 - VII ZR 46/17 Rn. 38, 41, 44, BGHZ 218, 1). Das hindert ihn aber nicht, sich noch für eine Beseitigung des Mangels zu entscheiden und deshalb einen Kostenvorschussanspruch hierfür geltend zu machen (BGH, Urteil vom 22. Februar 2018 - VII ZR 46/17 Rn. 48-51, BGHZ 218, 1).
e) Diese Erwägungen zum Verhältnis des Schadensersatzes statt der Leistung in Form des kleinen Schadensersatzes, § 634 Nr. 4, § 281 BGB, zum Kostenvorschussanspruch, § 634 Nr. 2, § 637 BGB, gelten entsprechend für das Verhältnis der Minderung, § 634 Nr. 3 Fall 2, § 638 BGB, zum Kostenvorschussanspruch. Wählt also der Besteller zunächst das Mängelrecht der Minderung, steht es ihm ebenfalls grundsätzlich frei, zu einem späteren Zeitpunkt den Mangel zu beseitigen und zur Finanzierung der Aufwendungen einen Kostenvorschussanspruch geltend zu machen. Die Rechtsnatur der Minderung steht dem nicht entgegen.
aa) Mit der Erklärung, die Vergütung zu mindern, bringt der Besteller zum Ausdruck, keine Beseitigung des Mangels durch den Unternehmer zu wollen. Es entspricht deshalb der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass mit der Erklärung der Minderung der Nacherfüllungsanspruch (§ 634 Nr. 1 BGB) ausgeschlossen ist (BGH, Urteil vom 19. Januar 2017 - VII ZR 235/15 Rn. 45, BGHZ 213, 319). Zudem bringt der Besteller zum Ausdruck, das Werk trotz des Mangels behalten zu wollen, so dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein Rücktritt vom Vertrag (§ 634 Nr. 3 Fall 1 BGB) wegen des Mangels, auf den die Minderung gestützt wird, grundsätzlich ausgeschlossen ist (BGH, Urteil vom 19. Januar 2017 - VII ZR 235/15 Rn. 55, BGHZ 213, 319). Das Gleiche gilt für den Schadensersatzanspruch statt der Leistung (§ 634 Nr. 4, § 281 BGB) in Form des großen Schadensersatzes, mit dem die Rückgängigmachung des Vertrags verlangt wird (vgl. BGH, Urteil vom 9. Mai 2018 - VIII ZR 26/17, BGHZ 218, 320 zum Kaufrecht). Dagegen ist der Besteller nach erklärter Minderung der Vergütung nicht gehindert, Schadensersatz statt der Leistung in Form des kleinen Schadensersatzes (§ 634 Nr. 4, § 281 BGB) geltend zu machen (BGH, Urteil vom 19. Januar 2017 - VII ZR 235/15 Rn. 49 ff., BGHZ 213, 319; vgl. zudem BGH, Urteil vom 9. Mai 2018 - VIII ZR 26/17 Rn. 43, 62, BGHZ 218, 320).
bb) Ausgehend von dieser Rechtsprechung kann der Besteller auch nach erklärter Minderung den Mangel beseitigen und die dafür getätigten Aufwendungen als Schadensersatz statt der Leistung (§ 634 Nr. 4, § 281 BGB) von dem Unternehmer erstattet verlangen. Dies ist dem Besteller weder nach der Gesetzessystematik noch aufgrund der Gestaltungswirkung der Minderung verwehrt.
Denn sowohl Minderung als auch Schadensersatz statt der Leistung in Form des kleinen Schadensersatzes sind ihrem Inhalt nach darauf gerichtet, das verletzte Leistungsinteresse des Bestellers, der das mangelhafte Werk behält, auszugleichen. Diese Mängelrechte schließen sich nicht aus, sondern ergänzen sich (vgl. BGH, Urteil vom 9. Mai 2018 - VIII ZR 26/17 Rn. 62, BGHZ 218, 320). Um einen möglichst umfassenden Ausgleich des Leistungsinteresses zu gewährleisten, ist es gerechtfertigt, dem Besteller ergänzend einen Schadensersatzanspruch statt der Leistung (kleinen Schadensersatz) zuzubilligen, wenn ein über den Minderungsbetrag hinausgehender Schaden entsteht. Dieser kann auch nach erklärter Minderung in - über den Betrag der durch die Minderung ersparten Vergütung hinausgehenden - aufgewandten Mängelbeseitigungskosten, die der Besteller bei verständiger Würdigung für erforderlich halten durfte (vgl. BGH, Urteil vom 22. Februar 2018 - VII ZR 46/17 Rn. 46, BGHZ 218, 1), bestehen. Er durfte sich zu diesen Aufwendungen aufgrund des Verhaltens des Unternehmers, der die ihm vom Gesetz eingeräumte Möglichkeit, sein mangelhaft abgeliefertes Werk nachzubessern (Nacherfüllung), nicht wahrgenommen hat, nach wie vor herausgefordert fühlen (vgl. BGH, Urteil vom 22. Februar 2018 - VII ZR 46/17 Rn. 46, BGHZ 218, 1).
Dem Unternehmer ist kein schützenswertes Interesse zuzubilligen, nach einer einmal erfolgten Minderung der Vergütung nicht mehr auf die Kosten einer Mängelbeseitigung in Anspruch genommen werden zu können. Es besteht nach der Konzeption der Mängelrechte durch die Schuldrechtsreform kein Grund, über das Erlöschen des Nacherfüllungsanspruchs hinaus die Dispositionsfreiheit des Bestellers zugunsten des Unternehmers einzuschränken. Es ist vielmehr der Unternehmer, der in doppelter Weise vertragswidrig gehandelt hat, indem er weder ein mangelfreies Werk herstellte noch seiner Pflicht zur Nacherfüllung nachkam.
Die Gestaltungswirkung der Minderung beschränkt sich - wie dargestellt auf die Mängelrechte der Nacherfüllung, des Rücktritts und des großen Schadensersatzes in Form der Rückgängigmachung des Vertrags, nimmt dem Besteller, der das mangelhafte Werk behält, jedoch nicht das Recht, sein Leistungsinteresse durch Selbstvornahme mit Kostenerstattung im Wege des Schadensersatzes statt der Leistung (kleiner Schadensersatz), § 634 Nr. 4, § 281 BGB, oder gemäß § 634 Nr. 2, § 637 Abs. 1 BGB in vollem Umfang durchzusetzen.
Steht dem Besteller danach die Befugnis zur Selbstvornahme auch nach erklärter Minderung weiterhin zu, kann er vom Unternehmer gemäß § 634 Nr. 2, § 637 Abs. 3 BGB einen Kostenvorschuss für die für die Selbstvornahme benötigten Mittel verlangen, die über die durch die Minderung ersparte Vergütung hinausgehen.
cc) Soweit die Revision unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des VIII. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 9. Mai 2018 - VIII ZR 26/17 Rn. 22 ff., BGHZ 218, 320) geltend macht, die unumkehrbare Bindungswirkung der Minderungserklärung, die das Äquivalenzinteresse von Leistung und Gegenleistung wiederherstelle, stehe der Geltendmachung eines Kostenvorschussanspruchs entgegen, ist das aus den vorstehenden Gründen unzutreffend (vgl. BGH, Urteil vom 9. Mai 2018 - VIII ZR 26/17 Rn. 62, BGHZ 218, 320).
dd) Ist damit der Kostenvorschussanspruch durch die Erklärung der Minderung nicht ausgeschlossen, kommt es auf die Erwägung des Berufungsgerichts nicht an, der Besteller könne nach erklärter Minderung zum Kostenvorschussanspruch wechseln, wenn tatsächlich kein Minderwert vorhanden sei.
III. 38 Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Pamp Graßnack Halfmeier Sacher Jurgeleit Vorinstanzen: LG Lüneburg, Entscheidung vom 26.05.2021 - 6 O 4/16 OLG Celle, Entscheidung vom 09.03.2022 - 14 U 105/21 -